Foto von Nick Ares; Flickr;CC BY-SA 2.0
Nicht mal eine Minute dauert das wacklige Handy-Video. Und eigentlich zeigt es auch nichts Spektakuläres: Nur einen ziemlich berühmten und erfolgreichen Metal-Fronter, der während einer Show in Singapur ein paar nette Worte an seine Fans richtet. Er überlege sich, hierherzuziehen, sagt er. Denn seine Heimat Amerika gehe vor die Hunde, sagt er. Zu Nazi-Amerika werde es, sagt er.
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Präsident Obama nämlich, wolle den Amerikanern den Besitz von Waffen verbieten, sagt er. Und habe dafür die Massaker in einem Kino in Aurora, Colorado und in einem Sikh-Tempel in Wisconsin mit rund 20 Toten und über 50 Schwerverletzten inszeniert, er wischt sich mit dem Ärmel den Schweiss aus dem Gesicht und beginnt den nächsten Song.
Dave Mustaine halt, könnte man sagen. Die rothaarige, sich permanent ad absurdum führende Thrash Metal-Ikone, die nach einer Jugend bei den Zeugen Jehovas, dem Rumspielen mit Satanismus und dem Versumpfen im Alkohol zu Gott fand. Dave Mustaine ist bekannt für solche Aussagen.
Ob auf Platten wie „Endgame“ oder „Thirteen“ oder in Interviews mit dem US-Radio-Hetzer Alex Jones, Held aller Verschwörungstheoretiker: Obama sei in Kenya geboren und ein Moslem, die amerikanische Gesundheitsbehörde bereite sich auf eine Seuche vor und natürlich war 9/11 ein Inside-Job.
Foto von Florian Stangl; Flickr; CC BY 2.0
Das Traurige daran aber ist, dass Mustaine mit solchen Aussagen nicht allein im Metal-Zirkus ist. Bei weitem nicht: Iced Earth’s Jon Schaffer bewundert die Schweizer für ihren Waffenbesitz. Er bereitet sich darauf vor, die US-Regierung mit den Flinten aus seinem Bürgerkriegsdevotionalien-Laden zu stürzen und hat mit Sons Of Liberty auch schon den passenden Power Metal-Soundtrack für den Umsturz geschrieben.
Ob ihm das gegen die ausserirdischen Echsen wirklich helfen würde, wie sie Al Jourgensen von den Industrial-Helden Ministry im Fake-Körper von George Bush vermutete? Da lässt man die Welt doch lieber hinter sich und macht sich mit Peter Tägtgren, Fronter der schwedischen Death Metaller Hypocrisy, mit den Aliens von Roswell auf ins Weltall.
Zugegeben: Wenn Macklemore als raffgierige Juden-Karikatur, wie sie auch der Stürmer hätte abbilden können, auftritt und Xavier Naidoo sich mit den Montagsmahnwachen solidarisiert, müssen manche Verschwörungstheorien schon beinahe als Popkultur bezeichnet werden.
Dennoch scheint die Metal-Szene, einen besonders fruchtbaren Boden für ebensolche Theorien zu bilden. Das zeigen die Beispiele oben und das weiss ich auch nach ein paar Klicks in einschlägigen Foren oder nur schon durch den Blick auf die Posts einiger meiner headbangenden Facebook-Freunde.
Foto von Matthewjs007; Flickr; CC BY 2.0
Warum zur Hölle ist das so? Warum bereitet gerade ein Genre, das aus den gegen Kriege, Vorurteile und für gesellschaftliche Öffnung einstehenden Bewegungen der 60ern und 70ern entstanden ist, den Nährboden für obskure Theorien, die am Ende meist darauf hinauslaufen, dass eine beliebige Bevölkerungsgruppe (Politiker, „Multi-Kulti-Gender-Mainstreamer“, Sozialschmarotzer, EU- und UNO-Diktatoren und natürlich die Juden) Schuld am Übel in der Welt ist?
Meine These: Gerade deshalb. Wenn Metal nämlich überhaupt eine politische Komponente besitzt, dann ist es eine ziemlich simple: Anders sein. Frei sein. Und Aufbegeheren gegen all das, was dich daran hindert.
Eigentlich tun ja auch die Verschwörungstheoretiker nichts anderes. In der Paranoia davor, von den Mächtigen geknechtet und versklavt zu werden, verurteilen sie die „gleichgeschaltete Systempresse“ und betrachten jegliche (über-)staatliche Kontrolle als Vorstufe zur (Welt-)Diktatur.
Foto von bootz; Flickr; CC BY-SA 2.0
Früher waren da die Feinbilder noch klar: Kirche, Staat, verkappte Moralvorstellungen, eigene Eltern. Gegen all das begehrte Metal auf. Mit Rebellion und mit Nihilismus, etwa mit dem Satan auf dem Plattencover und Gewalt in den Lyrics. Die Reaktion darauf war passend: Hysterische Verteufelung. Man erinnere sich an die nazi-mässigen öffentlichen Plattenverbrennungen.
Noch in den 90ern und Nullerjahren war das so, etwa wenn für ein Schulmassaker Marilyn Manson (Columbine) oder Rammstein (Erfurt) verantwortlich gemacht wurden und auch ich erntete mit umgedrehten Pentagrammen als 15-jähriger Teenie noch skeptische Blicke.
Foto von usnavy; Flickr; CC BY 2.0
Bis vor kurzem war der Heavy Metal der Buhmann, der Unruhestifter der Kultur. Und er gefiel sich in dieser Rolle, entwickelte vielleicht gerade deshalb immer extremere Sounds und Subkulturen wie Black Metal oder Grindcore.
Gleichzeitig empfand er sich aber auch ungerecht behandelt, abgestempelt und ausgegrenzt: Die Massenmedien, Radios, Zeitungen etc. berichteten gar nicht oder wenn, dann abschätzig und reisserisch über die Szene und dem Metal blieb nichts anderes übrig, als dem Mainstream zu misstrauen und sich seine eigenen kleinen Medien zu schaffen. Heavy Metal war nicht mehr nur der Unruhestifter, sondern fühlte sich gleichzeitig auch als Mobbing-Opfer unter den Musikstilen.
Und noch ein weiteres Problem folgte: Die klassischen Tabus fielen. Heute sind Popsternchen wie Miley Cirus längst lasziver, ist Justin Bieber exzessiver, sind Gangsta-Rapper sowieso brutaler, als es Metalbands je waren. Auch blutbeschmierte Black Metaller mit aufgespiessten Schweineköpfen versetzen im Zeithalter, in denen Islamisten Enthauptungen auf Youtube stellen, keinen mehr in Panik.
Foto von digitalartberlin; Flickr; CC BY-ND 2.0
Heutzutage hat Metal seine frühere Sprengkraft, sein früheres Irritationspotenzial verloren. Zehntausende feiern Ex-Bürgerschrecke wie Slayer oder eben auch Megadeth ab, während die wirklich harten Kerle im Underground ignoriert werden. Wer in einer immer liberaleren Gesellschaft noch schocken will, macht die Umkehrbewegung: Er setzt sich ein für Waffenbesitz, applaudiert Putin oder vermutet hinter jedem umfallenden Sack Urdinkel die jüdische Weltverschwörung.