Reviews

FLYING LOTUS

TROY VON BALTHAZAR

THE HELIO SEQUENCE

VAN SHE

KREYSHAWN
Somethin ’bout Kreay
Columbia Auf dem Papier ist Kreyshawn der weibliche Popstar der Zukunft. So eine Art Ke$ha, die sich noch nicht die Hälfte ihrer Hirnzellen weggeschnüffelt hat. Ein sexy kleiner Frechdachs, der aus weiblicher Selbstbestimmung keine Wissenschaft macht und dessen Attitüde endlich mal mit den konstruierten Rollenklischees und dem verlogenen „Independent Women“-Rumgeheule im R’n’B-Sektor aufräumen könnte. Auf diesem Album liefert sie einen leider auf Dauer kaum zu ertragenden quäkenden Flow über Beats, die M.I.A. nicht mal als Handyklingelton durchwinken würde. Nichts trifft einen so hart wie verpasste Chancen.

FORGET ABOUT KREAY
DIE ORSONS
Das Chaos und die Ordnung
Chimperator/Universal
Die Vorbereitungen zum großen Titanenkampf im deutschen Rap gehen weiter: Nachdem Ahzumjot sich bei einer ungeschickten Abspreizbewegung den kleinen Finger verstaucht hat, musste Cro Ersatz auftreiben. Mit den Orsons präsentiert er nun gleich vier weitere Mitstreiter, die zwar reichlich Klamauk und Bundesvision-Song-Contest-Erfahrung, aber keine Straßenkampfroutine mit ins Battle bringen. Werden sie gegen die Azzlack-Armee aus dem Großraum Frankfurt bestehen können? Haftbefehl senkt hämisch den Daumen, Celo hat sich bereits vermummt und lädt seine abgesägte Schrotflinte durch. Hat die Stuttgarter Fun-Fraktion vielleicht noch ein weiteres As im Ärmel? Wird es Money Boy sein? Auf welcher Seite steht Kool Savas? Und was macht eigentlich der übermächtige Yassin? Schalten sie auch nächsten Monat wieder ein, wenn es heißt: „Wer wird rrrrrrassssierrrrrt???“

V. C. DEM ROLLIN
VAN SHE
Idea Of Happiness
Modular/Rough Trade
Auf meiner Stirn steht offenbar geschrieben „Hey, schickt mir langweiligen Electropopstershit, denn ich fand auch die Junior Boys noch nicht öde und die von ihnen benutzten Effekte noch nicht billig genug, also her mit dem ganzen abgeschmackten Kram, der so ein bisschen nach Sonne und Nachmittag und hüpfenden jungen Menschen und ganz viel ironischer Harmlosigkeit klingt, geradezu so, wie meine Eltern auch schon alles, was ,funky’ sein wollte, unausstehlich fanden, denn meine Eltern waren cooler als ihr alle, aber das führt jetzt zu weit, und außerdem ist auf meiner Stirn auch nur begrenzt Platz“—so kam es jedenfalls, vermute ich, dass diese Platte bei mir landete.

EDUARD SCHISSERHAND
KID 606
Lost In The Game
Tigerbeat6
Wenn du wissen willst, wie es sich anfühlen muss, nach jahrelangem juvenilem Dauerrausch auf dem harten Boden der Tatsachen—oder schlimmstenfalls noch etwas tiefer—anzukommen, hat Kid606 die passende Vertonung für diesen desillusionierenden Zustand parat. Dabei fungiert de Pedro keinesfalls als unfreiwilliger Drug Scout mit beeindruckender XP-Kredibilität, sondern liefert einen abschreckenden Beweis. Und zwar dafür, dass du schneller, als du in deinem ketamingeschwängerten Pseudohoch denken kannst, an den ausgefeierten Punkt kommst, an dem du psychedelisch angehauchte, verbissen-reflektierte Ambient-Folklore hörst, die genauso gut Soundtrack für ein ISS-Erdtransit-Video sein könnte. Mit dem Unterschied, dass Letztere wirklich im Weltall ist, während du dir diese Illusion für viel Geld erkauft hast.

PAT & INA  
BRATZE
Highlight
Audiolith
Sicher, in gewisser Weise sind Bratze die einäugigen Könige in diesem längst ziemlich langbärtigen Rave-Pop-Karneval. Und bestimmt werden sie auch mit ihrem neuen Album dafür sorgen, dass eine ganze Menge Germanistik-Erstsemester im Wodka-Mate-Rausch unvergessliche Konzerterfahrungen sammeln. Aber wir sind uns gerade einfach nicht sicher, ob wir noch eine weitere Platte brauchen, die klingt als ob Udo Lindenberg den Gameboy als Musikinstrument entdeckt hat. Auch nicht, wenn er ausnahmsweise mal wieder einen guten Tag erwischt.

SUPER LUIGI
FLYING LOTUS
Until The Quiet Comes
Warp
Während sich die halbe Welt an der (erneuten) Zusammenarbeit mit Thom Yorke und die andere Hälfte an dem Erykah-Badu-Track aufhängt, liegt die wahre Größe von Until The Quiet Comes in den vielen Lücken, Brüchen und Durchhängern. Niemand kann seine Tracks momentan so stilvoll zerschießen, keiner lässt sie eleganter absaufen als Flying Lotus. Breakbeats sind Wachs in den Händen des Großneffens von Alice Coltrane, aus ihnen formt er einen merkwürdig einnehmenden, zeitweise fast einlullenden Stream of Weirdness, der Tür und Tor zum luziden Träumen aufstößt—irgendwo zwischen monströs und märchenhaft.

TOM MAJORS-LEARY
DAPHNI
Jiaolong
Jiaolong Records Dan Snaith wurde ja allenthalben für seine Arbeit mit Caribou, also seine Verdienste hinsichtlich Indie-verträglichen Elektro-Schlaumeiertums abgefeiert. Von mir aus. Als Daphni sorgt er allerdings seit geraumer Zeit parallel mit spontan hingeschissenen, oft herrlich rough und ungewaschen daher kommenden Four-to-the-floor-Nummern für die Entidiotisierung des Dancefloors. Dass die hüftsteifen Hornbrillenträger seinetwegen wieder feucht träumen dürfen, schön und gut, aber den Club mit endlich wieder mit haltbarer, brutal wirksamer und in sich glühender Ware zu versorgen, ist doch wohl die weitaus heldenhaftere Glanzleistung.

BALDUIN BOUNCER
DJ VADIM
Don’t Be Scared
Barely Breaking Even Als Vadim in den 90ern die britische MPC-Beat-Szene aufmischte, haftete ihm die Aura eines betrunkenen Rüpels an, der versehentlich in ein avantgardistisches Theaterstück gestolpert war. Während nicht wenige seiner Ninja-Tune-Kollegen sich an abstrakten Jazz-Grooves versuchten, bestand die Soundbank von Daddy Vad vornehmlich aus Kreissägen- und Kung-Fu-Samples, die er großzügig über rotzige HipHop-Beats verstreute. Mit Dubstep wurde dann aber die Devise „Subbass statt Subtext“ salonfähig, und während aus Vadim in diesem Leben wohl kein filigraner Soundtüftler mehr wird, so spielt der Zeitgeist seiner St. Petersburger Proll-Interpretation von Tropical Bass durchaus in die Karten.

QUEEN ELIZABETH
DANIEL MALOSO
In and Out
Cómeme
Das Image, sich der südamerikanische Noten ausströhmenden Beatkunst zu verschreiben, ist bei Cómeme in letzter Zeit dem Ansatz gewichen, eine weltweit kickende Geschichtsauswertung elektronischer Musik zu betreiben. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung liefert der in Mexiko ansässige Daniel Maloso mit einem Album, das von DAF-huldigendem Sequencing und Liaisons-Dangereuses-Exotik über Proto-House-Lektionen und frühen EBM sämtliche Sounds zitiert und noch ein bisschen geiler macht, zu denen deine Eltern damals in einem versifften Floorverlies rumgemacht haben, vorausgesetzt, sie waren halbwegs cool.

GABO GELDADEL
KOTZREIZ
Punk bleibt Punk
APP/Edel
Ihre Debüt-LP Du machst die Stadt kaputt haben wir vor zwei Jahren an dieser Stelle ziemlich runtergeputzt. Das in den Texten plakativ zur Schau gestellte Sauf-Kotz-Popel-Weltbild der drei Wahlberliner erschien uns auf Albumlänge einfach etwas zu schlicht. Nun ist es nicht so, dass Kotzreiz an dieser Strategie irgendwas geändert hätten. Wir befinden uns hier immerhin in einem Genre, in dem Veränderung den Tod bedeutet. Aber im Vergleich zu dem, was in den letzten Monaten so an degeneriertem, lebensgefühlsduseligem Deutschpop auf uns hereinprasselt, haben Textzeilen wie „Punk bleibt Punk/und Scheiße bleibt Scheiße“ eben eine ganz neue Dringlichkeit erfahren.

BREITI SCHLUMPF
PIG DESTROYER
Book Burner
Relapse
Pig Destroyer—schon immer der Schöngeist im kranken Abschaum, der das Genre Grindcore auskotzte. Während der grobe Rest jedoch ergebnislos nach neuen Schockvarianten forscht (die Klaviatur der sexuellen Perversionen und die ICD-10 sind natürlich längst hinlänglich abgearbeitet), ziehen sich die Poeten des Sektors auf das vergleichsweise subtile Motiv des Biblioklasmus zurück. Für die Jüngeren unter euch, Bücher sind so eine Art Seniorenmodell des iPads. Und Bücherverbrennungen galten einmal als symbolischer Akt der Staatsräson, als autoritärer Angriff auf die Meinungsfreiheit. Versuch dich zu freuen, in einer Welt zu leben, in der höchstens dein Facebook-Account gesperrt wird, weil du mal wieder ein Tittenbild hochgeladen hast. Wie unverändert krank auch diese und vor allem diese Welt ist, weiß aber immer noch niemand so vernichtend zu kommentieren wie diese Band.

THE GREAT ROCK’N’ROLL KINDLE
REDD KROSS
Researching The Blues
Sweet Nothing/Cargo
Wir wissen nicht, mithilfe welcher Tricks Thurston Moore damit klarkommt, dass ihn Kim Gordon für Yoko Ono verlassen hat und er zusammen mit dem maliziösen Junkie von Nachtmystium bei Twilight spielen muss, aber seine Stimulanzien sind garantiert potenter als Badesalz—anderenfalls könnte er kaum Red Kross als eine der wichtigsten Bands Amerikas bezeichnen. Ein Fan der frühen Red Kross, der zwar noch älter als Moore ist und zudem mit über 50 wieder mit dem Kiffen angefangen hat, beschreibt das aktuelle Elend eloquenter: „Beeindruckend schlecht—noch nicht mal Rock …“

KIM FOULEY
CASPIAN
Waking Season
Make My Day/Alive
Zusammen mit dem Mastodon-Produzenten Matt Bayles haben Caspian das perfekte Post-Rock-Album gemacht. Tatsächlich ist es derart überragend, dass wir in den nächsten Jahren jede andere Platte in diesem Genre daran messen müssen. Mach dich also auf eine Menge zukünftiger Rezensionen gefasst, in denen stehen wird: „Das neue Mogwai-Album klingt wie Waking Season, nur nicht ganz so fett/sauber/klug/episch etc.“ Oder auch: „Das Album von xy klingt leider überhaupt nicht wie Waking Season, deshalb ist es scheiße.“ Du siehst, wenn du in Zukunft auf diesem Sektor auch nur ein klitzekleines Wörtchen mitreden willst, führt kein Weg an diesem Meisterwerk vorbei.

HEAVY PERTING
OBELYSKKH
White Lightnin’
Exile on Mainstream/
Soulfood/Cargo
Obelyskkh, das Phantom des deutschen Doom-Metals, kommt endlich mit Album Nummer zwei um die Ecke gewalzt. Ist es eine Innovation? Nein. Es klingt eher, als wären Black Sabbath in eine Grube mit zähflüssigem Schlamm gefallen. Enthält es griffige Stoner-Hymnen zum Mitgröhlen? Ähm, nein. Der kürzeste Song ist neun Minuten lang. Brauchen wir noch mehr rücksichtslosen, schmierigen Doom, der vom Eyehategod-Produzenten Billy Anderson zu einem gigantischen Tornado der Finsternis aufgeblasen wurde? Scheiße, ja. Wie viele Exemplare wurden denn gepresst? Ich kaufe sie alle und baue mir daraus einen Schutzwall gegen den Rest der Welt.

SHARK HAMMER
UFOMAMMUT
ORO: Opus Alter
Neurot Recordings
Worte wie Opus und Alter machen mir Angst, das vorangestellte Gold ändert wenig. Doch wie italienische Genre-Regisseuren jederzeit bereit waren, die letzten Trümmer ihrer kargen Story für ein gutes Blutbild zu opfern, so verhält es sich auch mit diesen italienischen  Alchemisten. Fünf Stücke ohne Pomp; ausufernd, spacig und schwer; ohne erkennbaren konzeptionellen Überbau. Eigentlich „nur“ der zweite Teil der gesplitteten Oro-Veröffentlichung, für sich genommen ein Magnum Opus. Damit haben Ufomammut im 13. Lebensjahr endlich zu sich gefunden—und das gibt gleich einen Punkt Abzug für den esoterischen Unterton.

NAI HAI
RINGO DEATHSTARR
Mauve
Club AC 30
Eine Steilvorlage für die oft in schlechteren Fanzines, Mailorderlingo und auf Kumpel machenden Musikmagazinen anzutreffende Rezensionsform nach Cocktailprinzip. Also du weißt schon: „Man nehme ein Drittel x, vermenge es mit drei Fingerbreit y und garniere das Ganze mit einem spritzigen Schuss z.“ Solche Ausfälle hast du bei deinem Fachblatt für Stil und gewählten Ausdruck natürlich nicht zu befürchten. Andererseits weigere ich mich aber auch, mich mit dieser Rezension für den Pulitzer-Preis zu bewerben, wenn der Bandsound ohne seine wesentlichen Zutaten (My Bloody Valentine, TJAMC, Dinosaur Jr.) in etwa so viel Charakter hat wie ein Glas Leitungswasser.

BRIAN FLANAGAN
WHY?
Mumps, Etc.
City Slang
Unter der Annahme, dass die Frage nach einem Warum die Klärung einer brennenden Frage, vielleicht sogar einer bodenlosen Ungerechtigkeit verlangt, würde ich gerne wissen, weshalb WHY? immer noch Musik machen, statt sich endlich auf Plakatwerbung für Jungs-Unterwäsche zu spezialisieren. Halbnackte Schönlinge mit angespannten Muskeln und wuscheligen Haaren auf Großleinwänden bringen die Gefühle allemal mehr in Wallung als dieser weichgespülte College-Radio-Rap für Hipster mit Erste-Welt-Problemen.

DARUM DÖFFELSTIEL
DIE LIGA DER GEWÖHNLICHEN GENTLEMEN
Jeder auf Erden ist wunderschön
tapete/Indigo
Man kann von Superpunk-Sänger Carsten Friedrichs und seinen neuen Freunden halten, was man will, es steht außer Frage, dass ihre musikalische Vision ein Herz hat. Das dürften sie in jedem Fall der neuen Hamburger Seichtigkeits-Schule voraushaben, wo einige Protagonisten sich offensichtlich bis zum Schluss nicht entscheiden konnten, ob sie Fotomodels, Bloggerinnen oder Modedesigner werden sollten, bis ihnen schließlich irgendjemand eine Gitarre in die Hand drückte. Hier hingegen verlautbart die Musik aus jeder Zeile, was sich im Bandnamen bereits andeutet: „Seht her, wir sind ganz normale Leute.“ Und zurzeit reicht das offenbar schon, um positiv aufzufallen.

NEWAND UNEXCITING
THE HELIO SEQUENCE
Negotiations
Sub Pop/Cargo
Vor ungefähr zehn Jahren habe ich mich kurz nach der Entdeckung von Sigur Rós in ein Mädchen verliebt. Es wurde nicht die große Liebe, aber wir hängen auch heute noch gemeinsam rum und finden uns toll. Wenn es nicht so peinlich klingen würde, könnte man sagen, Sigur Rós hätten den Soundtrack zur damaligen Lovestory bereitgestellt—inkl. Unaufgeregtheit und Hoffnung, Neugierde und Unbesiegbarkeit und all den üblichen Emo-Zutaten. Wie es aussieht, werde ich jetzt in den nächsten Wochen permanent The Helio Sequence dabei haben, wenn ich unterwegs bin und auf diese Weise das Schicksal herausfordern, mal wieder ein Girl von o.g. Format vorbeizuschicken.

GOLF EDEN
THE XX
Coexist
Young Turks/Beggars
Vielleicht erwischt du dich ja auch ab und zu beim Wunsch, in der Zeit zurückzureisen und eines deiner prägnanten ersten Male noch einmal zu erleben. Das erste Mal Knutschen, das erste Mal vor den Bullen abhauen, das erste Mal auf einem Konzert von der Bühne mit Anlauf und den Füßen voran in ein Meer unbescholtener Gesichter springen, so was halt. Für The xx muss die Veröffentlichung ihres ersten Albums so ein Wonnemoment gewesen sein. Jedenfalls haben sie sich eine Zeitmaschine gebaut, um das Ding einfach noch mal rauszubringen. Wie wir aber alle von Doc Brown in Zurück in die Zukunft gelernt haben, kann bei Zeitreisen so einiges schiefgehen. Die Einstellung des korrekten Zieldatums beispielsweise.

BIFF TANNENWALD
TROY VON BALTHAZA
Is With The Demon
Vicious Circle/Cargo
Wer einmal mitbekommen hat, mit welch platter Selbstsicherheit Troy von Balthazar mit seiner Masche des hochsensiblen, verträumten Einzelgängers mit Hang zu suizidalen Fantasien und Blackout-Exzessen versucht, Mädels abzuschleppen (und die Chancen stehen bei seiner globalen Umtriebigkeit hoch, dass das auch auf dich zutrifft), ist entweder aus eigener Verzweiflung darauf reingefallen und mitgegangen oder kann seine weinerlichen Lofi-Elegien nur noch mit einer Mischung aus Amüsiertheit und dem dringenden Wunsch hören, ihm mal ordentlich eine reinzuhauen. Finde es selbst heraus, demnächst auch an deinem Tresen des Vertrauens.

SUSE HEUL
TY SEGALL
Twins
Drag City
Die Gelehrten streiten sich darüber, wann der maximale Detonationsdruck der New Garage Explosion erreicht wurde. War es der Augenblick, in dem sich Jay Reatard in die ewigen Jagdgründe hinweg ballerte, waren es die Tage des Beefchens zwischen Wavves und den Black Lips oder doch etwas ganz anderes? Nichts von alledem, denn der große, vom Epizentrum San Francisco ausgehende Knall kommt gerade erst. Wir reden von der aktuellen Veröffentlichungsoffensive des Ty Segall, eingedenk assoziierter Spin-Off-Projekte (der Mikal Cronin-Output geht ja nicht weniger steil durch die Decke). Man hat es hierbei also weniger mit einem singulären Donnerschlag als mit einem knatternden Sperrfeuer zu tun, in dem dieses Album hier ganz besonders zielsicher ins Schwarze trifft.

ERNST DÜNGER
CEMETERIES
The Wilderness
Lefse Laut PR-Schreiben hat man es hierbei mit Goth-Pop ohne schwarzes Make-up, heidnisches Geschmeide und wallende Gewänder zu tun. Die Art von Goth-Pop, die Cemeteries hier anbieten, setzt vielmehr auf Klischee-säuselnde, überharmonische Falsettgesänge, auserzähltes Dream-Pop-Weicheiertum und ein Songverständnis, das jederzeit bereit ist, Bon Iver in den Arsch zu kriechen. Jetzt frage ich dich: Was ist schlimmer?

IVONNE BÄR
REPTILE YOUTH
Reptile Youth
hfn/Rough Trade
Der vierte Track auf dieser Platte, „Speeddance“, ist von der Anmutung her noch ungefähr drei Nuancen nervtötender als zum Beispiel das Gepfeife von Peter Bjorn and John vor ein paar Jahren, mutierte also innerhalb weniger Minuten nach Veröffentlichung zu einem sogenannten Hit für BWL-Erstsemester, die in der Indiedisco mal „die Sau rauslassen“ wollen (aber nicht zu doll). Lässt man den mal außen vor, bleibt: eine ganz schön humorlos mittelmäßig glattproduzierte Pop-Platte.

STEVE IRWIN
CHRIS COHEN
Overgrown Path
Captured Tracks
Chris Cohen ging bei Deerhoof und Ariel Pink zur Schule und macht auf seiner Soloplatte einen leider gerade nicht mehr zur Jahreszeit passenden Mix aus Lagerfeuer-am-Strand- und Alles-ist-egal-Musik. Hätte man besser planen können mit einer Veröffentlichung im Spätsommer, aber das Praktische an Jahreszeiten ist ja, dass sie sich meistens irgendwann wiederholen. In der Zwischenzeit denken wir als Hausaufgabe mal über den Unterschied zwischen Gelassenheit und Lässigkeit nach.

WARM CAVE
NON/BOYD RICE
Back To Mono
Mute
In Fankreisen ist es schon lange ein offenes Geheimnis, dass Back To Mono als das letzte, finale Album in die Geschichte des Nazi-Pranksters eingehen wird. Die wenigen Auftritte, die er justament in Europa spielt, bieten also letztmals die goldene Gelegenheit, noch mal Abschied von ihm zu nehmen und über seine Krankheit zu lachen … Auf Back To Mono verwertet er ein paar alte Aufnahmen, etwas Retro-Noise, eineinhalb Tracks mit Z’ev und eine mäßig inspirierte Cover-Version von „Warm Leatherette“. Mit den Erlösen will er seinem Sohn Wolfgang ein Schloss bauen.

GIDDLE WESSEL
PRAEZISA RAPID 3000
314159265
Noble

Was haben Bach, Mendelssohn und Schumann gemeinsam? Richtig, sie verbrachten alle eine gewisse Zeit in Leipzig, wurden dadurch automatisch zu Genies und all ihre Kompositionen zu spektakulären Erfolgen. Es muss irgendeine geheime Technologie dort geben, die talentierte Nichtsnutze in übermenschliche Mutanten verwandelt. Auch Praezisa Rapid 3000 schütteln mal eben ein Album aus dem Ärmel, das klingt als ob Mount Kimbie und The Notwist zusammen in den Teleportationsapparat aus Cronenbergs Die Fliege eingesperrt worden wären. Moment, Leipzig, könnte dieses Gerät etwa dein verdammtes Geheimnis sein? Und wenn ja, könnten wir mal einen Lastwagen mit Nachwuchsmusikern zur Bestrahlung vorbeischicken?

CASIO PEIER