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Wir haben mit dem Augustin-Verkäufer geredet, den ihr immer auf Heavy Metal-Konzerten seht

Jan Augustin ist der Typ, der sich mit einem Bad Religion-Shirt in den Stephansdom setzt und dort rülpst, furzt und sich vor sich selbst erschreckt.

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Was wäre Wien ohne seine Augustin-Verkäufer? Menschen, die täglich versuchen Zeitungen anzubringen und oft auf kreative Ausdrucksweisen zurückgreifen, die eine Menge Motivation erfordern. Vor allem Liebhaber der harten Musik, die sich das eine oder andere Konzert nicht entgehen lassen, sind mit Sicherheit schon auf den Verkäufer Jan gestoßen, den man ebenfalls unter „Jan Augustin“ kennt. Vor dem Einlass etlicher Events zieht er die Aufmerksamkeit mithilfe seines Lautsprechers auf sich, aus denen immer die Musik der bevorstehenden Bands dröhnt und so auf Spenden für Konzertkarten hofft.

Dies drückt er gerne in Form von überdimensionalen Schildern aus. Singen tut er übrigens auch—meistens handelt es sich um Reime wie „Liebe Freunde, bitte nicht weglaufen, ich muss auch Essen kaufen“, die mittlerweile schon einen gewissen Bekannheitsgrad unter den Wienern erzielt haben. Besonders auffallend ist der Becherturm, der während der Konzerte durchs Publikum wandert und durch die Becherspende der Zuschauer immer etwas größer wird. Wenn man Jan auf Konzerten begegnet, hat man das Gefühl, dass er seine Arbeit liebt.

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Er macht einen lebhaften Eindruck, mischt sich unters Volk und scheint mehr Gigs zu sehen, als die meisten Musikfanatiker, die ich kenne. Aus diesem Grund wollte ich mehr über ihn erfahren.

Als wir uns zu einem Interview verabredeten, begegnete mir aber ein völlig anderer Jan: Er hatte einen traurigen Blick, schläfrige Augen und wirkte sehr verbittert. Als ich ihm die Hand geben wollte, sah ich offene Wunden an seinen Knöcheln.

Als ich ihn fragte was passiert war, antwortete er nur mit „Depressionen“. Wir saßen uns in ein Café und bestellten alkoholfreie Getränke—das war sein Anliegen. Er packte ein kleines Heftchen aus. Das war so etwas wie sein Tagebuch, in dem er seine Depressionen, Konzertbesuche und bedeutsamen Ereignisse protokolliert.

Noisey: Du machst einen bedrückten Eindruck. Ist alles in Ordnung?
Jan Augustin: Mir geht es schon länger nicht gut. Ich leide unter starken Depressionen.

Ich habe dich schon auf vielen Plätzen Wiens gesehen. Du machst jedes Mal einen sehr motivierten und freundlichen Eindruck.
Ja, diese fröhliche Tour mache ich um an Geld zu kommen. Ich versuche mit lustigen Sprüchen an die Leute zu gelangen, aber momentan bin ich nicht sehr motiviert.

Wie lange geht es dir schon so schlecht?
Damals, in Tschechien, war das nicht so schlimm, da hatte ich eine Freundin. Ich habe hier seit zweieinhalb Jahren niemanden mehr. Wenn ich eine Freundin hätte, dann würdest du mich da gar nicht sitzen sehen. Mit einer Freundin würde ich endlich anfangen mehr Deutsch zu lernen. Ich würde mich auch gut um sie kümmern. Ich hatte auch keine leichte Kindheit. Viele greifen deswegen zu Drogen, das blieb mir zum Glück erspart. Mit dem Alkohol habe ich aber ein Problem. Wenn ich trinke geht’s mir gut, dann ist auch die Einsamkeit nicht so schlimm. Aber seit dem 12. diesen Monats trinke ich nichts mehr.

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Nimmst du irgendwelche Medikamente gegen Depressionen?
Nein, das würde mir nicht helfen. Eine Partnerin wäre mein Medikament.

Wie soll denn diese Partnerin sein?
Ich bin zwar 45 aber anspruchsvoll, also sie muss auch fesch sein. Ich suche eine österreichische Partnerin, die mit mir auf Konzerte geht.

Seit wann bist du in Österreich?
Seit Februar 2009.

Was hast du gemacht bevor du nach Österreich gekommen bist?
Ich habe in Tschechien ebenfalls Zeitungen verkauft. Ich war der beste Verkäufer, aber ich wurde rausgeschmissen.

Warum?
Jemand hat die Polizei gerufen, weil ich Zeitungen in der U-Bahn verkauft habe, die habe ich dann beschimpft. Ich habe mich auch bei dem U-Bahn-Personal beschwert und die meinten dann, ich dürfte dort nicht mehr verkaufen. Leider wurde ich dort auch von Roma ausgeraubt, als ich mal etwas getrunken habe. Mein ganzes Hab und Gut war weg. Anschließend bin ich nach Wien gekommen.

Wieso ausgerechnet Wien?
Weil mein Lieblingsfußballer Antonín Panenka bei Rapid Wien gespielt hat. Aus diesem Grund sind auch meine Schilder grün-weiß beschriftet.

Jan präsentiert ganz Stolz sein Rapid Wien-Tattoo

Hast du irgendwelche Lieblingsplätze um Zeitungen zu verkaufen?
Eigentlich nicht. Die Leute kommen mir überall geizig vor. Dabei verstehe ich nicht, wie manche auf Festivals ihre 50 Euro-Zelte einfach zurücklassen und keine 2,50 Euro für eine Zeitschrift haben. Im Ernst Happel-Stadion waren letztens 39.000 Besucher und dort habe ich nur acht Zeitungen verkauft. In Hietzing waren es zwölf Zeitungen in fünfeinhalb Stunden. Ich müsste 40 Stück am Tag verkaufen, damit sich das ausgeht. Ich bekomme 1,25 Euro pro Zeitung. Ab und zu gibt es Glücksmomente, wo ich 20 oder sogar 50 Euro geschenkt bekomme. Das verwende ich dann zum Leben. Der Verkauf läuft momentan nicht sehr gut. In Tschechien konnte ich die Zeitungen viel besser verkaufen.

Wieso lief es dort besser?
Ich hatte gute Ideen. Ich bin beispielsweise durch einen Bekannten an eine Schwarzkappler-Uniform gekommen. Damit bin ich in den Wagon gestiegen und habe „Bitte zücken Sie Ihre Geldbörsen, um einen Obdachlosen zu unterstützen“ den Fahrgästen zugerufen. Die Leute fanden das immer sehr witzig und waren großzügig. Einmal kam ein Typ zu mir und meinte, dass er meinetwegen mal aus der U-Bahn gesprungen ist, weil er schwarz gefahren ist. Sogar er wollte eine Zeitung von mir haben. Damals habe ich öfters 30 Euro in drei Stunden verdient. Leider habe ich deswegen auch eine Anzeige bekommen und musste damit aufhören. Ich habe auch öfters vor meinen Zeitungsstand Geldmünzen auf den Boden geklebt. Die Leute haben verzweifelt versucht diese aufzuheben und waren dann sehr verblüfft. Daraufhin bin ich zu den Leuten gegangen und sagte, dass sie mir doch eine Spende geben sollen, wenn sie schon nichts kriegen. Aber dann hat sich wieder jemand beschwert und es gab Ärger. Ich finde es schade, dass manche Leute echt keinen Spaß verstehen.

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Man findet dich oft auf Konzerten.
Ja, ich stehe ich auch immer mit einem Lautsprecher vor dem Eingang und spiele den Gästen Musik vor. Dafür gebe ich Geld aus. Ich zahle 14 Euro für die Batterien, die halten dann etwa vier Stunden. Die Kosten für die Batterien muss ich zuerst einmal reinkriegen. Das ist nicht leicht.

Musst du die Zeitungen vorher kaufen?
Ja. Zehn darf ich zurückbringen, den Rest muss ich selber loswerden. Leider bleibe ich gerade auf vielen Zeitungen sitzen. In München wollte ich mit meinen ganzen Zeitungen auf ein Festival gehen und wurde aber von den Securitys aufgehalten. Dort durfte ich sie nicht verkaufen, ich hab etwa 40 Kilogramm mitgeschleppt. Leider gab es auch keinen Platz, wo ich meine Sachen einstweilen verstauen konnte.

Das ist natürlich sehr ärgerlich.
Zurzeit habe ich aber auch viel Pech: Mein altes Radio wurde mir am Nova Rock zusammen mit Zeitungen, meinem Zelt, meinem Lieblingspulli von Metallica und anderen Dingen gestohlen. An manchen von diesen Dingen bin ich sehr gehangen. Auf dem Seerock-Festival bin ich in einem Restaurant eingenickt und habe leider voll verschlafen. Zu Mittag wurde die Fläche geräumt und meine ganzen Sachen wurden entsorgt. Als ich deswegen zur Polizei ging sagte man mir nur, dass ich zurück nach Prag fahren könne.

Wie reagieren die Leute im Allgemeinen auf dich?
Manche beschimpfen mich. Es gibt aber auch einige die nett zu mir sind.

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Hast du auch mit anderen Augustin-Verkäufern zu tun?
Man grüßt sich eigentlich nur, wenn man sich begegnet.

Auf manchen Konzerten sieht man dich, wie du mit einem Becherturm durch die Menge ziehst und dieser durch die Spenden der Besucher immer größer wird. Kannst du mir erzählen wie man so einen Turm startet?
Ich komme immer mit einem Vorrat rein, das sind etwa 35 Becher. Damit gehe ich dann rein und die Leute stocken ihn dann auf. Aber das darf ich leider nicht mehr machen, ich wurde deswegen schon ermahnt. Ich verstehe das nicht, früher konnte ich mir so immer ein T-Shirt kaufen. Im Gasometer geht es noch, aber das ist zu wenig. Die Becher helfen mir sehr viel, da ich die immer wieder mal eintauschen kann, falls ich sehr knapp bei Kasse bin. Sie sind quasi mein Notgroschen. Ich fühl mich etwas unruhig, wenn ich meine Becher nicht dabeihaben kann, schließlich komme ich dadurch besser zu Geld als mit dem Zeitungsverkauf. Mich würde es freuen, wenn ich das wieder tun dürfte.

Gehst du zu allen möglichen Konzerte oder nur zu denen, die dich wirklich interessieren?
Das Frequency war beispielsweise nur Arbeit für mich. Da haben mich zwei Bands interessiert: Bad Religion und Halestorm. Dort habe ich auch ein Bad Religion-T-Shirt gekauft, auf dem das durchgestrichene Kreuz abgedruckt war. Damit bin ich an einem Sonntag in den Stephansdom gegangen. Ich habe mich während der Messe für fünf Minuten in die erste Reihe gesetzt, hab mich hingekniet, gerülpst, gefurzt, aufgezeigt und bin dann langsam rausgegangen. Die Leute haben mich beim Abgang alle angestarrt. Ich mache solche Verrücktheiten, weil ich keine Frau habe. Manchmal schrecke ich mich vor mir selbst.

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Welches Konzert hat dir den bis jetzt besonders gut gefallen?
Mir haben Korpiklaani sehr gut gefallen, das Brutal Assault-Festival war ziemlich cool. Beim Nova Rock war ich nur am ersten Tag, da fand ich Black Sabbath sehr interessant. Meine absolute Lieblingsband ist übrigens Bathory.

Jans Tagebuch. Darin beschreibt er seine Depressionen und Konzertbesuche

Möchtest du in Zukunft weiterhin Zeitungen verkaufen?
Eine normale Arbeit käme im Moment wegen meiner Depression nicht in Frage, das würde nicht funktionieren. Ich schlafe äußert schlecht in der Nacht.

Hast du eine Message, die an die Leute gehen soll?
Ja, die Leute sollen mir nicht den Rücken zukehren. Schließlich mache ich nur meinen Job. Aber es gibt ja auch Leute, die mir sagen, dass ich das gut mache. Mehr Respekt wäre mir wichtig, schließlich habe ich auch viel Respekt vor anderen.

Ich möchte mich herzlichst bei Julia für ihre Hilfe als Übersetzerin bedanken. Ihr könnt sie als Bassistin der Band Terra Toma am 6. November live sehen. Am 16. Jänner gibt sie mit ihrem Solo-Projekt The Bassenger eine Album-Release Party.

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