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Rockerclubs und Deutschrapper: Die Chronologie einer innigen Liebe

Ab einem gewissen Zeitpunkt begannen Rapper in Deutschland, sich mit breitgebauten Männern in ihren Videos zu schmücken. Aber wann und wo hat das alles eigentlich begonnen?

Früher war alles besser. Motorradfahrende Familienväter mit dem nötigen Ehrenkodex sorgten für Ruhe auf dem Kiez und Rapper reichten sich in der Cypher nach dem Battle die Hände. Die Stieber Twins keepten es real und Frank Hanebuth sicherte mit seinen Jungs die Diskotüren der Republik. Friede, Freude, Eierkuchen. Wollten Motorradclubs Präsenz zeigen, sperrten sie ganze Straßenzüge ab und knatterten durch die City. Ansonsten waren die Rocker durchaus gerngesehene Gäste in Rathäusern und auf Straßenfesten. Etwas knorrige, aber eigentlich grundsympathische Typen. „Immer noch besser als die Albaner“ lautete der Tenor vielerorts. Wollte man sich wiederum im Rap-Game beweisen, forderte man David P oder MC Rene zum Freestyle-Battle heraus. Als MC konnte man damals auch noch ohne Probleme im Morgenmagazin auftreten, keine Moderatorin musste befürchten, dass Mütter gefickt werden.

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Potentielle HoGeSa-Fans vermissen heute die Zeit der „anständigen Rocker“, als die alte Garde noch das Sagen hatte. Und Menschen, die immer noch Cora E hören sind sehr traurig, dass ihre Musik so verhunzt wurde von diesen Typen, die nie Rilke gelesen haben und überhaupt nicht wissen, wer Torch ist. Das Problem an der Sache ist nur: Rocker waren noch nie anständige Typen. Auch damals schon verdienten sie ihr Geld mit Prostitution, Menschenhandel und Waffen. Und euer Rap? Der war halt größtenteils scheiße.

Ab einem gewissen Zeitpunkt begannen Deutschrapper, sich mit breitgebauten Männern in ihren Videos zu schmücken. Ungefähr zeitgleich begann in Rockerclubs ein Umbruch, der dazu führte, dass die eher Rock- und Metal-affinen Motorradjungs der 90er durch eine neue Generation ersetzt wurden, die sich im Rap verwurzelt sah. Und da ein nicht unbedeutender Anteil der neuen Mitglieder weder ein Motorrad noch einen Führerschein besaß, musste eine neue Paradestrecke her, beziehungsweise ein Ort, an dem man der Außenwelt zeigen konnte: Wir sind jetzt da, wir haben Kutten, halt besser deine Fresse. Die tonangebenden Rapper wiederum kamen teilweise aus dem gleichen Milieu. Man kannte sich seit Kindheitstagen und konnte nun voneinander profitieren. Eine Hand wäscht die andere. Und wenn man sich nicht kannte, dann zahlte man eben einen gewissen Teil seines sauer verdienten Geldes für den im Deutschrap mittlerweile legendären „Rücken“. Aber wann und wo hat das alles eigentlich begonnen? Wir haben uns mal an einer kleinen Chronologie versucht.

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Bass Sultan Hengzt / Muchachos Boys

Einer der ersten, der die Kette rausholte und den Kragen hochschlug, war Bass Sultan Hengzt. Laut eigener Aussage und auch nach Meinung einiger „Experten“, das optische und teilweise auch inhaltliche Role Model für Bushido. BSH, wie er sich zwischendurch nannte, tauchte bereits in der ersten Staffel der HDF-Reihe von Aggro.TV mit den sogenannten Muchachos Boys aus Berlin-Neukölln auf, die bewiesenermaßen auch eine Menge Motorräder besaßen. Ich erinnere mich ebenfalls an ein Konzert in Berlin, wo die Gang ungefähr die Hälfte des Publikums ausmachte, und für schlechte Laune bei den eher pimpfigen Fans sorgte, da man weder über die Rocker rüber, noch an ihnen vorbei schauen konnte. 25 Euro rausgeworfen für den Anblick einiger schwarzer Kutten und ein paar ausrasierter Nacken. Na toll. Inzwischen bekommt man von der Verbindung nichts mehr mit, BSH hat relativ erfolglos versucht, Radiomusik zu machen und die Muchachos haben auf ihrer Facebookseite ganze 14 Likes angesammelt. Wenn sie nicht wesentlich cleverer als all die anderen Rocker sind, die regelmäßig ihr Gesicht in die Kamera halten und dem LKA damit eine Menge Arbeit ersparen, dann darf man davon ausgehen, dass Sie keine Rolle mehr spielen oder sich anderen MCs (doppeldeutig!) angeschlossen haben. Was den Mainstream betrifft, legen wir uns auf jeden Fall fest: Hengzt hat es erfunden, auch wenn es sicherlich andere Rapper gab, die sich vorher schon mit Rockern gezeigt hatten und die Muchachos eher eine Gang als ein MC waren. Das Video jedenfalls ist der Prototyp des klassischen HDF-Gewackels mit gefährlichen Dudes im Hintergrund. Ketten raus, Kragen hoch!

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Kollegah / Ruhrpottgangster

Was in Berlin gut funktionierte, wurde in Düsseldorf natürlich übernommen. Auch Kollegah, damals noch etwas weiter entfernt vom „Überboss“, beschloss, sich ein paar Typen mit Kutten ins Video zu stellen. Merkwürdigerweise wirkt das Ganze ziemlich gecastet, ein wirkliches Drohszenario stellt sich irgendwie nicht ein, auch wenn lauchige Redakteure wie wir im Dunkeln die Straßenseite wechseln würden. Eine Symbiose aus Künstler und Club ist nicht erkennbar, eventuell liegt das aber auch an den „Werft die Hände in die Luft“-Moves der versammelten Meute, die teilweise doch eher nach Eckkneipe als nach Hantelbank aussieht. Auch Kolles Performance trägt nicht zum harten Rockerlook bei. Gezupfte Augenbrauen und Bräunungscreme, da kommt irgendwie keine Route 66-Stimmung auf. Zu keinem Zeitpunkt wird hier wirklich klar, um welche Gruppierung es sich in dem Video handelt, entweder, weil man darauf keine Lust hatte oder weil die Kutten aus dem Kostümverleih zusammengeklaut waren. Auf jeden Fall handelt es sich um Jungs aus dem Ruhrpott, na gut. Kollegah zeigt sich inzwischen nur noch mit Pelzmänteln und tschechischen Gogo-Tänzerinnen in seinen Videos. Zum Image des Übermächtigen passen keine breiteren Männer im Nacken. Hier dürfte es sich eher um eine Video-Beziehung handeln, so wie zwischen dir und deiner sympathischen Skype-Freundin aus Chile, die du neulich auf Chat-Roulette kennengelernt hast.

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Fler / Nomads Berlin

Etwa zur gleichen Zeit begann auch Fler sich mit Rockern zu zeigen. (Eventuell hat Fler Rockerclubs auch Ende der 40er Jahre in den USA erfunden). Im Gegensatz zu seinen Vorgängern fuhr er jedoch gleich das ganz harte Kaliber auf: die Hells Angels Berlin aka NOMADS MC. Hauptsächlich befördert durch seinen Freund Beko, durfte Fler sich die Jungs ins Video stellen, mit denen man wirklich keinen Ärger haben will. Das Chapter um Kadir P., das in kürzester Zeit die Zügel an sich riss, gilt als eines der kompromisslosesten in Europa. In „Echte Männer“ versammelt er das Who-Is-Who der 81ers, samt eine für Irritationen sorgende Thor-Steinar-Jacke. Aber gut, provozieren will gelernt sein. Und Flizzy hat gelernt. Inwiefern es auch hier sinnvoll war, sich derart der Öffentlichkeit zu präsentieren und damit die Polizei und die Boulevard-Hauptstadtpresse zu provozieren, sei mal dahingestellt.

Bald darauf überschlugen sich die Ereignisse, Fler wurde angeblich von Mitgliedern des Chapters angegriffen, dann behaupteten andere Rapper, er hätte gegen die einstigen Beschützer ausgesagt, schließlich zeigte er sich wieder mit seinem Kumpel Beko und die Stimmen der „Alle gegen Fler“-Fraktion wurden wieder leiser. Ein Großteil des Chapters sitzt inzwischen wegen Mord in einem Berliner Wettbüro. Alles in allem scheint es sich hier um eine ambivalente on/off-Beziehung zu handeln. Fler kokettiert stets gerne mit Symbolik und Optik der Rocker, behauptete jedoch immer wieder, mit alldem eigentlich nicht wirklich was zu tun zu haben und gar nicht zu wissen, was die da so machen. Aber wieso auch, Frank White jagt dich schließlich mit dem BMW, nicht mit der Harley.

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Toni der Assi / Black Jackets

Hallo, Bree! Infolge der Rocker-Inflation im Deutschrap, begannen nun auch unzählige Member zu rappen. Das Netz quillt über vor schlecht produzierten Tracks und Videos, in denen sich immer mehr Kuttenträger ihrer Dorfgemeinschaft präsentieren. Wer weniger als 50 Schränke im Video hat, kann sich sofort verpissen. Und wir reden hier nicht von IKEA-Werbespots. Ein Club ohne eigenes Musikvideo ist kaum noch denkbar, aus sämtlichen Ecken des Landes melden sich die Harley-Fans. 90% der Tracks kann man sich leider keine zehn Sekunden anhören, ohne den Laptop an die Wand werfen zu wollen. Zu den wenigen Ausnahmen darf man Toni der Assi zählen, hier mit einem seiner ganz frühen Werke, dessen Refrain unglaublich sympathisch nach einer Super RTL-Cartoon-Serie klingt. Lange vor der PEGIDA-Fraktion sorgte er mit seiner merkwürdigen Fixierung auf Angela Merkel und seinen Wortschöpfungen für Aufsehen. Entsprungen ist er den Black Jackets, einer Türsteher-Gang aus Baden-Württemberg. Nicht nur durch seine Art zu rappen, auch durch seine unbestreitbaren Entertainerqualitäten und Lines wie, „Wir sind was anderes, anders wie die anderen / Wir sind kein Verein oder Kinder wo 'ne Bande sind“ hat Toni sich einen Platz in unserem Herzen erspielt. Er dürfte dabei einer der Ersten gewesen sein, der ernsthaft den Sprung aus dem Rocker/Streetgang-Milieu ins Rap-Game geschafft hat. Wir lieben Angela Merkels große Liebe, besonders weil er sein erstes „Halt die Fresse“-Video allen „Homo-Dildo-Redakteuren“ widmete. Inzwischen erscheint Toni der Assi ab und zu auf der Bildfläche, um dann wieder für mehrere Monate zu verschwinden. Ein Umstand, der uns vermuten lässt, dass er in Sachen Street Credibility ganz vorne mit dabei ist.

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Manuellsen / Hells Angels

In letzter Zeit hat vor allem Manuellsens Verbindung zu Rockern für Gesprächsstoff gesorgt. Nicht nur, dass er immer wieder die 81 supportet und sich auch hin und wieder mit der Hells-Angels-Kutte zeigte. Zusätzliche Brisanz bekommt die Geschichte durch die Behauptung einiger Menschen, dass dunkelhäutige Mitglieder bei den Hells Angels generell verboten seien. Der in Berlin geborene Mühlheimer hat sich zu dieser Thematik immer wieder geäußert, teils mit klaren Bekenntnissen zum Club, teils mit dem Hinweis, er möchte dazu nichts sagen. Nichts Genaues weiß man. Dementsprechend reicht es ihm auch, in seinen Videos mit Anspielungen, Codes und einem ab und zu durchs Bild fahrenden Motorrad aufzuwarten. Fotos zeigen ihn hingegen mit Necati „Neco“ Arabaci, dem mutmaßlichen Präsidenten der „Nomads Turkey“, gesucht per EU-weitem Haftbefehl und laut Ermittlern hauptverantwortlich für den Krieg zwischen alter Garde und neuer Generation innerhalb der Hells Angels. Besonders auf Instagram präsentieren sich Manuellsen und zig weitere Angels zeigefreudig, posten unzählige Bilder von Treffen und Abzeichen, verlinken sämtliche Mitglieder oder Freunde und zeigen damit einmal mehr, dass es hier überhaupt nicht darum geht, im stillen Kämmerlein zu agieren. Präsenz, Einschüchterung und Dominanz, mit diesen Mitteln agieren Rockerclubs seit jeher. Darauf angesprochen, kommen meist die gleichen Antworten: Es gehe im Grunde nur un die „Bruderschaft“ und „Loyalität“. Manuellsen ist ein Gratwanderer, heute Rapper, morgen Rocker. Oder eben beides. Motorradclub hin oder her, zumindest hat Manuellsen mit seinem letzten Album Killemall endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die er als MC durchaus verdient. Hellgate, habibi!

Remzi / Osmanen Germania

Seit Neuestem sind nun auch die frisch gegründeten „Osmanen Germania“ fleißig am rappen. Der laut eigener Aussage harmlose Boxclub brüstet sich in den Clips zwar ebenfalls mit sämtlichen Delikten, die das Strafgesetzbuch so hergibt, besteht aber darauf, ein wohltätiger Verein zu sein. Optik und Symbolik sind allerdings auch hier ganz klar dem Rockermilieu entnommen. In martialischen und teils nationalistischen Videos präsentiert man sich als klassische Alpha-Tiere. Musikalisch bewegt sich das Ganze natürlich nicht auf dem Level der hauptberuflichen Rapper mit Rockerbezug. Generell scheint die Zeit der 500 Türsteher im Video im professionellen Bereich glücklicherweise etwas vorbei zu sein. Musikvideos dieser Art dienen eher als Image-Clip denn als wirklicher Einstiegsversuch in die Charts. 50.000 YouTube-Klicks scheinen den meisten genug Erfolg, man muss sich ja auch noch um sein Bike kümmern. Wenn man denn überhaupt eins hat.

Jetzt auf VICE: Was wollen die „Osmanen Germania“

Auch inhaltlich unterscheiden sich die zahllosen Club-Songs nicht wirklich. Ein bisschen Steroide und Frauenhandel da, etwas Schutzgelderpressung hier. Mit Rap hat das Ganze ziemlich wenig zu tun, auch wenn sich Remzi in diesem Fall an atemberaubenden Tripletime-Rhymes versucht. Grund für die Rocker-Flaute im Rap ist sicherlich auch der Umstand, dass die Zeit des ganz großen Beefs im Rap vorbei ist. Endlos-Streitigkeiten, etwa zwischen Farid Bang und Fler langweilen nur noch, kein Mensch interessiert sich für Toonys Kontakte, die Szene ist breiter und vielfältiger geworden. Man darf sogar wieder mit guter Musik überzeugen. Übrig bleiben also ein Haufen Rocker-Member, die ihre Prägung und ihre Vorstellungen von Rap nicht mehr loswerden, und sich in wild zusammengeschnittenen Clips als Übermenschen präsentieren. Die richtigen Rapper sind größtenteils weitergezogen und hängen jetzt lieber mit Radiomusikern oder auf Twitter rum. Shit happens.

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