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Warum hab ich mir eigentlich Kraftwerk-Tickets gekauft?

Wir denken anlässlich der Kraftwerk-Shows im Burgtheater darüber nach, ob sich Bands „nachholen“ lassen.

Foto via Facebook

Als die Wiener Festwochen vor ein paar Monaten verkündeten, dass Kraftwerk vier Abende hintereinander ihr komplettes Repertoire im Burgtheater aufführen würden, habe ich mich gefreut und mir auch gleich Karten für den Freitag (Trans Europa Express und Die Mensch-Maschine) besorgt. Wäre ich so klug gewesen, mir die Tickets von einer Vorverkaufsstelle abzuholen, anstatt morgen mit 1000 anderen Menschen an der Abendkassa Ellenbogen an Rippe stehen zu müssen, hätte ich sie vielleicht sogar fotografiert und auf Facebook gepostet, wie es etliche meiner Freunde getan haben und auch weiter tun werden. Solltet ihr Wiener sein, stellt euch darauf ein, dass euer Facebook-Feed von Neon-Lichtern und alternden Robotern dicht sein wird.

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Ich verbinde mit Kraftwerk eigentlich nicht besonders viel, geschweige denn emotionales. Die wirklich relevanten Alben erschienen alle vor meiner Geburt, und auch meine Eltern haben mich während meiner Kindheit im Rheinland nicht zu Autobahn spielen lassen. Der erste Kontakt mit der Band, an den ich mich bewusst erinnern kann, fand tatsächlich durch die Simpsons-Folge statt, in der der Klischee-Deutsche schnell nach Stuttgart muss, „um sich ein Konzert der Gruppe Kraftwerk anzuhören".

Als ich mir mit knapp 17 die erste Nerd-Brille und die passende Attitüde dazu zulegte, hatte ich dann natürlich das Gefühl, Kraftwerk nachholen zu müssen. Das Wort „nachholen" sollte man sich übrigens merken, das wird im Verlauf dieses Texts noch wichtig. Ich ging in den Status eines Menschen über, der Musik nicht nur erleben, sondern auch verstehen wollte. Diesen habe ich bis heute nicht verlassen. Ich dachte, ich müsste als angehender Nerd (und nicht zuletzt Deutscher) die Band und ihren Einfluss auf die elektronische Musik verstehen. Ich legte mir also einige Alben zu und hörte sie. Nicht besonders oft, aber wenn, dann intensiv. Ich las ein paar Texte zu Kraftwerk, glaube die Band verstanden zu haben und könnte wahrscheinlich auf einer Party auch ein halbwegs überzeugendes Impulsreferat über Kraftwerk halten. Ich höre sie auch heute noch gelegentlich und gerne.

Und doch frag ich mich jetzt, warum ich mir eigentlich zwei Karten fürs Burgtheater besorgt habe. Wirklich billig sind sie mit jeweils 45 Euro ja nicht. Nicht falsch verstehen: Ich freu mich ziemlich drauf. Aber allein die Tatsache, dass ich Kraftwerk (wie die meisten in meinem Alter, die ebenfalls hinschauen) an einem Abend „abhake", zeigt ja eigentlich, dass ich mich nicht wirklich für die Band und das, was sie mit ihren „The Catalogue"-Shows erreichen wollen, interessiere. Bei manchen mag es eine bewusste Entscheidung sein, nur zu bestimmten Alben zu gehen, bei den meisten kommt es wohl aus dem Bauch heraus.

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Alle Bands haben ihre Zeit. Jeder kann die Geschichte einer Band erzählen, die er im „richtigen" Jahr und bei dem richtigen Konzert gesehen hat. Das kann besonders früh sein, muss es aber gar nicht. Lasst euch nichts erzählen: Coldplay waren nie besser als auf ihrer A Rush Of Blood To The Head-Tour, wo sie die perfekte Mischung aus noch bestehendem Indie-Charm und beginnender Gigantomanie verkörperten (btw, für die ganz Jungen unter euch: Coldplay waren wirklich mal gut). Und jeder kann auch eine Geschichte von der Band erzählen, die er versucht hat nachholen, weil er zu ihrer Blütezeit zu jung war. Auch ich hab das etliche Male versucht. Manchmal war es ok, oft genug völlig enttäuschend. Aber immer kam ich raus mit diesem Wie-es-hätte-sein-können-Gefühl. Dem Wissen, dass man zwar am richtigen Ort, aber nicht zur richtigen Zeit da war.

Ich lasse mich zwar gerne vom Gegenteil überzeugen, bin mir aber recht sicher, dass das ungefähr auch das Gefühl sein wird, mit dem ich morgen das Burgtheater verlassen werde. Ich verstehe völlig, dass Menschen, die mit Kraftwerk aufgewachsen sind, sich wie ein Schnitzel auf die Konzerte freuen. Ich verstehe auch, dass eine Band für jemanden eine emotionale Bedeutung erlangen kann, auch wenn er nicht in ihrer Blütezeit in der Pubertät war. Ich verstehe (natürlich, haha) Menschen wie mich, die Kraftwerk mögen und sich Tickets organisiert haben, weil es eben wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, diese historische Band live zu sehen. Herrgott, ich hab sogar nichts dagegen, dass Menschen nur hingehen, um es danach auf Facebook zu posten.

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Zwei Dinge sind allerdings wichtig: Man sollte sich nicht zu viel erwarten. Bands lassen sich nicht nachholen. Und man sollte nicht auf Menschen runterblicken, die 90 Euro für die Rolling Stones bezahlen. Man macht nämlich selbst gar nicht so viel anders.

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Jonas freut sich trotzdem auf Freitag. Er ist auf Twitter. - @L4ndvogt

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