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Noisey Blog

Rock'n'Roll is dead: Ein letztes Hoch auf Lemmy Kilmister

Born to lose, lived to win, killed by death.

Foto: Justin Staple

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Nachruf auf den blutigen, besoffenen, unbezwingbaren Geist des Rock'n'Roll selbst schreiben würde. Der Gedanke an sich ist schon absurd—dass ein Jahrzehnte altes musikalisches Phänomen, das das Rückgrat eines riesigen Teils der Pop- und Underground-Kultur ausmacht, irgendwie geschwächt werden oder völlig verschwinden könnte. Das gehört in eine Tirade von Gene Simmons und nicht in die Realität. Klar, Magazine und alternde Musikerclowns verkünden gerne „Rock is dead!" und behaupten, er sei schon vor Ewigkeiten gestorben, ausgebootet vom Aufstieg des Pop oder HipHop oder was auch immer gerade gerne gehasst wird, aber sie wirkten dabei immer lächerlich. Jede denkfähige Person mit einem Ohr für anständige Riffs wusste, so lange wir Lemmy, Keith Richards, Joan Jett, Slash, Tony Iommi und die Geister von Jimi Hendrix, Wendy O. Williams und Phil Lynott haben, werden der Rock und seine vielen Bastarde, von Ska bis Death Metal, ganz sicher überdauern.

Doch am 28. Dezember 2015 ist Lemmy gestorben, und er hat den Rock'n'Roll mitgenommen.

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An einem kalten Weihnachtsabend im Jahr 1945 wurde Ian Fraser Kilmister in der englischen Industriestadt Stoke-on-Trent geboren. Sein Vater, ein Feldkaplan der britischen Luftwaffe, verließ die Mutter, als der Junge erst drei Monate alt war, womit er unwissentlich seinem Sohn die Notwendigkeit zur Selbstständigkeit und eine Abneigung gegen Religion mit auf den Lebensweg gab (wie Lemmy in seiner Autobiografie White Line Fever schrieb: „Das einzig Interessante an Religion ist, wie viele Menschen sie schon massakriert hat.") Ian, der von seinen Schulkameraden den Spitznamen Lemmy bekam, verbrachte den Großteil seiner Jugend in Wales, wo er Gelegenheitsjobs nachging, ritt und schließlich die Magie der Gitarre für sich entdeckte (diese Magie bestand vor allem darin, anziehend auf Mädchen zu wirken). Als er mit 16 dann die Beatles im Cavern Club spielen sah, war sein Schicksal besiegelt.

Lemmys erste paar Bands (The Rainmakers und The Motown Sect) schafften es nie besonders weit, doch 1965 wendete sich das Blatt. In diesem Jahr trat Lemmy nämlich der Band The Rockin' Vicars bei, die einen Plattenvertrag bekam, ein paar Singles veröffentlichte und auf Europatournee ging (womit sie auch zur ersten britischen Band wurde, die in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien spielte). Auf dieser wilden Reise kam Lemmy das erste Mal in den Genuss des Rock'n'Roll-Lebensstils, und die nächsten Jahre war er sehr umtriebig. Mit den Vicars kam er nach Manchester, zwei Jahre darauf zog er nach London, wo er als Roadie für Jimi Hendrix arbeitete, ein paar weiteren Bands beitrat und schließlich ab 1971 für die Spacerock-Weirdos Hawkwind Bass spielte und sang. Vier Jahre später endete Lemmys Zeit bei Hawkwind, als er aus der Band flog, weil er, wie er sagte, „die falschen Drogen nahm". Er hatte zu dieser Zeit bereits seinen legendären Appetit für Amphetamine, was nicht zum psychedelischen Vibe von Hawkwind passte (seine Festnahme 1975 an der Grenze zwischen den USA und Kanada war vermutlich auch kein Pluspunkt). So aufwühlend er damals auch war, sein Rausschmiss war vermutlich das Beste, was Lemmy jemals passiert ist—denn sofort im Anschluss gründete er eine Band, die Motörhead werden würde.

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Nach ein paar Startschwierigkeiten (und dem verworfenen Bandnamen Bastard) taten sich Lemmy, der Gitarrist „Fast" Eddie Clarke und der Drummer Phil „Philthy" Taylor zu der bekanntesten Besetzung der Band zusammen und veränderten den Rock'n'Roll für immer. Kraft der unbestreitbaren Macht schneller Riffs, schwarzer Lederkleidung und einer rotzigen Attitüde sondergleichen verwischten Motörhead die Grenzen zwischen den noch jungen Genres des Heavy Metal und Punk auf eine Art, wie es vor ihnen noch keine Band getan hatte. Motörhead schrieben nicht einfach Songs, sie schrieben Hymnen. „Ace of Spades" ist einer der bekanntesten Rocksongs der Geschichte, und dann sind da noch Klassiker wie „Overkill", „Iron Fist", „Born to Raise Hell", „The Chase Is Better Than the Catch", „Killed by Death" und so viele mehr.

Es wäre ermüdend, alle Leistungen der Band aufzuzählen, oder jedes ihrer circa 40 Alben zu erwähnen; wenn du Rock'n'Roll, Heavy Metal oder Punk hörst, dann kennst du sie bereits und weißt, dass sie der Hammer sind. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Motörhead eine der einflussreichsten und ikonischsten Rockbands aller Zeiten ist, und Lemmy—der Leder tragende Koloss, der zwinkernd und knurrend vorne auf der Bühne steht—machte einen riesigen Teil ihrer Anziehungskraft aus. Die Stimme, die Attitüde, der Bart, der Hut, die Stiefel, die Flasche—niemand sah cooler aus als Lemmy. Er war ein Bad Motherfucker mit einem Herzen aus Gold, und man wusste bei seinem bloßen Anblick schon, dass er für drei gelebt hat, vor allem für einen rauflustigen Burschen aus der englischen Grafschaft Staffordshire. Er strahlte Coolness aus, doch er hatte immer Zeit, ein Autogramm zu schreiben oder für ein Foto zu posieren, wenn du ihn Backstage oder auf seinem Stammplatz in seinem Lieblingslokal in Hollywood, dem Rainbow Bar & Grill, antrafst. Ich kannte ihn nie persönlich, aber ich durfte ihm die Hand schütteln und ein Foto mit ihm machen, und es bedeutete mir wirklich die Welt—genau wie Tausenden anderen Leuten, mit denen er gütig und bescheiden seine Zeit teilte, und für seine Freunde und Bandkollegen, mit denen er spielend, trinkend und lachend sein Leben verbrachte. Er war eine übermenschliche Figur, doch seinem eigenen Hype schenkte er nie Glauben. Er war ein Rockstar und er liebte es verdammt nochmal, ein Rockstar zu sein, doch er vergaß nie seine Wurzeln. Damit konnten sich die Leute identifizieren und dafür liebten sie ihn.

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Foto aus der Sammlung der Autorin

Wie bei jedem richtigen Rockstar gab es auch in Lemmys Leben Kontroverses. Lemmys Interesse an Geschichte, Politik und Philosophie floss in seine Texte ein, während seine heisere Stimme von Sex, Tod, Geschichte und Krieg sowie seinem unendlichen Hass auf Autoritäten erzählte. Interviews mit ihm sind oft durchzogen von seinen beißenden Beobachtungen über die Welt, in der wir leben, und er hielt sich nie zurück, vor allem, wenn ihn jemand herausforderte oder an ihm zweifelte. Wenn man ihn nach seiner riesigen, allgemein bekannten Sammlung von Nazi-Memorabilien fragte, feuerte er unweigerlich zurück: „Meine schwarze Freundin hat kein Problem damit, also verstehe ich auch nicht, warum du eins haben solltest." In einer Doku von 2010, die seinen Namen trug, erläuterte er außerdem: „Dass ich Nazi-Sachen sammle, macht mich nicht zu einem Faschisten oder Skinhead. Ich mag einfach die Fummel. Ich mochte schon immer eine gute Uniform und in der gesamten Weltgeschichte waren es schon immer die Bösen, die am besten gekleidet waren: Napoleon, die Südstaatler, die Nazis." In einem Guardian-Interview fügte er hinzu: „Da steckt kein nationalistisches Ding dahinter. Erzähl' mir nicht, ich sei ein Nazi, nur weil ich Uniformen habe. 1967 hatte ich meine erste schwarze Freundin, und seither hatte ich noch viele weitere. Ich verstehe Rassismus einfach nicht und habe darin nie eine Option gesehen."

Trotz all des Chaos und der Kontroverse, und auch der Opfer, die er brachte—die physischen, emotionalen und geistigen Belastungen, denen ein richtiger Star ausgesetzt ist, vor allem einer, der so ein wildes, schnelles Leben führte wie er—schien Lemmy das verrückte Rock'n'Roll-Leben inklusive seiner Schattenseiten zu genießen. Außerdem hat er gesagt: „Reue gibt's bei mir nicht. Es ist sinnlos, Dinge zu bereuen. Dafür ist es zu spät. Du hast es doch schon gemacht, oder? Du hast dein Leben gelebt. Es hat keinen Sinn, dir zu wünschen, dass du es ändern könntest." Nachdem er die Liebe seines Lebens an eine Heroin-Überdosis verloren hatte, heiratete er nie und zementierte stattdessen seinen Status als Sexgott, indem er Tausende One-Night-Stands hatte. Er hatte zwei Kinder (von denen er wusste), Sean und Paul, die beide zur Welt kamen, als Lemmy ein Teenager war. Zu Sean hatte er keine Beziehung, doch mit Paul teilte er nach Jahrzehnten ohne Kontakt eine sehr enge. Seine Liebe zu Speed, Whiskey und allgemeiner Regelübertretung nahm nie ab, auch wenn er in den 90ern seinen Drogenkonsum reduzierte und seine Ärzte ihm vor Kurzem sagten, er müsse sich beim Jack Daniels mehr zurückhalten. Stattdessen trank er dann Wodka.

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Lemmy war ein Mann für die kleinen Leute, und Motörhead war die ultimative Rock'n'Roll-Band der Arbeiterklasse—„No Class" hat nicht nur für seinen eingängigen Refrain den Status einer Hymne. Von Anfang an verbrachte die Kapelle mit einem Guiness-Rekord als lauteste Band der Welt den Großteil ihres Jahres im Studio oder auf Tour, wobei sie in jedem Club spielte, der sie wollte (und gleichermaßen in schäbigen Pubs und Stadien). Sie arbeiteten hart, und Lemmy weigerte sich zu kapitulieren, selbst als seine Gesundheit anfing zu versagen. Er schien immer ein wenig beleidigt, dass die Leute ihn überhaupt danach fragten, und sagte: „Ich sehe nicht ein, warum es einen Zeitpunkt geben sollte, an dem alle anderen entscheiden, dass man zu alt ist. Ich bin nicht zu alt, und bis ich nicht entscheide, dass ich zu alt bin, werde ich niemals zu fucking alt sein."

Im Laufe der vier Jahrzehnte, die Motörhead existierte, war Lemmy das einzige durchgehende Mitglied. Motörhead war schon immer Lemmy, und Lemmy lebte, atmete und blutete für mehr als die Hälfte seines Lebens Motörhead. Das letzte Lineup der Band war das stabilste und langanhaltendste: Der walisische Gitarrist Phil Campbell trat 1984 bei und der schwedische Drummer Mikkey Dee kam 1992 dazu. Das letzte Album der drei, Bad Magic, erntete begeisterte Kritik und thront aus gutem Grund an der Spitze unzähliger Jahresrückblick-Listen—es war ein großartiges Rock'n'Roll-Album, und das ist 2015 schon eine Seltenheit. Die Band war dieses Jahr einfach in bester Form; trotz Lemmys gesundheitlicher Probleme sowie Campbells Krankheit powerte Motörhead durch die letzte Tour, wobei sie sogar in der Karibik ihren Motorboat Cruise abhielten (bei dem ich die Ehre hatte, dabei zu sein und hier darüber zu schreiben). 2015 war eines der erfolgreichsten Jahre in der Bandgeschichte, und es ist ein wenig tröstlich, dass das Herz und die Seele der Band mit einem Knall aus der Welt gegangen ist. Als Lemmy starb, ist Motörhead mit ihm gestorben, wie Phil Campbell in einer Mitteilung klarstellte: „Wir werden nicht mehr touren oder so. Und es wird keine Alben mehr geben. Aber das Feuer ist nicht ausgegangen, und Lemmy lebt in unser aller Herzen weiter."

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Gegen Ende seines Lebens verdichteten sich die gesundheitlichen Sorgen, Gerüchte, abgesagten Konzerten und die Fotos, auf denen er erschöpft aussah, zu einem Rauschen der Sorge um ihn. Die Medien beobachteten jeden Schritt, den seine Cowboystiefel unternahmen, und das PR-Team der Band bemühte sich nach Kräften, uns allen zu versichern, dass alles in Ordnung sei und es unserem Helden prima gehe. Für all jene, die ihn gut kannten oder die mit ihm arbeiteten, muss es noch tausendmal schlimmer gewesen, doch sie hatten vermutlich ein paar mehr Details, an denen sie sich orientieren konnten. Wir Fans hatten nur die „offiziellen Mitteilungen" und die Hoffnung.

Jeder Tag fühlte sich an wie Glücksspiel, und jedes Mal, wenn er auf die Bühne trat, ließ er die Würfel erneut fallen. Er war bis zum Ende ein Spieler—und ich würde wetten, dass er am Abend seiner tödlichen Krebsdiagnose mit einem Drink in der Hand an seinem geliebten Videopoker-Automaten im Rainbow saß; scheiß' auf die Ärzte. Bereits 1980 warnte er uns im Grunde vor, dass wir uns nichts vormachen sollten, er werde sich selbst—und uns—nicht mit Samthandschuhen anfassen, indem er die Regeln oder Empfehlungen Anderer befolgte. Die bekannteste seiner Hunderten zitierwürdigen Textzeilen sagt es uns bereits klar und deutlich: „I know I'm gonna lose and gambling's for fools, but that's the way I like it, baby, I don't wanna live forever."

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Die Vorstellung, einen Nachruf auf eine Person wie Lemmy Kilmister zu schreiben, der einst sagte, er würde gerne als „ehrbarer Mann" in Erinnerung bleiben, wobei er sofort ein Zwinkern und ein „Aber das wird wahrscheinlich nicht passieren, oder?" hinterher schickte, ist immer noch eine surreale, selbst nachdem ich ihn bereits verfasst habe. Für mich (und Millionen Andere) war Lemmy unsterblich. Immerhin sterben Legenden nie, und er ist die ultimative Rock-Legende. Er war ein Gott, aber einer, dem du immer einen ausgeben wolltest—und das Beste war zu wissen, dass man das sogar konnte, wenn man zur richtigen Zeit ins Rainbow ging und dort die richtige Ecke aufsuchte. Doch nun wird niemand von uns ihm einen ausgeben können. Einzusehen, dass er eines Tages seine sterbliche Hülle hinter sich lassen würde, war so erschreckend wie die Erkenntnis, dass mein Großvater mit seinem starken Rücken, lauten Lachen und hitzigen Temperament eines Tages dasselbe tun würde. Es schien einfach unmöglich, bevor es passierte. Wir können niemals richtig auf den Tod eines Helden gefasst sein, doch leider haben wir da nicht besonders viel mitzureden. Zwar haben wir uns in den letzten Jahren langsam an die Vorstellung gewöhnen können, dass Lemmy vielleicht doch sterblich ist, aber niemand hat wirklich geglaubt, dass das Ende nah sein könnte—bis es dann da war.

Lemmy war vor allem ein aufrichtiger und ehrbarer Mann. Das war alles, was er jemals sein wollte, und am Ende war er genau das.

Born to lose, lived to win, killed by death.

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