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Der neue Solipsismus: Was zur Hölle ist aus Indierock geworden?

Rockmusik hatte früher den Anstand, sich mit Koksen oder Groupies zu beschäftigen, nicht damit, sich um seinen Rasen zu kümmern.

Ich gebe The Hold Steady die Schuld. Ich gebe The Hold Steady die Schuld, da sie dieses ganze Durcheinander in Gang gesetzt haben, das ich den neuen Solipsismus nenne, da ich akademisch unsicher bin und das, was mich unglücklich macht, schon immer mit einem Namen versehen wollte. Ich gebe The Hold Steady die Schuld, da sie genau die Band sind, die die persönliche Erfahrung des Indierock-Hörers, passionierter Indiehörer zu sein, zentral für die Musik gemacht haben. Also nicht nur Musik zu machen, mit der sich der Hörer identifizieren kann—darum geht es bei Musik—sondern Musik zu machen, bei der es darum geht, wie viel sich der Hörer mit den Songs identifizieren kann. Ich gebe The Hold Steady die Schuld, da sie Songs über Songs geschrieben haben, darüber ein Fan zu sein, darüber, dass man sich vor langer Zeit mal als Punk oder Hardcore identifiziert hat—naja, als wir noch jung waren und uns die Sonne an der Küste von Jersey in den Nacken schien oder so—darüber ein weißer Indie-Typ aus der Mittelschicht zu sein, als wäre dies etwas, was man unbedingt dokumentieren müsse. Es ist nicht so, als wäre Rockmusik vor ihnen ein fremdes Land gewesen, das der Hörer besucht hat und dabei Fotos gemacht und übers Essen gemeckert hat und dann wieder abgehauen ist, um in sein sicheres und geliebtes Zuhause zurückzukehren. Aber ein Fan und ein „ganz normaler Typ“ zu sein, der einfach die Klänge seiner Jugend geliebt hat, wurde bist jetzt noch nie so romantisiert. Die Kritiker haben sie geliebt, da sie eine Band waren, die das Dasein als Rock-Kritiker zu etwas beinahe Heroischem gemacht haben. Die Hörer haben sie geliebt, da sie eine Art Springsteen für Besserverdiener dargestellt haben. Und jetzt ist die Indierock-Landschaft übersäht mit Musik, die die Existenz des alternden Indierockers zelebriert.

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Es ist grotesk.

Der neue Solipsismus ist ähnlich wie der alte Solipsismus (am besten verdeutlicht von den Musikern der 70er Jahre aus L.A.; jeder von ihnen war entweder mit dem Song „You’re So Vain“ gemeint oder hat sich zumindest so benommen, was sich von Toto bis Morrissey und zurück zum Hot Topic-Emo durchzog), aber findet jetzt statt. Genau jetzt. Und ich befürchte, er lässt sich nicht mehr aufhalten, weil wir uns selbst und unser unbedeutendes Dasein einfach zu sehr lieben. Indierock besitzt heutzutage nicht einmal den Anstand, sich mit Koksen oder dem Flachlegen von Groupies zu beschäftigen, während er sich selbst für seine eigene Sensibilität Komplimente macht; heutzutage geht es darum, wirklich verantwortungsbewusst zu sein und sich um seinen Rasen zu kümmern; metaphorisch und wörtlich gemeint.

Während die Mekons gesungen haben, „Zerstör dein sicheres und glückliches Leben, bevor es zu spät ist…“, scheint die Mehrheit der Indie-Landschaft—von Hold Steady bis Grizzly Bear bis Vampire Weekend bis Real Estate—heute dazu zu dienen, dem Hörer zu versichern, dass ihr sicheres und glückliches Leben wohlverdient ist und dass sie vielleicht einfach eine Autoversicherung abschließen sollten. Das ist auch nicht die Schuld der Generation Y. Ich meine, wenn du sie dafür verantwortlich machen willst, kannst du das natürlich tun. Gott weiß, dass sie anscheinend Monster sind und ich werde vor den meisten von ihnen sterben, also kann mir das ziemlich egal sein. Aber ich fürchte, dass die ungeheuerliche Selbstbeweihräucherung dieses Mal auch meine Altersgruppe betrifft; wie auch immer die Generation zwischen Babyboomern und tatsächlichen Babys genannt wird; Generation XY. Wir, die Typen, die zu alt sind, Kevin Klines Kind zu sein, aber zu jung, um vorzugeben, dass John Lennon kein Arsch war. Wir können nicht aufhören, Musik gut zu finden, die, auch wenn sie an sich gut ist, unsere schlimmsten und dümmsten Instinkte anspricht.

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Lass mich kurz abschweifen und ein paar Dinge sagen; die Dinge laufen ziemlich gut für dich, heutiger Indierock-Fan und ich bin froh darüber. Du bist kein schlechter Mensch. Du hast zweimal für Obama gestimmt, auch wenn das zweite Mal ein bisschen Überwindung gekostet hat, aber was war denn auch die Alternative? Du handelst im allgemeinen moralisch, auch wenn das bedeutet, dass du nicht aktiv böse sein kannst. Hey, ich auch. Kompromisse sind natürlich und du liebst deine Frau und deine Kinder und deine Eltern und daran ist auch nichts verkehrt; warum sollte es? Und wenn wir, du und ich, mit gewissen Privilegien auf die Welt gekommen sind, sei es die soziale Herkunft oder nur die Hautfarbe (Ich weiß, ich weiß, deine Eltern waren Bergarbeiter und niemand hat dir irgendwas geschenkt, aber du weißt schon, ein weißer Amerikaner oder Europäer zu sein, ist schon mal ein ganz guter Anfang. Ich will deine Errungenschaften nicht schmälern, indem ich das zugebe und dasselbe von dir verlange.) dann, na ja, wäre es dumm, sich das nicht zu Nutze zu machen. Was sind wir? Märtyrer? Nein, sind wir nicht. Und unsere Geschichten haben ihre Daseinsberechtigung und sind es wert, erzählt zu werden und das Leben, Lieben und die Todesangst der oberen weißen Mittelschicht ist es ebenfalls wert, dokumentiert zu werden, da unsere Geschichten ihre Berechtigung haben.

Sicher.

Rock- und Popmusik war schon immer egozentrisch. Um Teenager anzusprechen, sollte sie es auch tunlichst sein. Aber heutzutage, in einer Zeit, in der sich Teenager nicht für Rock interessieren—schon gar nicht die „Indie“-Variante—wendet sich Rockmusik, trotz allem Narzissmus, an die erbarmungslos langweiligen Lebensentwürfe, die ein Mensch treffen kann; gute Ausbildung, gutes Bier, gute Geschichten (die nur in der Vergangenheit passiert sind), gute Jobs, gutes Leben, guter Tod. Indierock ist heute wie jeder Charakter in Die Reifeprüfung.

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Vieles von meiner Verurteilung—wenn du ein im Prinzip sinnloses und merklich verbittertes Klagelied eine wirkliche Verurteilung nennen kannst—basiert zugegeben darauf, wie ich diese Bands wahrnehme. Während Vampire Weekend und Sun Kil Moon ziemlich offensichtliche Texte haben, die—zumindest bei VW—von völliger Abfeierei von Oligarchie (auch wenn es unter dem schmierigen Deckmantel der Kritik ist… nichts lässt mich so mit den Zähnen knirschen wie „Cape Cod Kwassa Kwassa“) bis zu einem Schulterklopfen für zurückgeschraubte Erwartungen, die in einer gerechten Welt einem Sixpack alkoholfreiem Bier gleichen sollten—bei Sun Kil Moon—reichen, sind Bands wie Real Estate und Grizzly Bear bei ihrer Würdigung bürgerlicher Existenz etwas subtiler. Sie sind zum neuen Solipsismus zu zählen, da sie ihre Gitarren so spielen, als hätten ihre Väter The Feelies als ihre Babysitter eingestellt—und für ihr völliges Fehlen von allem, das sie davon abhalten könnte, mein Boss zu sein. Das und die Tatsache, dass das Video der Real Estates für den Song „Talking Backwards“ aus drei Minuten und 11 Sekunden vernebelter Nostalgie für die glücklichen Tage als … na ja, als sie das Video für ihren Song „Talking Backwards“ gemacht haben, besteht. Es ist im Prinzip We’re An American Band für Leute, die zu clever sind, um jemals irgendwas zu machen, was Spaß macht. Obwohl wie bei allen dieser Bands die deutliche Präsenz von Ultimate Frisbee und/oder eines Donna Tart-Lesekreis zu spüren ist.

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Die neue Platte von Sun Kil Moon handelt hauptsächlich davon, wie es ist, ein durchschnittlicher Indiemusiker zu sein, dessen nebensächliche Sorgen hauptsächlich dazu dienen, Futter für die existenziellen Grübeleien von Mark Kozelek zu sein. Jeder schlimme Moment wird durch seine Wahrnehmung, wie er sich damit fühlt, gelesen, als würde er ohne seine Interpretation nicht existieren. Er sagt, dass er traurig ist, da es in den Songs ums traurig sein geht—weitere Songs über Songs. Kozelek sagt auch, dass kürzlich Verstorbene es verdienen, dass Kunst über sie gemacht wird, Kunst die er freundlicherweise zur Verfügung stellt. Er geht auch zu einem Konzert von The Postal Service. Mittelklassetypen wie ich lieben dieses Album, als wäre es ein Geschenk des Alternative-Himmels. All diese Ehrlichkeit wird von Leuten geschätzt, die daran interessiert sind, dass ihre gelegentliche Trauer zu einer Sache von Schönheit erhoben wird. Aber seine Eltern zu lieben und denen, die wir behaupten zu lieben, ein Denkmal zu setzen, ist kein mutiger oder radikaler Akt der Ehrlichkeit; es ist bloß selbstverständlich. In diesem Fall wird den Toten nicht die Art von Kunst zuteil, die ihnen angeblich zusteht, sondern die, die zurückbleiben, bekommen dadurch ein raffiniertes Album. Das Album von Real Estate ist John Updike im Gewand von College-Rock, dörfliche Träumereien mit gerade genug grauen Wolken, um fälschlicherweise als bedeutsam wahrgenommen zu werden.

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OK. Das ist alles nicht fair, gegenüber keinem Künstler. Ich bin ein Arsch, der Aufmerksamkeit sucht, weil Black Metal und Hardcore nicht die Zuneigung zuteil kommt, die mein immer noch jugendliches Ich dafür gerne hätte und euch, den nettesten Jungs auf der Welt, Real Estate und Mark Kozelek kann ich sagen: tatsächlich gefallen mir der Song über Son of Sam und eure AC/DC-Cover, ich entschuldige mich, verdammt nochmal. Real Estate und Sun Kil Moon (und ja, alle anderen Bands, die ich erwähnt habe) sind extrem gut in dem, was sie tun. Und sie machen sehr nette Leute sehr glücklich. Aber das ist das Problem, was ich mit ihnen habe; welchen langweiligen Lebensentwurf wir auch immer gewählt haben, Real Estate und Sun Kil Moon, die Träger von Standards im neuen Solipsismus, sind hier, um ihn mit ihren Songs zu rechtfertigen. Und ich will weder meine, noch deine Mittelklasse-Existenz gerechtfertigt wissen, ich will, dass sie niedergebrannt wird und die klägliche Erde darunter vergiftet und dass niemand ihr nachtrauert. Ich will Schande und Wut und Selbsthass, so tief, dass ich mit einem riesen Geländewagen darüber fahren kann. Ich will Hass, der so überschäumend ist, dass er nicht mit Liebe wettzumachen ist. Ich will ununterbrochen Monster. Zumindest ist es das, was ich von Bands, die ich höre, will. Ich will totale Zerstörung, keine langweilige Bestärkung.

Oder ich möchte einen netten Song, zu dem ich tanzen kann. Tanzen macht Spaß, nicht wahr?

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Zachary Lipez kämpft gegen dich oder tanzt mit dir. Er ist bei Twitter—@zacharylipez

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