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Interviews

„Oh mein Gott, wir sind im Hass-Modus“—The Drums im Interview

In unserem Gespräch reden The Drums so frei von der Leber weg, dass sie aus Versehen in ihren Hass-Modus rutschen.

Foto: Minor Records

2011 wurde Portamento, das zweite Album der New Yorker Indie-Pop-Band The Drums veröffentlicht. In den folgenden drei Jahren haben sie zwei Mitglieder verloren, mussten eine Pause einlegen, standen kurz vor dem Aus, rafften sich zusammen und schrieben schließlich ihr wichtigstes Album Encyclopedia. Die schwere Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Die beiden Gründungsmitglieder Jonathan und Jacob sind durch ihre Strand-Hymne „Let's Go Surfing“ berühmt geworden, inzwischen können sie nicht einmal mehr nachvollziehen, warum ihre Gastmusiker so viel Spaß daran haben, diesen Song zu spielen.

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Ich treffe die Beiden in einem Berliner Hotel. Ihr neues Album steht kurz vor dem Release, eine lange Tour steht an. Eigentlich müssten sie also im Moment recht glücklich sein. Tatsächlich sind sie nach einem langen Interview-Tag überraschend offen. Während Jonathan frei von der Leber weg redet, gibt Jacob immer wieder einen bissigen Kommentar oder murmelt Sätze vor sich hin. Dann lachen sie beide und sehen dabei aus wie zwei Häftlinge vor der Hinrichtung. Doch je länger das Interview andauert, desto frustrierter wirken sie.

Noisey: Nach einer längeren Pause werdet ihr bald euer neues Album veröffentlichen. Welche Reaktionen erwartet ihr?
Jonathan: Wie haben keinen Plan. Ich glaube, das Album könnte unser polarisierendstes werden. Es trifft Leute auf unterschiedliche Art. Uns ist nur wichtig, dass wir in 30 Jahren zurückschauen können und stolz darauf sind oder uns wenigstens nicht dafür umbringen möchten. Wenn wir ein Album veröffentlichen, wissen wir, dass es zu der Zeit kein Album geben wird, dass wir lieber releast hätten. Jeder Song auf dem Album ist zielgerichtet, reflektiert und durchdacht. Das ist mehr, als wir von den letzten beiden Alben sagen können (lacht). Sie haben ihrem Zweck gedient und wurden in sehr kurzer Zeit aufgenommen. Jacob und ich sind nur zwei Jungs, die schon immer diese Ideen hatten, wie wir Musik machen wollen. Aber bis jetzt hatten wir nicht die Zeit, tief genug zu graben, um sie umzusetzen. Encyclypedia ist genau das, was wir wollen.

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Was ja sehr positiv ist.
Ja, für uns schon, noch ist es ja nicht draußen (lacht). Normalerweise ist es ja so: Wenn jeder etwas mag, ist es meistens schlecht.

Denkst du?
Ja. (lacht)

Wie war es denn, die Songs nur zu zweit zu schreiben?
Als wir The Drums 2009 gegründet haben, waren wir ja auch zu zweit, bis 2010. Dann mussten wir live spielen und deswegen neue Mitglieder aufnehmen. In den letzten Jahren haben Adam und Connor die Band verlassen. Wieder zu zweit zu sein, war am Anfang sehr beängstigend, aber ich weiß gar nicht warum. Wir beiden haben eh immer die Musik geschrieben. Ich glaube, es war bloß dieses Gefühl, zum Sterben zurückgelassen zu werden. Irgendwann hat es Klick gemacht und wir haben erkannt, dass es das ultimative Geschenk war. Wir konnten in Ruhe das perfekte Album schreiben.

In einem Interview habt ihr gesagt, dass ihr bei den Arbeiten an einem neuen Albums nur eure eigene Musik hört. Genügt das als Inspirationsquelle?
Wir hören genug Musik, um zu verstehen, was Musik ist, wie große Chöre und schöne Melodien klingen. Wenn du also die Grundidee von Musik kapiert hast, musst du nicht mehr anderes Zeug hören, um inspiriert zu werden. Ich will nicht in die Geschichte eingehen, weil ich wie die neuen The Smiths klinge. Jeder will uns zu den neuen Dingsbums machen. Dann gab es ein französisches Magazin, die gesagt haben: „Ganz ehrlich, wir können keinen einzigen Einfluss ausmachen. Wir wissen nicht, womit wir es vergleichen können.“ Sie waren fast frustriert. Ich dachte mir, dass es das größte Kompliment war. The Drums sollen wie The Drums klingen und irgendwann soll jemand zu einer Band sagen: „Ihr klingt wie die neuen The Drums“ (lacht). Bei unserer ersten EP haben wir auf einem Feld irgendwo in Florida gelebt. Wir waren komplett von der Außenwelt abgeschnitten und haben Songs geschrieben. Nach dem Release hatte plötzlich jede Band das Wort „Beach“ in ihrem Namen und haben über Wellen und Surfing gesungen. Ich will nicht sagen, dass das komplett von uns losgetreten wurde, es ist nur ein Beispiel dafür, völlig losgelöst etwas zu kreieren und damit andere zu beeinflussen… Ich klinge wie ein Arschloch (lacht).
Jacob: Nein, wenn du mit deiner Band ein Album aufnimmst, verstehe ich nicht, warum du wie eine andere Band klingen wollen würdest. Du kannst ja von allem Möglichen inspiriert werden, zum Beispiel einer Melodie aus einer Oper oder einem Bild, welches deine Kreativität anregt. Das macht dich als Band interessanter.
Jonathan: Wie hatten nie einen Song, der mit Absicht durch eine andere Band inspiriert wurde.

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Ihr habt das Video zu „Magic Mountain“ der Schauspiellegende Elisabeth Taylor gewidmet. Sind Filme auch Quelle eurer Inspiration?
Absolut. Kennst du In einem Land vor unserer Zeit?

Na klar, Littlefoot!
Das war zum Beispiel ein großer Einfluss bei dem Album (lacht). Was ist besser als Filme?
Jacob: Yeah, Filme.
Jonathan: Ist schon lustig, wir reden die ganze Zeit darüber, zu flüchten. Durch Filme, Musik, was-auch-immer. Aber wir haben auch den Anspruch, Songs zu schreiben, die mehr als nur zur Flucht dienen sollen. Wir möchten dieses verträumte, cineastische Element haben, aber es muss immer durch Lyrics übers Hände-abhacken geerdet werden (lacht).

Als ihr das Album angekündigt hattet, meintet ihr, dass ihr euch wütend, traurig und einsam gefühlt hattet. Woher kamen diese negativen Emotionen?
Weil uns eben unsere Bandmitglieder verlassen hatten und alles so schwierig war. Es gab noch weitere Dinge… Leute sind einfach aus unserem Leben verschwunden. Dann hast du dich gefragt, was mit dir selbst falsch läuft. Dein Selbstwertgefühl geht in den Keller. So viele Kinder sehen auf uns hinauf und denken, dass wir cool sind, aber unsere Selbstachtung geht ständig rauf und runter.
Jacob: Zusammengehalten wird es durch…
Jonathan: Scotch Tape, Bandagen, Spucke.
Jacob: Kaugummi (beide lachen).
Jonathan: Das war also wirklich schwierig. Ich glaube, das hat viel mit dem anfänglichen Hype zu tun. Es war so verrückt, dass wir nicht mal wussten, wie verrückt es war. Wir waren ziemlich verwundbar und viele Leute haben sich an uns rangehangen. Während du auf Tour bist und Alben veröffentlichst, will jeder in deiner Nähe sein. Ich war damals viel gastfreundlicher: „Ja sicher, es ist Platz für alle!“ Aber sobald du von der Tour nach Hause kommst und jeder weiß, dass es ein paar Jahre dauern wird, bis das nächste Album kommt, verschwindet jeder einfach. Das war wirklich hart. Ich komme aus einer Familie, die keine großen Bindungen oder Sicherheit hatte. Deswegen waren diese Leute mein Ersatz, der dann über Nacht verschwand. Ich fühlte mich, als wäre ich ein unerwünschtes Nichts… also ja, das ist der Grund. Jacob ist da immer weniger dramatisch (lacht). Er lässt mich meinen Song singen.

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Im Kontrast dazu ist der Song „Magic Mountain“ ein sehr positiver Song. War es ein Statement, ihn als erste Single zu veröffentlichen?
Der Song ist sehr verwegen, aber zur gleichen Zeit auch sehr beschützend. Es geht darum, das Gute in deinem Leben zu beschützen und das Böse zu bekämpfen. Wir mussten ihn einfach schreiben, um endlich nach vorne blicken zu können. Wir waren wütend und angepisst und wollten, dass die Leute diese Nachricht verstehen. Wir sind beide schwul, aber wir wollten stark wirken, denn das sind wir.

Ihr habt 2013 eine Pause eingelegt und nur einzelne Konzerte gespielt. Tat es gut, eine Weile vom Musikzirkus fernzubleiben?
Es war sehr heilend und zurzeit verbrauchen wir das alles wieder (lacht). Ich fühle schon, wie die alten Narben wieder aufreißen.
Jacob: Ich auch (beide lachen).
Jonathan: Es war sehr notwendig und eine Selbstoffenbarung. Wir wollten ein besseres Album machen und haben das geschafft. Deswegen war es essentiell, sich Zeit zu nehmen, um gewisse Dinge zu machen…(lacht)… sorry, ich fühle mich, als ob ich die gleichen Sachen immer und immer wieder sage. Aber das ist mein Fehler.

Kein Problem, ihr gebt zurzeit ja auch viele Interviews.
Ja aber, das ist das beste (lacht).
Jacob: Pures Gold. Haha, danke… es gab Gerüchte über eine Auflösung. Wie habt ihr euch aufgerafft, um ein neues Album zu schreiben?
Jacob: Wir hatten das Gefühl, dass wir ein besseres Album schreiben könnten und deswegen haben wir es gemacht. Hätten wir das nicht gefühlt, hätten wir auch keine Ideen gehabt.
Jonathan: Von Anfang an haben wir gesagt, dass wir nur drei Alben veröffentlichen wollen. Jetzt ist es das dritte. Wir haben aber sicher ein viertes irgendwo in uns.
Jacob: Wir haben erst letzte Nacht übers Auflösen gesprochen.

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Wirklich?
Jacob: Alles kann passieren.
Jonathan: Zurück zum Album.
Jacob: Wir werden viele Shows spielen, das wird sehr aufregend. Es wird laut und viel Spaß machen. Das sollte keiner verpassen! (lacht).

Macht es euch immer noch Spaß, „Let’s go surfing“ zu spielen?
Jonathan: Spaß machen? Hat es das jemals? Die Live-Musiker haben Spaß daran.
Jacob: Ja, sie spielen es immer so leidenschaftlich. Ich frage mich immer, wo das herkommt.
Jonathan: Ich glaube, weil die Kids es hören wollen, deswegen drehen sie ab. Uns macht es nichts mehr aus, es live zu spielen.
Jacob: Ich bin in der Hinsicht total neutral.

Habt ihr euch denn so weit von euren Surf-Musik-Wurzeln entfernt?
Jonathan: Ich weiß nicht. Leute die darauf beharren, das wir die Gleichen bleiben sollen, verachten uns für das, was wir jetzt sind. Uns war das immer egal, wir wollten nur ein paar gute Alben schreiben. Menschen müssen immer alles labeln, um sich darauf einzustellen. Uns wurde schon jeder mögliche Bandname verliehen. Am Anfang dachten wir noch: „Nein, das sind wir nicht“ und jetzt ist es eher: „Was sind wir?“ (lacht)
Jacob: Manche haben gesagt, dass wir wie Jane’s Addiction klingen, als „Magic Mountain“ rauskam. Das zeigt nur, wie verrückt das alles ist.
Jonathan: Die Leute mögen die Band nur, weil sie berühmt ist. Das ist das Ding heutzutage, du musst bekannt sein. Wenn dich jeder kennt, musst du ja gut sein.

Klar, ein Hype beeinflusst die Hörer.
Besonders, wenn die Bandmitglieder geborene Millionäre sind.
Jacob: Sie sind immer so faszinierend mit ihrer zweidimensionalen Attitüde.
Jonathan: Oh mein Gott, wir sind im Hass-Modus. Wir müssen uns entspannen! Wir waren so positiv beim ersten Interview und jetzt ist alles beschissen (beide lachen).

Ihr könnt euch Encyclopedia bei Amazon und iTunes bestellen.

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