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„Ich will nicht mehr der Grußaugust der Mayday sein!”—Westbam im Interview

Zu seinem gestrigem Mayday-Ausstieg blieben viele Fragen offen. Wir sprachen mit Westbam über künstlerische Visionen, gute Hoffnungen, Entscheidungen vom Beifahrersitz und persönlichem Stolz.

Fotos: © Aljoscha Redenius / VICE

Die gestrige Meldung von Westbams endgültigem Ausstieg aus der Mayday glich einem kleinen Paukenschlag: Ließ sich in den vergangenen Jahren zwar herrlich über die sinkende Relevanz von Mega-Raves streiten, so zogen sowohl Mayday als auch Nature One immer noch Zehntausende Menschen an—und trotz Westbams Rückzug als Mitveranstalter im Jahr 2006 war der Großteil der Wortmeldungen zu seinem Bruch mit der durchführenden Agentur I-Motion nun großteils wohlwollend. Dennoch blieben Fragen offen: War die kommerzielle Entwicklung eines Raves dieser Größenordnung nicht absehbar? War die Übernahme von I-Motion durch das US-Unternehmen SFX Entertainment der Grund für die Verstimmung? Und was ist überhaupt Uebersound? Wir sprachen mit Westbam über künstlerische Visionen, gute Hoffnungen, Entscheidungen vom Beifahrersitz und persönlichem Stolz.

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Noisey: In deinem öffentlichen Statement schreibst du: die Mayday hat sich von der ursprünglichen Idee der Veranstaltung stark entfernt. Wie sah die ursprüngliche aus? Um DT64 zu retten?
Westbam: Ich muss da weit ausholen. Ein Impuls war „Save DT64”—DT64 war ein DDR- Jugendsender, der für die elektronische Musikszene dieser Zeit äußerst wichtig war. Gerettet wurde der Sender bekanntermaßen nicht—und trotzdem ging es mit Mayday weiter. Mayday kommt musikalisch-inhaltlich aus den frühen 90ern, aus der ersten Welle von Techno und House. Also aus einer Szene, die sich gerade im Gründungsstadium befand. Neue Labels wurden gegründet, in Belgien, Deutschland, Holland, Italien, den USA und in England. Sozusagen die Ursuppe all dessen, was wir heute sehen. Techno-Deutschland fing damals an, sich überhaupt erst zu vernetzen. Mayday war der erste Ansatz, die verschiedenen Stränge dieser Entwicklung zusammen zu bringen und daraus eine ‚State of the Art’-Show zu machen—nicht mehr nur die Leute aus Berlin dort hin zu bringen, sondern die aus allen Städten.

Wie hat sich die Mayday zwischen 1991 und 2006 entwickelt? Wo und wie warst du inhaltlich uns künstlerisch eingebunden?
In den frühen Jahren machten wir die Veranstaltung zweimal jährlich—weil damals die musikalische Entwicklung auch einfach wahnsinnig schnell war. Betrachtet man die Entwicklung von 1990, '91, '92—dazwischen liegen Welten. Wir als Gesellschafter und Booker fragten uns vor allem: „Was ist neu?” Kompakt war beispielsweise ein Label, das wir immer gefeatured haben. Nicht, weil sie dem durchschnittlichen Raver jetzt so viel sagen. Aber wir fanden es wichtig, dass diese Denkweise, diese Haltung von Techno-Kultur repräsentiert ist. Dann gab es natürlich Drum’n’Bass und dieses und jenes. Aus heutiger Perspektive ist das kaum noch vorstellbar, in welcher schnellen Abfolge Ideen und Ansätze damals abgefeuert wurden. Uns hat das fasziniert, gerade diese Vielgestaltigkeit. Das wollten wir abbilden. Die meisten Partys antworteten auf die Vielgestaltigkeit von Techno damit, dass sie ein Festival mit 20 unterschiedlichen Floors machten.

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Aber dennoch blieb man dann unter sich—oder im eigenen Mikrogenre?
In Wahrheit separierte man dadurch die Besucher. Das wollten wir anders machen. Ich empfand es neben dem Mayday-Symbol und Schriftzug als Mayday-Tradition, von der ich immer gehofft hätte, dass I-Motion die respektiert—schon aus egoistischem, geschäftlichen Interesse. Wenn man dieselbe Party einmal als Nature One und einmal als Mayday verkauft, ist das nicht einmal im geschäftlichen Sinne eine gute Idee—im künstlerischen schonmal gar nicht. Mit den Jahren wurde ich darüber immer unglücklicher. Ich hatte zuletzt auch den Eindruck, dass sich I-Motion als Veranstalter auch nicht von mir beschlaumeiern lassen wollte. Das war mehr ein Selbstbehauptungs-Ding, oder Konkurrenzgefühl. Mein Gefühl war: Als Maskottchen und Grußaugust auf Pressekonferenzen bezieht man sich gerne auf mich und freut sich, wenn das „Mayday Anthem” und „Sonic Empire” läuft, und man Anspruch auf die Mayday- und Techno- Geschichte nehmen kann. Aber wenn's unbequem wurde, also inhaltlicher Respekt gefragt war, dann gab es Probleme.

Mayday ist wie eine Ehe.”

Der wirtschaftliche Erfolg war unter I-Motion wichtiger?
Es ging mir nicht einmal darum, das Ganze meistbietend zu verkaufen. Der Wunsch war die größte veranstalterische Perspektive. I-Motion und Nature One hatten ihr Ding immer sehr erfolgreich gemacht. Und sie hatten—verglichen mit uns—den Vorteil, dass sie gastronomisch sehr erfahren waren. Es wurde ja wirtschaftlich immer schwerer, eine Veranstaltung wie Mayday zu wuppen: steigende Gagen, fehlende Sponsorengelder, etc. Wir haben uns immer über den Eintritt finanziert, weil wir uns nicht als Gastronomen sahen. Wir wollten uns nicht damit beschäftigen, wieviele Paletten Bier, Vodka, Energy Drinks wir ranschleppen müssen—dafür fehlte uns als Musikfirma der Arm ins Gastronomische. Wir waren damit überfordert. Das war eine große Stärke von I-Motion! Und durch die gastronomische Erfahrung—dachte ich—sollten sie auch in der Lage sein, höhere DJ-Gagen zahlen zu können. Der eitle Wunsch war ja, dem Angefangenen eine langfristige Perspektive zu bieten. Ich muss zugeben: ich war nie der größte Fan des künstlerischen Ansatzes von I-Motion und ihren Veranstaltungen. Insgeheim dachte ich mir immer: „So schwer ist es ja nicht. Wenn sie eine Frage haben, können sie sich ja an mich wenden.” Das geschah nie, da wollte man sich eher als historischer Sieger fühlen. Ich hatte den Eindruck, man wolle sich nichts von mir sagen lassen. Ich habe das akzeptiert. Mayday ist natürlich auch eine Party, Unterhaltung gehört genauso wie bekannte Namen dazu. Aber auf die Dauer fand ich es immer schwerer, den Spagat zwischen Inanspruchnahme meiner Person einerseits und Verzicht auf Tradition musikalischer Innovation andererseits.

Waren diese Probleme vor der Übernahme seitens I-Motion nicht absehbar?
Es gab damals mehrere Interessenten. Einige empfand ich musikalisch näher an uns. Mir war es aber damals wichtig, die Marke an jemanden zu verkaufen, von dem ich weiß: mit denen geht es zehn Jahre oder länger weiter—als an jemanden, der damit nach zwei Jahren auf dem Bauch landet. Um auf die Frage zurückzukommen: Wenn du dein Auto verkaufst, wird der Käufer am Ende damit doch fahren, wie er will …

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Aber du warst auch viele Jahre lang Beifahrer …
Stimmt ich war Beifahrer. Ohne Lenkrad. Ohne Gaspedal und ohne Bremse. Das wurde mir immer schmerzlicher bewusst.

Bist du denn auf I-Motion zugegangen und hast Vorschläge zum Booking gemacht?
Das kann man mir vorwerfen: Da bin ich dann wieder zu stolz. Ich laufe nicht Leuten hinterher, weil ich der Meinung wäre, dass mein Rat ihnen von Vorteil wäre. Ich habe meine Unzufriedenheit eventuell zu lange in mich hineingefressen. Und irgendwann wollte ich mich nicht mehr auf ihre Pressekonferenzen setzen. Warum sollte ich so tun, als hätte ich irgendwas mit der Organisation von Mayday zu tun.

Du warst schlussendlich nur das Gesicht der Mayday?
Das ist wie eine Ehe, Sachen über die nicht gesprochen wird: Ich habe verstimmt reagiert, und I- Motion hat meine Verstimmung nicht registriert. Das geht vielleicht ein paar Jahre gut, und dann genügt eine E-mail damit mir der Kragen platzt. Ich will mich nicht von einer Firma verheizen lassen.

„Da formiert sich etwas, gegen das man wieder Kultur machen kann!”

Westbam for VICE by Aljoscha Redenius

Das war die Meldung der Übernahme seitens SFX Entertainment?
Das war nicht der springende Punkt. Allerdings hat das da auch mit reinspielt, dass man das erst aus der Presse erfahren hat und nicht von i-Motion selbst. Nach dem Motto: ‚Wer bist denn du, du bist doch auch nur so'n DJ’. Das emfpand ich als schlechten Stil, exemplarisch auch für das arrogante Auftreten I-Motions mir gegenüber. Als schlechten Stil empfinde ich es auch, dass sie nach meiner Bekanntgabe gestern die Schotten dicht gemacht haben und sich einer Diskussion nicht stellen. Wie ich höre, löschen sie kritische Kommentare, verwehren den Zugang zu ihren Foren und lassen nicht mal unter der Veranstaltung, die Möglichkeit von Postings zu. Dabei wäre auch für sie die Diskussion hilfreich!

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Die Interna waren dann im Nachhinein nachzulesen. Als börsennotiertes Unternehmen lagen die Geschäftsbilanzen von SFX offen. Wie hast du es wahrgenommen, dass I-Motion für 12 Millionen US-Dollar übernommen wurde?
Alles was man selbst verkauft, darf auch weiterverkauft werden—das ist in Ordnung, das ist unsere Gesellschaft. Ich kann jedenfalls meine Gründe benennen, Mayday an I-Motion verkauft zu haben—trotz aller Kritik, die ich heute habe. Dennoch muss einem als europäischem Technofan SFX mit all ihren Beteiligungen und all ihres Expansionsdrangs suspekt erscheinen. Dass von so einem Konstrukt irgendeine Besserung ausgeht, ist nicht zu erwarten.

Ist es eventuell hilfreich für eine europäische Szene, wenn sich viel kreative Kraft unter einem Dach versammelt?
Es hat ganz klar einen Vorteil: Da formiert sich etwas, gegen das man wieder Kultur machen kann! Wenn es darum geht, mein Maul zu halten, damit ich es mir nicht mit den großen Playern anlegen sollte, dann ist das keine Kultur mehr, die mich in irgendeiner Weise interessiert. Entweder höre ich ganz auf, oder kämpfe dagegen! Ich möchte nicht mit dem ganz großen Geld heulen. Techno- Kultur begann ja genau so: man musste sich damals gegen die alteingesessenen Strukturen— Labels, Radio, Fernsehen, Konzertveranstaltungen, Festivals—stemmen. Das war ein großer Kulturkampf in den 90ern. Heute ist alles wohletabliert und in den althergebrachten Strukturen aufgegangen. Die spannende Frage ist ja nicht: Wie kann man sich innerhalb der Strukturen von SFX sein warmes Nischeln suchen. Sondern: Wogegen macht man eigentlich Kultur?

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Stichwort Gegenkultur: Im Statement sprichst du „Uebersound” an. Was ist das ueberhaupt?
Ich habe mich als Mayday-Veranstalter leergespielt gefühlt. Wer ist der Sponsor, wer sind die Big Names, sonstwas … Die spielerischen Momente waren zwar noch da, wurden aber kleiner—der Alltagsscheiß nahm zu. Der Moment zu merken: Da ist noch was, gegen das man ist, war befreiend. Frei nach Lenin: Ist ja schön’ was ihr da habt. Wir haben was Besseres! Uebersound hat mehr mit einem Sound von überall her zu tun. Man nennt es wohl Dialektik.

Aber was ist Uebersound jetzt? Ein neues Label? Eine Veranstaltung? Eine Agentur? Etwas von alledem? Nur eine Idee?
Ich nenne es „Work in Progress”. An diesem Punkt kann ich dazu nur sagen: es gärt in mir, seit Jahren. Wir reden vermutlich von einer Veranstaltung, die wir mal wieder machen wollen. Aber Stand Jetzt ist Uebersound nur eine Idee, die wächst. Ich freue mich auch hier über den regen Zuspruch und das Interesse.

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