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Interviews

Parkway Drives Wut ist eine Antwort auf all die Scheiße, die in der Welt abgeht

Im Interview erzählt der Sänger der Band, wie sich die Flüchtlingskrise auf ihr neues Album ausgewirkt hat.

Die australischen Metalcore-Helden Parkway Drive haben es zurzeit nicht leicht. Da touren sie mit unmenschlichen Ausdauer alle Bühnen dieser Welt ab und schreiben nebenbei ein neues Album mit dem bescheidenen Anspruch, sich in allen Bereichen selbst zu übertreffen. Und dann? Meckern die sonnengebräunten Fans, dass das neue Material viel zu soft sei, gar nicht mehr nach Parkway Drive klingt und diese Band nun wohl vollends im Mainstream abzutauchen gedenkt.

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Eine Situation, die die Kollegen von Bring Me The Horizon dank des allzu radiotauglichen Sounds ihres neuen Albums sehr gut kennen. Mit dem kleinen Unterschied, dass Parkway Drive auf IRE noch genauso beherzt durchs Outback wüten wie zur besten Waldbrand-Saison. Und genau deswegen kann es ihnen auch herzlich egal sein, dass langjährige Fans jetzt enttäuscht motzen. Spätestens nächsten Sommer werden doch eh wieder alle im Takt der neuen Songs die Luft verprügeln.

Als Parkway Drive vor ein paar Monaten am Rand von Potsdam mit dem Dreh zum „Crushed“-Video beschäftigt waren, lud mich Sänger Winston McCall in ihren Tourbus ein und drückte mir kurzerhand sein Handy und seine Kopfhörer in die Hand. Ich solle mir IRE mal in aller Ruhe anhören, danach könnten wir darüber reden. Während ich mich also halbentspannt durch die neuen Songs hörte, saß Winston mit geschlossenen Augen neben mir, um sich auszuruhen. Kein Wunder, war er doch erst vor einer Stunde aus London angereist, wo er bei einer Award-Show einen Preis abgesahnt hatte. Irgendwann war ich fertig, erwiderte sein breites Grinsen und redete mit ihm über das irritierende, erste LP-Lebenszeichen „Vice Grip“, die Wut, die ihr neues Album antreibt, den Kampf darum, sich stetig weiterzuentwickeln und die allgegenwärtige Flüchtlingskrise.

Nach „Vice Grip“ wurden die Vorwürfe echt laut, dass ihr euch dem Mainstream-Rock anbiedern wollt.
Nee (lacht). „Crushed“ hingegen geht in eine total andere Richtung, obwohl das auch kein typischer Parkway Drive-Song ist.
Ja, das war die Idee. Wir wollten den Leuten erst 80s-Metal geben und dann das. Damit die denken „WTF geht hier ab?“ Normalerweise geben wir ihnen immer genau das, was sie erwarten. Diesmal sollte es anders laufen.

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Deswegen spielt ihr bisher auch keine neuen Songs live?
Genau, wir wollen nicht, dass jemand die Songs hört, bevor das Album da ist. Es wäre wahrscheinlich schwierig für die Leute, die Songs losgelöst voneinander zu verstehen. Und wir wollen nicht, dass neue Songs dann als billige Live-Mitschnitte auf YouTube landen. Die bleiben schön bei uns.

Das Video zu „Vice Grip“ war ziemlich beeindruckend, war das dein erster Fallschirmsprung?
Nein, zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Ich habe eigentlich echt Schiss vor Höhen.

Das Konzept dazu hat mich ein bisschen an euer altes Video für „Karma“ erinnert.
Das war die Idee, wir wollten es aber noch auf die nächste Stufe bringen. Wir wussten immer, dass wir „Vice Grip“ zuerst veröffentlichen würden, weil er so anders ist und wir die Leute eben schocken wollten. Gleichzeitig ist er ziemlich fröhlich und ein Video für einen harten Song zu machen, der fröhlich ist, kann schnell cheesy wirken. Also haben wir den Text—der davon handelt, Ängste zu überwinden—wörtlich genommen und sind aus einem Flugzeug gesprungen. Was anfangs nur ein Witz war. Aber der Regisseur fand die Idee zu gut und wollte das unbedingt. Wir waren dann so: „Fuck.“ (lacht).

Und für all die Drehungen und Formationen in der Luft habt ihr keine Doubles benutzt?
Nein, wir sind neunmal gesprungen, um zu trainieren und für den Videoshoot selbst haben wir dann nochmal neun Sprünge gemacht, um diesen ganzen verrückten Kram und die Formationen zu machen. Durch den Sonnenuntergang und alles ist es echt perfekt geworden. Der Typ, der uns dabei gefilmt hat, hat auch im neuen Point Break und in xXx gefilmt. Es war krank, der ist um dich rum geflogen, als wäre er ein Jet. Eine der verrücktesten Erfahrungen überhaupt… Es ist so witzig neben Leuten zu sitzen, die das Video noch nicht kennen. Beim ersten Teil denken sie noch, dass wir einfach cool posen und den Song performen. Aber sobald die Tür aufgeht und wir springen, geben sie ein lautes „Woah!“ von sich (lacht).

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Du hast auch stark an deiner Stimme gearbeitet.
Ja, es ist verrückt. Es ist kein Pop/Rock-Gesang, es ist rau. Ich werde mit vielen Leuten darüber diskutieren müssen, ob das jetzt Clean-Gesang ist oder nicht. Wir wollten nie, dass ich wie ein Engel singe; sowas klingt immer bescheuert. Es sollte eine Weiterentwicklung sein und nicht nur zwei verschiedene Stimmen. Ich musste das ein ganzes Jahr lang erlernen, das war eine große Sache für mich.

Wir wollten keinen Parkway-Metalcore mehr machen, also mussten wir alle an uns arbeiten. Besser zu werden, bedeutete früher, noch härter und schneller zu werden, aber diesmal war das Gegenteil der Fall: Mit mussten mit weniger mehr erreichen. Früher haben wir ungefähr dreimal an Songs rumgeschrieben, diesmal kam es vor, dass es von manchen Stücken zwanzig Fassungen gab. Wir wollten sichergehen, dass wir nichts auslassen und das Bestmögliche abliefern. Manche Songs haben sich dadurch stark verändert. Als wir uns dann die alten Versionen angehört haben, waren wir so: „Yeah, hätten wir das so aufgenommen, wäre es verdammt scheiße geworden.“ (lacht).

Und woher kam dieser Ansporn?
Wir dachten, dass wir die Parkway Drive-Formel gefunden hatten. Wir haben Deep Blue und Atlas aufgenommen, weil wir genau wussten, wie wir einen Parkway Drive-Song schreiben müssen. Das konnten wir aber nicht mehr, weil es uns gelangweilt hat. Also wollten wir Sachen machen, bei denen wir nicht wussten, wie man sie macht. Wegen des Gesangs haben wir uns hingesetzt und festgestellt, dass wir keinen melodischen Gesang haben. Die Gitarren haben immer die Melodien beigesteuert. Also musste ich an mir arbeiten. Ich wollte nicht mehr der Dämon sein, der wild rumschreit, der Hörer soll die Entwicklung meines Charakters hören und verstehen, woher meine Wut kommt. Also musste ich lernen, meine Stimme zu kontrollieren. Deswegen das Gesangstraining. Mein Ziel war nie, so schön hoch zu singen, ich wollte einfach mein Instrument beherrschen.

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Wie habt ihr denn die ersten Reaktionen zu „Vice Grip“ aufgenommen?
Es kamen genau die Reaktionen, die wir erwartet hatten—eigentlich waren es sogar ziemlich gute. Als wir den Song zum ersten Mal gespielt haben, war die Reaktion des Publikums noch verhalten. Aber mit jedem weiteren Mal wurde es immer besser. Das ist der hymnischste Song der Platte. Im Kontext des Albums ist er der Fröhlichste. Wenn du dich dann richtig im Album verlierst, kannst du bei dem Track nur noch mitsingen, weil alles andere so düster klingt.

Woher kommt denn diese Düsternis?
Der Welt (lacht). Wir haben das Album IRE genannt, was so viel wie „Wut“ bedeutet. Ich bin eigentlich ein sehr fröhlicher Mensch, der Rest der Band auch, aber ich laufe nicht blind durch’s Leben. Ich denke, momentan befinden wir uns in einer ziemlich traurigen, frustrierten Zeit. Wenn du dir anschaust, was weltweit mit den Menschen, der Umwelt und der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, abgeht, ist das so traurig. Wir sind so weit entwickelt, klug und technologisch fortgeschritten und trotzdem kämpfen wir mit Hungersnöten, Rassismus, Homophobie, Sexismus und Genoziden. Wir haben die Werkzeuge, um mit Leuten auf der anderen Seite der Welt direkt zu kommunizieren und ihnen Bilder zu schicken und das nutzen Leute, um andere zu mobben. Dieser ganze Scheiß ist so frustrierend. Wir nehmen das Beste, zu dem wir im Stande sind und erreichen damit ein neues Tief. Jeder Schritt vorwärts bedeutet zwei Schritte rückwärts, weil wir unsere Errungenschaften nur dazu benutzen, um andere fertigzumachen und Dinge zu zerstören. In Deutschland erlebt man das, was du beschreibst, zurzeit vor allem durch der Flüchtlingskrise.
Ja, das Gleiche erleben wir gerade auch in Australien. Das ist so verdammt schrecklich: Wir leben auf der größten Insel der Welt und dann flieht jemand vor einem Krieg in seiner Heimat und alles,was wir tun, um ihm zu helfen, ist, dass wir ihn auf ein Boot stecken, dass ihn zu einem verdammten Gulag auf einer fernen Insel bringt und dann lassen wir ihn dort.

Ja, es scheint wirklich so, als würde man sich nicht die Frage stellen, wie man diesen Flüchtlingen helfen kann. Es geht nur darum, sie wieder loszuwerden oder sie am besten direkt daran zu hindern, überhaupt zu uns zu kommen.
Dabei wäre es doch das Wichtigste, die Probleme in deren Heimatländern zu lösen, damit es dort beispielsweise keinen Krieg mehr gibt. Macht den Konflikt doch nicht noch schlimmer! Aber bei diesem ganzen Scheiß geht es am Ende doch eh wieder nur um’s Geschäft. Ein kleiner Teil von Leuten versaut es für den sehr viel größeren Teil.

IRE erscheint am 25. September. Du kannst es bei Amazon bestellen. Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

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