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Der wichtigste Charakter in O.C. California war der Soundtrack

Ohne die sorgfältig ausgewählte Musik in den dramatischen Szenen hätte die Serie heute wohl kaum so einen emotionalen Stellenwert.

Bildquelle: FOX

Zurzeit gibt es mehr qualitativ hochwertige Serien, als ein durchschnittlicher Mensch Zeit zum Verschwenden hat. Der Gedanke, schon bei aktuell noch laufenden Serien nicht hinterherzukommen, weckt betäubende Panikattacken in mir, wenn ich daran denke, welche Schätze noch in der Vergangenheit begraben liegen. Trotzdem liebe ich Serien und vegetiere viel zu oft in Greendale, Baltimore, Albuquerque, Konoha, Twin Peaks und Westeros. Wenn ich darüber nachdenke, womit bei mir dieser ganze Serienwahn in all seinem psychopathischen Exzess angefangen hat, fällt mir nur eine Serie ein: O.C. California.

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Die Serie traf mich mit aller Kraft im Moment meiner größten Verwundbarkeit: der Pubertät. Als Teenager, der in einer ost-deutschen Grenzstadt aufwuchs, waren die malerischen Strände und das auf Hochglanz polierte High Society-Leben der Protagonisten ziemlich beeindruckend. Dass O.C. eigentlich nur ein kalifornischer Aufguss von Beverly Hills 90210 mit teils guten (Peter Gallagher), teils schlechten (Mischa Barton) Schauspielern und kitschiger Seifenoper-Probleme war, verschwimmt unter den riesigen Nostalgie-Brillengläsern, deren Gestell zum überwältigenden Teil aus dem Soundtrack besteht. Heute liest sich die Liste der Interpreten wie ein Best-of aller Brit-Popper, Indie-Rocker und Singer/Songwriter der 00er Jahre. Von Death Cab For Cutie, The Subways, Nada Surf und Rooney bis Joseph Arthur, Ryan Adams, Sufjan Stevens und Jem wurde jeder, der ein Gespür für romantische Songs hatte, von der findigen Music Supervisorin Alexandra Patsavas auserwählt.

Sie bewies auch bei der Wahl des Titeltracks ein goldenes Händchen. Wobei ich zu behaupten wage, dass es eigentlich scheißegal ist, welche Melodie oder welchen Song du als Intro-Untermalung einer Serie benutzt. Die Zuschauer müssen es schließlich eh rund 50 Mal anschauen. Irgendwann wird das Gehirn immer von den rezipierten Noten auf die damit verbundenen positiven Bilder schließen und jedem eine Gänsehaut und ein wohliges Grummeln im Bauch verpassen. Zumal Phantom Planets „California“ als Titeltrack dank der klimpernden Melodie leicht einprägsam, stimmig und lyrisch sehr passend war. Es wurde zum Glück ja auch nicht lange genug eingespielt, um den quälend langgezogenen Californiaaaaaa-Refrain zu einer fiesen Penetration der Nerven auswachsen zu lassen.

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Andere Songs landeten bereits nach dem Schauen der entsprechenden Folge auf meinem PC und von da aus auf meinen MP3-Player. Allen voran der Song, den ich am stärksten mit O.C. verbinde und der mein Gehör für die leisen, aber nicht minder kraftvollen Balladen geschärft hat: Jeff Buckleys „Hallelujah“. Natürlich wurde der Song von allen erdenklichen Interpreten in Filmen wie Shrek und Serien wie The West Wing bis zur Unkenntlichkeit durchgenudelt. Deswegen hätte er auch sicher nicht den Effekt auf mich gehabt, wenn ich ihn vorher schon dutzendfach in einem anderen Kontext kennengelernt hätte. Bei O.C. hörte ich ihn jedoch zum ersten Mal. Da vor allem die Version von Jeff Buckley ein klebrig-kitscher Song ist, unterstreicht er die finale Szene der ersten Staffel in all ihrer beabsichtigten emotionalen Wucht. Nachdem wir uns nicht nach zwei Folgen kopfschüttelnd von Newport Beach verabschiedet, sondern brav die ersten 27 Folgen mitgefiebert hatten, war das Staffelfinale perfekt. Jeder einzelne Handlungsstrang wurde mit aller Konsequenz fortgeführt, auch wenn uns die Konsequenzen so gar nicht gefielen. Buckley hauchte sein Halleluja, während unsere Helden sich mit traurigen Augen aus Newport verabschiedeten (jedenfalls bis zur zweiten Folge der nächsten Staffel).

Josh Schwartz, der Erfinder von O.C., wollte die Musik als eigenständigen Charakter der Serie etablieren. Sehr gut möglich, dass er wusste, wie bitter notwendig die überemotionalen Lieder als Katalysator waren, um die fehlende Tiefe der Figuren zu kompensieren. Selbst wenn dir als Zuschauer das Schicksal irgendeines fiesen Typen egal ist, begreifst du durch ein tieftrauriges Lied, wie schlimm der Verlust wohl für die anderen Protagonisten sein muss. Was dich natürlich immer weiter in den Kosmos dieser bunten Scheinrealität zieht. Bestes Beispiel hierfür ist die Beerdigung in der dritten Staffel von dem Surferjungen. Mal ehrlich, wen hat der Typ nicht genervt? Ich bin ja sogar zu faul, seinen Namen nachzuschlagen und fühle mich deswegen ja nicht mal schlecht. Immerhin hatten sich die Schreiber auch nicht die Mühe gemacht, seiner Figur irgendeine Tiefe zu geben. Er war eben der Buddha-gleich gütige Surferjunge, dessen Hauptzweck darin bestand, einen Keil zwischen eines der Publikums-Traumpaare zu treiben. Dass ihm das erst durch seinen Tod gelungen ist, spricht nicht gerade für besonderes schreiberische Kreativität. Als er im Vollrausch die Klippen runtersegelte, war dies weniger ein Schock als eine kleine Erleichterung. Umso größer die Leistung des „Charakters“ Musik, die Strand-Beerdigung so ergreifend zu untermalen. Sicher würde Sufjan Stevens „For The Windows In Paradise“ jede noch so fröhliche Szene in ein melancholisches Tränenmeer verwandelt, das ist nicht die Schwierigkeit. Die Genialität liegt daran, diesen Schatz überhaupt erstmal zu finden. Music Supervisorin Patsavas war eine sehr erfolgreiche Schatzjägerin.

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Doch auch durch den souverän getimten Einsatz der Musik brannten sich gewisse Lieder bis heute in mein Unterbewusstsein. Am krassesten zeigt sich das in der Erschießungs-Szene der zweiten Staffel, du weißt schon, als Trey stirbt (SPOILER). Ich habe mir die Szene für diesen Artikel noch einmal angeschaut und hatte Gänsehaut. Stell dir kurz mal die Situation vor: Da prügeln sich zwei Brüder in einem Kampf bis aufs Blut und weit darüber hinaus. Plötzlich kommt die Freundin des guten Bruders hinzu. Sie muss mit ansehen, wie ihr Freund am Boden liegt, sein böser Bruder aka Trey auf ihm kniet und ihm gerade das Telefon über den Schädel ziehen will. Sie kreischt hysterisch, schnappt sich die auf dem Boden liegende Pistole, schießt Trey in den Rücken und zack, Imogen Heaps Meistersong „Hide and Seek“ setzt ein. Zeitlupe, Gänsehaut und verheulte Gesichter.

Dass ausgerechnet Imogen Heap für diese wichtige Szene auserkoren wurde, zeigt, was für ein großer Musiknerd Patsavas ist. Zu dieser Zeit kannte niemand Heap, es sei denn, du hattest den kleinen Indiefilm Garden State von Zach Braff gesehen. Der ist in dieser Angelegenheit sowieso die unangefochtene Spürnase und hatte ihren Song „Let Go” in seinem Regie-Debüt platziert. Weil der Film anfangs aber keine Sau interessierte, wurde Imogen Heap erst durch O.C. California berühmt. Angestachelt von diesem Karriereboost schickten immer mehr Bands ihre Aufnahmen an Patsavas, um einen heißbegehrten Platz in der Serie zu ergattern. Auch der regelmäßige Einstieg der Soundtrack-Compilations in die Billboard Charts bewies, dass sie ihren Job sehr gut machte. Der wichtigste Protagonist in O.C. California war ohne Zweifel die Musik. Ohne ihn hätte die Serie wohl kaum den emotionalen Stellenwert, den sie bis heute bei hoffnungslos nostalgischen Menschen wie mir besitzt.

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