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Devil, you can't catch me cause I'm faster than you!

Dirty Beaches spielte keine Konzerte, er macht seine Shows zu einem Film, in dem sich das Publikum verliert.

In der Phrasenwelt des Musikjournalismus müsste man Timm Voelker den Kopf seiner Band 206 nennen. In diesem Fall ist das sogar zutreffend, denn Timm denkt viel nach. Seine Lyrics sind Berichte zur aussichtslosen Lage der Nation - klug, aber nicht überintellektualisiert und beinahe immer genau dorthin zielend, wo es weh tut. Stell dir vor Jochen Distelmeyer wäre mal ausgiebig von Steve Albini gedrillt worden, dann hast du eine ungefähre Vorstellung davon, welches Gefühl Timms Texte hinterlassen. Da man allerdings nicht den ganzen Tag nur Songlyrics schreiben kann, verfasst Timm ab und zu auch bei uns ein paar Absätze darüber, was in seinem Leben so passiert.

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Ein Abend mit Dirty Beaches

Wenn ich Dirty Beaches höre, bekämpfe ich Feuer mit Feuer. Meistens sitze ich auf dem Fahrrad und bin auf dem Weg irgendwo hin durch Leipzigs Mittagsstunden. Das dichte Geflecht aus dröhnenden 50ies-Rock-Samples und dem hysterischen Bariton-Zischen schafft es auf effiziente Weise den Lärm von heulenden Kindern, kreischenden Straßenbahnen und meinem scheppernden Fortbewegungsmittel auszulöschen.

Im Conne Island begrüßen mich Pingpongspieler und Sitzmöbel aus Europaletten. Das Konzert fängt später an und ich frage mich zum zehnten Mal, warum ich immer noch denke das irgendwas irgendwo pünktlich beginnt. Während die Vorband Jeff K spielt, bemerke ich die weissen Kreidestriche auf meiner Hose. Vermutlich waren da irgendwelche Kritzelein auf den Palettenstühlen vorhin. Ich reibe mich an den Metallgittern der Bar und hoffe so wieder halbwegs sauber zu werden. Dirty Beaches tritt nicht allein auf, das wird mir klar, als ich sehe wie ein Tisch voller Kabel-Haufen und blinkender Elektronik in die Mitte der Bühne geschafft wird, rechts davon ein Mikro, links Gitarren.

Kein Laptop. Im nächsten Moment betreten drei Typen in Jeansjacken und schwarzen Hemden die Bühne, gebräunt und und irgendwie gelangweilt aggressiv. Vielleicht bin ich zu infiziert mit Breaking Bad, aber in meiner Vorstellung sind das drei Kartell-Mitglieder, die zwischen der nächsten Meth-Lieferung und der Beseitigung von zahlungsunfähigem Junk-Abschaum Musik machen, genauso wie sie Schildkröten in der Wüste abknallen: nur so zum Spaß. Dirty Beaches, sagt mir später, dass dieser Eindruck so nicht beabsichtigt war, aber ihn und seine Mitmusiker cooler erscheinen lässt als sie sind.

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Nach ein paar Minuten Sinuswellen-Intro knallt mir ein kratzender Beat und immer wieder ein scharfes Surfgitarren-Messer vors Gesicht. Dazu eine kaum verständliche aber intensive Stimme. Alles extrem lässig, fast unbeteiligt dargeboten, während dieses Tosen aus der PA über die gut 50 Anwesenden niedergeht. Ich hatte eine Rock'n'Roll Show erwartet, mit einem schwitzenden Performer der sich fürs Publikum windet, schreit und fleht. Stattdessen aber: In der Mitte Bernardino, ein speckiger Typ, der an Knöpfen dreht, die für was weiß ich verantwortlich sind, in diesem Echo-Sample-Orgel-Gewaber. Er sieht dabei aus wie ein routinierter Chemiker, um in meiner Breaking Bad-Ästhetik zu bleiben.

Links neben ihm Shub Roy, ein schmaler mexikanischer Junge, dessen nüchterne Erscheinung im Gegensatz zu seinem präzis-fiesen Gitarrenspiel steht. Ganz Rechts am Bühnenrand steht Dirty Beaches, haucht in sein Mikro, drückt Tasten auf dem MS-20 oder nippt am Whiskeyglas und raucht. Während des ganzen Konzerts sehe ich ihn nur im Profil, ganz so wie auf dem Cover seiner neuesten LP Badlands. Keine Kommentare zwischen den Songs. Mal ein Danke. Mehr nicht. Ich nicke mit dem Kopf, um meine Begeisterung zu bekunden, die Leute neben mir tun dies auch oder sitzen und starren gebannt auf diese Show. Mehr traut sich keiner.

Einer denkt er tanzt, aber als er während der Pause zwischen zwei Songs immer noch rumhampelt, wird mir klar, dass er einer von denen ist, für die die Art der Musik keine Rolle spielt. Alex a.k.a. Dirty Beaches erklärt mir, dass seine ungewöhnliche Positionierung mehrere Ursachen hat: Er möchte, dass die Kraft der Musik aus sich selbst heraus entsteht und eine Stringenz von Konzert zu Konzert behält, was er durch eine Interaktion mit dem Publikum und dessen Stimmung, die jeden Abend varieren kann, gefährdet sieht. Außerdem fällt es ihm aus der seitlichen Position heraus leichter mit seinen Musikern zu kommunizieren. Für mich wird dadurch einiges klarer: Hier läuft ein Film in dem ich mich verlieren soll und keine normales Konzert.

Der Film in dem Alex lebt geht so: Geboren in Taiwan, aufgewachsen in Kanada, woher auch seine Bandmitglieder stammen, war er scheinbar immer unterwegs. Shanghai, New York, San Francisco, Honolulu. Und genauso klingt seine Musik: getrieben, rastlos, verzweifelt und immer überzeichnet. Ich kann Alan Vega erkennen, wenn er ganz plötzlich nach vorn in die Luft schlägt oder mehr als einmal diesen typischen Rock'n‘Roll Seufzer herauslässt. Vielleicht auch einmal zuviel. Ist mir aber egal, denn ich befürworte es, wenn Leute die Gestik und letztlich echte Gefahr von Rock transportieren und dabei gut aussehen. Dirty Beaches stimmt mir da zu und sieht Unberechenbarkeit neben der Gefahr als eine der wichtigsten Aspekte von Rock'n'Roll. Für ihn sind Gospel, Soul und Blues die Wurzeln unserer heutigen Musik und er sagt: „Jede Generation sollte sich bewusst darüber sein, dass auch wenn diese Genres für uns heute weich und nett klingen, Leute wie Muddy Waters oder Ray Charles mit fucked bullshit klarkommen mussten, wenn sie ihre Songs sangen“. Oder ist irgendwem nicht klar, dass schwarze Amerikaner zwar gern ihre Show in weißen Hotels spielen konnten, dann aber schleunigst durch die Hintertür zu verschwinden hatten?

Im Verlauf des Konzertes verliert sich die anfängliche Coolness bei Dirty Beaches und weicht mehr und mehr einer Katharsis. Vor allem die Zugabe, die er allein bestreitet. Ich sehe, wie er den Rest seines Whiskeys kippt, sich bekreuzigt und dann zu einem durchgeknallten Prediger wird, der dem Teufel ins Gesicht schreit: „You cant catch me, cause I am faster than you“, dazu immer wieder diese Faustschläge nach vorn ins vermeintliche Nichts. Der Song heisst „Lone Runner“, ist schon älter und hat sich aus einem Erlebnis in Chicago entwickelt. Vor einem Jahr fand sich Alex dort in einer Messe wieder und später in dieser Nacht wurde im die Kraft des Predigers bewusst, was ihn schliesslich dazu brachte, den Song in seiner jetzigen Inkarnation zu performen.

Dirty Beaches ist keine überhöhte Kunstfigur, aber auch nicht Alex himself, der seine Pein den Menschen mitteilt. Die Musik ist eine Charakter-Studie, die er als Teil des Lebens sieht. „We are different people, in front of different people“. Er spielt den Sohn, die Tochter, den Lover, das Opfer. Immer Unterwegs und immer da. So wie seine Musik.

Mehr Infos zu Timm Voelker und seine Band 206 findet ihr hier.