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Interviews

Ein Interview mit einem Punk, der wegen seines Patronengürtels festgenommen wurde

Mit seinen Stacheln und Nieten hat Kevin Young in einem Bus in Boston „eine Panik ausgelöst".

Die Lage ist in Boston in letzter Zeit angespannt. Im Juni wurde die Zielperson einer „Terror-Ermittlung“ von der Polizei niedergeschossen und getötet, nachdem er angeblich ein Messer in Richtung der Beamten gerichtet hatte. Ein paar Wochen später wurde ein weiterer—ebenfalls mit einem Messer bewaffneter—Mann von der Polizei angeschossen und getötet. Und Anfang des Monats wurde der Sohn eines Bostoner Police Captains festgenommen, weil sein Vater dem FBI erzählte, dass sein Junior gedroht hätte, sich dem IS anzuschließen. Das alles hängt natürlich mit den psychologischen Nachwirkungen des Zarnajew-Prozesses zusammen, in dem der Bombenattentäter vom Boston-Marathon zum Tode verurteilt wurde, aber auch mit den landesweit spürbaren Nachwirkungen der schrecklichen Schießerei in South Carolina, bei der ein Weißer Mitte Juni neun Schwarze in einer Kirche erschossen hatte. Vielleicht kann man den Passagieren der städtischen Busse also verzeihen, wenn sie ein bisschen übervorsichtig sind—so wie letztes Wochenende, als ein Mann mit etwas, das wie ein Arsenal an Munition aussah, den Bus bestieg. Andererseits könnte man sie auch als alberne, vom Terror benebelte Babys bezeichnen, die die Polizei wegen eines Typs in Punkrock-Outfit gerufen haben.

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Denn genau das ist vor über einer Woche dem 26-jährigen Kevin Young passiert. Laut Polizeibericht reagierten die Beamten auf einen Anruf wegen einer „Person mit einer Waffe“, die in einen Bus gestiegen war. Die Busfahrerin, so der Bericht weiter, hatte „den Bus an die Seite gefahren und gestoppt, da der Verdächtige [Young] in den vorderen Teil des Busses ging und einen Waffengürtel um seine Taille trug und etwas, das militärische Munition zu sein schien, um seine Hüfte und seine Knöchel gewickelt hatte“. Der Fahrer hat die Beamten unterrichtet, dass der Verdächtige im Bus „eine Panik ausgelöst“ habe. Zeugen sagten der Polizei, dass der Verdächtige zusätzlich zur Munition „ausschließlich schwarze Kleidung, schwarze Stiefel, schwarze Handschuhe mit Nieten und schwarze Nietenarmbänder“ trug, was wie ein schlechtes Cover von Rancids Gassenhauer „Time Bomb“ klingt.

Young verließ den Bus wenig später. Nachdem er schließlich aufgegriffen wurde, hat die Polizei festgestellt, dass die Patronen tatsächlich Replikas und nicht gefährlich sind. Trotzdem haben sie ihn festgenommen. Die Anschuldigungen haben „unerlaubten Besitz von Munition“, „das unerlaubte Tragen einer gefährlichen Waffe (Handschuhe und Armbänder mit Nieten/Stacheln)“ und zur Sicherheit noch „Belästigung der Allgemeinheit“ umfasst.

Bei der Anklage, so Jake Wark, Sprecher des Bezirksstaatsanwalts von Suffolk County, „haben die Ankläger die Anschuldigungen hauptsächlich aus dem Grund fallengelassen, dass die Munition nicht hätte abgefeuert werden können und auch nicht dem Zweck dienen sollte, abgefeuert zu werden“. Er stellte klar, dass aufgrund Abschnitt 140 Paragraph 121 des Gesetzes von Massachusetts „eine Person dafür angeklagt werden kann, dass sie ‚Patronen oder Patronenhülsen besitzt…, die dafür entworfen wurden, um sie mit einer Schusswaffe, einem Gewehr oder einer Flinte zu benutzen‘, aber wir haben entschieden, dass unsere Ressourcen anderweitig mehr benötigt werden.“

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Ich habe mich mit Young in Verbindung gesetzt, um ihn zu fragen, was passiert ist. Er war gerade dabei, 20 Sozialstunden abzuleisten, auf die er sich eingelassen hat, damit die Anklage fallengelassen wird. Young, ein Ingenieur, der mit Computernetzwerken arbeitet, ist in Boston geboren, betreibt das Punkrock-Label Serfs Up und spielt in einigen Bands, inklusive Hexxus. Das Label veröffentlicht bald eine Tape-Compilation mit Punkbands aus der ganzen Welt, die den Aufständen von Baltimore zugute kommen soll.

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Noisey: Kannst du erklären, was genau passiert ist, als du festgenommen wurdest?
Kevin Young: Ich war mit dem Bus auf dem Weg zum Haus eines Freundes. Die Busfahrerin kam zu mir und teilte mir mit, dass sie mich „so angezogen“ nicht im Bus mitfahren lassen würde. Ich erklärte, dass ich seit Jahren mit einem Patronengürtel diesen Bus nutze. Ich habe ihr gesagt, dass die Patronen nicht echt sind und dass es vorher noch nie ein Problem deswegen gab. Aber anstatt mich mit ihr zu streiten, habe ich beschlossen, den Bus zu verlassen. Ich habe bei der MBTA (Betreiberfirma des öffentlichen Personennahverkers in Boston) ein Praktikum gemacht und mein früherer Nachbar war Busfahrer, also wollte ich diesen Leuten keinen Kummer machen, sie fahren nur einen Bus.

Was ist als nächstes passiert?
Nachdem ich aus dem Bus ausgestiegen bin, habe ich auf den nächsten gewartet. Ich bin eingestiegen, habe hinten gesessen und mich um meinen Kram gekümmert, als der Bus über die Brighton Avenue Lower Allston erreichte und beim Stop der Pizzeria Regina anhielt. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon recht genervt, dass ich aus einem Bus geworfen worden war. Ich wusste nicht, was vor sich ging und habe mir einfach ein Uber-Taxi bestellt. Ich bin ausgestiegen und während ich gewartet habe, sprang ein Polizeibeamter aus dem Auto und sagte mir, ich solle mich nicht bewegen. Ich habe ihm erklärt, dass ich weiß, warum er da ist, die Patronen nicht echt sind und ich keine Bedrohung für irgendjemanden bin. Mittlerweile waren 12 bis 15 andere Beamte eingetroffen. Ich musste meinen Gürtel abnehmen, meine Stiefelriemen—diese kleinen Riemen mit Nieten, in denen manchmal falsche Patronen sind. Ich musste außerdem meine Handschuhe und meine Halskette ablegen, also im Prinzip jedes Accessoire, das ich an meinem Körper hatte.

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Sie haben gesehen, dass all die Hülsen falsch waren und es einfach eine Replika war. Ich stand zu diesem Zeitpunkt ohne Gürtel da und meine Hose rutschte runter. Ich habe gesagt: „Hey, können wir das hinter uns bringen? Es ist erniedrigend“. Sie haben gesagt: „Sie haben in dem Bus eine Menge Leute verängstigt, wir haben unzählige Anrufe bekommen, dass es einen Mann mit Waffe gibt.“ Ich sagte nur: „Ich habe keine Waffe, ich bin keine Bedrohung.“ Einem der Beamten habe ich nicht gefallen, also hat er meine Festnahme angeordnet.

Foto via Flickr | Deidre Woollard | CC BY 2.0

Sind sie dir blöd gekommen oder so?
Die Festnahme war recht sanft. Ich wurde überhaupt nicht schlecht behandelt. Sie waren allgemein ziemlich höflich. Nachdem ich mich von einem Freund gegen Kaution habe abholen lassen, habe ich erfahren, dass sie mich ursprünglich wegen sechs Vergehen oder so beschuldigt haben oder zumindest wollten sie das, während sie mich festgehalten haben. Ich habe mir einen Anwalt besorgt und bin im Gericht aufgetaucht. Der Anwalt hat mit dem Staatsanwalt und dem Richter gesprochen und ihnen erklärt, dass ich kein Krimineller bin und ich nicht darauf aus bin, irgendwo für Panik zu sorgen, sondern dass ich ich mich nur gerne anders kleide. Ich wollte keinen Ärger machen. Das war kein Schrei nach Aufmerksamkeit eines Heranwachsenden, so laufe ich nun mal jeden Tag rum. An diesem Punkt haben sie beschlossen, die Anklage fallenzulassen und gesagt, dass ich 20 Sozialstunden machen müsse. Da hatte ich Glück. Ich hätte auch eine saftige Strafe bekommen können, auch Gefängnis und das war wirklich sehr, sehr beängstigend. Es war auch merkwürdig, zu sehen, wie die Medien in Boston mich als eine Art Aufmerksamkeit suchenden Typen darstellen wollten.

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Was waren die Anschuldigen?
Mehrere Anklagen wegen unerlaubten Besitzes von Munition. Manche davon gehen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr einher. Irgendwann wurden sie dann für weniger schwere Versionen der gleichen Anklagen fallengelassen. Ich wurde auch des unrechtmäßigen Besitzes einer gefährlichen Waffe beschuldigt, da ich etwas trug, das die Polizei als „Kampfhandschuhe mit Stacheln“ bezeichnet. Es ist bloß Fetisch-Zeug, das ich gebastelt habe, du kannst vergleichbare Handschuhe bei Hubba Hubba in Cambridge kaufen. Hast du vorher schon mal Punks mit Nieten gesehen? Das sind einfach runde Zapfen. Das sind die gleichen Dinger, die du an Handtaschen von Frauen siehst und die werden nicht beschuldigt, eine gefährliche Waffe zu tragen. Die gleichen Nieten, die Judas Priest vor einer Million Jahren bekannt gemacht haben.

Was machst du für Sozialstunden?
Sie haben mir gesagt, ich könne sie bei einer Non-Profit-Organisation meiner Wahl machen, also habe ich mich für Cambridge Needle Exchange entschieden, weil meine Familie und ich mit verschiedenen Arten von Abhängigkeit zu tun hatten. Als ich in den 2000ern in Boston aufgewachsen bin, gab es viele Leute, die von Opiaten abhängig waren. Bis jetzt war es extrem bereichernd. Die Arbeit, die diese Leute machen, hat einen direkten Einfluss auf die Leute und macht das Leben der Leute ein bisschen besser.

Denkst du, es hatte etwas damit zu tun, dass die Leute in Boston in letzter Zeit etwas panisch waren bezüglich potentieller Bedrohungen?
Ich bin wirklich nicht sicher. Ich schätze aus meiner eigenen Perspektive sind Patronengurte und diese Art von Mode kulturell schon so verwurzelt, dass ich einfach nicht glauben kann, dass es Leute gibt, die noch nie ein Bild von einem Punk oder von einem berühmten Metal-Musiker der letzten 30 Jahre gesehen haben. Ich weiß nicht, welche Art von Leuten die Polizei rufen würde, weil jemand einen Patronengurt trägt und einfach so dasitzt. Ich denke schon, dass wir in einer Kultur der Angst leben und es da draußen eine riesige Menge Fehlinformation gibt und die Leute sich isoliert fühlen und verängstigt durch die Welt. Ich weiß nicht, wie man deswegen dazu kommt, die Polizei wegen jemandem zu rufen, der sich einfach um seinen eigenen Kram kümmert.

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Du musstest trotzdem für den Anwalt bezahlen, nehme ich an?
Ja, ich habe Schulden bei Leuten, die mir Geld für die Anwaltskosten geliehen haben. Es war tatsächlich ein recht schneller Prozess. Ich wurde am Freitagnachmittag festgenommen und am gleichen Tag unter dem Vorbehalt freigelassen, vor Gericht zu erscheinen. Montagmorgen um 8.30 Uhr bin ich im Gericht aufgekreuzt.

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Die Medien haben sich auf die Geschichte gestürzt. Wie war das?
Die Kommentare unter den Nachrichten waren tatsächlich ziemlich unterstützend, selbst Leute, von denen ich das nie erwartet hätte, waren im Prinzip der Meinung, dass ich nichts falsch gemacht habe. Aber ich mochte es nicht, dass mein Name und mein Gesicht überall in den Medien waren.

Fühlst du dich blamiert, so als hätte man sich über dich lustig gemacht?
Nicht unbedingt. Ich mochte generell nicht, dass mein Name und mein Gesicht da draußen waren. Nicht, dass es keinen Grund gab, in den Nachrichten zu sein, aber die Vorstellung der Patronengurt-Typ zu sein, ist scheiße. Ich war aber überrascht, wie einige Teile der Öffentlichkeit reagiert haben, als diese Sender die Story gebracht haben. Du konntest sehen, ob sie zu Sensationsgeilheit neigen. Auf der Seite von Fox 25 lautete die Überschrift „Diese Anschuldigungen wurden fallen gelassen, denken Sie, dass das richtig war?“ Der Top-Kommentar war: „Er hätte nicht verhaftet werden dürfen“ und hatte 500 Likes. Ich hätte nicht gedacht, dass das Publikum von Fox so tickt.

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Erzähl mir von der Benefiz-Compilation für die Aufstände von Baltimore, wie kommt das hier ins Spiel?
Als ich aus dem Gericht kam, war ich wirklich erleichtert. Mit meinem Label versuchen wir Sachen zu machen, die Leuten helfen oder einfach die Kunst von jemandem zu verbreiten, anstatt Profit zu machen. Wenn jemand nicht die drei Dollar für eine Kassette hat, dann gebe ich sie ihm einfach. Also saß ich im Gericht und dachte, dass ich recht viel Glück habe—ich bin weiß, habe eine College-Ausbildung, bin Ingenieur und konnte einen Anwalt bekommen. Ich hatte Glück. Ich konnte nur daran denken, was wäre, wenn ich schwarz oder vorbestraft wäre und dass ich vom Rechtssystem dann anders behandelt worden wäre. Für mich war es wichtig, dass die Baltimore Uprising-Compilation erscheint, weil es so viele Leute gibt, die ohne Namen und Gesicht in Arrestzellen sitzen und sich fadenscheinigen Anklagenausgesetzt sehen, nur weil sie etwas für den sozialen Wandel tun wollten. Ich saß einfach im Bus. Ich habe mich schuldig gefühlt wegen all der Aufmerksamkeit. Viele Leute verdienen diese Aufmerksamkeit mehr.

Jetzt bei VICE: Die Tatorte von Baltimore

Wie sieht die Compilation aus?
Wir fangen mit einer Auflage von 250 Stück an. Es sind 28 Bands aus der ganzen Welt darauf vertreten, von jedem bewohnten Kontinent der Welt, 13 bis 14 Länder. Ein paar Bands haben uns brandneue Tracks gegeben. Wir verkaufen die Compilation für fünf Dollar. Sie erscheint in den nächsten zwei Wochen. Alle Einnahmen, jeder Cent, geht an Baltimore United for Change. Wir haben ein paar große Bands dabei, Kromosom aus Australien, Oi Polloi aus Schottland, Skitsystem aus Schweden und ein paar kleine Bands, wie diese Band aus Mexiko namens Wasones. Wir versuchen ein genaues Porträt verschiedener Teile des Punks aus der ganzen Welt zu bekommen.

Hat diese Sache zu einer Art „Fuck The Police“-Einstellung bei dir geführt?
Mein eigenes Gefühl bezüglich der Polizei ist, dass die meisten Polizisten, die da waren, nicht in gereizter Stimmung waren. Wenn, dann kann ich mir vorstellen, dass der Staat sich aufgrund der ganzen Aufmerksamkeit, die das Ganze hervorgerufen hat, dazu verpflichtet sah, eine Art Exempel an mir zu statuieren. Aber ich denke nicht, dass es eine künstliche Bemühung war, mir eins auszuwischen. Ich denke, es war hauptsächlich eine bizarre Verkettung von Umständen.

Luke O’Neil ist bei Twitter.

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