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Das muss im deutschen Rap 2016 ganz dringend aufhören

Im Deutschrap findet jeder seinen Platz. Wäre aber trotzdem schön, wenn sich nächstes Jahr einige Dinge ändern würden.

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„Dieser Szene geht es gut, alle haben Platz“, rappte Ahzumjot auf dem Song „Platzangst“ seiner Minus-EP im Herbst dieses Jahres. Nun, Platz haben sicherlich alle. Darüber, ob es diese Szene gut geht, darf man aber gerne zweifeln. Sicherlich waren da starke Alben von Künstlern wie Zugezogen Maskulin, LGoony, Crack Ignaz oder Fatoni und Dexter. Die schlechte Nachricht: Abseits der Musik von diesen Acts gab es auch ziemlich viel Beiwerk, das die eigentliche Kunst in den Hintergrund verdrängt hat. Die gute Nachricht: Vieles davon ließe sich 2016 ganz locker und easy vermeiden.

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Interviews in Spielfilmlänge

Wer sich durch die Kommentarspalten von Text-Interviews auf Noisey oder anderen Plattformen quält, stolpert immer wieder über empörte Äußerungen im Hinblick auf die viel zu buchstabenlastigen Beiträge. Man müsse in der Schule doch schon so viel lesen. Ergo: Die heutigen Rap-Fans wollen sich keine von Lobbyis…äh Journalisten mühsam verschriftlichen Gespräche mehr zu Gemüte führen, sondern lieber ganz bequem per Videointerview unterhalten werden. Die Magazine haben das längst verstanden und halten munter ihre digitalen Spiegelreflexkameras drauf, wenn Rapper neue Alben rausbringen und lassen sich mal mehr, mal weniger geistreiche Ego-Elogen ins Mikrofon diktieren. Das oft nicht kritisch nachgefragt wird, hat nach meinem Text vom letzten Jahr jetzt auch Dennis Sand bemerkt. Das ist das eine. Das andere ist die fehlende Auswertung des Videomaterials. Schnitte finden nur für den Perspektivenwechsel statt—oder wenn ein Rapper im Nachhinein etwas nicht gesagt haben will. Die fehlende Bereitschaft zum Sichten und Kürzen hat spielfilmlange Endlos-Monologe noch und nöcher zur Folge, in denen—medienübergreifend—immer nur der gleiche Sermon wiedergekäut wird.

Gangs, Teams und Clans

Schön und gut, wenn Rapper mit der Musik so etwas wie einen Lebensunterhalt bestreiten und darüberhinaus auch noch eine aus ihren besten Grundschulfreunden bestehende Entourage durchfüttern können. Noch besser, wenn sie gemeinsam eine gute Zeit haben, verrückte Dinge erleben und eigenen Insiderwitzchen immer wieder abfeiern und vielleicht sogar in ihre Musik einfließen lassen. Dämlich wird es, wenn der elitären Kreis irgendwann scheinbar gnädig geöffnet und die gesamte—selbstverständlich kaufkräftige—Anhängerschaft ein Teil der bisherigen Mini-Posse wird. Denn gemeinsam kann man schließlich alles schaffen. Zum Beispiel auf Platz 1 der Charts kommen, im Online-Voting auf die vorderen Ränge brettern oder noch ein paar mehr Shirts an die per Einheitsdenke auf Geldausgeben gepolte Gefolgschaft verscherbeln.

Eigene Modekollektionen

Gleiches gilt übrigens für Fashionista-Ambitionen deutscher Rapper. Einen Karton Baumwollrohlinge in sämtlichen Konfektionsgrößen ordern, dann im Hobbykeller des Vaters eines befreundeten Kumpels mit Siebdruck halbgare Logo-Ideen verwirklichen und die dilettantischen Gehversuche dann als Designerwahre anpreisen sieht nicht nur gut aus, sondern geht meistens auch nach hinten los.

Trap

Eigentlich schon vor zwei Jahren zu den Akten getragen, hat sich das ominöse Nicht-Genre als Genre hierzulande im letzten Jahr erst so richtig etabliert. 2015 war allerorts davon die Rede, dass jemand „Trap“, äh, „mache“. Dass diese Begrifflichkeit ursprünglich ein Slangbegriff für Drogenumschlagsplätze in Atlanta gedacht war und in der internationalen Musikszene mit Baauers prolligem „Harlem Shake“ schon 2013 beerdigt wurde, störte im Deutschrap niemanden so richtig. Sobald irgendwo das Rattern einer klatschende Snare und das Britzeln von hektischen Hi-Hats zu vornehmen wurde, war sogleich auch von sogenanntem Trap die Rede. War falsch, ist falsch, wird immer falsch bleiben. Und überhaupt: Macht doch lieber wieder eigene Musik, anstatt ahnungslos und uninspiriert zu kopieren

Melancholischer Mittelstands-Rap

2014 stand ganz im Zeichen der vom Weltschmerz zu Boden gerungenen Gen-Y-Posterboys mit Turnschuh-Fetisch. Was wurde da nicht über Orientierungslosigkeit nach dem Studium, den Kater nach dem Saufen und das Reuegefühl nach dem One-Night-Stand lamentiert! 2015 war damit zwar weitestgehend Schluss, aber hier und da war immer noch ein klitzekleines bisschen Post-Party-Depression aus den Texten herauszuhören. 2016 dann bitte anständig die Zähne zusammenbeißen. Wir haben es alle irgendwie durch diesen ersten Anflug von Midlife Crisis geschafft.

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Das Decken von alten Helden

Dass Kool Savas diesen Sommer ein homophobes Bild auf seinem Facebook-Kanal geteilt hat, war scheiße—und das er sich auf seinem Status als King of Rap ausruht und es ohnehin mittlerweile Jungs gibt, die besser als er rappen, ist auch ein Fakt. Genau wie die Tatsache, dass Xavier Naidoo vielleicht eine ganz gute Stimme hat, aber eben auch ziemlich viel gefährlichen Unsinn quatscht und deshalb eigentlich nicht unbedingt gedeckt werden muss. Und darüber, dass Bushido auf dem gemeinsam Cla$$ic-Album mit Shindy nicht sonderlich gut rappt, müssen wir auch nicht reden. Wenn etwas scheiße ist, dann kann man das ruhig mal sagen und muss Künstler nicht wegen ihrer Großtaten von vor zehn Jahren immer noch grundlos in den Himmel loben.

Konzertfotos

Wer als Rapper eine Tour spielt und etwas auf sich hält, der lässt sich nach getaner Arbeit gleich noch mitsamt Crew oder Band auf der Bühne fotografieren. Im Hintergrund: Die verschwitzte Meute oder besser gesagt: Die erste Reihe der verschwitzen Meute. Denn mehr ist auf den grobkörnigen, verrauschten Instagram-Bildern meistens eh nicht zu erkennen. Die in der zweiten Reihe sind dementsprechend angepisst, weil man sie nicht erkennt. Rapper sehen nach jedem Konzert gleich aus und können sich auch leise still und heimlich im Hotelzimmer einen darauf runterholen, dass sie eine Konzerthalle ausverkauft haben.

Money-Boy-Hate

Darf natürlich nicht fehlen: Leave Money Boy alone! „Choices“ war einer der Hits des Jahres, mit seinem Bühnen-Crash während dem splash!-Auftritt der Orsons hat Herr Meisinger weiter an seiner Legendenbildung gefeilt und allen Hatern mit dem Feature auf dem Cla$$ic-Album von Bushido und Shindy noch mal richtig einen reingedrückt. Außerdem hat er mit LGoony eines der größten Talente des deutschen Rap entdeckt und gefördert und darüberhinaus noch unser aller Art im Internet zu kommunizieren verändert. Noch ein letztes Mal: Ja, der Typ meint das ernst. Darüber brauch nicht mehr gesprochen werden. Was passiert, wenn Money Boy (derzeit 105.000) Fler (aktuell 120.000) in Sachen Twitter-Follower überholt allerdings schon.

Comebacks

Nach längerer Pause noch mal Mitmischen wollen geht in den seltensten Fällen richtig gut aus. Entweder, weil die Fans die eigene Entwicklung nicht mitmachen können oder wollen, der Gegenwind zu groß ist oder man sich beim Versuch des Beziehens auf das eigene Frühwerk mit zehn Jahren Abstand zum Hampelmann macht. Entweder, Rapper haben wirklich etwas zu sagen und gehen dabei auf gekonnte Weise mit der Zeit—oder aber sie schaffen rechtzeitig den Absprung und entscheiden sich für eine andere Art des Broterwerbs.

Videoblogs

Deutschrap 2015 hieß auch: Keine erfolgreiche Promophase ohne mehrteilige Videoblogs. Egal ob kleine Sketche, vollkommen egale Dokumentationen des Touralltags oder noch egalere Statements—jeder nur erdenkliche Sermon wurde zu Unterhaltungszwecken ins Internet geladen. Begonnen hat das alles 2009 mit Farid Band und vor allem Kollegah und war zum damaligen Zeitpunkt noch eine innovative Idee, um das Tool Internet auf witzige Weise zu nutzen. Kollegah hat in diesem Jahr noch mal einen draufgesetzt und das Videoblog-Game seinem „Ghettoveteran“-Film so wie einer Führung durch das Presswerk, in dem sein aktuelles Album hergestellt wird, durchgespielt. Auf die Gefahr hin, dass Rapper sich jetzt an Drehbücher setzen und mit Videokamera in die taiwanesischen Fabriken fliegen, in denen ihre T-Shirts für die Deluxe-Boxen hergestellt werden: Lasst es, bitte!

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Boxen

Genau wie übrigens diese lieblos gefüllten Pappboxen, die als limitierte Versionen von Alben zu überteuerten Preisen verhökert werden. Schon 2014 waren die in ihrer Stückzahl begrenzten Pappschachteln nur mit Schund gefüllt—und daran hat sich auch die letzten 12 Monate nichts geändert. Ein Best-of der Boxeninhalte gefällig? Handyladegeräte, Handtücher, Selfiesticks… Leider hat sich immer noch nicht komplett herumgesprochen, dass diese mit Ramschware vollgestopften Mogelpackungen letztendlich nur dazu dienen, den Umsatz der Albumveröffentlichung nach oben zu treiben und sich damit einen höheren Chartplatz zu ergaunern. Anstatt giftiges Wegwerf-Merchandise, unnötige Stehrümchen und unter menschenverachtenden Umständen hergestellte T-Shirts zu ordern, könnte man ja auch ein bisschen mehr Zeit in die Produktion der eigenen Platte stecken.

Bonustracks

Und wenn wir schon dabei sind: Wofür werden Bonustracks eigentlich gemacht? Wenn sie gut genug für ein Album sind, dann gehören sie doch gefälligst mit drauf oder etwa nicht? Denn ein Album ist schließlich ein Album. Punkt, aus, Ende. Ohne Firlefanz und Extras. Während der Produktion entstandene Leftovers gehören nicht gewinnbringend ans Ende der Tracklist von überteuerten Premium Editionen verbannt, sondern könnten genauso gut auch mal als kleine Aufmerksamkeit in Form von Free-Downloads angeboten werden. Von solchen gutgemeinten und qualitativ hochwertigen Freebies hat es in den letzten Jahren nämlich definitiv zu wenig gegeben.

Deinen persönlicher Jahresrückblick 2015 auf Spotify gibt es hier.