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Interviews

Denyo hat Hamburg hinter sich gelassen

Das Hamburger Urgestein ist über Umwege zum HipHop zurückgekehrt und hat den Bass auf Maximum, das Tempo auf Minimum und die Ohren auf Durchzug gestellt.

Das nächste Album der Beginner? Lässt noch auf sich warten. Dafür hat ein Fuchsdrittel, namentlich Denyo, erst mal eine neue Platte gemacht. Die heißt #derbe—genau wie jene Vercoolisierungsphrase zu deren Berühmtmachung Denyo mit Sicherheit einen enormen Teil beigetragen hat und die so eng mit dem Hamburger HipHop der 2000er Jahre verknüpft ist wie die Mongo Clikke oder das Eimsbush Basement.

Allerdings: #derbe klingt erst mal so gar nicht nach dem Sound der Hamburger HipHop-Golden-Era. Gut, der Bass ist immer noch da. Aber drumherum hat Denyo eine Menge Sounds geschichtet, die man eher mit zeitgeistigem Soundcloud-Genres in Verbindung bringen dürfte. Unterstützung hat er dabei von dem Berliner Produzenten-Trio Symbiz bekommen.

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Ich habe Denyo und Symbiz-Mitglied Chris zum Interview getroffen und mit den beiden ergründet, warum Trap der neue Dubstep ist und ging der Frage nach, warum alle alten HipHop-Heads, die jetzt mit neuem Sound um die Ecke kommen, eigentlich so viel Hass abbekommen.

Noisey: Warum bekommen Rapper, die schon lange dabei sind, sich dann mal etwas zurückgenommen haben und jetzt ein neues Album herausbringen, eigentlich diesen krassen Gegenwind? Das lässt sich ja nicht nur bei dir beobachten, sondern war bei Curse, Nico Suave oder Ferris MC genau das gleiche.
Denyo: Ist das so? Ich sehe das nur im Internet (grinst). Ich finde, dass das gar nicht so viel Gegenwind ist. Aber man kann ein Curse-Comeback auch nicht mit einem Denyo-Comeback vergleichen. Was wir gemacht haben, ist jahrelanges Forschen nach neuen Sounds und einer neuen Art und Weise, sich Auszudrücken und HipHop für sich neu zu erfinden. Aber nur weil wir alle aus den 90ern kommen, heißt das noch lange nicht, dass man eine Theorie für alle finden kann. Ich weiß auch nicht, was die Intention der anderen ist. Aber ich kann für mich sagen: Ich mache wieder Musik wie ein 16-jähriger. Damit meine ich die schöne Naivität mit der ich an die Musik herangegangen bin. Ich bin halt einer, der gerne Bassmusik hört und sie auch in seiner Radiosendung spielt. Und mit Symbiz habe ich ein Produzententrio gefunden, mit dem ich geil gemachte Bassmusik im HipHop-Kontext hinbekomme. Dass das auf Widerstand trifft, war mir natürlich klar. Insbesondere bei den ganzen, respektvoll gesagt, Retrovögeln (grinst).

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Wenn das immer so mitschwingt, hat man dann überhaupt Bock, noch mal ein Album zu machen?
Chris: Bei der Produktion hat das keine Rolle gespielt. Wir haben halt eine EP angefangen, ohne, dass es Releasepläne gab. Dann war die EP fertig und wir haben noch den Song „#derbe“ gemacht, bei dem wir dann gemerkt haben, dass wir auf Betriebstemperatur sind. Dann haben wir alles, was wir dahin gemacht haben wieder verworfen und noch mal neu losgelegt.
Denyo: Grundsätzlich weckt das natürlich den Sportlergeist in einem. Weil man eben denkt: „Jetzt erst recht!“ Aber das Album ist dennoch keine Reaktion, sondern vielmehr aus unserem Flash entstanden. So soll sich geile HipHop-Musik von meinem Blickwinkel aus anhören. Ich habe da auf sehr viele Kleinigkeiten geachtet. Wie kann ich ein musikalisches Szenario entwickeln auf dessen Grundlage ich meine Texte und meine Stimme wirken lassen kann? Deswegen sind viele Sachen entstanden, die sehr zeitlupig klingen—denn dadurch ist viel mehr Platz entstanden. Wenn wir uns aber so viel Platz lassen, müssen die einzelnen Elemente extrem geil klingen. Und da kamen dann halt Symbiz ins Spiel. Wir haben da einen sehr ähnlichen Geschmack, was basslastigen und futuristischen Sound angeht. Futuristisch ist eigentlich auch der falsche Ausdruck, weil diese Musik mittlerweile ja doch schon angekommen ist. Aber wir wollten dem Ganzen noch einen draufsetzen. Herausgekommen ist dabei etwas, dass ich zu 100 Prozent geil finde und hinter dem ich komplett stehen kann. Wenn man es dann noch seinen Kollegen, Freunden, anderen Künstlern und ausgewählten Journalisten zeigt und die es ausnahmslos derbe finden, gibt einem das natürlich noch mehr Selbstbewusstsein. Dass es dann noch ein wenig Gegenwind gibt, damit muss man leben.

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Welchen Gegenwind meinst du?
Denyo: Den von Leuten auf HipHop-Portalen, die sich „Bushido88xD“, „PitsikakkuPunani97“ oder „FistFukkkker“ nennen. Das die das nicht geil finden ist klar—aber da muss man dann halt durch. Aber am Ende des Tages siehst du ja, dass viele Leute es gut finden. Und um die geht es. Egal ob die HipHop seit 30 Jahren oder drei Tagen hören.

Wie habt ihr denn an dem Album gearbeitet?
Chris: Denyo ist nicht zu uns gekommen und hat Beats gepickt. Er hat vielmehr die Songs auf sehr minimalistische Beats geschrieben und aufgenommen. Erst danach haben wir das Ganze dann gemeinsam ausgearbeitet. So konnten wir dann zum Beispiel auch Elemente aus den Vocals in den Beat einbauen. Es ist viel einfacher zu arbeiten, wenn man weiß, was schon auf der anderen Seite ist. Und über allem stand natürlich, dass die musikalischen Referenzen, die wir uns für das Projekt herangezogen haben, für beiden gestimmt haben.

Wann hast du, Denyo, diesen Sound denn für dich entdeckt?
Denyo: Das muss Mitte 2009 gewesen sein. Ich hatte vorher ein Singer-Songwriter-Album gemacht und habe gemerkt, dass das eine ganz andere Lebensphase war. Ich habe gespürt, dass ich mich musikalisch umorientieren will und wieder Bock auf HipHop habe. Zu der Zeit habe ich auch gemerkt, dass etwas ganz spannendes losging. Dubstep hat damals ein 2.0-Update bekommen, weil die ganzen Laptop-Rocker an die Oberfläche kamen und auch in Sachen Remixkultur neue Maßstäbe gesetzt haben. Dadurch, dass es das Internet gibt und du ja in deinem Laptop ein ganzes Studio drin hast, brauchst du nichts weiter als dein Talent und Zeit. Deshalb sind auf einmal so geile Songs entstanden, bei denen nur noch die Vocals, egal ob aus dem Pop- oder dem Indiebereich, vom Original übriggeblieben sind und das ganze drumherum viel geiler und basslastiger klang. Erst klang das alles eher nach Dubstep und dann nach Trap—oder zumindest nach dem, was wir jetzt als Trap bezeichnen, was ja eigentlich nur eine Urbanisierung von Dubstep ist. Ich habe dann schnell geschaut, wen es in Deutschland gibt, der so einen Sound macht und bin direkt auf die Symbiz-Jungs gestoßen.

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Wie denn?
Denyo: Durch meine Radiosendung Top of the Blogs habe ich mich quasi gezwungen, jede Woche zu diggen und habe die Jungs bei Soundcloud gefunden. „Who cares“ war einfach ein geiler Song, der damals ziemlich abging. Ein Kumpel von mir hatte dann die Telefonnummer von Chris…
Chris: …und dann klingelt mein Handy und eine Stimme sagt: „Hallo, hier ist Denyo!“ (lacht).
Denyo: Ich wollte mich dann mit den Jungs treffen und habe noch gar nicht an mein eigenes Album gedacht. Denn 2010 wollten wir eigentlich das neue Beginner-Album machen, an dem wir auch bis Mitte 2011 gearbeitet haben. Ich wollte also mal schauen, was in die Richtung so geht und natürlich ein paar Songs für die Radiosendung bekommen. Die habe ich dann auch bekommen und wir sind in Kontakt geblieben. Irgendwann haben wir dann mit den Beginnern beschlossen, dass die bisherigen Songs zwar schon geil, aber noch nicht geil genug waren. Hinzu kam, dass Jan nicht noch eine Saison aussetzen wollte, was ich komplett verstehen konnte. Dann war für mich aber auch klar, dass ich alleine weiterarbeite und die Sachen in die Beginner-Schublade stecke. Aber ich habe gemerkt, dass ich selbst gerne was rausbringen möchte, war aber auch unzufrieden, weil ich als Produzent nur bis zu einem gewissen Punkt komme. Ich habe mit vielen Leuten herumprobiert, aber es war nicht mein Flash. Also habe ich Chris angerufen und wir haben ein bisschen herumprobiert. Am Anfang noch ganz vorsichtig, aber als wir dann ein Team waren, hat er sich schließlich auch getraut, die Beats hart zu verändern. Für mich war das eine wichtige Erkenntnis, weil ich gemerkt habe, dass alle anderen ja auch ihre Produzenten haben und ich nicht immer alles selber machen muss. Und dann konnte ich loslassen.

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Denyo musste loslassen und du, Chris, musstest lernen, in die Arrangements reinzugehen.
Chris: Man muss dazu auch sagen, dass die ganze musikalische Kiste damals noch kleiner war. Dubstep bzw. Bassmusik war das erste richtige Internet-Genre. Und wir haben die Musik zu einer Zeit vor Brostep gemacht, wo es noch mehr Dub als Step war (grinst). Denyo war dann der erste aus der Musikwelt, der das bei uns erkannt hat. Außerdem war er Denyo von den Beginnern (lacht)! Wir haben uns dann zum Akklimatisieren erst mal über diverse Strömungen unterhalten und Referenzen abgecheckt. Am Anfang war es echt ein sehr vorsichtiger Prozess. Ich habe seine Beats mehr gemischt, als etwas daran zu verändern. Da war „#derbe“ sicherlich der Durchbruch für uns als Team.

Ihr habt gerade von Referenzen gesprochen. Welche waren das denn?
Denyo: Ich fand damals diese ganze R'n'B-LoFi-The Weeknd-Geschichten geil und dachte, dass ich das jetzt auch mache. Aber irgendwann habe ich gemerkt: Ich mache, was ich mache (grinst). Ich wollte immer noch Rappen und nur an manchen Stellen, mit Autotune, singen. Es sollte eben sehr effektgeladene Musik sein—egal ob durch Stimmkorrektur oder das Choppen von Vocals. Und wenn mir jetzt irgendwelche Leute erzählen wollen, dass meine Musik nach Lary klingt dann… Ich meine, Lary in allen Ehren, ich feiere sie auch hart. Aber habt ihr mal was von AlunaGeorge gehört?
Chris: Es gibt auch Leute, die sagen, dass es wie Tua klingt. Tua ist mega cool, aber das schreiben Leute, deren Horizont bei Deutschrap aufhört. Ich meine, Tua hat 2008 auch Dubstep-Beats gemacht—weil er ein offener Typ ist.
Denyo: Tua ist derbe, darum geht’s nicht. Aber diese ganzen Spasten sind nicht so derbe (grinst). Wenn die der Meinung sind, internationale Musik kommt aus Baden-Württemberg, dann denke ich mir: „Cool, ihr seit jetzt acht Jahre alt, habt Tua für euch entdeckt und das ist sehr gut, wenn ihr jemanden wie ihn für euch entdeckt.“ Aber denkt bitte nicht, dass sich jemand von hier diesen Sound ausgedacht hat. Das ist eine internationale Entwicklung. Ich habe immer wieder Songs von ihm in meiner Sendung gespielt, weil er, was das angeht, ein Seelenverwandter ist. Genau wie Lary, die ihren Sound halt #futuredeutschwelle nennt. Aber dann kommt halt ihr Fan und sagt: „Denyo macht dich nach!“

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Wobei ein FKA-Twigs-Fan vermutlich sagen würde: „Lary macht dich nach!“
Denyo: Oder sie sagen: „Wer ist diese FKA Twigs, die klingt genau wie Lary!“ Das ist doch scheiße!
Chris: Wir haben vor Denyo nie für deutsche Rapper produziert, weil da immer so eine Barriere war. Aber die ist mittlerweile weg. Es fühlt sich wieder ein bisschen an wie 2008. Du kannst im HipHop gerade viel einfließen lassen und es immer noch Rap sein lassen. Die Leute schreiben ja auch gerne, dass Denyo jetzt ein Dubstep-Album gemacht hat (lacht). Das suggeriert ja vor allem auch, dass er überhaupt nichts gecheckt hat!

Wann ist denn diese Barriere gefallen? Man hat in den letzten Wochen und Monaten manchmal schon Sounds gehört, die in eine ähnliche Richtung gingen. Mich haben die Produktionen bisweilen an Blausicht von Gerard erinnert, das ja größtenteils von NVIE Motho produziert worden ist.
Chris: Ich finde, es gibt viele Referenzen, die man heranziehen kann.
Denyo: Gerard habe ich oft gehört. Ich finde das sehr sympathisch, was er macht. Textlich fand ich es auch interessant. Ich mag besonders Rapper und Künstler, wenn sie eine Dringlichkeit haben. Da muss sich nicht immer alles geil reimen oder wie bei Samy oder Savas vorgetragen werden. Bei den Beats hatte ich das Gefühl, dass man noch mehr rausholen kann. Aber das fand ich nicht schlimm. Ist ja auch egal. Es ist Kunst! Als ich „#derbe“ mit 50 BPM und 808s gemacht habe, bin ich gerade zum Beispiel auf so eine Trap-Pop-Band aus Los Angeles geflashed, deren Namen ich schon nicht mehr weiß. Ich habe da sehr viel mit Pausen und Dingen, die man nicht macht, gespielt. Das ist für Leute, die auf eine ganz bestimmte Art und Weise konditioniert sind. Wenn du nicht auf EDM, Urban, Trap, Low Bass, Flash und Doubletime stehst, dann kannst du damit nichts anfangen. Du musst die Hi-Hat hören, die nicht drin ist (grinst)!
Chris: Ja (lacht)!
Denyo: Ab da wusste ich, jetzt geht’s los. 90 BPM? What the fuck? Wer bin ich? Nein, ich mache 37 BPM (lacht)!

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Lass uns doch mal über diese Langsamkeit sprechen. Die Vocals—oftmals R&B-Acapellas—werden in der Musik über die wir hier die ganze Zeit sprechen, ja gerne heruntergescrewed. Woher kommt dieses Faible für die Entschleunigung und das Weglassen? Das ist ja eigentlich das genau Gegenteil zu dem, was es im Dubstep die Jahre davor gab.
Chris: Genau das ist der Grund. Es gab immer Tention’n’Release und das Warten auf den Drop. Im Minimal funktioniert das genau andersherum. Du hast eine ellenlange Verdichtung, dann kommt das Crescendo und schließlich der ganz kleine Drop. Und beim Dubstep wurde alles immer noch lauter. Irgendwann hatten die Leute keine Lust mehr auf die Skrillex-Muskelshow und die Partys wurden unhörbar. Weil fast schon wie bei einer Wrestlingshow der immer noch krassere Drop kam (lacht). Deshalb funktioniert dieser entgegengesetzte Sound auch so gut.
Denyo: Das ist das eine Ding. Aber man muss auch sagen, dass Trap schon wieder schneller geworden ist. Es gibt jetzt ja diesen Twerk-Sound. Ich lege ja sehr viel auf und habe dann auch gemerkt, dass ich nicht zu viel auf 70 BPM auflegen kann, weil das ganze sonst zu sehr erlahmt. Ich finde halt, dass der Raum, der durch Bounce entsteht, einem viel mehr Möglichkeiten für kleine Elemente bietet. Du kannst langsam rappen oder Doubletime, du kannst eine Geschichte erzählen oder es sportlich angehen. Dieses Tempo ist einfach geil. Und durch die Konditionierung hast du ja etwas ganz anderes im Kopf. Du bounced die ganze Zeit mit dem Kopf als sei er die Hi-Hat, aber der Song geht immer nur „Booooom…Booooom.“ Das macht Spaß. Das ist, was wir machen, was wir fühlen und was wir lieben. Und das kriegt ein Horst aus Pimmelberg halt nicht klar. Der schreibt dann: „Was ist das denn jetzt für eine Scheiße? #wack.“

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Abgesehen von dem sehr omnipräsenten elektronischen Sound gibt es aber auch den Song „Elbtunnelblick“, der mehr nach einem Sample klingt. Das hat mich gleich an Hamburg-HipHop der frühen 2000er erinnert.
Denyo: Das ist ein Song, der ein wenig an „Danke, gut“ von Eins Zwo erinnert. Wir haben das natürlich neu eingespielt. Das ist ein Song, der bewusst an die alten Zeiten in Hamburg erinnert. Wobei der natürlich auch einen Flip bekommt und nach hinten raus abdreht.
Chris: Zu der Zeit haben wir viel Tropcial Base, Baltimore-Zeug und Schlachthofbronx gehört. Ich fand es halt cool, dass wir die Golden Era des HipHop zitieren und dann aber mit neuen Elementen mischen, gleichzeitig Denyo aber auch im Text über örtliche Wechsel erzählt. Ich mochte den Song auch sehr und fand das wichtig.
Denyo: Ich wollte den eigentlich loslassen. Aber es ist natürlich doch wichtig. Weil der Song eben meine Geschichte erzählt. Ich komme aus Hamburg, das ist meine Heimat, und Berlin ist jetzt mein Zuhause und ich habe Hamburg hinter mir gelassen. In gewisser Weise habe ich auch HipHop hinter mir gelassen und mache nun neuen Ideen und frischem Input den U-Turn und komme wieder zurück. Ich finde gut, dass der Song eigentlich Denyo im Ist-Zustand ist und dabei das Alte und das Neue zusammenführt.

Wann bist du denn eigentlich nach Berlin gezogen?
Denyo: Schon vor acht Jahren. Das hat sich zum Glück nicht so krass herumgesprochen. Sonst hätte ich dauernd Sprüche bekommen. Hamburg ist, wie gesagt, mein Zuhause. Ich liebe diese Stadt und sie ist die Basis meines musikalischen Schaffens. Aber es war so ein bisschen wie bei einem Fisch im Wasser, der das Wasser nicht mehr wahrnimmt. Wasser ist halt Wasser. Ich konnte es nicht mehr sehen, nicht mehr spüren und nicht mehr wertschätzen. Außerdem kamen noch private und berufliche Gründe dazu. Erst waren nur zwei Jahre geplant und jetzt sind es mittlerweile acht Jahre in denen ich viel ausprobiert habe.

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Das heißt?
Denyo: Ich habe zum Beispiel den Soundtrack für den Film Leroy gemacht, dann habe ich mein Songwriter-Album gemacht, sehr viel aufgelegt, neue Connections geknüpft, hier geheiratet und ein zweites Kind bekommen.

Bist du auch viel ausgegangen?
Denyo: Ach, nur ein paar Mal. Das kann ich an zwei Händen abzählen.

Ich frage deshalb, weil du auf dem Song „#derbe“ ja viele Beobachtungen aus dem Nachtleben einarbeitest.
Denyo: Das ist natürlich eine Spielerei. Das ist sicherlich auch ein bisschen Fiktion. Mit 38 Jahren habe ich im Club und vor dem Club genug Erfahrungen gesammelt. Und vieles verändert sich auch gar nicht so krass im Laufe der Jahre.

Dass du, wie in „Kein Bock“ geschildert, ständig angesprochen wirst, passiert aber immer noch, oder?
Denyo: Klar, sowohl in Berlin als auch in Hamburg. Meistens, wenn es im Café oder auf der Straße bist, geht das auch echt schnell. Aber wenn du im Club stehst, denken die Leute plötzlich, du wärst deren Homie. Und dann kommen immer die gleichen Fragen. Bis zu einem gewissen Punkt verstehe ich das auch. Wenn ein echter Fan ankommt, dann freue ich mich auch total darüber. Aber wenn man dann von seinem eigenen Stuff anfängt und meinte, ich hätte jetzt eine Stunde Zeit für seine Story… Man kennt das ja auch aus dem Privaten irgendwie. Es geht einfach darum, vollgelabert zu werden.

Ich fand es interessant zu sehen, dass Sido mit auf dem Song war. Es gab ja früher immer so eine Art Feindschaft zwischen Hamburg und Berlin und zum Beispiel auch mal ein Tape, auf dem Jan damals fiktiv ermordet worden ist.
Denyo: Wenn du ein junges Rap-Ego bist und auch Erfolg haben willst, dann kann ich verstehen, dass man aneckt und rebelliert. Aber das interessiert mich am Ende auch nicht mehr. Das war halt damals so. Ich bin ein Freund davon, nicht in irgendwelchen vergangenen Stories rumzupulen, sondern eher zu schauen: Was ist jetzt? Und wenn ich im Club bin, pumpe ich oft mal einen Sido-Song. Er hat ne geile Stimme, kann gut rappen—und wenn du länger als zehn Jahren im Game bist, kannst du nicht auf den Kopf gefallen sein. Und ich bin ein Typ, der lieber Gemeinsamkeiten statt Unterschiede sieht. Und er ist ein HipHop-Head, der sich durchgesetzt und seine eigenen Vision und seinen Flash durchgesetzt hat. Denn das habe ich auch gemacht.

Am Ende des Songs ist von Leuten wie Massiv oder Gilette Abdi die Rede. Gibst du dir das alles?
Denyo: Schon. Ich habe ja auch ein paar Leute um mich herum, die das auf dem Schirm haben. Chris oder mein Manager Götz sind da auch ganz vorne mit dabei (grinst). Das ist halt einfach derbe!

Ganz was anderes: Verändert das Kinderhaben auch die eigene Sprache? Du beschreibst ja auf „Papa“ sehr schön und für deine Kinder verständlich, was du da eigentlich den ganzen Tag machst.
Denyo: Als allererstes muss ich mal sagen, dass Kinder und Familie nicht gerade förderlich für dein Dasein als Künstler sind (lacht). Ich will nicht sagen, dass Künstler nicht arbeiten—aber du hast einen anderen Rhythmus. Meine Familie ist gerade ein paar Wochen in Los Angeles, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Du hast einfach einen anderen Flow und arbeitest drei Tage am Stück an einem Song, schläfst mal kurz und isst was, machst aber danach auch direkt weiter. Man braucht da echt Struktur. Und eine Frau, die sich kümmert. Und Kinder, die nicht so nerven. Und Babys, die sich selber wickeln (lacht). Deshalb hatte ich auch eine künstlerische Blockade, als ich eine Familie gegründet habe. Es geht nämlich auf einmal sehr viel um Income, also Geld, und wenig Zeit für Output, der einem das Geld generiert. Das habe ich über die Jahre aber gut hinbekommen und bin der glücklichste Mensch der Welt, weil ich eine funktionierende Familie habe, aber auch als Künstler funktioniere. Das ist total geil. Weil ab dem Punkt ist es sehr inspirierend. Um deine Frage zu beantworten: Natürlich hat man mal einen Philosophischen, wenn man Kinder hat. Es ist einfach unglaublich, wenn dieses Kind auf die Welt kommt und die Augen aufmacht und dabei aussieht, wie ein Astronaut, der sich das erste Mal im Weltraum umsieht. Du hast dir neun Monate lang vorgestellt wie das wird und dann ist dieser kleine Mensch auf einmal da und nichts ist, wie es mal war. Das lässt einen nachdenken und das kann unter Umständen auch cool für deine Kreativität sein.

Derbe gibt's bei Amazon und iTunes.

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