Österreich ist Rassismus-Weltmeister

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Wenn Österreicher in den Keller gehen, tun sie das bekanntlich nicht nur zum Lachen. Das Wegsperren und Unterdrücken von Bedürfnissen (und gerne auch mal Menschen) hat in unserer notorischen Söhne-Nation eine reiche Tradition—und es ist auch nicht erst seit dem Gabalier-Gate so, dass diese Kellermeinungen immer nur schwallweise mit dem neuesten Shitstorm an die Oberfläche gespült werden.

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Trotzdem überrascht es uns jedes Mal wieder kollektiv, wenn sich wie im Fall von Gabalier der Verdacht aufdrängt, dass „Österreich in Wahrheit auf einem Gender-Bewusstseinsstand ist, den sogar saudische Scheichs als etwas sexistisch kritisieren würden“, wie Elfriede Hammerl schreibt—was freilich daran liegt, dass wir unseren eigenen Verdrängungs-Bullshit nur zu gerne glauben würden.

Die meiste Zeit gelingt uns das auch ziemlich gut. Immerhin sind wir Österreicher im Normalfall nicht nur die morbide Zweifaltigkeit aus „Küss die Hand“ und „Geh in Oasch“ gewöhnt, sondern auch ausgesprochen konfliktscheu und nicht nur was die Sprache angeht extrem passiv („Wird die Butter noch gebraucht?“, „Könnte man das Fenster vielleicht schließen?“, „Ist dort hinten jemandem ein Rülpser ausgekommen?“). Aber alle zwei bis vier Jahre wird in unserem kollektiven Keller Inventur gemacht—und zwar beim großen Meinungs-Flohmarkt namens Fußball-Großevent.

Jedes Mal, wenn wieder eine EM oder WM ansteht, erlebt unser Hinten-herum-Habitus eine erfrischende Auszeit. Sowohl Medien als auch Fans holen dann ihre derbsten Sager und ältesten Vorurteile ganz ungeniert aus dem Untergeschoß an die Oberfläche. Was man sich in Bezug auf Juden inzwischen verkneifen muss, kann man während der WM zum Beispiel problemlos über den viel breiter akzeptierten Deutschen-Hass kanalisieren. Wie das paroli-Magazin analysiert hat, herrscht hier eine Zwei-Klassen-Diskriminierung, die für viele erst sichtbar wird, wenn man „Piefke“ durch andere ethnisch geprägte Schimpfwörter wie „Tschuschen“ ersetzt.

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Auch die Gratiszeitung HEUTE zelebriert das WM-sanktionierte Nationen-Bashing in der Überschrift und rechtfertigt es—analog zu Oliver Pochers „Ni**as in Vienna“-Sager beim Opernball—damit, dass man ja nur unschuldig zitiert habe (es ging um ein Public Viewing der „Piefke Connection Austria“) und es natürlich „absolut wertfrei gemeint“ gewesen wäre. Eine Ähnlichkeit der beiden Fälle sieht man bei HEUTE auch auf meine explizite Nachfrage nicht; immerhin seien „die Begriffe N**** und Piefke zwei Paar Schuhe“. Dass auch Selbst- und Fremdbeschreibung zwei Paar Schuhe sind, dürfte im Jubel über die Clicks bereits untergegangen sein. Dass der Begriff nicht als Zitat markiert war, zum Beispiel durch das Stilmittel der Anführungszeichen, ebenso.

Fairerweise muss man sagen, dass wir mit unseren Ausfälligkeiten international nicht alleine da stehen, wie diese Fotomontage zu kolumbianischen Koksziehern, diese zwei Blackface-Fans beim Deutschland-Ghana-Spiel, der exzessive Gebrauch von „Nazis“ als Schimpfwort bei jedem Deutschland-Tor und überhaupt dieser ganze braune Haufen an Tweets zeigen. Der Unterschied zwischen Österreich und dem Rest der Welt ist nur, dass sich bei uns die Menschen mit ihren Meinungen hinter den Medien verstecken können, weil diese mit gutem Beispiel vorangehen.

So wie es scheint ist die Eventfußball-Zeit unsere Version von The Purge, bei der kurzfristig alle Anstands- und Verhetzungsregeln zugunsten des gemeinschaftlichen Druckablassens außer Kraft gesetzt werden—eine Art moralische Mondfinsternis, während der jeder ein bisserl Bestie sein darf. Und weil so eine Gelegenheit wirklich schwer auszulassen ist, hat jetzt auch noch der Krone-eigene Meinungsmutige Michael Jeannée seine beste Amok-Garnitur an Wortwitzen ausgepackt, um wieder mal einen bedauerlichen Einzelfall in der Krone-Geschichte von Einzelfällen zu produzieren und den „Endspielsieg“ der deutschen „Tugenden in elf Sportlern“ über „die ganze Fußballwelt“ heraufzubeschwören.

Ja, in der Morgenausgabe ist die gröbste Volkstümelei wieder aus dem Text verschwunden. Aber auch, wenn es die Anspielung auf den Endsieg in nur eine Printausgabe geschafft hat, kann man sich die Frage stellen, wieso ein derartiger Schnellschuss überhaupt jemals die Print-Hürde schafft. Aber genau wie alles, was Jeannée schreibt, ginge auch das am Kern der Sache vorbei.

In Wahrheit ist mir scheißegal, welchen gestelzten Umweg Jeannée um das, was er eigentlich sagen will, findet. Von mir aus könnte er mit vollem, Josef Weinheber’schem Nazi-Duktus wurschte Verse an die Wand schmettern als wären sie Kackehaufen, von denen er wissen will, ob sie kleben bleiben—und warum auch nicht, wo in unserem Land immer noch Brücken und Plätze nach Josef Weinheber benannt sind. Mir geht es hier auch nicht um „Political Correctness“, die von beiden politischen Außenlagern als gegenseitiges Totschlagargument benutzt wird (die einen dafür, die anderen dazu gezwungen).

Worum es mir aber sehr wohl geht, ist der Vorwand, unter dem solche Parolen immer dann ausgepackt werden, wenn die Stimmung im Land nach eigenem Ermessen gerade günstig dafür steht oder man sich vom Event-Taumel dazu hinreißen lassen hat. Grundlegend gilt: Kein Event ist eine ausreichende Ausrede für Dinge, die außerhalb desselben Events auch nicht okay wären. Wer seine Gesinnung auch nüchtern und abseits kollektiver Hysterie (ob diese nun tatsächlich vorhanden ist oder nur als Ausrede benutzt wird) argumentieren kann, bitteschön. So stellt man sich wenigstens offen der Diskussion. Wer aber versucht, sich gesinnungstechnisch immer in den blinden Fleck zu positionieren und mit seinen Meinungen im Windschatten von Massenveranstaltungen mitzufahren, hat schon verloren—auch ganz ohne „Endsieg“-Witz.

Markus auf Twitter: @wurstzombie