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You Need to Hear This

Newmen machen philosophisch-triviale Musik

Was in etwa auch meinen Gesprächszustand beschreibt, als ich betrunken versuchte, die Band zu interviewen.

Im betrunkenen Zustand ein Interview zu führen, kann man vergessen. Egal mit wie viel Vorfreude und Motivation man da rangeht—es wird in den meisten Fällen nicht klappen. Ich habe es versucht, nachdem ich mir das Set von Newmen im Prachtwerk in Berlin angesehen, bereits ein paar Liter Bier intus und somit meinen Körper langsam in einen angenehmen Rauschzustand versetzt hatte. Nach der Show würde ich mit der Frankfurter Band um die Häuser Berlins ziehen und dabei versuchen, so viele Infos wie möglich über die Herkunft und Musik der Jungs zu sammeln. Am Ende sammelte mein Körper aber eher an Promillewert, was bei Joel, Joerg, Timm, Martin und Simon bestimmt nicht anders war. Denn direkt nach ihrem lauten Auftritt ging es Richtung Klunkerkranich, wo es auf dem Dach der Neuköllner Arkaden erst Vodka-Shots und Unterhaltungen über die Berliner Musikszene gab, bevor wir uns wieder Richtung Späti und anschließend in eine vernebelte Bar bewegten, in der es noch mehr Vodka-Shots und Bier gab und ungeniert weitergesoffen wurde. Und obwohl es ein sehr lustiger Abend war—ein richtiges Interview war das Ganze nicht.

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Dabei wusste ich, wie sehr es sich lohnen würde, sich mit den Jungs noch mal hinzusetzen. Also treffe ich sie noch mal. Schließlich lief ihre Sunhouse EP bei mir auf Dauerschleife, dazu erscheint bald ihr Debütalbum Rush Hush und ich möchte mehr über ihren komplexen, dennoch originellen Sound, der aus Lofi-Pop-, Elektro-, Indie-, Post-Wave- und Garage-Elementen besteht (Newmen haben es tatsächlich geschafft, all diese Genres auf grandiose Weise zu vereinen) erfahren. Bei ihrer Ankunft bekomme ich erst mal zwei frisch verpackte Exemplare der noch nicht veröffentlichten Platte.

Noisey: Sieht gut aus! Für die Vinyl habt ihr auch eine Special Edition geplant, oder?
Martin: Genau. Von der Vinyl werden 500 Stück gepresst, 100 Stück werden eine Limited Edition.

Und woraus besteht so eine Limited Edition?
Timm: Das Inlay besteht aus Transparentpapier, auf dem die Tracklist handschriftlich durchnummeriert wird. Auf einem Stück Transparentpapier schreiben wir die Konsonanten, auf einem anderen die Vokale. Wenn man die beiden Folien aufeinander legt, kann man die Tracklist lesen.

Wie seid ihr denn auf so eine Idee gekommen?
Timm: Wegen dem Namen unseres Albums Rush Hush und der Gegensätzlichkeit, die das Album umspannen soll. Diese Gegensätzlichkeit wollten wir auch auf das Produktdesign übertragen.

Was ist denn so gegensätzlich an eurem Album?
Joerg: Vor allem der Sound. Wir benutzen Gitarrensounds, die man aus den 90ern kennt, ergänzen das Ganze aber mit vielen technischen Aspekten wie Synthethizer und auch neue Computertechniken.
Timm: Uns ist aufgefallen, dass wir in einer schizophrenen Gesellschaft leben. Einerseits herrscht ein unglaublicher Hype um neue Technologien, andererseits herrscht in der Kunst und der Musik ein absoluter Retrowahn. Wir haben uns also überlegt, wie wir das musikalisch verarbeiten können. Dabei war es wichtig, den Menschen keine Antwort darauf zu geben, wieso die Dinge so sind, sondern sie nur darauf aufmerksam zu machen. Also haben wir ein Sound-Vokabular entwickelt, dass sich am Wave der 80er Jahre orientiert, was widerum mit einem sehr postmodernem Arbeitsprozess verbunden wird.
Martin: …in dem wir zum Beispiel mit neuen Samples und Loops arbeiten, die von moderner, elektornischer Musik inspiriert sind.

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Bereitet ihr eure Songs auf einem Computer vor?
Joerg: Ja, wir sitzen wirklich da und machen Beats, bevor wir die Songs danach in stundenlanger Probearbeit mit Live-Instrumenten nachspielen.
Joel: Was nicht immer einfach war, vor unserem ersten Konzert wurde uns nämlich schnell klar, dass wir zwar die Songs hatten, aber nicht wussten, wie wir sie live spielen sollen.
Joerg: Aber es ist nicht alles Computer-orientiert. Manchmal kommen bei den Proben noch Elemente dazu, die wir dann in die Songs mit einbauen. Beim Song „Venus Is A Boy“ hatten wir zum Beispiel eine Gesangsmelodie, die wir unbedingt noch aufnehmen wollten, obwohl Joel nach der langen Session schon total müde samt Jack und Rucksack mit einem Fuß in der Tür stand. Ich habe schnell das Mikro angeschlossen, Joel hat lustlos ins Mikro gesungen, was dennoch so perfekt war, dass wir die Sequenz genauso auf die Platte gepackt haben. Das hätte keiner besser nachproduzieren können.
Timm: Das hört man unserer Musik auch an, dass eben nicht alles Hochglanz ist. Sowas kann man auch mit einem Scheißmikro aufnehmen—wenn’s gut klingt, klingt’s gut.
Joerg: Natürlich gibt es auf der Welt Produzenten, die eine Sequenz noch extrem steigern können, aber das was Rush Hush ausmacht, ist, dass eben nicht alles so glattpoliert ist.

Computer, Gitarrensounds der 80er—ihr wollt also Altes und Neues verbinden.
Timm: Eher Sounds aus der Vergangenheit in der heutigen Zeit kontextualisieren, um zu schauen, wie das heute klingt.
Joel: Das haben wir uns aber nicht wochenlang überlegt, das war eher ziemlich intuitiv.
Joerg: Wir arbeiten nicht nostalgisch und sagen „Wir klingen jetzt wie eine Band, die es schon mal gab“. Wir haben zwar unsere Einflüsse, die wir nicht leugnen können, aber versuchen dem Ganzen etwas Neues zu geben, um uns dem Sound des 21. Jahrhnunderts anzupassen. Das hört man an so einem Song wie „Sunhouse“ total raus, weil der wie ein elektronischer Sound sehr repetitiv ist, einen Beat hat, aber letztendlich mit Gitarren gespielt wird, die total Garage-mäßig klingen.

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Und angefangen haben Newmen in einer Pizzeria.
Joerg: Eigentlich schon etwas vorher. Wir kennen uns alle aus vorigen Bands, die ganz klassich gearbeitet haben: Man traf sich im Proberaum mit Gitarre, Schlagzeug, Bass und hat typische Bandmusik gemacht. Aber wir fünf hatten irgendwann das Bedürfnis, einen anderen Weg zu gehen, weil wir ja auch viel mit dem Computer gearbeitet haben. Irgendwann saßen wir in einer Pizzeria und wollten von da aus unbedingt in den Proberaum, um genau die Dinge umzusetzen. In meiner Band konnte ich bestimmte Elemente nicht anbringen, die aber sehr gut zu Newmen gepasst haben.
Martin: Joel, Timm und Joerg haben zu dritt in einem Kulturzentrum angefangen. Als ich dazu kam, hat Joerg mir auf dem Weg zum Proberaum voller Begeisterung eine Demo gezeigt, dann bin ich mit zum Proberaum gekommen, wo gleichzeitig eine Party am Laufen war, habe mich ans Schlagzeug gesetzt, obwohl ich gar kein Schlagzeug spielen konnte.
Timm: Wir wollten einfach mal sehen, was passiert, und wie die vielen Leute die plötzlich von der Party in den Proberaum kamen, auf unsere Musik reagieren.
Joerg: Wir haben mit Absicht die Tür vom Proberaum ein Stück offen gelassen und alles so laut aufgedreht, wie wir konnten.
Martin: An dem Abend ist sogar das Riff von „Monica“ enstanden.

Wundert mich nicht, dass Fremde auf die Party in eurem Proberaum gestoßen sind. Als ihr im Prachtwerk gespielt habt, wurde mir anhand der vielen tanzenden Menschen erst richtig klar, wie groovy eure Musik ist. Wolltet ihr eure Musik Tanzflächen-tauglich machen?
Martin: Das hat sich ein bisschen aus der Produktionsweise ergeben. Als wir angefangen haben, die Songs zu produzieren, hatten wir noch kein Schlagzeug. Also haben wir Drum-Spuren auf dem Computer erstellt, die von sich aus schon einen ziemlichen Groove hatten.
Joerg: Dazu muss man sagen, dass wir alle auf tanzbare Musik stehen, tanzbare Musik aber nicht unbedingt nur vom Tanzen handeln muss—in unseren Texten geht es auch nicht ausschließlich um Tanzen und wir versuchen, mit unseren Texten auch nicht, Aussagen zu treffen und den Leuten zu sagen „Macht das“ oder „So ist es und nicht anders“.
Timm: Das Beste, was Musik machen kann, ist, nicht nur den Geist, sondern auch den Körper anzusprechen. Es war uns immer wichtig, beides zu schaffen. Aber Jörg hat recht, wir wollen mit unserer Musik nicht mit Imperativen um uns werfen. In unserer Musik stellen wir uns neben den Fragen, die es bereits gibt, neue Fragen, um diese in unserer Musik zu behandeln. Durch unsere Klangästethtik versuchen wir, irgendwie Antworten auf diese Fragen zu finden.

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Was sind das denn für Fragen?
Timm: Was hat beispielsweise heute noch eine Bedeutung? Was kann etwas bedeuten? Gibt es überhaupt noch eindeutige Dinge oder ist nicht alles irgendwo doppeldeutig?

Das klingt extrem philosophisch.
Joerg: Ist es auch.
Timm: Aber intuitiv. Es ist nicht durchdacht. Es ist der Filter unserer Musik. Wir geben uns der Musik hin, die für uns wiederum diese Fragen beantwortet. Das ist ein eigener Prozess, den man selber gar nicht fassen kann. Wie ein Maler, der nicht erklären kann, warum er etwas malt.
Joerg: Wir reflektieren zwar unglaublich viel über unsere Musik, man muss aber auch bedenken, dass trotz einer Herangehensweise, die schwer zu erklären und sehr philosophisch sein mag, die Musik auch trivial sein soll. Hinter der Musik kann immer mehr stecken, als man anfangs glaubt.
Timm: Unser Grundprodukt soll halt nicht zu verkopft sein. Sie soll diesen Pop-Charakter haben und leicht konsumierbar sein. Die Songs sollen fließen und dem Hörer die Möglichkeit geben, tiefer in die Musik einzutauchen, sollte dieser das Bedürfnis haben, mehr in unseren Songs entdecken zu wollen. Denn meiner Meinung nach ist es arrogant, Musik zu schaffen, die für eine kleine, exklusive Elite gedacht ist. Unsere Songs sollen auch im Radio laufen und nicht nur auf irgendeiner Vernissage. Am besten aber ist es, wenn der Songs beides kann. Das ist unser Anspruch.

Es scheint, immer weniger deutschsprachige Bands zu geben. Wieso wolltet ihr nicht auf Deutsch singen?
Joel: Uns geht es nicht darum, als Band die aus Deutschland kommt, die deutsche Sprache zu pushen. In solchen Kategorien denken wir gar nicht.
Joerg: Außerdem sind neun von zehn Platten, die ich besitze, auf Englisch.
Martin: Darum geht es glaube ich noch nicht mal. Englisch ist irgendwo die Weltsprache, mit der man die meisten Menschen erreicht.
Timm: Genau, Englisch ist eine omnipräsente Sprache, die irgendwo alles bestimmt.
Joerg: Dazu muss man sagen, dass man ein verdammt guter Poet sein muss, um deutsche Texte zu schreiben.

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Wieso ist es denn schwieriger, als Deutscher deutsche Musik zu machen?
Timm: Es ist gar nicht so, dass wir uns nicht an die deutsche Sprache wagen und es für uns schwieriger ist, auf Deutsch zu schreiben. Ich finde einfach, dass deutsche Musik sehr schwer zum Träumen verleitet. Die englische Sprache ist doppeldeutiger und lässt mehr Platz für Beudeutungen, während die deutsche Sprache zu eindeutig ist. Und in unserer Musik wollen wir gerade diese Ambivalenzen haben und den Leute die Freiheit der Interpretation lassen.

Newmens Debütalbum Rush Hush erscheint am 16. Mai bei Fisherman Records (Broken Silence). Bestellt es bei Amazon oder iTunes.

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