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Rudis Brille: Afterhours zwischen Enge und Grauzone

So sieht es in Wien mit Afterhours aus.

Foto via Flickr | granada_turnier | CC BY 2.0

Eine Kolumne zu schreiben nach den Ereignissen von Paris war und ist nicht einfach. Zur Normalität—für manche der oberflächlich banalen Normalität—des Clubgeschehens nach den Terrorakten in Frankreich zurückzukehren mag für manche noch schwer fallen, doch stellt sich ja gerade nun die Frage, ob es nicht gerade das Ziel der „Assholes“ (John Oliver) gewesen sein mag, uns dermaßen einzuschüchtern, dass wir uns ab nun zu Hause einsperren und große Menschenansammlungen meiden. Konzerthallen und Clubs als Orte des Grauens, des Terrors—das hat uns noch gefehlt. Spätestens nun hat jeder eine Meinung zum Thema Flüchtlinge und Terrorismus, obwohl man just gerade dies jetzt nicht vermischen sollte.

Aber das Leben muss weitergehen, daher gibt es auch viele, die zur Meinung neigen: Jetzt nicht aufgeben, klein beigeben oder resignieren. Ausgehen in Paris wird sicher länger eine schwierige Sache bleiben, doch sollten die Menschen nicht auf Vergnügen verzichten, auf soziale Anbindungen, auf Musik. Spätestens das wäre ja der Anfang vom Ende. Auch wenn nun manche Acts und DJs kurzfristig nicht nach Paris wollen, sie müssen dorthin, dort auftreten und spielen, um Solidarität zu zeigen. Das eigentliche Thema meines Artikels (bevor das alles am Freitag geschah) war die Situation der Afterhours hierzulande, also jener Veranstaltungen, die nimmermüde und nimmersatte Tänzer nach durchgefeierter Nacht noch in den nächsten Tag abholt.

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Was macht eine gute Afterhour aus

Die Dunkelheit

Afters müssen finster sein, wenn die Sonne hereinscheint, regt sich automatisch schlechtes Gewissen—außer du stehst in der Panorama Bar mit 1000 druffen Italienern oder bei Sonnenaufgang am Meer. Das macht Sinn, weil es ja in Berlin ist und in Berlin heißt das ja nicht Afterhour, weil es ja gar keine Hour gibt, zu der man schließen muss. Bis auf die ganz bekannten Läden, schließen die meisten Clubs trotzdem zwischen sechs und neun Uhr morgens. In der Panoramabar ist es hell, aber das ist egal, dort spielen die besten DJs der Welt und wenn man einmal drinnen ist, geht man auch nicht mehr heim.

Foto via Flickr | Giovanni Collazo | CC BY 2.0

Die Türselektion

Wenn man in die Afterhour jeden reinlässt, dann kann das verheerende Folgen haben—es gibt eben schon seltsame Gestalten, die eine Stimmung innerhalb kürzester Zeit so zerstören können, dass auch die „guten“ Leute wegbleiben, vor allem die Frauen. Testosterongeschwängerte Muskelprotze, die einen auf aggro machen sind der Tod jeder Morgenparty, denn zumeist fehlt es dieser Spezies an der nötigen sozialen Intelligenz um studentische Jokes zu parieren—und schon kracht's.

Die Musik/DJs

Hier scheiden sich die Geister gewaltig. Hierzulande überwiegt die Meinung, auf einer Afterhour muss der Sound eher groovig-monoton sein. Fünf Ricardo Villalobos-Tracks und die richtige Mischung machen es aus, und alle tanzen sich einen weg. Kann sein, muss aber nicht, es kann auch hart und schnell sein, doch sollten die DJs zumindest schon einmal frühmorgens gespielt haben, darum sind hier internationale Fachkräfte oft sehr hilfreich.

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Die Location

Klein aber fein, das haben die Leute frühmorgens gern, man rückt zusammen, man mag Enge. Durchgerockte Plüschpuffs gehen auch, aber verlieren nach einiger Zeit ihren Reiz ob der Enge. Am besten funktionieren noch immer spezielle Locations zu besonderen Anlässen, wie Terrassen, Strände, Warehouses oder Weinkeller.

Veranstalter und Securitys

Gerade die Securitys haben bei Afterhours einen harten Job, auch hier in Wien. Hier gilt es, die richtige Mischung zu finden, ohne ständig Stress an der Tür zu haben beziehungsweise zu verursachen. Der Veranstalter sollte eine Idee haben, wie es funktionieren könnte und nicht den Eindruck erwecken, bloß die ganzen Zombies abzholen. Und natürlich sollte und muss man auch darauf achten, den Druffheitsgrad der Leute zu beschränken—das ist nicht einfach.

Ich neige dazu, einer Stadt erst die Bezeichnung „Weltstadt“ zu geben, wenn sie tatsächlich niemals schläft. In New York musste man einige Jahrzehnte lange suchen, um sich auch an einem Morgen die Zeit zu vertreiben, mittlerweile wimmelt es dort wieder von Events—auch wenn sicher nicht alle legal sind.

In Wien gab es schon seit den Neunzigern Afterpartys: Das legendäre Chattanooga war für viele der Anfang, danach ging es noch ins Rock In bis Montag, es folgten die Fledermaus, Hacienda im Volksgarten und Maxim. Wer es gern tiefer wollte ging ins Orange oder fuhr gleich in den 22. Bezirk nach Transdanubien. Heute gibt es diese Möglichkeiten nicht mehr, dafür aber folgende.

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Foto: Fredi Ferkova

Das Goodmanns

Gibt es schon ewig und noch länger. Gilt und galt als der Platz, wo fast jeden Tag noch was gehen kann, wenn nichts mehr geht. Ist man verzweifelt, gerade wieder Single oder einfach nur unersättlich—der Weg an die Wienzeile kann Probleme lösen. Man zahlt keinen Eintritt, man kann essen und die Musik im Keller ist ab und an durchaus erträglich, seit man vor einiger Zeit auch bessere DJs geholt hat, die man dann oft ganz überraschend trifft: „Was, du auch da?“ Das Publikum ist extrem gemischt, man trifft auf alles, was von der Nacht lebt—mit allen Vor- und Nachteilen. Kein Ort, an dem man immer sein möchte, aber man hat es immer im Hinterkopf, falls es länger wird.

Das Sass

Sonntagfrüh der Afterhour-Klassiker seit über zehn Jahren. Zuerst „Sunday Mornings“ dann „Morgengymnastik“, zuerst von Alecante und seinem Team betrieben, dann umgestellt auf Eigenveranstaltung. Dem einen gefiel es früher besser, dem anderen heute. Faktum ist, noch vor zwei, drei Jahren gab es teilweise oft ein furchtbares Publikum, das hat sich in jedem Fall gebessert. Musikalisch setzt man nun auf mehr Vielfalt, manchmal mehr House, dann wieder Techno, verschiedene Crews werden eingebunden—was meiner Ansicht nach dem Sonntagmorgen nicht zum Nachteil gereichte. Früher gab es auch an anderen Tagen Afters, dies wurde mittlerweile eingestellt. Man muss allerdings immer die eine „berühmte“ Stunde schließen—zwischen fünf und sechs—um das Gesetz zu erfüllen. Denn offiziell kann und darf es in einem Laden nicht durchgehen. Überhaupt, das mit der Genehmigung…

Sunday Mornings hätte nach seinem Ende im Sass in die Auslage wechseln sollen, es gab auch schon Poster und Monatsprogramm—sogar internationale DJs wurden gebucht und die Eröffnungsparty war auch sehr gut besucht, doch dann kam das Aus nach bloß einer Veranstaltung. Der Grund: Anrainerbeschwerden. Und schon wurde die Betriebsanlagengenehmigung in Frage gestellt, sollte man das Projekt weiterführen. Natürlich musste die Auslage in der Folge zurückrudern, man besserte an den neuralgischen Stellen nach und versuchte so, die Genehmigung auch für die Ausdehnung der Öffnungszeiten zu erhalten, bloß es zog sich wie ein Kaugummi. Mittlerweile ist das Projekt erst einmal auf Eis gelegt. Alecante zieht es vor, hin und wieder an wechselnden Orten zu veranstalten und sich nicht mehr darauf zu versteifen, wöchentlich Sonntagmorgen auszurücken, und der engste Kreis feiert ohnehin immer irgendwo.

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Queens Club: Morgens im Puff

Der Queens Club ist ein echtes Puff mit echten Separées und Kurtisanen und öffnet samstags und sonntags auch für Elektronikfans seine Pforten. In der gedrungen schwülen Enge des Rotlichmilieus kann man sich gerne mal verlieren, auch wenn sich oft gar seltsames Volk unter die Feieranten mischt. Für meine Begriffe etwas zu eng, um wirklich befreit abzutanzen und auch die Preise sind nicht ohne, wenngleich auch nicht am selben Level wie an normalen Abenden. Soundtechnisch eher im minimalen Bereich zu Hause, man merkt dort aber bei jedem Atemzug, dass man am Gürtel ist.

Die Grelle Forelle verlängert ab und an ebenfalls und lässt die Leute weiterfeiern. Beziehungsweise wird nach der Sperrzeitstunde wieder weitergefeiert. So etwa bei den Turbo-Events. Grundsätzlich gilt dort aber eher das Motto „Weniger ist mehr“, was Afters anlangt. Dasselbe gilt auch für die Sauna, die allerdings nach der Klubnacht samstags immer bis acht Uhr geöffnet hat. Auch der Volksgarten hat seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Einmal im Monat geht es bis acht, das war's dann, ausser es ist Life Ball oder Silvester. Die Life Ball-Afterhour (die es ja 2016 leider nicht geben wird) war vielleicht das Beste, was es diesbezüglich in Wien geben kann: schrill, voll mit den besten Leuten und unendlich lange. Aber es kann nich jeden Tag Life Ball sein. Und bis Jänner 2016 macht nun auch die Kantine länger auf. Allerdings nur sonntags und abgedunkelt. Wer sie noch nicht gesehen hat—ein paar Wochen hat man auch in der Früh die Gelegenheit dazu.

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Wie schon oben erwähnt, ist es extrem schwierig, legal länger offen zu lassen. Es bedarf spezieller Betriebsanlagengenehmigungen und Auflagen. Das Goodmanns öffnet ja erst in der Früh, das Sass profitiert davon, dass es trotz zentraler Lage sonntags keine Anrainer gibt. Am Beispiel Auslage zeigt sich schmerzvoll, dass die Beamtenschaft gepaart mit den Anrainern oft am längeren Ast sitzt.

Afterhours gelten nicht gerade als beliebt bei Beamten und Exekutive—vor allem wegen der „Ausgelassenheit“. Darum Hut ab vor allen, die es bis hierher geschafft haben. Illegale Afterpartys gibt es natürlich auch, vor allem, wenn es dann wieder wärmer wird. Doch ist es mittlerweile kein Honigschlecken erwischt zu werden und Tausende Euros an Strafe zu zahlen. Darum haben auch diese Aktivitäten stark nachgelassen. Aber hin und wieder findet sich ein Rooftop, ein leer stehendes Haus oder ein Keller, wo es noch abgeht. Streng geheim natürlich.

Zusammengefasst kann man zum Thema Afterparty und Wien sagen: Wer will, der kann, man muss aber nicht und Berlin ist ja nicht weit weg, wenn man ausflippen will. Für einige ist die beste Afterparty sowieso die zu Hause, denn irgendwann geht jedem einmal das Geld aus. Aber die Frage an einem Sonntagmorgen „Wo gemma jetzt hin?“ wird es wohl noch so lange geben, solange es Partys gibt—hoffentlich!

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