Vor wenigen Tagen lief die allerletzte Folge von Girls, Lena Dunhams Serie, die du entweder liebend gern gehasst oder nie gesehen hast. Ein passender Zeitpunkt, den größten Schwachpunkt der Serie zu nennen: der schlimme und irreführende Name. Eine Show namens Girls, in der es um vier weiße Mädels geht. Wieso?
Dank des Namens machen wir alle die gleiche falsche Annahme: Girls ist ein Versuch, die verschiedenen Erlebnisse und Erfahrungen von Single-Millennial-Frauen darzustellen. Das Scheitern ist damit vorprogrammiert. Wie schon viel qualifiziertere Menschen vor mir gesagt haben: Eine Serie, in der sich alles um vier unglaublich weiße Menschen in New York dreht, hat mit Realismus nicht viel am Hut.
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Rückblickend nervt an der Namenssache vor allem, dass es bei Girls nie um faktische Genauigkeit geht. Die Serie funktioniert nicht als realistisches Drama über das Dasein als Frau im Big Apple, weil sie keins ist. Eigentlich will sie im Comedy-Genre angesiedelt werden – eine satirische Abhandlung über das Leben einer privilegierten US-Amerikanerin aus der Mittelklasse. In dieser Hinsicht ist das Ganze große Kunst. Komischer- und traurigerweise sehen wir Girls aber nie als das an.
Als junge, weiße Frau mit abgeschlossenem Studium und mehreren Freundinnen falle ich in die Girls-Zielgruppe. Lena Dunham hat wahrscheinlich ein Bild von einer mir sehr ähnlichen Frau irgendwo in ihrem Büro an ein Moodboard gepinnt – neben Taylor-Swift-Lyrics und ein paar Heilkristallen. Also ja, ich bin ein Fan der Serie. Aber nicht, weil ich ihre Existenz als bahnbrechenden feministischen Erfolg ansehe (das ist sie nicht) oder weil es mich frustriert, dass Dunham immer genauer unter die Lupe genommen wurde als irgendein männlicher Showrunner. Ich glaube, mir gefiel Girls anfangs, weil die Serie meine Erfahrungen in dieser Welt darzustellen schien. Mit der Zeit gefiel mir dann aber, dass Girls versteht, wie beschränkt diese Erfahrungen sind.
Girls ist eine gnadenlose und sehr witzige Abrechnung mit der weißen, jungen Frau. Der ironische Ton wird direkt in der ersten Episode etabliert – ein ikonoklastisches Stück Fernsehen, das man sich auch heute nach all den Jahren immer wieder anschauen kann. Jeder Satz sitzt und wie bei vielen Folgen der insgesamt sechs Staffeln sind die Dialoge zum Schreien komisch. Wir lernen Hannah “Stimme ihrer Generation” Horvath und ihre drei ebenfalls unreifen Freundinnen kennen. Und dann ist da noch ihr Quasi-Freund Adam, eine übertriebene Karikatur des Künstlertyps, der so creepy und schlimm ist, dass auch du selbstzerstörerisch sein und mit ihm schlafen würdest.
Falls du dich auf irgendeine Art und Weise in den Protagonistinnen wiederfindest, dann musst du lachen, weil sie deine schlimmsten Charakterzüge darstellen. Aber selbst wenn du dich nicht mit Hannah & Co. identifizieren kannst, dann sorgt das ganze Chaos immer noch für einen lustigen Fernsehabend. In der Serie müssen die Hauptfiguren ständig ordentlich einstecken und sie haben es fast jedes Mal verdient. Wobei das alles gar nicht so schlimm ist, selbst nach sechsjährigem Dasein in Brooklyn inklusive endloser Gespräche über die eigenen Unsicherheiten und Harntraktinfektionen.
Problematische Kunst als Satire zu verteidigen, ist ein schmaler Grat. Es stimmt, dass Girls mehr als nur Comedy sein will. Die Serie begibt sich auch in Drama-Gewässer – und das mit unterschiedlichem Erfolg. Es gibt zum Beispiel fast schon schmerzhaft minimalistisch produzierte Folgen, die im schlimmsten Fall wirken wie direkt aus einem Erstsemester-Kurs für kreatives Schreiben. Musste Hannah wirklich mit dem Arzt schlafen? Nein.
Allerdings sind nur wenige TV-Serien so experimentierfreudig wie Girls. In der vorletzten Staffel zahlt sich diese Risikofreude in Form von filmähnlichen Folgen aus, in denen es vorrangig um die Erfahrungen einzelner Charaktere geht. Das wirkt wie eine amerikanische Version von Skins – halt bloß mit Mittzwanzigern anstatt Teenagern. Schon damals war den Machern der Serie klar, dass die Sex and the City-Millennial-Parodie-Masche irgendwann an ihre Grenzen stößt. Anstatt jedoch aufzugeben, schlug Girls neue, interessante Wege ein.
Der Nachteil: Girls ist nie wirklich in der Lage, die eigenen Handlungsfäden fortzuspinnen. Und auch mit New York wird die Serie nie wirklich warm. Einige der besten Folgen spielen an anderen Orten. Das ist allerdings nicht wichtig, weil die Szenen mit so viel Liebe zum Detail gespielt werden, dass sie trotzdem funktionieren. Wichtig sind die Dialoge: Der Erzählstrang macht Sprünge, aber die One-Liner brennen sich für immer ins Gedächtnis ein.
Es war gleichzeitig umwerfend und komisch zu beobachten, wie die Girls-Macher langsam keine Ficks mehr gaben. Wahrscheinlich gingen ihnen die unnachgiebigen Online-Artikel über Lena Dunhams Körperfett und Twitter-Account auf die Nerven. Trotz immer persönlicherer Kritik behielt Dunham einen kühlen Kopf und lotete die Grenzen immer wieder neu aus. In der letzten (und besten) Staffel – eine clevere Spiegelung der ersten – sind die Charaktere dann so unsympathisch wie noch nie zuvor.
Ganz am Ende besteht Girls tatsächlich nur noch aus seinen beiden furchtbarsten Protagonistinnen. Im (beeindruckenden) Finale der Marnie-und-Hannah-Show kommen die anderen Mädels gar nicht mehr vor. Marnie hat es sechs Jahre lang nicht geschafft, auch nur einen ihrer persönlichen Makel zu korrigieren. Und Hannah wird klar, dass ihre spontane Entscheidung, allein ein Baby großzuziehen, auch Konsequenzen nach sich zieht. Williams und Dunham liefern eine phänomenale Performance ab und übertrumpfen sich gegenseitig mit perfektem Timing. Mit ihren Selfies und Tracy-Chapman-Gesangseinlagen überzeugt Williams sogar mehr als ihre Gegenspielerin und hebt das Konzept der unsympathischen Protagonistin damit auf ein ganz neues Level.
Wer Girls aufgrund des fehlenden Realismus kritisiert, versteht nicht, worum es eigentlich geht. Wen interessiert es, ob sich Hannah ihre hübsche Wohnung in New York als freiberufliche Autorin wirklich leisten kann? Und ist es wirklich wichtig, ob sie ohne Master wirklich einen Job bekommt? Sie ist nicht Carrie Bradshaw. Wir sollen sie weder richtig ernst nehmen noch neidisch auf ihr Leben sein. Ihre Fähigkeit, allein durch dubiosen Charme über die Runden zu kommen, ist der Grund, warum man ihr so gerne zuschaut.
Seit sechs Jahren ist es OK, gegen Girls zu wettern und die Serie als HBO-Experiment, sinnlosen Sex and the City-Abklatsch oder fehlgeschlagene Darstellung des intersektionalen Feminismus abzutun. Es ist witzig, dass wohl auch die jungen Frauen aus Girls die Serie verreißen würden. Und das aus den gleichen Gründen wie die Zuschauer. Sie sind ja auch liberale Künstlerinnen und so stark sensibilisiert und selbstreflektiert, dass sie letztendlich wieder beim Rassismus ankommen – ein Schema, das in der Zwischenzeit von Broad City perfektioniert wurde. Vielleicht ist Broad City als offensichtlichere Comedy-Serie witziger als Girls, aber ohne Lena Dunhams Schöpfung wäre sie wohl niemals so erfolgreich geworden.
Trotz der Millionen Artikel zu Girls bin ich überzeugt davon, dass niemand die Serie wirklich verstanden hat. Und sechs Jahre nach der Premiere scheint es fast schon zu spät, sich die Wahrheit einzugestehen: Lena Dunham wusste genau, was sie da tat. Den Charakteren in Girls fehlt es vielleicht an Selbsterkenntnis, aber nicht so den Serien-Schöpfern.