Reinhäuter gegen Tintlinge – das Tattoofrei-Interview

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Als hätten es Tätowierte nicht schon schwer genug! Motive, für die man eben noch bewundert wurde, sind kurze Zeit später bloß noch Tinte gewordene Mahnmale fürs Abgehängtsein (Tribals, Sternchen, chinesische Zeichen) … oder werden gar zur größeren Lachnummer als Clownsnasen (Arschgeweih) …

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Es gibt aber noch mehr Stress: Die Facebook-Seite „Tattoofrei – Es ist schön keine Tattoos zu haben” teilt die Welt in Reinhäuter (gut) und Tintlinge (böse). Wir haben Chris H., den Betreiber des aktuellen Anti-Ink-Movements, in seinem Erdloch aufgespürt.

VICE: Du ziehst deine Kunden regelmäßig öffentlich ab. Hast du manchmal auch Mitleid mit ihnen?
Chris: Manchmal, aber eher selten.

Seit acht Monaten betreibst du die Seite, befürchtest du, dass dir mal die Ideen ausgehen? Das Thema Tattoos unterliegt eigentlich keiner großen Veränderung. Bedeutet das nicht, die Anzahl der Späße, die man bringen kann, ist endlich?
Die Angst habe ich jeden Tag! Seit Monaten betreibe ich die Seite, ohne zu wissen, was ich am nächsten Tag posten werde. Ich lasse mich vom aktuellen Tagesgeschehen oder von Userkommentaren inspirieren, was ich dann weiter ausbaue. Wenn gar nichts geht, dann lese ich „Fanpost” [Hatemails, Anmerkung des Autoren], da ist immer was dabei. Vor allem, da noch circa 10.000 Nachrichten ungelesen sind und es jeden Tag mehr werden. Die Seite erhält pro Tag zwischen 100 und 200 Zuschriften, manchmal sogar mehr. Mit dem Lesen komme ich schon lange nicht mehr nach.

Welchen Raum nimmt Tattoofrei in deinem Alltag ein?
Es gab eine Zeit, da hatte Tattoofrei mich ziemlich eingespannt. Mittlerweile ist das nicht mehr so, ich lese die „Fanpost” nur noch, wenn ich Zeit habe und mir danach ist. Auf Twitter und Instagram bin ich nicht jeden Tag aktiv, meistens teste ich dort Beiträge, welche danach erst auf die Facebook-Seite gehen.

Wie du empörte tätowierte User auseinandernimmst, das zeugt von einer echten Passion. Warst du schon immer so? Kann man sich deine Kindheit vorstellen wie die von einem der Bullys bei den Simpsons—Jimbo, Kearney, Nelson. Ha-ha?
Ach, ich bin doch recht freundlich zu den Menschen, die mir schreiben. Ich schätze mal, ich bin einfach einer von denen, die früher gerne andere zum Lachen gebracht haben. Im Simpsons-Universum sähe ich mich daher eher als Bart. Bloß am Wochenende bin ich natürlich Barney …

Was bei Tattoofrei ein wenig rätselhaft erscheint, ist, warum so ein Schwerpunkt hinsichtlich des Themas „Pflegepersonal” herrscht. Ist das wirklich die tätowierteste Berufsgruppe?
Scheinbar schon. Vor allem ist es die Berufsgruppe, die sich am schnellsten aufregt und reagiert. Daher baue ich das Thema immer gerne ein. Erst kürzlich ist wieder ein Shitstorm ausgebrochen wegen der Meldung, dass es bald Pflicht sei, seine Tattoos in Pflegeberufen durch das Tragen von „Hautärmeln” verstecken zu müssen.

Dass deine Seite so einen Run erlebt, liegt auch daran, dass du mit dem „Tattoofrei”-Account auch anderswo sehr aktiv bist. Du hast bei ganz vielen großen Seiten „Hausverbot”—also bist geblockt. Wie kam es dazu?
Wenn irgendwo ein Tattoothema auftaucht, dann bekomme ich die Links direkt geschickt mit der Bitte, dort einen Kommentar zu hinterlassen. Kaum kommentiert dauert es nicht lange, bis es dort rund geht—und so auch immer wieder Ahnungslose auf meine Seite gezogen werden. Blockiert bin ich wirklich auf vielen Seiten, auf Anhieb fallen mir ein: Spiegel Online, Taff, Daniel Aminati, LeFloid, Jan Leyk, Wer wird Millionär, GZSZ, Berlin Tag&Nacht, Köln 50667, Frei.Wild, BILD, Böhse Onkelz, Hans Entertaintment, Made My Day, Faktastisch und so weiter halt.

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Apropos … viele Empörte werden deine Seite doch sicher bei Facebook melden. Hast du da nicht Probleme, oder kommt man mit so einer Nummer im System Facebook/Twitter/Instagram einfach so durch?
Die Seite wurde wahrscheinlich schon Tausende Male gemeldet. Ab und an werden Bilder gelöscht, erst kürzlich hat Facebook wieder eines entfernt, dabei war es wirklich harmlos. Auf Instagram sind auch schon einige entfernt worden. Bloß bei Twitter gab es bisher noch nie Probleme.

Es gibt mittlerweile Tattoofrei-Merch. Ist die Seite tatsächlich auch eine Art Geschäftsidee beziehungsweise Einnahmequelle?
Also es gibt Sticker, die werden allerdings kostenlos verteilt. Ansonsten hatte ich kürzlich wieder eine T-Shirt-Aktion, die dann länger lief, weil die Nachfrage so groß war. Einen richtigen Shop oder Merch, der regelmäßig verkauft wird, sowas wird es aber nicht geben.

Du hattest schon andere Seiten ähnlichen Formats—gegen die Onkelz beispielsweise. Bleibt es jetzt erstmal bei Tattoofrei?
Ja, ich könnte mir gar nicht mehr vorstellen, eine andere Seite zu betreiben. Ich liebe sie und die ganze Community dahinter. Daher möchte ich mich einfach auch mal kurz bei allen Fans und Hatern bedanken.

Die werden sich freuen. Ansonsten noch eine Sache: Seiten, in denen die Doofheit anderer so vorgeführt wird, sind oft nahe an der Arroganz. Bei dir scheint allerdings viel eher Selbstironie zu regieren. Schließlich bist selbst ziemlich zugehackt mit Bildern. Also verarschst du dich ja täglich selbst, oder nicht?
Ich merke schon, mein „Tarnanzug” wirkt täuschend echt! Natürlich bin ich nicht tätowiert. Man kennt doch diese Tattooärmel, ohne solche Ärmel kann man das Haus doch gar nicht mehr verlassen, sonst wird man als Reinhäuter ja direkt zusammengeschlagen. Und um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, trage ich einen Tattoo-Anzug, hauchdünn, atmungsaktiv und vor allem täuschend echt. Vor paar Wochen wäre ich fast verhaftet worden, weil ein Polizist dachte, ich sei tätowiert. Konnte ihn aber überzeugen, dass es sich lediglich um einen Anzug handelt.