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Norwegens Musikszene kann mehr als Black Metal

Wir sagen nicht, dass sie das nicht gut können, nur, dass sich auch ein genauerer Blick auf die Newcomer-Szene lohnt.

Trondheim Calling 2014/Foto: Thang Dai.

Die ersten Assoziationen, die Norwegens Musikszene hervorruft, sind wohl Black Metal und Deathcore, im größeren Bild—also Skandinavien—schießen einem dann ein großer Haufen junger Indiebands in den Kopf, deren skandinavische Herkunft in der Szene oft als Referenz gilt. Auch wenn es niemand zugeben möchte, Klischees stimmen in 90 Prozent der Fälle und auch in Norwegen ist mehr als ein Fünkchen Wahrheit an diesen Vermutungen. Doch Norwegens Musikszene hat viel mehr zu bieten und auch Leute, die nicht auf Corpse Paint und enge Hosen stehen, finden hier mit Sicherheit einige Perlen. Letztes Wochenende hat sich die Musikszene Norwegens auf dem Trondheim Calling Festival in—ja genau—Trondheim von seiner Newcomer-Seite gezeigt. Ob gesignt oder nicht, bekannt oder unbekannt, gebucht oder debütlos, an diesem Wochenende hat sich Norwegens Musikszene an der Küste versammelt.

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Das Trondheim Calling, das dieses Jahr zum vierten Mal stattgefunden hat, ist ein Showcase-Festival in der nach Oslo und Bergen drittgrößten Stadt Norwegens und lädt die vielversprechendsten Newcomer des Landes ein, damit sie ihrem Land zeigen können, wie es gerade um den Export steht. Auch wenn wir dieses Jahr als internationaler Störfaktor dort aufgekeuzt sind, ist das Festival insgesamt sehr national, norwegisch und familiär. Besonders letztere Eigenschaft ist ohnehin ein Charakterzug, der nicht nur auf das Festival, sondern wohl auf die ganze Musikszene dort zutrifft. Einar Stray, eine der Newcomerbands auf dem Trondheim Calling, die schon vor längerer Zeit auch in die deutsche Musikszene importiert wurden und inzwischen auf dem Berliner Label Sinnbus gesignt sind, erzählen uns vor Ort ein weiteres Vorurteil, das Norweger erfüllen: „Es gibt dieses Klischee, das jeder bei jedem in der Band spielt und irgendwie stimmt das auch … Die Szene ist sehr klein. Wir kennen immer mindestens eine Person in einer Band, wir spielen alle irgendwie zusammen.“

Einar Stray aus Oslo

Jeder kennt jeden und jeder macht es mal mit jedem, was allerdings nicht bedeutet, dass ein langweiliger Einheitsbrei entsteht, im Gegenteil: Die Musiker lassen sich voneinander inspirieren, lernen voneinander und machen in der anderen Band ihr eigenes Ding. Deswegen gab es auf dem Trondheim Calling von atmosphärischen Postrock wie Línt, über experimentellen Pop wie Broen bis zu dreampoppige Electronica wie Intertwine—und natürlich Black Metal—eigentlich alles, was ein Radiosender spielen sollte, wenn er nicht im Format-Gefängnis stecken würde.

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Dass die Szene für junge Bands hier so fruchtbar ist, liegt allerdings nicht nur an dem norwegischen Newcomer-Gangbang beim Trondheim Calling (wobei wir an dieser Stelle vergessen sollten, dass wir vorhin das Wort ‚familiär‘ benutzt haben). In Norwegen hat Musik und Kultur einen höheren Stellenwert als beispielsweise in Deutschland und es gibt nicht wenige Förderungen für junge Bands, die dabei helfen, Festivals wie dieses auf die Beine zu stellen und die Bands im nächsten Schritt exportfertig zu machen. „Die Musikszene ist in den letzten Jahren um einiges gewachsen und hat sich verbreitet“, sagen Einar Stray. „Alle unterstützen sich gegenseitig, die Musikszene ist sehr positiv, alle jubeln einander zu und keiner fährt die Ellenbogen aus.“

Línt aus Bergen

Bei all der Heiterkeit kommen wir noch mal zu den Klischees zurück: Oft heißt es, die Bewohner des dünn besiedelten Landes, das zudem in Teilen und zu Zeiten ohne Sonnenlicht auskommen muss, seien depressiv und deprimiert. Obwohl sich das wenigstens in der Musik durchweg positiv äußern würde, sind die Norweger natürlich kein trauriges und depressives Völkchen. Während die Clubszene nördlich von Trondheim dank der Dunkelheit besonders boomt und Städte wie Tromsø Produzenten wie Röyksopp hervorgebracht haben, können sich alle anderen (wenn betroffen) aus der Dunkelheit und Atmosphäre Inspiration für ihre Musik suchen. „Irgendwas muss man ja in der Dunkelheit tun“, sagen Einar Stray.

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Klischees sind eben nicht immer schlecht und vollkommen aus der Luft gegriffen. Solange alle so inspiriert bleiben und fleißig ihre Klischees erfüllen, wird der Stempel „norwegischer Export“ auch weiterhin eine Referenz in der Musikszene bleiben—egal ob im Black Metal oder in der Indieszene.

Intertwine aus Trondheim

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