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Interviews

Ein Gespräch mit Macklemore über kulturelle Aneignung und die Verantwortung von Codein-Fan Money Boy

„Lil Wayne war der beste Rapper der Welt, der auf jedem Bild Lean sippte. Obwohl ich ein erwachsener Mann war, brachte er mich damit dazu, diese Droge ausprobieren zu wollen.“

Macklemore ist keiner, der zu Weihnachten den immer gleichen, abgedroschenen „Band Aid“-Song rausfeuert und sich dann voller Freude in Frieden und Eierkuchen wälzt. Mack packt die Probleme bei den Eiern und geht dahin, wo sich sonst keiner hintraut: in die Gemeinden, direkt zur Ursache von verschworerener Fremdenfeindlichkeit und Gewalt.

Er spendet an schwarze Aktivisten, gibt Jugendlichen Workshops und räumt in seiner Single „White Privilige II“ mit rassistischer Stumpfheit auf, Weil er sich in der Verantwortung sieht. Die meisten Künstler begehen nämlich folgenden Fehler: „Underestimate the power and the effects that we have on these kids.“ Nur eine der unzähligen mit kritischer Spitzzüngigkeit überladenen Zeilen, die Macklemore auf sein neues Album This Unruly Mess I've Made zwängte.

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Macklemore hat nie vergessen, wie es ist, nichts zu haben. Lange verträumte er auf Codein seine Sterblichkeit. Durch sein Idol Lil Wayne kam er zur Droge, weil Weezy die offensiv propagierte. Schuld gibt er ihm aber nicht, dass heute immer noch amerikanische Kids in der Schule Lean schlürfen. Hierzulande sind es Money Boy, Medikamenten Manfred und Hustensaft Jüngling, die das Lean eine Weile bei fast jeder Gelegenheit glorifizierten. Zwar ist Codein in Österreich verschreibungspflichtig, sollte Money Boy nicht aber trotzdem mal daran denken, wie verlockend das auf Jugendliche wirkt? Mack sieht das selbst nach seiner inzwischen überwundenen Codeinabhängigkeit nicht so streng.

Noisey: Ist es wahr, dass du über ein Jahr an This Unruly Mess I've Made geschrieben hast?
Macklemore: Das ist wahr, ja, anderthalb Jahre. Kunst braucht seine Zeit. Man probiert etwas aus, hat eine Idee und versucht sie umzusetzen. Manchmal geht das schnell, dann ist es wieder ein Kampf, zu finden, was man sagen will.

Was war die eindringlichste Erfahrung beim Songwriting?
Das Intensivste war, weit weg von der Familie und allen Ablenkungen zu sein. Wir waren im Hinterland! Wir hatten keine Telefone, kein Internet. Eine Reise weg von den schnellen Befriedigungen unserer täglichen Ablenkungen. Das half mir, zu erforschen, wer ich selbst bin. Und Kunst zu machen, sehr persönliche.

Kunst mit Botschaft. Respekt an deine Arbeit, deine neue Single „White Privilige II“ ist ein starkes Statement. Wie haben deine Nächsten darauf reagiert?
Die allerhöchsten Werte in meinem Leben sind soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und der Kampf gegen Rassismus, schon seit ich ein Kind war. Das ist immer noch tief verankert in der Struktur, aus der ich gemacht bin. Mir ist aber bewusst, dass ich mich zuletzt sehr auf mich selbst konzentriert habe, auf unsere Karrieren und meine Plattform. Klar hatten wir Songs, die sich mit tieferen Themen beschäftigten. Es gibt aber einen Unterschied, einen Song zu schreiben, rauszugehen und ihn zu spielen und andererseits involviert in moralische Belange zu sein, in der Bewegung.

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Dann haben wir in Florida gespielt, wo Trayvon Martin ermordet und George Zimmermann freigesprochen wurde. Einer unserer Musiker fragte uns danach, warum wir vor ausverkauftem Hause nichts über Trayvon gesagt haben. Das war ein Moment für mich, indem mir bewusst wurde, dass mein Schweigen nur der Unterdrückung aushilft. Da habe ich mein Podium begriffen. Als wir dann [Anm.: 2013] den American Music Award annehmen durften, konnte ich etwas sagen. Das war ein wegweisender Moment für mich. Möchte ich Probleme verschweigen, weil ich Angst um meine Sicherheit habe? Oder will ich die Platform nutzen, die ich habe?

„White Privilige II“ endet mit der Zeile: „What are you willing to risk? What are you willing to sacrifice to create a more just society?“ Ich gebe die Frage an dich zurück, was bist du bereit zu riskieren?
Wir wussten natürlich, dass ein Song wie „White Privilige II“, der sich mit weißer Vormachtsstellung beschäftigt, um Unterdrückung und kulturelle Aneignungen, polarisieren wird. Das war ein Risiko, aber es bringt Besserung. Selbst wenn wir nun Fans verlieren, ich fühle mich so immer noch besser gegenüber der verstörenden Natur unseres Systems. Weil es darum geht, finanzielle Ressourcen aufzuteilen, Menschen an vorderster Front zu unterstützen, das Scheinwerferlicht auf die Leute zu dirigieren, die die tatsächliche Arbeit leisten, die einen Song wie „White Privilige II“ überhaupt erst möglich machen. Und um den anhaltenden Dialog innerhalb von Gemeinschaften. Ich will Ressourcen wieder zurück in die Gemeinden geben, will mich herausfordern und bereit sein, Risiken einzugehen. Nebenbei versuche ich eine Art Bildungsplan zu entwickeln, um anhand von Workshops zum Song mit priviligierten, weißen, jungen Leuten über den Zustand von Rassismus zu reden.

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Eine andere Zeile sagt: „Most of us aren't even paying attention". Klingt wie die österreichischen Party-Kids, die deine Botschaften strikt ignorieren, wenn sie deine Hits auf dem Dancefloor feiern. Wie ist das in den USA?
Musik als Ausweg und zum Feiern wird immer beliebter sein als Musik, die wirklich hinterfragt. Das beste Szenario wäre natürlich, wenn man beides erreichen könnte. Wenn wir aber dreizehn Songs über weiße Privilegien schrieben, dann würden wir unsere Plattform verlieren. Die Leute würden das nicht mehr hören wollen, das wäre zu streng und moralpredigend. Es ist ein schmaler Grat zwischen Kunst als Ausweg und jener, die ermutigt, Dialoge zu starten.

Ich habe das Album nun seit ein paar Tagen, habe es aber noch nicht mal bis zu „White Privilige II“ durchgehört. Aber das ist ok, es gibt ja noch ein paar gute Songs davor. Und das ist wohl eher einer der Songs, die du zwei oder zehn Mal hören musst. Aber keiner von denen, wo du denkst: „Alter ey, ich habe wirklich Bock auf diesen neunminütigen Song, jeden Tag.“ Aber genau deswegen ist Kunst ja so schön, du kannst drei unterschiedliche Grundstimmungen und akustische Strukturen mit verschiedensten Zusammenhängen in Verbindung bringen und befindest dich immer noch auf demselben Album.

Es wirkt, als wäre dir dein Erfolg etwas unangenehm. Dabei haben dir doch Hits wie „Thrift Shop“ glücklicherweise erst eine so große Fanbase erspielt, die heute deine Botschaft empfangen darf. Wie siehst du das?
Wäre „Thrift Shop“ nicht auf dem letzten Album gewesen, wäre der Erfolg niemals so gewesen, wie er war. Vor allem im Radio. Wären auf diesem Album keine Songs wie „Downtown“, „Dance Off“ oder „Brad Pitt's Cousin“, würden die Leute vielleicht auch nicht „White Privilige II“ hören oder „Kevin“. Es herrscht Balance zwischen allem.

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Versuchst du, den poppigen Vorgänger The Heist nun mit komplexerer Kunst abzulösen, die mehr auf Inhalt statt auf Dance-Hits setzt?
Nein, wir versuchen nie irgendetwas. Wir machen es einfach. Da kommen nie Sätze wie: „Wir können keinen Popsong machen“ oder dies und das. Wir wollen einfach Musik machen. Bei The Heist haben wir auch nicht darüber nachgedacht, ein Popalbum zu schreiben, um im Radio gespielt zu werden. Das ist einfach passiert, das haben wir nie erwartet. So ist es auch diesmal. Wenn ein Song ins Radio kommt, war das nicht unsere Intention. Wir wollen nur gute Musik machen, die sich für uns gut anfühlt und mit unserem Publikum harmoniert.

Apropos Publikumswirkung: In Berlin und Wien ist es in der jungen Trap-Szene heute in Mode, Lean zu sippen. Als du 2010 in „Otherside“ über die Folgen von Codein gewarnt hast, wurde es hier langsam berühmt. 17-Jährige trinken das Zeug hier, was würdest du denen sagen?
Ich denke, jeder muss seine eigene Reise antreten. Ich kann nur aus eigener Erfahrung mit dem Trinken sprechen: Ich habe nie Mäßigung gelernt. Heute bin ich ein besserer Künstler, Mann, Vater und Sohn. Viel besser ohne Drogen und Alkohol in meinem Leben. Drogen haben mich zur Sucht und Depression geführt, ich war nicht mehr fähig, Kunst zu erschaffen. Wäre ich nicht trocken geworden, gäbe es keine Musik von mir.

In „Otherside“ sprichst du von Vorbildern wie Lil Wayne. Mit Österreich verglichen wäre das wohl—rein von der Lean-Huldigung her—Money Boy. Sind Künstler wie er verantwortlich für ihre Fans?
Künstler müssen sie selbst sein. Wenn sie nun Drogen nehmen, Lean sippen, Gras rauchen, Pillen nehmen oder was auch immer, dann werden sie auch darüber rappen. Ich werde keinem sagen, was er zu tun und zu lassen hat mit der Art von Musik, die er erschaffen will. Aber Musiker und Rapper haben eine Stimme, der Menschen zuhören, auf dessen Inhalt sie schauen und von der sie sich inspirieren lassen. Für mich geht es darum, ehrlich zu sein. 2007 oder 2008 hat Lil Wayne all diese Mixtapes rausgehauen und alles gekillt. Er war der beste Rapper der Welt, der auf jedem Bild Lean sippte. Obwohl ich ein erwachsener Mann war, brachte er mich damit dazu, diese Droge ausprobieren zu wollen. Was ist akzeptabel? Wir sehen jemanden mit neuen Schuhen, also wollen wir diese Schuhe. Wir blicken auf Leute mit Erfolg und wollen das, was sie haben. Oder Menschen, die wirklich gut in ihrem Handwerk sind oder einfach blendend aussehen—wir wollen die Droge, die sie auch nehmen. Sie haben Einfluss, üben Inspiration aus, dafür ist der Künstler aber nicht notwendigerweise verantwortlich. Das ermächtigt ihn dafür, mit der Fähigkeit, Beeinflusser zu sein. Und wie will man Menschen beeinflussen? Dass sie Drogen nehmen oder nüchtern werden? Ich kann diese Entscheidung keinem Künstler abnehmen, kann sie nur für mich selbst treffen. Ich will, das Menschen ihr eigenes Leben leben, aber will auch ehrlich mit den Problemen sein, die ich mit meinen Süchten hatte. Wenn Menschen sich damit identifizieren können, dann ist das wunderschön.

Tour Dates
19.03. Wien - Wiener Stadthalle
06.04. Linz - TipsArena Linz

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