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Hardcore muss endlich aufhören, so verdammt konservativ zu sein

Wenn man sich anschaut, was Hardcore mal war und wozu er heute verkommen ist, kann man schon wütend werden.
Foto: Henrisch Laurisch | Wikipedia | CC BY-SA 3.0

Mit seinen Wurzeln im Punk wurde Hardcore geboren, um einer Wut endlich den richtigen Sound zu verpassen und dem Etablissement die Scheiße, die man aufgetischt bekommt, direkt ins Gesicht zu drücken und deutlich zu machen „Das fresse ich nicht“. Mit Shows, auf denen man sich tendenziell die Nase brechen kann, fest verankerten Werten und ausufernden Bühnenansagen hatte Hardcore eigentlich immer das Zeug dazu, ordentlich auf die Kacke zu hauen, Steine zu schmeißen und Sachen abzufackeln. Doch egal wie sehr man wie das Kreuzberg der Neunziger sein wollte, am Ende hat sich Hardcore lediglich zu einer ultrakonservativen bayrischen Kleinstadt mit 2/3-CSU-Mehrheit entwickelt.

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Ich kann jetzt schon hören, wie den ersten Hardcore-Kids der Kamm unter dem Snapback schwillt und wie sie wütend mit ihren 300 Euro teuren limited Edition Air Max über den Boden scharren. Ich bin ja bloß ein Hipster ohne Ahnung, aber das ändert sehr wenig daran, dass sich Hardcore in seinen—sagen wir mal 35 Jahren—ungefähr so beeindruckend entwickelt hat wie Mecklenburg Vorpommern nach dem Mauerfall. Dabei hat das Ganze recht vielversprechend angefangen. Klingen Alben wie The Age Of Quarrel (1986) von den Cro-Mags noch nach hingerotztem Gossenpunk, so haben es Bands wie Earth Crisis nach 1990 geschafft, den Sound hörbar nach vorn zu bringen und so die Bewegung am Leben zu erhalten. Der damaligen Entfernung vom Punk ist es zu verdanken, dass Hardcore nicht mehr nur in zwielichtigen New Yorker Hinterhofclubs stattfindet, sondern bis heute zu einer weltweiten Szene wachsen konnte. Das war seinerzeit in den Augen der Generation vor 1990 natürlich alles andere als „true“. Wir Menschen können zwar mit millimetergenauer Präzision ein Stück Blech auf einem 54.000 Km/h schnellen Felsbrocken am anderen Ende der Milchstraße landen, aber wenn es darum geht, unsere Gewohnheiten zu ändern, scheitern wir kläglich. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn meistens beschränkt sich die daraus resultierende Engstirnigkeit darauf, dass sich die alte Generation über die Enge der getragenen Hosen lustig macht und die junge Generation keinen Fick darauf gibt. Soweit der unspektakuläre Mechanismus hinter musikalischer und gesellschaftlicher Entwicklung. In der Hardcore-Szene läuft das aber alles ein wenig anders—es läuft scheiße.

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Steigst du in das Genre ein, dann lernst du als erstes von Bands und Anhängern, dass man Gruppen wie Agnostic Front, Biohazard, H2O, Sick Of It All etc. zu mögen hat und wenn nicht, man gefälligst die Fresse halten soll. Jeder normale pubertierende Teenager würde in so einer Situation einfach rebellieren, aber im Hardcore wird die Community derart glorifiziert, dass es zu einem Problem wird. Egal, ob Konzert im Keller deines Kumpels oder Show in der Großstadt, irgendein Sänger wird auf der Bühne stehen und dir pathetischen Schwachsinn über Zusammenhalt und „Wir sind eine Familie“ um die Ohren werfen. Das sind alles sehr noble Sprüche und an denen ist durchaus was dran, aber sie sorgen dafür, dass in der Szene die Community wichtiger als alles andere wird.

Auf den ersten Blick mag das nichts Schlechtes sein, jedoch hat Hardcore von Anfang an auch betont, wie wichtig Respekt sei. Damit meinte man nicht unbedingt Respekt vor anderen Menschen, sondern eher Respekt vor den Vorreitern, vor dem, was schon da war. So lässt sich erklären, dass Roger Miret von Agnostic Front 1985 homophobe Kommentare abgelassen hat, die sich heutzutage nicht mal jemand wie Lutz Bachmann trauen würde, wenn Außenstehende zuhören. Für Respekt vor anderen Menschen war im von Agnostic Front viel besungenen „Früher“ einfach kein Platz. Trotzdem wünscht man sich 2015 mit dem Song „The Old New York“ die guten alten Zeiten zurück. Und niemand hinterfragt, was denn genau früher so geil war, dafür verkauft die Band aber ohne Probleme eine Show nach der Anderen aus. Das ist der Stoff aus dem Sekten gemacht sind: Ständig beschwörst du, wie wichtig die Community ist, sodass Mitglieder der Subkultur von ihrer Gunst abhängig werden, dann schließt du alle aus, die etwas anderes, als die Vorgänger machen („Respekt“) und schon hast du eine Gruppe von Menschen, die gemeinsamem vor die U-Bahn springen, um das Ende der Welt einzuläuten oder eben die ewig die ewiggleiche Musik hervorbringen.

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Eigentlich könnte ich mein Klugscheißer-Studentensein-Gehabe auch einfach sein lassen und Metalcore hören, wenn ich so ein Problem mit dem Ganzen habe, warum also dann diese ganze Arbeit? Da meine Jugend auf dem Dorf vor allem von Deutschrap geprägt war und ich bis zum Ende meiner Teenager-Jahre glaubte, dass Hardcore irgendeine Schranzmusik aus Holland ist, die vor allem von Typen mit einer bedenklichen Vorliebe zu getunten französischen Kleinwagen und Kurzarmhemden mit Feuerabbildungen gefeiert wird, gebe ich relativ wenig auf den Community-Gedanken. Somit habe ich auch keine größeren Probleme damit, wenn Hardcore-Kids bei diesem Artikel die mit einem „X“ versehenden Hände zusammenschlagen und einfach so tun, als würde ich nicht dazugehören. Das Problem, was ich mit dieser Einstellung habe, ist eher, dass sich europäischer Hardcore so nie vom amerikanischen Vorbild emanzipieren kann, so wie es Deutschrap zum Beispiel in den letzten Jahren getan hat. Der nationale Gedanke ist mir hier herzlich egal, jedoch wird durch diesen Konservatismus abartig viel Potential verschwendet. So klingt eine zwei Jahre alte Hardcore-Band aus Mittelsachsen letztendlich wie Terror aus Kalifornien, genauso wie Expire, eine Band aus Wisconsin, auch irgendwie wie Terror klingt. Andere Dinge werden gar nicht erst versucht, oder versinken in der Bedeutungslosigkeit irgendwelcher Dorfshows. Das lässt weder Platz für musikalische Vielfalt noch für Entwicklung, was auch dafür sorgt, dass Hardcore-Kids heute ein engstirniger und elitärer Haufen geworden sind, deren Gehabe sich gut mit dem von Black-Metal-Fans vergleichen lässt. Man glorifiziert die Vergangenheit und bringt nichts Neues hervor. Eigentlich bringt man außer „Früher war alles besser“ und „Meine Freunde/Familie/Gang sind die Wichtigsten und wir müssen uns gemeinsam durchbeißen“ überhaupt nichts hervor. Aus Punks wurden Rentner mit Eigenheimen, herzlichen Glückwunsch.

Mittlerweile gibt es auch Ausnahmen. Bands die es irgendwie aus dem „Früher war alles besser“-Moloch herausgestiegen sind und zeigen, dass Hardcore immer noch die unangenehme Geschlechtskrankheit im Körper der modernen Gesellschaft sein kann. Doch egal ob wir von Nails, Code Orange oder Trap Them reden, diese Bands bleiben Randerscheinungen. Hardcore ist nicht tot, weil Typen enge Hosen und Long Tees tragen oder weil Stick To Your Guns jetzt Akustik-Songs auf ihrer Platte haben. Aber Hardcore kann sterben, wenn er einfach zu alt und unbedeutend geworden ist.

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