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Interviews

Halsey ist ärger als alle großen Pop-Diven zusammen

„Im Pop geht es heute mehr denn je um Augenhöhe mit den Fans und darum, sie ernst zu nehmen.“ US-Sängerin Halsey im Interview.

Halsey ist aktuell der Shooting-Star im internationalen Pop. Zwei Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram, ihr Debütalbum Badlands ging in den USA direkt auf Platz 2 der Billboard Charts und auch hierzulande kennen sie vor allem die Teenies. Ihre Melodien mögen glatt und mainstreamtauglich sein — ihre Texte und ihre Haltung sind es hingegen nicht. Im Mai 2015 machte sie in einem Interview ihre bipolare Störung öffentlich. Eine psychische Krankheit, die starke Stimmungsschwankungen zwischen manisch und depressiv verursacht. Wir treffen die 21-jährige Kalifornierin während ihres Tourstopps in Berlin, wo sie dem Publikum erstmals ihr Debüt live vorstellt. Vor dem Eingang zur Konzert-Location „Huxley's Neue Welt“ in Neukölln stehen Hunderte von Fans in der Schlange. Seit dem Vormittag schon, erzählt uns der Security-Mann am Eingang zur Venue. Es sind tatsächlich überwiegend Mädchen im Teenager-Alter, die entlang der Straße auf den Beginn der Show warten. Der Hype scheint real. Ein Gespräch mit Halsey über die Künstlichkeit im Pop-Biz, glaubwürdige Vorbilder und die Verantwortung, die damit einher geht.

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Authentizität ist eines deiner großen Themen, du scheinst sehr viel wert darauf zu legen, in deiner Kunst und darüber hinaus als glaubwürdig wahrgenommen zu werden. Inwieweit bestimmt dieses Thema dich?
Mir ist es wichtig, ich selbst zu sein. Selbst wenn das bedeutet, dass ich ständiger Kritik ausgesetzt bin, weil ich mich eben nicht an alles anpassen will. Natürlich muss ich lernen, damit umzugehen, dass mich nicht immer alle mögen werden, für das was ich sage. Ich bin eine sehr polarisierende Künstlerin, ich bekomme sehr viel Gegenwind für meine Musik, meine Aktionen, was ich sage. Aber deshalb den Mund zu halten und nett zu lächeln? Auf keinen Fall!

Das ist wahrscheinlich auch mit ein Grund dafür, wieso du innerhalb kürzester Zeit sehr viel Erfolg hattest. Weil du eben nicht so angepasst und zahm unterwegs bist, wie viele andere im Popgeschäft, oder?
Das denke ich auch, ja. In den USA haben die Leute sehr viel darüber gesprochen, wie nervig ich sei, dass ich zu viel reden würde. An sich dieselben Dinge, wie damals in der Highschool. (lacht) Aber die Leute werden immer etwas finden, was sie hassen. Sei es deine Meinung oder keine Meinung zu haben, dein Look, der Sound deiner Musik.

Greift dich das als Person denn dann mehr an, weil du weißt, du bist keine Kunstfigur sondern—so gut es in der Öffentlichkeit eben geht—du selbst?
All meine Texte sind autobiografisch. Sie handeln von Menschen in meinem echten Leben, über echte Gefühle. Intesive Dinge, die ich erlebt habe. Natürlich ist es da hart, wenn Kritik kommt. Aber das ist der Preis für Glaubwürdigkeit. Ich würde beispielsweise auch gerne für andere Künstler schreiben, aber momentan würde es sich falsch anfühlen, anderen Texte zu schreiben über Dinge, die ich dann vielleicht selbst nicht 1 zu 1 kenne und fühle.

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Hast du denn mal versucht, über Dinge zu schreiben, die du nicht erlebt hast?
Ja natürlich. Gerade am Anfang hast du eine Vorstellung von etwas, dass du gerne mal in einen Song packen willst. Das ist wie wenn du ein Bild malen willst, das in deinem Kopf bereits existiert. Wenn du es dann anfängst zu malen, wird es aber nie genau so aussehen, wie in deiner Vorstellung. So war das beim Songs schreiben über nicht selbst Erlebtes. Am Ende ist es nicht die richtige Frequenz, die ich erwischen will. Wenn ein Song gut ist, wenn er auch auf ein Album soll, wenn es um Videoideen geht, dann spüre ich die richtige Frequenz!

Du lässt dich also meistens von deinem Instinkt leiten?
Absolut, das ist das wichtigste Instrument für mich, um glaubhaft zu bleiben. Aber als ich begann, über mich und meine Musik öffentlich zu sprechen, war ich naiv. Ich ahnte nicht, welche Reaktionen ich mit manchen Aussagen auslösen würde. Über meine Biopolarität sprach ich beiläufig in einem, meiner ersten Interviews …

Mit der amerikanischen ELLE.
Genau. Und eigentlich ging es um ganz andere Themen. Aber als wir auf das Thema mit der Krankheit kamen, sah ich keinen Grund, nicht darüber zu sprechen. Ich ahnte nicht, wie viel Reaktionen das auslösen würde.

Halsey auf dem Cover ihres Debütalbums Badlands Foto: Sarah Barlow & Stephen Schofield

Glaubst du, es wurde deshalb so gehypt, weil du eben Teil einer Industrie bist, bei der Popstars wie Rihanna oder Katy Perry ein großes Interesse daran haben, möglichst nicht problembehaftet, krank oder schwach dazustehen? Alles muss immer picture perfect-mäßig sein. Und dann sagst du, „ich habe eine mentale Störung“, eine psychische Krankheit.
Mit Sicherheit ist da was dran. Popmusik war schon immer ein sehr gekünsteltes Metier. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich als Jugendliche Britney Spears-Fan war. Damals wusste ich als Fan wie sie aussieht, weil die Plattenfirma wohl dosiert Pressebilder an die Magazine verteilte oder manchmal Paparazzi vor der Tür standen. Und weil sie dann, wenn sie tourte, genau bestimmen konnte, wie sie auf der Bühne wirken will. Das Bild von ihr war sehr kontrolliert. Als Künstler heutzutage gibt es eine Tonne Bilder und Videos von dir, über dessen Existenz du kaum eine Kontrolle mehr hast. Andererseits gibt es natürlich durch all die sozialen Medien die Möglichkeit, sich 24 Stunden am Tag selbst zu inszenieren. Aber man ist gläsern ohne Ende.

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Also ist es umso wichtiger sich nicht zu verstellen?
Exakt! Wenn ich mich auf meinem Instagram-Profil als süßes Mädchen von nebenan vermarkte, und die Fans dann mitbekommen, wie übellaunig und zickig ich bin, wird das rauskommen. Es gibt keinen Platz mehr, um sich dauerhaft zu verstellen. Und es ist heutzutage auch viel anstrengender, es zu versuchen. Außerdem gilt: Wenn Fans ihr Geld in deine Musik investieren und du sie verarschst, werden sie das merken. Und sie haben ein Recht darauf, ernst genommen zu werden!

Deshalb auch der offene Umgang mit einer Krankheit, die dein Leben immer beeinträchtigen wird, die Stimmungsschwankungen verursacht und die du, gerade als Person der Öffentlichkeit, kaum verstecken kannst?
Ich hatte anfangs nicht erwartet, dass es so ein großes Ding werden würde. Aber Popstars sind wohl bis heute Gegenstand von Romantisierung, auch wenn in Amerika ein Bild über Künstler existiert, das besagt, dass Musiker grundsätzlich abgefuckte Typen sind. Was auch ein bisschen stimmt (lacht). Deshalb wunderte es mich auch, dass die Leute so geschockt reagierten, dass da eine 20-Jährige einfach dazu steht, psychische Probleme zu haben.

Letztlich hast du dich damit schon sehr vom Mainstream der Popstars abgehoben, denn so war von Anfang an allen klar, woran sie bei dir sind, oder?
Viele Menschen waren mir dankbar für meine Offenheit. Gerade meine Fans und deren Eltern kamen zu mir und sagten: „Endlich steht jemand mal zu sich und seiner Krankheit und versucht nicht diese oberflächliche Perfektion aufrecht zu halten.“ So wie mir geht es unheimlich vielen anderen jungen Menschen auch. Und es hilft dir als Fan vielleicht, zu wissen, dass Halsey eben auch nur eine junge Frau mit Problemen ist, so wie andere Mädchen auch.

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Was bedeutet dir Erfolg?
Menschen mit meiner Musik zum Nachdenken anzuregen und mich konstant weiterzuentwickleln, nur das bedingt Erfolg. Und im Ernst: Geld bedeutet mir nicht viel. Ich will natürlich meine Miete zahlen können. Aber nur für die Kohle lohnt sich das alles nicht, wenn keine Überzeugung dahinter steht. Deshalb verlange ich auch weiterhin sehr wenig Geld für meine Tickets und meinen Merch.

Verändert sich grundsätzlich gerade etwas im Pop durch die Art, wie nah man heute an seinen Fans ist und umgekehrt?
Ich glaube schon, dass ein Paradigmenwechsel stattfindet. Früher waren Stars in einer sehr erhabenen Stellung, man wusste nicht viel von ihnen, sie waren irgendwie mysteriös. Heute ist man ihnen so nah wie nie zuvor, erlebt gefühlt alles mit, was sie erleben. Es geht um Augenhöhe und darum, sie ernst zu nehmen!

Du hast dich auch zum Thema US-Wahlen geäußert.
Ich will meinen Fans mitgeben, dass es wichtig ist, eine Haltung zum Thema Politik zu haben. Das beinhalt eben, sich über die Kandidaten zu informieren und sich nicht seiner Stimme zu enthalten. Selbst wenn du am Ende nicht wählst, was ich wähle, geh' verdammt nochmal wählen!

Hillary Clinton oder Bernie Sanders?
Ich liebe Sanders, aber wie gesagt: die Leute sollen sich ihre eigene Meinung bilden, solange sie am Ende ihr Kreuz überhaupt setzen, bin ich froh.

Heißt auch: nur weil Halsey dieses oder jenes tut, muss es ihr nicht jeder gleichtun?
Eben! Mir geht es darum, Leute dazu zu inspirieren, sie selbst zu sein, nicht eine zweite Version von mir!

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