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Welcher Song ist dein Kreis?—Zürich

Die Bahnhofsstrasse ist voll mit „XPEN$IVE SH1T" und über den Letten ziehen „Lila Wolken". In der Seele jedes Zürcher Kreises schlummert ein eigener Song.

Zürich ist nicht ohne Grund die meistgehasste Stadt der Schweiz. Die Menschen sind hektisch und unfreundlich. Und es stinkt nach Geld. Doch Zürich ist nicht gleich Zürich: In der Seele jedes Kreises lebt ein eigener Geist. Diese Seelen der Zürcher Kreise wollen wir verstehen. Und das geht am besten über ein musikalisches Psychogramm.

Kreis 1: Die Antwoord—XPEN$IVE SH1T

An keinem anderen Ort der Schweiz sind Konsumgelegenheiten so dicht gestreut wie hier: An der Bahnhofsstrasse (die von jedem Zürcher gemieden wird) säumen sich überteuerte Geschäfte und reiche Herren bekommen einen Ständer, wenn sie ihren nigelnagelneuen Ferrari selbstgefällig auf dem Zebrastreifen parkieren, das Fussgängerproletariat ausweichen muss und sie dann ihren „dick on expensive shit“ im gegenüberliegenden Uhren-Laden reiben können. Der Hauptbahnhof ist Selbsthilfe-Treffpunkt für Menschen, die an Burn-outs leiden oder ein Kokainproblem haben. Der Kreis 1 ist ein Sammelsurium an Hektik, Dekadenz und Trash, genauso wie der grossartige Track von Die Antwoord.

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Kreis 2: Morcheeba—The Sea

Wollishofen und Enge sind wie der cremefarbene Mantel aus Nappaleder, den man sich aus Frust und ohne Geld in der Tasche kauft. Hier mit dem Velo am See entlangzufahren, von der Rentenwiese zur Roten Fabrik, ist Therapie, die jedem Hauptbahnhof-Soziopathen gut tun würde. Die Fahrt wird erst dann ungemütlich, wenn du mit Bierdose und Joint von den Bullen angehalten wirst. Oder nicht akzeptieren magst, dass Wollyhood Pseudo-Gang-Territorium ist.

Kreis 3: Phenomden—Wiedike

Wenn ein Musiker seinem Quartier eine Liebeserklärung macht, die einem nicht mehr aus dem Kopf geht, dann muss das Viertel schon was für sich haben. Mein Herz schlägt höher, wenn Phenomden vom „Pärkli bei der Kirche“ singt. Auch wir haben da in unzähligen Mittagspausen während der Kanti-Zeit Joints geraucht. Wiedikon ist gemütlich und von der Verteuerung der Stadt einigermassen verschont geblieben. Pizzabuden sind Hauptverlockung und Highlight für Studenten, die vergessen haben, wie man Lasagne zubereitet. Das Leben hier ist langsamer. Das merkt man unter anderem daran, dass Baustellen meistens mehrere Jahre benötigen, um wieder zu verschwinden.

Kreis 4: Mike WiLL Made-It ft. Miley Cyrus, Wiz Khalifa & Juicy J—23

Schmutzig und keck wie die kleine Schwester deines besten Freundes oder Mileys Outfits: Das ist der Kreis 4. Nicht-Zürcher fürchten sich vor diesem verruchten Etwas, haben Angst ausgeraubt und vergewaltigt zu werden oder mögen einfach keine Ausländer. Die Langstrasse ist das Sodom und Gomorrha für Schisshasen. Hier gibt es Stripschuppen und Drogen, Clubs, in denen Geld gewaschen wird und Nutten aller möglichen Geschlechter. Aber mittlerweile gibt’s hier ebenso viele velofahrende Fjällräven-Träger wie Junkies auf der Strasse. Oder sogar mehr als von Ersteren.

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Kreis 5: Drake—Started from the Bottom

Während in den 1980ern Hausbesetzungen und Drogenkonsum zu den Charakteristika dieses Kreises zählten, hat er durch Zwangsentzug und Aufwertung ein neues Gesicht verpasst bekommen. „We started from the bottom now we fucking here“: Das Viertel pulsiert und wächst schneller, als ein sich erigierender Penis. Es zieht neuerdings vor allem Geschäftsmenschen und am Wochenende besoffene Aargauer an. Hier gibt es ausserdem: geile Clubs, den Prime Tower, sowie das Hauptquartier von VICE Switzerland.

Kreis 6: The White Stripes—I Just Don’t Know What To Do With Myself

Der sechste Kreis der Stadt ist etwa so heiss wie ein gefrorenes Stück Tofu. Hier leben vorwiegend Studenten und Rentner (Milchbuck) oder reiche Säcke in fetten Villen (Zürichberg). Entweder man wohnt hier oder hat hier nichts verloren. Dass Uni und ETH hier sind, macht das Ganze auch nicht lockerer. The White Stripes bringen die Bologna-Paranoia auf den Punkt: Parties make me feel as bad. Und damit hat sich der Spassfaktor im Quartier totargumentiert.

Kreis 7: Dr. Dre ft. Eminem & Skylar Grey—I Need A Doctor

Dieses Quartier assoziiert man mit Kinderwagen stossenden Müttern, Krankenwägen (Klinik Hirslanden) und, wie viele Teile Zürichs, mit Behausungen im oberen Preissegment. Mütter, Patienten und Bonzen haben nur gemeinsam: „Bring me back to life“. Das Quartier ist ziemlich tot und es gibt eigentlich nichts darüber zu sagen. Es gibt wirklich nichts darüber zu sagen.

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Kreis 8: Discobitch—C’est Beau La Bourgeoisie

Riesbach ist „pour la petit bourgeoisie, qui boit du champagne". Hier lebt die Creme de la Creme der Zürcher Schampusschlürfer. Hier kannst du für ein paar 10.000 Franken täglich einen Porsche mieten und damit am See entlangfahren. Im Kreis 8 bist du, wenn die fette Hausparty deines reichen Freundes steigt oder du am See abhängst. Ansonsten bist du ein Parasit.

Kreis 9: Shubangi—Unsere Stadt

Getreu dem Motto „Wir wollen unsere Stadt zurück. Wir wollen, dass es weitergeht. Wir sind die Crowd!" leben die wahren Bewohner der Stadt in Altstetten und Albisrieden, etwas abseits vom Stadtgeschehen. Die Mieten sind hier noch bezahlbar. Hier wohnen die meisten Menschen, die auch arbeiten. Hier teilen sich Familie Wucher und Zirkusartisten das besetzte Koch-Areal. Hier vermisst keiner den Champagner.

Kreis 10: Marteria, Yasha & Miss Platum—Lila Wolken

Letten: „30 Grad, ich kühle mein' Kopf und such den Zeitlupenknopf. Wolln' kein Stress, kein Druck, nehm'n Zug, noch'n Schluck vom Gin Tonic, guck in diesen Himmel: wie aus Hollywood! Rot knallt in das Blau, vergoldet deine Stadt, und über uns zieh'n lila Wolken in die Nacht!" Gibt’s noch mehr zu sagen, als Materia das schon für das Lebensgefühl des Kreis 10 tut? Stimmt, es gibt noch weitere gute Stichworte: Openair Wipkingen. Kaffischnaps. Liebe.

Kreis 11: Die Ärzte—Allein

Oerlikon, Seebach und Affoltern sind das städtische Pendant zu scheisse, beschissener, am beschissensten. Eigentlich gehört Zürich Nord überhaupt nicht zur Stadt. Im Kreis 11 wohnt man, weil die Mieten im restlichen Zürich zu teuer sind. Im Kreis 11 wohnt man aus Trotz. Das Highlight eines Ausfluges hierhin besteht darin, auf dem Oerlikoner Marktplatz Ritalin zu kaufen und sich dann zugedröhnt mit Teens vor dem McDonald's zu prügeln. Trotz unzähligen Massnahmen, den Kreis attraktiver zu machen, stinkt er noch immer bis zum Himmel. Du bleibst allein, Kreis 11.

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Kreis 12: SAF—D’Schwiz hät keis Ghetto

Jaja, Schwamendingen. Schwer zu sagen, was du genau bist, noch schwerer zu sagen, was man mit dir anstellt. Zürcher kennen es nur aus verzerrten Rap-Videos von Nachwuchsdealern und so soll es besser auch bleiben. Zum Glück haben inzwischen sogar die Bewohner geschnallt, dass Zürich kein Ghetto hat, sondern nur Quartiere mit durchschnittlichem Anteil an Müll auf der Strasse. Trotzdem bezeichnen sie sich gerne als Ghettokinder. Willkommen in Schwamendingen, Bitch!

Nora auf Twitter: @nora_nova_

Nadja auf Twitter: @nadjabrenn