FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Totgeglaubt—die Wiener Neustädter Wave/Punk-Szene in den 80ern

Wiener Neustadt war ein ungesundes Pflaster.

Foto: Helmut Riedl

Wiener Neustadt ist selbst für österreichische Verhältnisse eine kleine Stadt und genießt nicht gerade den Ruf, ein Hotspot der Szene zu sein. In den 80ern entwickelte sich in der tristen Umgebung allerdings eine Punk/Wave-Szene, die sich vor dem „Wasserkopf Wien“ nicht verstecken brauchte und auch über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt wurde. Später verlor sich vieles: Menschen gingen nach Wien, verließen die Musikszene oder entwickelten sich in ihr weiter. Ein paar der damaligen Protagonisten haben es sich jetzt zum Ziel gesetzt, Licht auf diese heute eher unbekannte Episode der österreichischen Popkultur zu werfen. Ich habe mich mit Bernd Bechtloff, Hannes Eder und Walter Gröbchen getroffen. Die Herren haben mir die Geschichte der Szene von vorne bis hinten erzählt. Das sind ihre Schilderungen.

Wiener Neustadt war eine graue, tote Stadt. Im zweiten Weltkrieg wurde es so zerbombt wie keine andere Stadt Österreichs, weshalb es aussah wie in einem Ghetto. Es gab fast keine Lokale, außer ein Café, in dem wir damals immer waren. Da sind alle Zeitschriften, auch SS-Veteranen-Zeitschriften wie Der Kamerad herumgelegen, aber der Besitzer hat uns geduldet, trotz unserer etwas lustigen Outfits und Frisuren. Mit sowas hat damals jeder zwanghaft versucht, seine Individualität zum Ausdruck zu bringen. MIt 13, 14 Jahren haben wir dann angefangen Musik zu machen. Eigentlich aus Mangel an anderen Tätigkeiten. Wir haben ohne jegliche Ausbildung begonnen zu spielen, jede Band hat damals ein Publikum gefunden. Jeder kannte sich in Wiener Neustadt und alle, in der kreativen Szene, haben sich gegenseitig unterstützt—ob sie sich mochten oder nicht.

Anzeige

Was spannend war, war quasi die „Abwesenheit“ des nahen Wiens: Zwei von uns sind immer nach England gefahren und haben Platten, Magazine und Kleidung mitgebracht. So kam der ganze Einfluss nur aus England, Wiener Bands haben wir nicht mal gekannt. Du hast so etwas wie Joy Division bei Freunden gehört und warst nur so „Wow, was ist das?!“. Weil es keine Lokale gab, außer eine Diskothek von reichen Kids, in die wir weder rein durften noch wollten, mussten wir kreativ sein, wenn wir auftreten wollten. Irgendein Freak hat dann gesagt „In Mühlendorf, im Burgenland gibt es eine alte 50er-Jahre-Raststation, die nimmer in Betrieb ist, da kann man jetzt Konzerte machen“—und so wurden wir gebucht. Einmal war es ein Schlachthof, dann ein Brauhaus oder ein Wirtshaus, die Locations haben sich immer nur ein paar Monate gehalten. Außerdem waren sie schwer zu erreichen, anfangs haben uns unsere Eltern hingeführt. Das Geld, das durch Auftritte oder selbstaufgenommene Singles eingenommen wurde, wurde ins nächste Projekt investiert. Die Überlebensdauer der einzelnen Bands war ebenfalls sehr gering. Die meisten haben sich nach kürzester Zeit zerstritten, aufgelöst und die nächste Band gegründet. Außerdem war die Dropout-Rate sehr groß, Wiener Neustadt war ein ungesundes Pflaster. Als wir 15 Jahre alt waren, gab es den ersten Selbstmord eines Freundes, mit 20 Jahren war die Zahl der besuchten Suizid-Begräbnisse schon zweistellig. Später sind dann noch die Drug-Exits dazugekommen. Das Seltsame war, dass man sich fast schon daran gewöhnt hat, aber es drückt natürlich die Stimmung. Vermutlich hat sich das auf unsere Musik ausgewirkt, die war immer sehr kritisch und düster, Weltuntergangsstimmung trifft es.

Anzeige

Foto: Helmut Riedl

In Wien wurde irgendwann schon von einer sagenhaften Szene in Wiener Neustadt gemunkelt. Unseren Durchbruch hatten wir dann um 1982 mit X-Beliebig und Dämmerattacke (zwei unserer zahlreichen Bands), da waren wir so 15, 16 Jahre alt. Als wir erstmals im Amerlingbeisl in Wien gespielt haben, wussten die Punks nicht ganz, was sie davon halten sollen. Aber Martin Panza, er hatte damals schon einen Plattenladen und ein kleines Label Panza Platte, hat sein OK gegeben und angefangen zu tanzen. Auf ihn haben die Leute gehört. Am Anfang hatten wir schon ein wenig Angst vor der Wiener Punkszene. Zum Beispiel haben wir mal im besetzten Haus in der Gassergasse gespielt. Jeder von uns hatte einen Feuerlöscher zur Selbstverteidigung in Reichweite. Während des Konzerts hat ein Punk dem anderen eine Bierflasche über den Kopf gehaut und der blutige Typ hat mit einer Eisenstange zurück geschlagen. Wir dachten nur so: „Das können die doch jetzt nicht ernst meinen“. Ansonsten haben wir zum Beispiel in der Arena, dem alten Chelsea und vor allem im U4 gespielt. Da gab es eine Punk/Wave-Nacht, die auf Ö3 übertragen wurde. In Wiener Neustadt gab es einen harten Kern von circa 200 Leuten, die haben auch in Wien und dann in ganz Österreich unsere Konzerte besucht.

X-Beliebig wurde sogar kurzzeitig von Schallter, dem ersten Post Punk- und New Wave-Label Österreichs, das durch das Major-Label Ariola vertrieben wurde, unter Vertrag genommen. Wir haben den Großteil des Vertrags vorm Unterschreiben durchgestrichen und sie haben uns das sogar durchgehen lassen. Alles was kommerziell ausgerichtet war, fanden wir prinzipiell schlecht. Wenn jemand erfolgreich war, konnte er nur ein Verräter sein. Das klingt lustig, wenn man sich unsere heutigen Berufe anschaut. Es ist überhaupt auffällig zu sehen, was aus unserem kreativen Kern von damals geworden ist. Diejenigen, die nicht gestorben oder in diversen Anstalten gelandet sind, sind als Grafiker, Modemacher, Manager und so weiter international erfolgreich.

Anzeige

Unsere zweite Hochphase hatten wir ungefähr von 1985-1995 mit den Bates. Das war die einzige Band, die länger als zwei Jahre überlebt hat. Wir sind nicht nur durch Österreich getourt, sondern haben von der legendären Roten Fabrik in Zürich bis Belgrad alles rund um Österreich abgespielt. Waren wir zum Beispiel in Budapest, ist unsere Fanbase aus Wien und Wiener Neustadt zu Hunderten angereist, um uns zu hören. Wir haben Säle für fünftausend Leute gefüllt, was sich allerdings nicht an den Gagen bemerkbar gemacht hat. Unser absoluter Höhepunkt war in Wiesen, vor Iggy Pop, vor zehntausend Leuten. Da denkst du dir nur: „So jetzt kannst aufhören, weiter kommst eh nicht.“ Wenn du dann schon in deinen Dreißigern bist, Kinder hast und weißt, dass du musikalisch nicht mehr erreichen wirst, setzt du irgendwann Prioritäten. So hat sich das Ganze dann auch aufgelöst.

Wieso das ganze Thema jetzt wieder aufgetaucht ist: Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass unsere Platten von damals plötzlich zu Höchstpreisen im Internet gehandelt werden. Italiener und Franzosen, die die Texte ja gar nicht verstehen, schreiben die ärgsten Abhandlungen und analysieren zum Beispiel, wie sich der Sound von der ersten zur zweiten Single ändert. Wir, sieben aus der damaligen Partie, wollten eine kleine Dokumentation über die Wiener Neustädter Szene machen und dachten, wir hauen ein bisschen was zusammen. Dann ist die Idee immer größer geworden und wir meinten, wir könnten praktisch in einer Allstar-Besetzung unter dem Namen Totgeglaubt, die Songs von damals noch mal einspielen. Manche von uns hatten die Gitarre zehn Jahre lang im Keller liegen, aber ganz ohne Musik geht's offenbar nicht, wenn man mal so tief drin war. Außerdem wollten wir die Songs einer Gegenwartstauglichkeitsprüfung unterziehen—einige Inhalte sind noch sehr aktuell. Wir probieren das live im Chelsea, außerdem brauchen wir noch Material für die Doku, also kommt vorbei. Mittlerweile haben wir allerdings einen gewissen Anspruch an die Dinge, selbstgeklebte Singles reichen uns nicht mehr. Deshalb haben wir ein Crowdfunding-Projekt gestartet um mit weniger Stress in die Sache reinzugehen. Es basiert auf einer Art Preorder-Konzept, man kann sich von Platten, CDs über Erwähnungen im Abspann der Doku bis zum Totgeglaubt-Wohnzimmerkonzert alles bestellen. Wir werden oft gefragt, warum wir das ganze nicht über ein größeres Label machen. Aber das wiederbelebte Schallter-Label hat einfach schon eine passende Geschichte. Das Ganze war immer ein Independent-Projekt und das soll es auch bleiben.

Anzeige

Foto: Götz Schrage

Heute spielen Totgeglaubt ein Konzert im Chelsea—Ein Abend für Panza Platte(inklusive Fillm-Teaser-Vorführung).Wenn ihr sie bei ihrem Crowdfunding-Projekt unterstützen, eine Platte bestellen oder euch in den Abspann ihres Films einkaufen wollt, dann tut das hier. Im März erscheint der Film „…und es fängt von neuem an…“, zwei Alben und es gibt ein großes Konzert.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.