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Reviews

Musikreviews der Woche mit Future Islands, Sunn O))) & Ulver, Die Nerven und mehr

Es sagt viel aus, wenn man Kinderhörbücher oder Reggae-Bands lieber hören möchte als die neue Platte einer Band. Unsere Reviews.

FUTURE ISLANDS
Singles
4AD

Sam Herring könnte Kinderhörbücher einsprechen, Baumarktprospekte vorlesen oder bei Reggae-Bands anheuern, es würde immer zum Niederknien großartig klingen. Und der Klang dieser Stimme war ja schon auf den vorherigen drei Alben das beste Argument für wirklich alles, was Future Islands betraf. Ebenjene Stimme ist jetzt vermutlich noch besser geworden, der Kontrast zum ganzen Rest also damit noch ärger—so ließe sich das wenigstens erklären—sodass man sich auch endlich mal eingestehen kann: Musikalisch ist das ja wirklich belanglosester Crap, was da von der Band nebenbei veranstaltet wird.
BORN SCHLIPPY

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CHRISTIAN PROMMER
ÜberMood
Compost/Groove Attack

Ein Musikgeschmack irgendwo zwischen verkifftem Downbeat, Deep House, Weltmusik und Jazz, gepaart mit einem Schuss Affektiertheit und einer Vorliebe für bescheuerte Wortspiele—der amerikanische Produzent Christian Prommer wirkt wie einer dieser Menschen, denen man unter keinen Umständen in seinem nächsten Südostasien-Urlaub begegnen möchte. Wenn man sich von ihnen erst einmal in ein Gespräch verwickeln lässt, kramen sie nach wenigen Minuten ihre neue, selbst aufgenommene Platte aus der Bauchtasche—und bevor man sich versieht, hat man aus falscher Höflichkeit eine CD gekauft, die ÜberMood heißt und deren Cover aussieht, als ob jemand auf ein Das magische Auge-Bild onaniert hat.
DALAI SCHLOMO

SUNNO))) & ULVER
Terrestrials
Southern Lord

Die Zusammenarbeit mit anderen Talenten dient Greg Anderson und Stephen O’Malley seit jeher dazu, SunnO))) immer wieder in ungeahnt neue Regionen voranzutreiben, den Sound zu erweitern, ohne das puristische Grundkonzept zu verraten. Die beiden sorgen für den Drone-Doom mit dem Herzschlag eines Leviathans im Winterschlaf, die anderen kümmern sich um Abwechslung. Je besser die Gäste, desto hörenswerter das Ergebnis. Bereits vor den Aufnahmen zu ihrem letzten Studioalbum Monoliths & Dimensions (2009) trafen sich die beiden Amerikaner mit ihren norwegischen Brüdern von Ulver, die es bekanntlich seit ihren frühen Black-Metal-Tagen weit gebracht haben—Stichwort: staatstragende E-Musik. Entsprechend ausgefeilt und abgehangen klingt das mit 35 Minuten Gesamtlänge angenehm kompakte Werk, das ihr auch getrost eurer Eso-Muddi zum Namenstag schenken könnt.
KREUZ ANDERS

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ENTRAILS OUT!
Am Puls der Zeit
Moment Of Collapse/Cobra

Es muss Anfang der 90er gewesen sein, als Peter „Hobbit“ Jackson noch knietief in Schlachtabfällen stand und anlässlich seines bisherigen Werks die damals gewagte, aber letztlich sich doch bewahrheitende These verkündete, Splatter sei die einzige zeitgemäße Form der Comedy. Heute wissen wir, wie recht er hatte. Und jedes Kind weiß, dass Grind sozusagen der musikalische Splatter ist. Wohlgemerkt jede Form von Grind, nicht nur Grindcore und Goregrind, auch Porngrind, Deathgrind und Cybergrind—Powerviolence sowieso, schon wegen des Namens. Was könnte also momentan mehr „am Puls der Zeit“ sein als das gleichnamige Album einer Band, die dir bereits beim ersten flüchtigen Kontakt das Gedärm durch die Ohren zieht? Mit mehr Cowbells wäre es eine 10 geworden!
THE BRUCE DICKINSON

DIE NERVEN
Fun
Cargo

Laute, verkopfte, eigenwillige, unstrukturierte 37 Minuten, wie sie früher höchstens mal Tocotronic hinbekommen haben und die heute eigentlich auch nur noch Chuckamuck schaffen, beide aber mit einem halben Gramm weniger Fuck-off-Egalheit als Die Nerven. Und: Nichts gegen Tocotronic oder Chuckamuck. Im Ernst: Ich liebe Tocotronic und Chuckamuck. Aber wenn diese 37 lauten, verkopften, eigenwilligen, unstrukturierten Minuten hier nicht wenigstens in irgendeine kleine, halbregionale Indiemusikgeschichte eingehen, fress’ ich in 20 Jahren eine Best Of Blumfeld. Prost.
JUST US JONAS

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VARIOUS
Dance Mania-Hardcore Traxx 1986-1997
Strut

Muss man ja nicht mal reinhören, um das hier als essenziell zu highlighten. Dance Mania Records war die Roughness-Raffinerie der damaligen Chicago-House-Konjunktur. Man agierte unter der Maxime, House unter keinen Umständen an die Handtaschenträger abzutreten und es jederzeit strictly street zu halten. Das sich einfach nicht totzitieren lassende House Nation wurde hier verlegt und kürzlich ihren zweiten Frühling erlebende Nummern wie Tyrees „Nuthin’ Wrong“ zum ersten Mal in die Rillen gepresst. Die Notwendigkeit dieser Retrospektive ist natürlich allein schon deshalb nicht anzuzweifeln, weil die 707- und 808-Plugins momentan so heiß laufen wie selten und in sämtlichen annehmbaren Clubs versucht wird, über aktuelle Produktionen den Straßendreck von damals in den Sound zu schaufeln. Oft klägliche Versuche im Vergleich zu den ewigen Klassikern. Somit ist das hier Archivware und kurioserweise State of the Art in einem.
GROSS FADER

RUN THE JEWELS
Run The Jewels
Big Dada / Ninja Tune / Rough Trade

El-P und Killer Mike gönnen sich eine Auszeit von der harschen Realität und uns eine gute halbe Stunde Trashtalk-Theater, Cartoon-Punchlines und Beleidigungskaskaden. Das wirkt dann in etwa so, als ob Bertolt Brecht und Walter Benjamin auf einer Überdosis Ritalin das Drehbuch für eine neue Dschungelcamp-Staffel verfasst hätten: Abstraktion und Trivialität werden in telepathischem Überschall-Stakkato ineinander überblendet, bis sich kein Unterschied mehr erkennen lässt. Am Ende bleibt man verwirrt, entfremdet, amüsiert und erlöst zurück und hat das Gefühl, gerade Zeuge eines historischen Ereignisses geworden zu sein—ohne dessen wahre Bedeutung auch nur im Geringsten zu erahnen.
CINDY SCHLAUPER

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PERC
The Power & The Glory
Perc Trax

Irgendwann entwickelt man Allergien, gegen bestimmte Gräser, Gewürze, Obstsorten oder auch mal bestimmte Instrumente. Ich bin seit meiner Kindheit ganz ordinär auf Birken, Haselnüsse und Äpfel allergisch—mit den Jahren sind noch ein paar ungewöhnlichere Allergene dazugekommen, aber keins ist seltsamer und heftig wie dieses: In meinen Ohren wachsen juckende Exeme und meine Haut schlägt Blasen, wenn ich daddelig, angewedelte Gitarren höre, die landläufig „funky“ genannt werden. Ich habe das im Dienst der VICE überwunden und wurde von einer Musik belohnt, die in ihrem Zitatreichtum zwischen Glam, Art School, zappaeskem Jazzcore und tuntigem Sleaze nach neuen Referenzen verlangt.
BLUE SUNSHINE

LA FEMME
Psycho Tropical Berlin
Disque Pointu

Wenn der Infotext einer Band diese gleich zweimal als „leichtfüßig“ bezeichnet und mit „Unbedingt live erleben!“ endet, ist das normalerweise kein gutes Zeichen für ein nicht gerade „live“ erlebbares Album. Wenn dann auch noch 16 Tracks eigentlich nach einer Mischung aus „Cold Wave, Punk, Yéyé & Surf“ klingen sollten, man bei mindestens 15 davon aber nur Stereo-Total- (anstatt Poni-Hoax-)Assoziationen hat, wird die Hoffnung auf jenes Liveerlebnis eher noch weiter gesenkt. Schließlich sieht man sich das Cover an und findet mit einem Schlag ganz Frankreich wieder sehr eigenartig. Eigentlich schade drum, die Mittelmeerstrände sollen ganz nett sein.
GOTT ZILLER

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BIG UPS
Eighteen Hours of Static
Tough Love/Cargo Records

Bedenkt man, dass seit September letzten Jahres das neue Album von 65daysofstatic im Laden steht, scheinen die im Albumtitel großmundig versprochenen 18 Stunden, die uns Big Ups hier zum gleichen Preis verhökern wollen, auf den ersten Blick kein sonderlich guter Deal zu sein. Doch weit gefehlt, denn ein jeder Connaisseur abseitiger Science-Fiction wird auf den ersten Blick erkennen, dass der Titel auf Carl Sagans epischen Roman Contact von 1985 anspielt, der uns heute vor allem deshalb im Gedächtnis geblieben ist, weil er als einziges Buch die Mars-Rover-Mission der NASA korrekt vorhergesagt hat. Keine Ahnung, ob Big Ups mit ihrem albinesquen Sludgepunk ähnliche Ambitionen verfolgen, aber wenn auch nur die Hälfte ihrer wütenden Weltuntergangsprophezeiungen eintritt, stehen uns definitiv ein paar aufregende Jahre bevor.
T. ERROR COPTER

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