Rasenschach und Jahrhundertduelle

Es gibt viele Argumente, warum ausgerechnet die Bundesliga die interessanteste Fußballliga der Welt ist: Ausgeglichenstes Niveau, schönste Stadien, weltmeisterlicher Fußball. Ich persönlich bin ohnehin zu befangen, um objektiv darüber zu urteilen. Wenn man als Spieler fast alle deutschen Amateurklassen abgegrast hat, dann ist unweigerlich das eigene Herz an den hiesigen Fußball und seine Oberklasse verloren. Für all jene aber, die emotional weit weniger befangen sind und noch konkreter Überzeugung bedürfen, sei der VfB Stuttgart ans Herz gelegt.

Den Jungs zuzuschauen, macht einfach nur Spaß, denn was sie tun, ist momentan nichts anderes, als ein allumfassendes Fußballfeuerwerk zu zünden. Bereits letzte Woche berichteten wir über ihre grandiose Aufholjagd gegen Leverkusen, bei der sie nach einer desolaten ersten Halbzeit aus einem 1:3 Rückstand fast noch ein 4:3 machten.

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Obwohl es ziemlich unwahrscheinlich schien, hoffte ich, auch an diesem Spieltag eine vergleichbare Partie sehen zu dürfen-was niemand für möglich gehalten hätte: Die Schwaben legten noch zwei Schippen oben drauf.

Spiel des Tages: Frankfurt – Stuttgart
Von besonderem Interesse war dieses Spiel allein schon deshalb, weil Armin Veh, der Trainer des VfB, noch letzte Saison für die Frankfurter angestellt war, die er aber überraschend verließ, mit der Begründung, dass er keine Lust mehr habe, immer wieder den Gegnern zum Sieg zu gratulieren.

Nun also kehrt er an seine alte Wirkungsstätte zurück, wurde dennoch herzlich empfangen, während sein Nachfolger Thomas Schaaf ein unglaubliches Jubiläum feierte: Dieses Spiel sollte seine 750. Bundesligapartie als Trainer werden. Prompt beschenkte ihn Frankfurt mit dem 1:0 in Minute 21-zu diesem Zeitpunkt völlig unverdient. Stuttgart war die klar bessere Mannschaft. Sie blieb es trotz Rückstand auch weiterhin und drehte das Spiel bereits im Verlauf der ersten Halbzeit. Die Schwaben lieferten ihre beste Saisonleistung ab, schossen drei Tore, sodass bereits zum Anpfiff der zweiten Hälfte die Partie gelaufen schien.

Das dachte auch mein Kumpel, mit dem ich das Spiel in einer Bar schaute und der entspannt aufs Klo und Bier holen ging. Damit leitete er das ein, was ich „Stuttgarts acht Minuten des Grauens” nennen möchte. Solange hat es nämlich gedauert, bis er mir das nächstes Bier brachte, Frankfurt den Stuttgartern drei Tore verpasste und mit 4:3 wieder in Führung ging. Auch ich musste pinkeln, wusste aber, dass es besser wäre, in die Hose zu machen, als nur eine Minute des Spiels zu verpassen. Warum? Weil Stuttgart noch neun Minuten vor Schluss das 4:4 machte und drei Minuten später sogar den Siegestreffer zum 4:5.

Noch mal kurz zusammengefasst: Allein in den letzten zwei Partien mit Stuttgarts Beteiligung sind 15-ich wiederhole-15 Tore gefallen, begleitet von 5 Führungswechseln! Noch Fragen?


Dortmund – Hannover
Wenn es darum geht, zwei Gesichter zu zeigen, dann ist Dr. Jekyll & Mr. Hyde ein Witz im Vergleich zu Dortmund. In der Champions League führen sie ihre Tabelle souverän mit 9 Punkten an und haben bislang nicht ein einziges Gegentor kassiert. In der Bundesliga überlebten sie nicht ein Spiel ohne Gegentor, verloren die letzten drei Partien und müssen allmählich aufpassen, nicht auf einem Abstiegsplatz zu rutschen.

Und weil die Dortmunder verzweifelt sind, es für sie aber derart prächtig in der Königsklasse läuft, holten sie sich beim Deutschen Fußballbund eine Sondergenehmigung, um in den offiziellen Champions-League-Trikots auflaufen zu dürfen (Fußball = Kopfsache und so). Mit derlei feinem Zwirn empfingen sie vor heimischer Kulisse das schwächste Auswärtsteam der Liga: Hannover. Bislang schossen die Niedersachsen in fremden Stadien stolze null Tore. Für die Dortmunder war das aber nicht zwingend ein Grund zur Freude. Letzte Woche etwa spielten sie in Köln, gegen die schwächste Heimmannschaft der Liga; auch die Kölner schossen bis dato kein Tor, gegen BVB machten sie gleich zwei.

Aber von Anbeginn der Partie mit Hannover sah man, dass es ein anderes Spiel werden würde. Die Defensive-das bisherige Sorgenkind des BVB-blieb bis auf wenige Aussetzer fehlerlos, die Mannschaft wirkte konzentriert und spielte sich Chance um Chance heraus.

Ganz im Gegenteil zu Hannovers Hiroshi Kiyotake. Dieser Typ war mit Abstand der schlechteste Mann auf dem Feld. Das Spiel ging an ihm komplett vorbei, was bemerkenswert ist, wenn man Spielmacher ist. Doch so schlecht wie Kiyotake war, so überragen war Ron-Robert Zieler. Der Junge parierte alles, was auf sein Tor geschossen kam, und hielt so Hannover noch im Spiel.

In der 61. Minute trat dann Gündoğan seinem Gegenspieler Bittencourt auf den Fuß, sodass Hannover zu einem Freistoß kam. Es lief an: Hiroshi Kiyotake. Sein Trainer schaute sich das Elend bereits halb abgewendet an, was den Japaner aber unbeeindruckt ließ. Er schlenzte den Ball mustergültig über die Mauer, direkt an den linken Pfosten, Traumtor, 1:0 Hannover! In der Folge entfesselten die Dortmunder eine Offensivwelle nach der anderen, zwecklos bei Ronny Zieler im Tor-Dortmunds vierte Bundesligapleite hintereinander war perfekt.

Nun sind sie einen mickrigen Punkt vom Abstiegsplatz entfernt, haben noch kein Partie zu null gespielt, so schlecht war der Verein unter Klopp noch nie. Der BVB hängt irgendwie in der Luft und ausgerechnet nächste Woche erwarten ihn die Überbayern, danach der Ligazweite Gladbach.


Gladbach – Bayern
Offiziell galt natürlich diese Partie als Topspiel. Zuletzt trafen vor über 40 Jahren diese beiden Mannschaften als Tabellenerster, bzw. Zweiter, gegeneinander an. Die Münchner spielen ohnehin Fußball von einem anderen Stern, Gladbach ist die letzten 15 Pflichtspiele ungeschlagen, die Erwartungen an die Begegnung waren also groß.

Für mich bedeutete dieses Duell vor allem ein Aufeinandertreffen der beiden Trainer-Rasenschach sozusagen.

Spätestens seit Bayern vor wenigen Tagen AS Rom mit 1:7 demontierte, überschlugen sich Presse und auch die Münchner Spieler angesichts Guardiolas taktischem Genie. Doch auch Lucien Favre steht im Ruf ein Rasenschachgroßmeister zu sein. Und so war es denn auch: Taktisch perfekt eingestellt neutralisierten sich beide Mannschaften in einem sehenswürdigen 0:0. Bayern setzte auf Dominanz und Ballkontrolle, konnte aber trotzdem nur selten den Defensivriegel Gladbachs überwinden, die selbst wiederum auf Konter lauerten. Obwohl das Spiel mit einem Remis zwischen den beiden Mannschaften endete, gewann Favre für mich die Trainerpartie. Nicht nur dass Guardiola trotz stärkerer „Figuren” auf dem Feld am Defensivblock Favres verzweifelte, so war auch das Verteidigen nicht alles, worauf sich die Gladbacher Mannschaft beschränkte. Mit ihrem abgepassten Konterspiel kamen sie in der Summe auf die klareren Torchancen und hätten Guardiola und seine Bayern fast noch Matt gesetzt.


Weitere Spiele:
Das 0:1 zwischen Bremen und Köln brach Robin Dutt das Genick. Nach der neunten sieglosen Partie hintereinander wurde Bremens Trainer entlassen. Die Nachfolge treten Victor Skripnik und Torsten Frings an, was uns hier in der Redaktion zugegeben etwas traurig stimmt, wo wir doch so gern Tim ,Hulk’ Wiese als neuen Werder-Chefcoach gesehen hätten.

Pierre-Michel Lasogga, die bisherige Lebensversicherung des HSV, wirkte gegen seinen alten Arbeitgeber Hertha BSC ziemlich leblos. Auf der anderen Seite war Änis Ben-Hatira die Lebendigkeit in Person. Er traf gleich zweimal gegen seine alte Mannschaft und führte so die Hertha zum 3:0 Sieg.

Das Gerede um den Aufsteiger Paderborn und ihr „Fußballwunder” muss allmählich ein Ende finden. Auch im neunten Spiel verlangten sie ihrem Gegner alles ab und stellten unter Beweis, dass sie eine vollwertige Bundesligamannschaft sind. Die starken Hoffenheimer mussten schon alles auffahren, um den Gästen mit sehr viel Mühe ein 1:0 abzuringen.

Letzte Woche sorgte Hakan Çalhanoğlu für eine Menge Gesprächsstoff, als er im ZDF-Sportstudio berichtete, wie ihm auf einem Hotelzimmer zwischen Nationalmannschaftskollegen eine Pistole an den Kopf gehalten wurde. Wer meinte, derlei psychische Herausforderungen würden sich negativ auf die Leistung des Freistoßkönigs auswirken, der irrte. Mit einem unglaublichen Tor entschied er die Partie zwischen Leverkusen und Schalke zum 1:0.

Im Duell der „Bayernjäger” hatte der FSV Mainz nicht den Hauch einer Chance gegen Wolfsburg, die mit dem 3:0 ihren vierten Sieg in Folge feierten.