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You Need to Hear This

Riff Raff ist ein „Real Boy“ mit einem wirklich großartigem Album

Wir gehen der Versace-Melancholie von ‚Neon Icon’ auf den Grund—einem ernsthaften Anwärter für das Album des Sommers.

Illustration von Isaiah Toothtaker

So ziemlich alles, was in den letzten zwei Jahren über Riff Raff geschrieben wurde, dreht sich nur um diese eine Frage: Meint er das WIRKLICH ernst? Manchmal steckt hinter der Frage ein ehrliches Anliegen, manchmal ist sie nur Platzhalter für die eigentliche Frage: Wie setze ich mich mit Musik auseinander, die von jemandem gemacht wird, der mir total auf den Sack geht? In der Regel kommt man dann am Ende des Artikels zu einem von zwei Schlüssen. Da gibt es einmal die „aber er ist ein guter Rapper!“-Verteidigung, in Fachkreisen auch bekannt als das Upworthy Special („This Idiot Viral Human Raps… What Happens Next Will Blow Your Mind!“). Die andere Möglichkeit ist die kulturwissenschaftliche Analyse, die zu dem Schluss kommt, dass es sich bei Riff Raff um einen Performancekünstler handelt. Seine Musik, sein Internetauftritt und seine ganze Marke seien tatsächlich ein kritischer Kommentar über diese furchtbaren Millenials mit ihrem EDM und ihren Mang-O-Ritas.

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Oh Mann, das ist alles einfach so unglaublich langweilig und es wäre auch langweilig, wenn dieser Kram nicht schon 2012 zu Tode exerziert worden und dann 2013 zum Erscheinen von Spring Breakers wieder aufgewärmt worden wäre—weil es letztendlich einfach unglaublich irrelevant ist. Es war schon langweilig, als Riff Raff noch dieses sich ständig wandelnde Versace-Enigma war und es ist vor allem jetzt langweilig, da wir alle wissen, dass sein bürgerlicher Name Horst Simco lautet, er 32 Jahre alt ist, aus Copperfield, Texas, stammt und echte Eltern und drei echte Geschwister hat. Es ist langweilig, „Authentizität“ heranzuziehen, um Riff Raff zu kritisieren, weil „Authentizität“ bekanntlich längst tot ist. Riff Raff ist Don Draper, Rick Ross, Lana Del Rey oder jeder beliebige Twitternutzer: er hat sich dafür entschieden, Riff Raff zu sein. Das ist alles.

Worauf es letztendlich wirklich ankommt ist Neon Icon: kann dieser Typ, egal wer er jetzt ist, ein vernünftiges Album machen? Um ehrlich zu sein, schien das im Vorfeld nicht sehr wahrscheinlich. Es gab einen zunehmend schwammiger ausgelegten Releasetermin, aber—noch viel grundlegender—stand zur Debatte, ob Riff Raff überhaupt ein Album machen will. Einen Longplayer fertigzustellen, ist eine Unterfangen, das wesentlich weniger „fun“ bedeutet, als sich abzuschießen und Freestylvideos zu machen, bzw. sich abzuschießen und die lustigste Person bei Vine zu sein. Zwei Dinge, die Riff Raff mit anscheinend geringem Aufwand zur höchsten Vollendung praktiziert. (Es ist außerdem eine wesentlich weniger lukrative Unternehmung als seine ständigen Touren—Brot und Klunker kosten eben auch Geld.).) Ein Album hat noch mal ein ganz anderes Gewicht. Ein Gewicht von dem man sich schnell vorstellen konnte, dass Riff Raff seine Mühe damit haben würde. Es gibt einen Skit im ersten Track des Albums, „Introducing The Icon“, bei dem er Diplo (dem Mad Decent Labelboss, der auch einen großen Teil des Albums produziert hat) nachäfft, „You gotta focus on the lyrics in your songs, a lot is riding on this album!“. Als Antwort folgt ein beherztes „Fuck that!“. Es ist in erster Linie als Witz unter Kumpels zu verstehen, gibt aber auch einen kleinen Einblick, wie Riff Raff es geschafft hat, allen Erwartungen zum Trotz das Rapalbum des Sommers abzuliefern.

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Neon Icon hätte auch einfach eine Ansammlung von dem Zeug werden können, das momentan fast jeder von Riff Raff erwartet—in Zuckerwatte gehüllte, mit Popkulturverweisen bespickte, surrealistische Wortspielereien, eben das Zeug, das die „er ist ein guter Rapper“-Fraktion zu ihrem Urteil kommen lässt. Natürlich kann er das: Songs wie „Tip Toe Wing In My Jawwdinz“, „Wetter Than Tsunami“ und „How To Be The Man“ (zusammen mit den bewährten und unter Fans besonders beliebten Tracks wie „Larry Bird“, „Cuz My Gear“, „Jose Canseco“, „Porsche Cayenne“, dem ultimativem Game-Changer „Bird On A Wire“ und so weiter und so fort) sind Beweis genug für Riff Raffs mehr als amtliche Texterfähigkeiten—einer leicht übersteigerten Version von Mitte 2000er Houston-Freestyle, die Swisha House und Screwed Up Click einiges zu verdanken hat. Diese Songs werden die noch etwas ambivalenten Rapfans wohl am ehesten überzeugen können, wenn überhaupt etwas: Sie werden vielleicht in neuem Gewand vorgetragen, aber die Songs selber sind keineswegs neu. (Die Ästhetik dem eigentlich Werk vorzuziehen—ob eins von beidem wiederum eigenständig betrachtet werden kann, ist wiederum eine andere Frage—ist die beliebteste Waffe von Riff Raff-Kritikern. Erinnern wir uns an das berüchtigte Hot 97 Interview aus dem letzten Jahr, in dem Programmdirektor Ebro ihn beschuldigte, HipHop zu ruinieren—nachdem er zugegeben hatte, sich noch keinen einzigen Riff Raff-Song angehört zu haben.)

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Für mich lagen Riff Raffs überzeugendste Qualitäten jedoch immer an ganz anderer Stelle. Nämlich in diesen kleinen Momenten, in denen er Trauer, Herzschmerz und Menschlichkeit durchscheinen lässt, und mit denen er mit der Zeit immer offener umgeht. Seine Lässigkeit ist in sämtlichen sozialen Netzwerken bestens dokumentiert, wird aber meistens auf seine clownesken und slapstickartigen Beiträge reduziert. Seit Jahren schon lassen sich bei seinem Twitter-, Instagram- und Vine-Output allerdings auch sehr persönliche Blicke hinter den Vorhang finden—ergreifende, nachvollziehbare Nachrichten, die ihn entlarven als hoffnungslosen Romantiker (die Betonung liegt auf ‚hoffnungslos’); als Person, die in einer schonungslosen, einsamen Welt nach einer bedeutungsvollen Bindung durstet; als eine Person, die eigentlich nur glücklich sein möchte und noch immer nicht rausgefunden hat, wie sie das erreichen kann. Manche von ihnen lesen sich wie sprichwörtliche Hilferufe. Vor allem seine „Real Boy“-Vineserie hat es mir angetan. Natürlich ist sie nicht ernst gemeint, in seinem pinocchiohaften Auftreten liegt aber ein Pathos, dem man sich unmöglich entziehen kann. Diese immer wieder aufblitzenden Funken ungeschminkter Menschlichkeit haben sich über die Jahre auch in seiner Musik verfestigt: Nimm das eindringliche „Break Away“, die herzerweichende Countryballade „Take You Away“ oder „Tiger Bear Gargoyle“ den schönsten Love-In-This-Club-Song seit „Spottieottiedopalicious“. Wenn man sich diese Dokumente Riff Raffs unverstellter Gefühle und Sehnsüchte vor Augen hält, fällt die Performancekunst-Theorie in sich zusammen.

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Diese kleinen Momente, in denen Riff Raff der Mensch und nicht Riff Raff die Kunstfigur durchscheint, bilden das Rückgrat des Albums. Wenn man das finanzielle Risiko einer Unternehmung wie Neon Icon in Betracht zieht, scheint allein die Neupositionierung von Riff Raff als „Real Boy“ Sinn und Zweck der ganzen Mission zu sein. Mit dabei sind überarbeite Versionen seiner ergreifendsten Songs überhaupt. Einmal ist da „Versace Python“, eine schwerelose, tautropfengleiche Nummer mit der unvergesslichen Hook, „Tears fall from castles around my heart“—eine Textzeile, die sich viel zu echt anfühlt, um sie einfach nur als kitschigen Nonsens abzutun. Und dann gibt es noch „Time“, eine genäselte, nach getrockneten Tränen klingende Country-Rap-Ballade, die dich geradezu herausfordert, dich über sie lustig zu machen—ganz wie ein verunsichertes Kind, das sich selber verarscht, damit du das nicht mehr machen kannst/musst (passend dazu mit einem schwachsinnigen Video, in dem Riffs Körper als Leinwand für Pringlesskulpturen und Fuß-zu-Gesicht-Massagen missbraucht wird). Es ist ehrlich, unerschrocken und niederschmetternd. Eine scheinbar biographische Darstellung seiner schwierigen Beziehung zu seinem Vater, seinem Misstrauen gegenüber den Menschen, die ihn umgeben, und seiner akuten Einsamkeit. Riff Raff ist ein Spaßvogel und er übt sich in Absurditäten, aber ganz tief im Inneren handelt seine Musik von Liebe, Verlust, Identität und davon, wie man sich durch eine Welt kämpft, die in erster Linie beschissen ist. Nimm nur das „Jody Three Moons“-Skit. Es kommt mit einem gewissen Maß an Augenzwinkern („It’s the actual moon“), trägt in sich aber durchaus auch eine Ernsthaftigkeit, die in mir das Gefühl erweckt, dass Riff Raff dem Mond vorher wirklich einige große Fragen gestellt hat. „There’s some memories we can’t get back. Some of the good, cherishing memories that we just can’t remember. Where do they go?“

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Dem Ganzen liegt auch eine Ebene von Eigenwahrnehmung zu Grunde, die ein für alle Mal klären sollte (es aber nicht tut), ob wir jetzt mit oder über Riff Raff lachen. Nimm „Introducing the Icon“ in dem Riff sich dem Huf-Socken-tragendem-Dude-Bro zuwendet, der einen großen Teil seiner Fanbase darstellt: „Bro, I don’t even like Rappers, it’s just this damn Riff Raff, he’s just fuckin’ off the chain!“ (Derartige Anspielungen sind bei seinen Vines zuvor schon oft aufgetaucht.) Da wo Macklemores weiße Hautfarbe etwas ist, für das er sich berechnend im Vorhinein entschuldigt, und Iggy Azaleas weiße Hautfarbe mit einem „Ich habe schwarze Freunde“-Kommentar als Nicht-Thema abgetan wird, bläst Riff Raff sein Weiß-Sein mitsamt aller einhergehenden Attribute zu einer entstellten, spiegelkabinettmäßigen Karikatur auf, mit der er sich selber und sein Publikum aufs Korn nimmt. Er lacht nicht nur mit uns, sondern ist uns auch noch einige Schritte voraus. Sich selber beschrieb er als „der weiße Gucci Mane mit Spray-Tan“—hinter solchen Aussagen steckt so viel mehr, als sie auf den ersten Blick erahnen lassen.

Neon Icon ist Riff Raff als „real boy“, als Träumer, als geschickter Wortschöpfer, als unberechenbarer Spaßvogel. Trotz seiner Ecken und Kanten ist das Album außerdem ein richtiger Ohrenschmeichler. Es gibt mit „How To Be The Man“ die nötige Portion DJ Mustard-Micro-Slap; mit „VIP Pass To My Heart“, den besten Blog-House-Song, der je gemacht wurde (wenn auch fünf Jahre zu spät); mit „Lava Glaciers“ atmosphärischen Durchschnittsrap und sogar in den eingängigsten Momenten („Maybe You Love Me“ featuring der menschlichen TI$A-Snapback Mike Posner) sind die Radionummern wesentlich geschmackvoller, als sie sein müssten. Es ist ein Poprap-Album, das seine grenzüberschreitenden Elemente mit demokratischen, allseits beliebten Gesten überdeckt. Es ist gleichzeitig familiär und macht neugierig; ist beruhigend und nervenaufreibend. Neon Icon ist dieses nicht festzumachende Stück ausgefallener Popmusik, das mich an manchen Stellen an ein anderes, zu großen Teilen missverstandenes Debütalbum erinnert: Nicki Minajs Pink Friday—ein Album, das Rapfans verunsicherte und komische Ideen in die Köpfe von Popfans pflanzte. Es ist vor allem ein Album, das dich herausfordert, Riff Raff als Person zu begreifen und nicht nur als Idee.

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Meaghan Garvey hat ernsthaft ein Riff Raff Tattoo, so wie einen Tumblr, in dem sie seine schönsten Tweets sammelt. Sie ist auch bei Twitter - @moneyworth

Isaiah Toothtaker ist Rapper und Tattookünster in Tuscon, Arizona. Er ist auch bei Twitter - @i_toothtaker

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