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Es ist gefährlich, ein Genre via arabische Revolution sexy zu machen

Am Samstag findet in Schaffhausen das Intersity Festival statt.

Am Samstag findet in Schaffhausen das Intersity Festival statt. Der Name ist Programm („sity“ ist nicht „city“, aber anscheinend so gemeint.): Dieses Mal wird Austausch mit Kairo gepflegt und ägyptische Superstars beschallen verschiedene Clubs und Konzert-Locations in der ganzen Stadt. Phil Battiekh, der die Organisation schultert, hat mir in Wortschwällen von Mahraganat, Kiffen in Ägypten und seine Abneigung gegen die durch Politik kreierte Sexyness im Sound gesprochen.

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Noisey: Du hast keine ägyptischen Wurzeln und nennst dich trotzdem Phil Battiekh. Wie kam’s dazu?
Phil: Ich hab Islamwissenschaften studiert und Arabisch gelernt. Deshalb bin ich auch nach Kairo gegangen. Hin und wieder habe ich über die dortige Electro-Szene geschrieben. Man muss sich vor Augen halten, dass diese Szene in Ägypten absolut underground ist. So bin ich in Kontakt mit verschiedenen MCs und DJs gekommen und habe angefangen mich für Mahraganat zu interessieren. Mittlerweile bin ich selber Musiker und nenne mich Phil Battiekh, was soviel bedeutet wie „in der Wassermelone“. Gleichzeitig ist es ägyptischer Slang für „bekifft“.

Wird in der Mahraganat-Szene also viel gekifft?
Nicht nur in der Szene! In ganz Kairo gehört Haschisch-Konsum zum Alltag. Ich würde sagen, es ist ähnlich wie in der Schweiz. Eigentlich ist es illegal, aber es wird geduldet. [Anmerkung Noisey Staff: Die Strafen in Ägypten sind, wenn sie denn verhängt werden, aber drastischer als in der Schweiz.] Ein Freund von mir hat einmal Hasch von einem Polizisten gekauft. Grossdealerei hingegen wird auch hier verfolgt.

Du hast die Bookings fürs Intersity gemacht. Wieso holst du ägyptische Musiker nach Schaffhausen?
Das Ganze findet ja im Rahmen des Intersity statt und weil dieses Format den Austausch zwischen verschiedener Musik aus verschiedenen Länder fördert, hat das grad gepasst. Kairo ist im Moment der Kulturschauplatz schlechthin. Die Techno-Szene dort wächst; verschiedene Genres werden immer beliebter. Ich denke, Mahraganat könnte der nächste Reggae oder Dancehall werden.

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Du hattest ja ziemliche Probleme, die Visen für die Künstler zu beschaffen.
Ja. Zuerst behauptete die Botschaft, dass sie in eigener Kompetenz keine Künstlervisen ausstellen können, was laut Schweizer Recht einfach nicht wahr ist. Dann wurden Feedo und Ahmed Samy zuerst mit relativ fadenscheinige Begründungen abgelehnt. Am Schluss klappte zum Glück alles. Die Visumspolitik für Künstler aus Drittstaaten ist in der Schweiz dermassen restriktiv, dass die Organisation "Coalition Suisse" aktiv gegen solche Fälle rechtlich vorgeht. Gerade führen sie eine Aktion namens "Worst Cases" durch, bei der man seine Erlebnisse schildern kann. Soweit ich weiss soll ein politischer Vorstoss erfolgen. Es geht ihnen darum, dass die Unesco-Konvention von 2005 zur Erleichterung der Künstlervisen aus Entwicklungsländern auch durchgesetzt wird. Die Schweiz hat sie ja unterschrieben.

Was genau ist denn Mahraganat?
Eine Subkultur. Das Wort Mahraganat bedeutet „Festivals“. Es steht aber für sich, denn man assoziiert mit dem Wort Rock ja auch keinen Stein. Weisst du was ich meine? Ein Lied im Mahraganat-Stil heisst dann einfach Mahragan.

Mahraganat ist also auch ein Genre?
Richtig. Es ist ein eigener Musikstil, der von vielen anderen beeinflusst wird. Rhythmisch fliesst viel von Sha3by mit ein. Melodisch hört man andere arabische Einflüsse raus, auch den westlichen Rap und Elektro. Aber Mahraganat ist ein eigenes Genre. Jeder Künstler bringt seine eigene Note rein.

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Mahra…gana… Mahraganat. Ein ziemlich fieses Wort für uns Europäer.
Deshalb hab ich auch das Wort Sha3byton erfunden. Das trifft es noch besser als Electro Sha3by. Der Reggaeton ist abstrakt gesehen ja auch eine Synthese aus ethnischen Elementen und Rap-Musik, die im „maratón“-Stil performt wird.

Inwiefern hat das Aufkommen des Sha3byton mit der Revolution und den jüngsten Entwicklungen in Ägypten zu tun?
Die Medienwelt liebt diesen Zusammenhang und stellt ihn völlig überspitzt dar. Die politische Revolution macht die Geschichte von der Revolte der Musik erst richtig sexy. Musik gab es schon vor der Revolution, Underground-Entwicklungen ebenso. Auch die Behauptung, dass Mahraganat politisch motiviert sei und dass die Texte politisch seien, ist einfach nicht wahr. Es ist einfach ein Genre, dass sich mit allen möglichen Themen auseinandersetzt. Liebe, Freundschaft, und ja, vielleicht manchmal auch Politik.

Aber internationales Aufsehen erregt Mahraganat noch nicht allzu lange…
Das ist richtig. Dank der Revolution schaut die ganze Welt auf die Entwicklungen in Kairo. So eben auch auf die kulturellen. Aber das ist schon alles, was Mahraganat mit der Revolution zu tun hat. Weißt du, es ist gefährlich, ein ganzes Genre nur durch seine Verbindung mit der Revolution sexy zu machen. Das schränkt es ziemlich ein.

Was darf man vom Intersity erwarten?
Auf jeden Fall werden wir Schaffhausen überraschen. Ich sorge mich ein bisschen darum, dass das Publikum zu wenig über die ägyptischen Künstler informiert ist und sie nicht so recht zu schätzen weiss. Zum Beispiel ist DJ Feedo einer der bekanntesten DJs Nordafrikas. Hier kennen ihn nur die wenigsten. Es ist ein derbes Privileg, ihn mal sehen zu dürfen. Daneben gibt’s eine Afterhour—in Schaffhausen ist schon das eine Rarität. Soweit ich weiss, gab’s das erst drei Mal, darunter einmal an Neujahr.

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