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Wie man ein Konzert organisiert, ohne dabei draufzugehen

Toningenieure, die deine Mutter beleidigen, nervige Acts, undankbare Zuschauer. Wenn du diesem Stress aus dem Weg gehen willst, nimm dir diese Dos and Don'ts eines Konzertpromoters zu Herzen.

Ich wette mit euch, dass Ex-Black-Flag-Sänger Henry Rollins und Ex-Fugazi-Frontmann Ian McKaye es ganz schön nervig finden, auf jeder gottverdammten Party Debatten über DIY, Punk und all die anderen Dinge führen zu müssen, die dreiviertel der Kommentare eurer geliebten Musikseiten ausmachen. Allerdings kann es auch gut sein, dass es ihnen scheißegal ist, da der eine mittlerweile Fernsehmoderator ist und der andere Millionär und sie bestimmt zero ihrer Zeit auf irgendwelchen Musikblogs verbringen.

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Knapp zehn Jahre habe ich große, kleine, geile und beschissene Konzerte organisiert, habe immer noch genauso große Angst vor Schlangen und bin immer noch genauso weit vom Reichtum entfernt wie vorher. Dafür hat der Job mich einige Lektionen gelehrt, die zum altbekannten Spruch „Probieren geht über studieren“ nicht besser passen könnten—und nein, man sollte ihn sich auf gar keinen Fall irgendwo hin tätowieren lassen.

Lektion #1: Bands, die kein Equipment dabei haben, sind zum Kotzen. Man kann sie eigentlich in die gleiche Kategorie stecken wie die Jungs in der S-Bahn, die nur ganz kurz euer Handy ausleihen wollen, „weil sie kein Guthaben mehr haben“. Bleibt standhaft. Weigert euch vehement. Macht ihnen klar, dass es für verrückte Möchtegern-Pete Dohertys wie sie das Fête de la Musique und offene Bühnen gibt.

Konkretes Beispiel: Die Band Kim Novak, die bei ihrer Ankunft im Konzertsaal total angepisst war, weil wir ihr nicht das Equipment vom Headliner zur Verfügung stellen wollten. Eigenartigerweise hat sich die Band ein paar Monate später aufgelöst. Übrigens: Wer älter ist als acht Jahre und einen auf beleidigte Leberwurst macht, ist ziemlich uncool.

Lektion #2: Keine Band hat das Recht, Gott zu spielen. Keine Band ist der Boss des Veranstalters. Vergesst NIEMALS, dass ihr der Boss seid und nicht andersrum.

Konkretes Beispiel: Einem Ex-Raver in einem Vorort einen beschissenen (und abgenutzten) Plattenspieler abzukaufen + eine unauffindbare Biermarke für Venetian Snares zu organisieren = Zeitverschwendung, wenn man bedenkt, für diese zwei „Missionen“ ungefähr acht bis zehn Stunden zu brauchen und am Ende einen Typen vor sich stehen zu haben, dem sowieso alles scheißegal ist und der eigentlich nur innerhalb von zwanzig Minuten seine zwei Schachteln Marlboro-Rot rauchen will. Außerdem hat er ein langes Gesicht gezogen, weil seine Katze während des Konzertes gestorben ist.

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Lektion #3: Organisiert keine Konzerte, um im Mittelpunkt zu stehen. Keine Sau interessiert sich für euch. Wenn ihr gesehen und fotografiert werden wollt oder gar mit Groupies ausgehen wollt, macht selbst Musik. Wenn ihr dafür zu luschig seid, werdet DJ. Wenn selbst das weit über euren Fähigkeiten liegt, bleibt euch immer noch der Job als Professor für Geisteswissenschaften.

Konkretes Beispiel: Der Typ mit dem wir (wir= Kongfuzi, der Promoter, für den ich arbeite) das Konzert von Neurosis im Pariser Club „La Machine du Moulin Rouge“ organisiert haben, kommt inklusive Videokamera (die Show hat 2011 stattgefunden) zum Konzert, verbringt den Abend zusammen mit den Bandmitgliedern erst in den Logen, später dann neben der Bühne und tut so, als ob Kongfuzi seine Firma wäre. Danke Junge, mach weiter so.

Lektion #4: Ignoriert ALLE Menschen, die auf euch zukommen und fragen 1. ob genügend Leute zum Konzert gekommen sind, 2. wie viel ihr verdient, 3. wie viel ihr an den Act abdrückt. Höchstwahrscheinlich sind das irgendwelche Spasten, die bei den letzten Wahlen rechts gewählt haben, ohne ihren Freunden davon zu erzählen.

Konkretes Beispiel: Gibt es nicht. Das passiert leider bei JEDEM Konzert.

Lektion #5: Leute, die auf Konzerten arbeiten (Toningenieure, Regisseure, Verwalter, Barkeeper) sind (bis auf ein paar ganz wenige Ausnahmen) selten eure Freunde. Vergesst niemals, dass sich Menschen im Musikbusiness nur für EINES interessieren: Wie viele Leute ihr zum Konzert lotst und wie viel Bier sie den Besuchern verkaufen können. Versucht also die Menge an Gästen im Griff zu haben, ohne zu vergessen, dabei mit allen fair umzugehen.

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Konkretes Beispiel: Im Suff vergisst der Toningenieur, das Mikro der Sängerin von Deerhoof anzuschalten. Als ich ihn darauf hinweise, bestellt er sich noch einen Drink und beleidigt meine Mutter. Seitdem machen wir keine Konzerte mehr bei ihm.

Lektion #6: Bands sind durchschnittlich neun Monate im Jahr auf Tour. Und egal ob es jetzt in den USA, in Frankreich, Schweden, Deutschland oder Österreich ist, trägt so gut wie jeder Jeans, Vans und Dreitagebart. Seid ihnen also nicht böse, falls sie euch vergessen haben.

Konkretes Beispiel: Der Fucked Up–Frontmann, den wir in letzter Minute im „Mécanique Ondulatoire“ in Paris haben spielen lassen (das Event ist mir in guter Erinnerung geblieben), der mich ein paar Monate später im „Nouveau Casino“ fragt: „Ha, du weißt, dass ich nie jemanden wiedererkenne. Hast du 'ne Ahnung, wo der Colette-Shop ist?“ Später stand er auf der Bühne und hat das Publikum gefragt: „Where’s the fuckin Colette shop? I need some new sneakers.“ Punk.

Lektion #7: Niemand hat das Recht, respektlos mit euch umzugehen. Vor allem keine Opening-Act, der „einen Promo-Gig spielt, um Profis anzulocken.“

Konkretes Beispiel: Eine bescheuerte Pariser Post-Rock-Band, die mir eines Tages sagte: „Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass beim Opening-Konzert, an einem Montagabend in der „Flèche d’or“ Programmplaner und Journalisten dabei sind! Letztens haben wir bei einem Konzert an Halloween 225 Tickets a 15 Euro verkauft“ (das alles sagte er in einem empörten Ton, während sein Kopf sich hektisch von rechts nach links bewegte), gefolgt von einem herrlichen: „Du weißt genauso gut wie ich, dass in unserem Job nichts so wichtig ist, wie ein Versprechen zu halten.“ Am Ende haben sie wie geplant um 21:30 Uhr vor 60 Leuten in einem Saal gespielt, in den 500 gepasst hätten.

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Lektion #8: Musiker sind nie eure Freunde. Verhindert um Himmels Willen, euch mit ihnen in die Haare zu kriegen.

Konkretes Beispiel: Im Suff vergisst ein Praktikant, den Melvins ein Taxi zu bestellen, die mit ihrem Gepäck wie Vollidioten alleine vor der Tür warten.

Lektion #9: Wenn ein Mädchen anbietet, euch bei der Organisation eines Konzertes zu helfen, vermeidet ihr Catering, Aufräumen, oder die Abendkasse anzuvertrauen. Die 50er sind vorbei.

Konkretes Beispiel: 90% der Musiker versuchen sich mit Sprüchen wie „Wirklich köstlich, dein Catering“ Weiber klarzumachen, die arbeiten sollen und am Ende steht ihr allein da.

Lektion #10: Die Einladungsquote darf niemals 10% der Gesamtkapazität eines Veranstaltungsortes übertreffen. Wenn der Typ vom Dingsbums-Magazin das nicht versteht, solltet ihr ihm raten, seine Supreme-Cap zu verkaufen.

Konkretes Beispiel: Die Liste mit 150 Einladungen zur Farewell Poetry (nichts für ungut, Jungs). Die Liste mit den 50 Gästen von Chelsea Wolfe geht anscheinend immer in Ordnung, weil dann ja Sasha Grey und Stephen O’Malley mit drauf stehen (ratet mal, welcher der beiden öfters kommt).

Lektion #11: Wenn jemand aus dem Publikum auf euch zukommt, weil ihm das Konzert nicht gefallen hat, fragt ihn ganz entspannt, ob er auch die Kartenverkäuferin im Kino anscheißt, weil ihm der letzte Batman-Film nicht gefallen hat und leitet ihn dann an den Künstler weiter, über den er sich eigentlich aufregen sollte. Normalerweise hört er spätestens dann auf zu jammern, wenn er das Risiko erkennt, von Eugene Robinson oder Jacob Bannon auf die Fresse zu kriegen

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Konkretes Beispiel: Der Typ, der rumgeplärrt hat, weil Sunn O))) sich beim Villette Sonique 2009 „wie Marry Poppins-Musik angehört hat“. Oder diese drei Schlaumeier, die dachten, Eugene Robinson hätte nicht verstanden, dass sie sich ungeniert über seine Spoken-Word-Performance lustig gemacht haben.

Letzte Lektion: Leute, die gute Konzerte organisieren, sind generell die selben Typen, die coole Hauspartys schmeißen. Übt also Samstagabends fleißig zu Hause mit euren Freunden, bevor ihr einer Band die Ankunft versaut.

Konkretes Beispiel eines erfolgreich organisierten Konzertes: Zu sehen wie Molly Nilsson am Ende eines Abends jemanden klarmacht oder wie Pete Swanson beim Anblick seiner (wahrscheinlich) ersten Groupies rot anläuft.

Konkretes Beispiel eines verkackten Konzertes: Jemanden um 16 Uhr sagen zu hören „es kommt sowieso keiner“, wenn ihr mit eurer Band gerade zum Soundcheck kommt. In dem Moment solltet ihr euch gut überlegen, ob ihr das Equipment aus den Koffern holt.

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