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Warum es besser ist, sich am Land anzusaufen

Hört auf so zu tun, als wärt ihr was Besseres.

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Eines vorweg: Ich wohne in der Stadt, und das wird die nächsten zehn Jahre auch so bleiben. Ich liebe die Stadt nämlich. Die Optionen, die Vielfalt, die geile Infrastruktur—all das, was man eben in Bad Oaschloch nicht hat. Und das ist dann doch einiges. Außerdem kennt sich am Land wirklich jeder—mit meiner Lebensführung wäre ich seit fünf Jahren bereits gesellschaftlich tot, wenn ich nicht in der anonymen Stadt mein Nest gebaut hätte. Aber als Mädchen, das irgendwo zwischen Vorstadt und Land geboren und aufgewachsen ist, habe ich doch ein gewisses Faible für die Sauferei in Dörfern. Und ich mach es auch, sobald ich die Chance dazu habe. Und ihr solltet es auch machen. Ich habe nämlich darüber nachgedacht, warum es draußen so viel schöner und besser ist als in der Stadt. Angesoffen zumindest. Ich weiß noch aus meiner Vorstadt-Zeit, dass am Land leben und wirklich jedes Wochenende nur diese Möglichkeit zu haben, extrem in die Substanz gehen kann. Geht es auch. Aber wenn man den Sprung aus dem Heimatdorf gemacht hat, lohnt es sich immer wieder back to the roots zu gehen. Ab und an zumindest. Trotz der vielen Vorurteile. Und ich räume jetzt hier mit ein paar Vorurteilen auf.

„Am Land säuft man immer wieder mit den selben Leuten an den selben Orten“

Also: Eigentlich suchen alle Menschen in der Stadt diese Land-Heimeligkeit. Think about it. Alle Menschen, die ein Stammbeisl haben oder eine Stammgruppe mit der sie fortgehen—und nach meiner persönlichen Statistik sind das dann doch 80,333%—haben mit den Insassen eines Landbeisls sehr viel gemeinsam. Ja, wir haben Optionen und Vielfalt in der Stadt. Wir nutzen sie aber eh nicht. Oder kaum. Die meisten von uns sitzen im immer gleichen Beisl mit den immer gleichen Leuten. Vielleicht gehen wir dann in die immer gleiche Disco. Wenn man den ganzen Aufriss-Scheiß und Booking-Wahnsinn außer Acht lässt, ist am Land saufen einfach genau dasselbe. Nur billiger. Und extremer. Und irgendwie besser, weil sich keiner schämen muss „Fürstenfeld” zu singen.

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„Am Land kann man sich nicht aufführen, sonst spricht es sich rum“

Jeder, der von der Stadt reinkommt—es kann dir ja scheißegal sein, was sich herumspricht. Wenn du in deinem Kaff Familie und Ruf hast: Auch egal. Die größte Lüge der Weltgeschichte bleibt: „Am Land kann man sich nicht aufführen.” Bist du teppat. Ich habe Nächte in Wien-Umgebung erlebt, da weiß ich nicht, ob sie eigentlich einen Pfarrer, einen Arzt oder einen Suchtspezialist gebraucht hätten. Wahrscheinlich saßen die teilweise eh mit am Tisch und haben brav mitgesoffen. Am Land führt man sich ur auf. Wirklich: Es ist fast schon nicht mehr schön und äußerst verstörend. Aber man ist selbst so betrunken und selbst ein Teil dieses proletoiden Loslassens—man findet es tatsächlich lustig. Obstler approves. In der Stadt bin ich mehr verhalten als am Land. Wenn alle um dich herum wirklich aus reinstem Herzen, ehrlich, ihrem Alkoholismus frönen, schreien, singen und anfangen mit der Nachbarstochter zu schmusen—fallen auch bei dem schüchternsten Menschen gewisse gesellschaftliche Regeln. Also, Obstler braucht man schon dazu. Aber sie fallen!

„Am Land fahren alle angesoffen und haben ein Moped“

Ja, also die Nacht U-Bahn, die gibt es da nicht, das ist richtig. Meine persönliche Statistik sagt auch, dass am Land alle angesoffen fahren. Würde ich überhaupt nicht anfechten. Aber ein kleiner, feiner Unterschied ist vorhanden: Sie können es. Also die meisten. Ich bin kein Fan vom angesoffen Fahren, aber ich bin auch kein Fan vom kleinkarierten Staatsgehorsam. Wenn Peppi sich drei Obstler reinhaut und diese mit fünf Liter Bier runterspült und dann sagt er kann fahren, ist davon natürlich abzuraten. Die Sache mit dem Moped stimmt übrigens, allerdings nur bis zum 17ten Lebensjahr, weil dann haben alle den „Schein”. Dieser macht meistens, dass Tante Gertis Schüssel aus der Nachkriegszeit in den eigenen Besitz übergeht.

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„Am Land saufen sie sobald sie können und hauen sich in die Goschen“

Die erste Anklage ist wahr, ich verstehe das Negative daran nur nicht. Also ja, am Feuerwehrfest zum Frühstück mit dem Obstler starten, gilt in manchen Gegenden als verpönnt. Aber in diesen Gegenden hasst man Spaß und hat auch meistens keinen. Wenn man sich ansaufen will, warum dann warten bis es dunkel ist? Am Land treffen sich die trinkfesten Menschen eben schon am Tagesanfang zu einem Anlass und feiern. In der Stadt ist sowas gar nicht möglich, da es dank zu vieler Optionen nie so ist, dass die Party zum Startschuss bereits voll ist. Das Land ist ein kleiner Rebell in der Welt der gesellschaftlichen Normen und der Moral. Stolz und Würde sind hier vollkommen fehl am Platz. 80% Österreichs sind quasi wie Las Vegas.

Und ja, sie neigen dazu sich in die Goschen zu hauen. Aber das tun die Leute in der Stadt auch. Es wird nur schneller durch Anrainer, Polizei, Vorbeigehende, betrunkene Weiber und Türsteher unterbunden. Deshalb fällt es nicht ganz so auf. Am Land lässt man sie sich schlägern und die Polizei, Anrainer, Vorbeigehende, betrunkene Weiber und Türsteher feuern an. Oder machen mit. Dann trinkt man einen Obstler. Geil.

„Am Land sind alle so primitiv“

Ja, stimmt eh. Ich würde es auch nicht zwingend primitv nennen, eher losgelöst. Wer es schafft, nicht losgelöst zu sein, nachdem Onkel Werner seinen Selbstgebrannten rausholt, ist eh ein Held. Übrigens: Achtung vor selbstgebrannten Obstschnäpsen! Sie sind super, aber meistens ist zu bezweifeln, dass das Saftl jemals eine Frucht gesehen hat. Man schmeckt eher nur den Ethanol. Trotzdem lustig. Nicht so Menschen, die sich von ihrem Ur-Zustands-Besoffenheits-Ich so weit abgekoppelt haben, dass sie sich selber nicht genießen können und sich etwas auf sich einbilden müssen. Pseudo-Intellektuelle machen das gerne und die sind halt echt meine natürlichen Feinde. Menschen, die sich einbilden klüger zu sein, nur weil sie irgendwie keinen Spaß am Leben haben, sind belämmert. Euch will eh niemand am Land haben. Euch will man eigentlich überhaupt nirgendwo haben. Bleibt mit euren intellektuellen Freunden zuhause und schaut, hört und lest ausschließlich Sachen, in denen ein akademischer Duktus herrscht. So klug, wow. Much impressed. Oh vergesst nicht euch einzubilden, dass alle die nicht so leben wie ihr—also ziemlich gelangweilt und sehr pessimistisch—automatisch dümmer und ungebildeter sind. Sonst bleibt euch ja auch eh nix. Hassrage over.

„Am Land geht man immer mindestens 20 Minuten heim. Zu Fuß.“

Total. Ja und es nervt einfach immer. Aber um eine Kollegin zu zitieren: Man kann am Nachhauseweg ausnüchtern und unbeobachtet kotzen. Wenn das mal nichts ist. Außerdem: Am Land gibt es einfach keine Würstelstände. Wen sehe ich denn hier die Bierkalorien am Heimweg abbauen? Na?

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„Am Land spielts scheiß Musik.“

Absolut! Ausschließlich, eigentlich. Finde ich super. In der Stadt wird immer geschaut, dass es überall das Beste vom Besten spielt. Das ist ermüdend. Ich genieße guten Techno, auch guten Pop und auch guten Rap. Aber manchmal braucht der Geist ein bisschen Scheiß-Musik. Chart-Platzierungen bestätigen das. Austropop kriegt man in der Stadt selten. Und wenn Partydrogen und Techno zusammen entstanden sind, sind Austropop und Obstler zusammen entstanden. Sollte euch die Musik also nicht gefallen, einfach bestellen. Ihr werdet sehen, wie viel man zu so einem Reinhard Fendrich empfinden kann. Viel nämlich.

Fredi trinkt leidenschaftlich gerne in Wien Umgebung: @schla_wienerin.

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