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Interviews

Chamillionaire will zu einem Chabillionaire werden

Der 35-Jährige hat Rap aufgegeben, um Risikokapital-Investor im Silicon Valley zu werden. Wir haben uns mal erkundigt, wie es so läuft.

Chamillionaire im Konferenzraum von Upfront Ventures. Foto vom Autor.

Es ist Nachmittag, in Santa Monica scheint die Sonne. Chamillionaire, der Rapper aus Houston, macht es sich in einem geräumigen Konferenzraum bequem, in dem sonst ungeheure Geldsummen ausgehandelt und verteilt werden. Wir sind im vierten Stock des temporären Büros von Upfront Ventures, einer Risikokapital-Investmentfirma, deren Wert mit 280 Millionen US-Dollar beziffert wird. Wenn du aus dem Fenster blickst, kannst du in der Ferne die Palmen sehen, hinter denen sich blau der Pazifik erstreckt. Cham sitzt auf einem Drehsessel, stützt seine Ellenbogen auf dem Milchglastisch ab und lehnt sich vor, während er mir den Unterschied zwischen „reich“ und „wohlhabend“ erklärt.

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„Ich bin jetzt seit ein paar Jahren in der Musikindustrie unterwegs, nicht wahr? Ich habe dort eine Menge reicher Leute gesehen, aber keine wohlhabenden“, erzählt er mir. „Jetzt bin ich in der Technologie-Industrie gelandet und laufe jeden Tag wohlhabenden Leuten über den Weg. Der Snapchat-CEO ist 24 Jahre alt und Milliardär. Wie viele Milliardäre gibt es wohl in der Musikindustrie? Ich bin im Silicon Valley unterwegs, in L.A., in Santa Monica und überall treffe ich auf Milliardäre. Und sie sind jung. In der Musikindustrie hast du das nicht.“

Momentan würde man den 35-Jährigen mit dem bürgerlichen Namen Hakeem Seriki durchaus als reich bezeichnen. Er hat es sich aber zum Ziel gesetzt, wohlhabend zu werden—und das führte ihn dann auch zu Upfront Ventures. Seit März kommt er jede Woche hierher—zusammen mit seinem Producer Nsilo Reddick—um als der neue „Entrepeneur in Residence“ zu arbeiten. In der Welt des Risikokapitals ist der „EiR“ eine ziemlich lose, informelle und temporäre Position—sie bietet einem Unternehmer die Gelegenheit, mit einem Investment-Team zusammenzuarbeiten und sich etwas Kapitalismus-Know How anzueignen, während man schon am eigenen Projekt arbeitet. Cham hat jedenfalls keine festen Bürozeiten. Er kann kommen und gehen, wann er möchte. Die meiste Zeit setzt er sich in die Meetings und notiert, was die Chefs der verschiedenen Firmen und Start-Ups zu sagen haben, während sie ihre Ideen den Upfront-Partnern in diesem Konferenzraum hier schmackhaft machen—sie alle hoffen, den Raum mit einer Einigung zu verlassen, die ihnen zwischen 1 und 10 Millionen US-Dollar Startkapital garantiert.

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Für einen der ganz großen Namen aus der Houston Rap-Explosion Mitte der 00er Jahre, der auch unter dem Namen King Koopa bekannt ist, war das ganze Unterfangen bislang ziemlich lehrreich. Auch wenn er nicht im Detail sagen möchte, wer hier ein- und ausgeht, erzählt Cham, dass zu den Kunden Wissenschaftler, Elite-Uni-Absolventen, Menschen mit fantastischen Ideen und „Leute, die einfach etwas aus dem Hut zaubern“ gehören. Es ist also eine bunte Mischung aus Menschen, die hier auftaucht und Upfront Projekte anpreist, die für die Firma vielleicht interessant sein könnten—Dinge, die sich als totaler Flop oder als das neue Uber oder Snapchat entpuppen können.

„Es gibt Menschen, die Dinge machen, die man nie für möglich halten würde“, erzählt Cham, der hier gerade sein erstes Interview zu seiner neuen EiR-Position gibt, seit diese im Februar bekanntgegeben worden war. „Hier mit dabei zu sein, ist einfach fantastisch für mich. Als Rapper stamme ich aus einer Welt, in der Menschen nicht einfach in einen Raum gehen und so viel Geld bekommen können. Du musstest schon Rapper oder Basketballspieler sein—und du musstest verdammt gut darin sein.“

Warum genau chillt Chamillioniare jetzt aber eigentlich bei Risikokapitalgesellschaften? Die Antwort ist recht einfach: Geld—und natürlich Macht, Einfluss und Eigenkapital. Mit der vergleichsweise traditionellen Arbeitsweise der Musikindustrie ist er durch. In den letzten Jahren hat er beobachtet, wie die Technologiebranche angerauscht kam und sich Firmen wie Apple und Spotify große Stücke vom Kuchen geschnappt haben—jetzt will er auch einen Teil davon. Ja, Chamillionaire hat einen Weg gefunden, um Chabillionaire zu werden, und dieser ist gepflastert mit Tech-Dollars.

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„Deine Facebook-Seite, auf der du deinen ganzen Kram postest—wie viel Geld verdienen die mit deiner Seite? Weißt du das?“, fragt er mich. In seinem schwarzen Hoodie, den klobigen Diamanten-Ohrringen und der langen Goldkette sieht er vergleichsweise dezent aber immer noch fresh aus. „Die meisten Leute wissen das nicht oder wollen es nicht wissen. Ich gehöre zu denen, die das wissen wollen.“

Cham gehörte immer schon zu denen, die sehr viel Wert auf das Geschäftliche gelegt haben, aber über die Jahren hat sich auch bei ihm einiges geändert. In den 1990ern machte er seine Anfänge bei dem legendären Houstoner Label Swishahouse, ging von Stadt zu Stadt, Plattenladen zu Plattenladen und verkaufte Mixtapes aus seinem Ford Excursion heraus. Dann verließ er Swishahouse und tauchte 2002 zusammen mit Paul Wall und ihrem gemeinsamen Album Get Ya Mind Correct, einer liebevollen Ode an schicke Autos, dicke Felgen, Romance und $$$$$$, auf dem landesweiten Rapradar auf. Den wirklich großen Wurf landete er dann aber, als er seinen Vertrag mit Universal unterschrieb und 2005 sein Majorlabeldebüt, The Sound of Revenge, veröffentlichte. Darauf demonstrierte Cham sein Gespür für melodische Hooks, seinen klaren, agilen Style und seinen Hang zu großen Ambitionen—die eh schon bombastische Produktion füllte er zum Beispiel mit Geigen und anderen Liveinstrumenten noch weiter aus.

Und natürlich war da auch noch „Ridin’“, die Hitsingle mit der Cham einen Grammy einsackte, alle Verkaufsrekorde in den Klingeltoncharts sprengte und auf dem ganzen Planeten mit seinem hymnengleichen Statement gegen Polizeiwillkür wie eine Bombe einschlug. Der Song ist heute, angesichts der ganzen Meldungen über Polizeigewalt in den USA, aktueller denn je. Noch größer wird das Ausmaß der Ungerechtigkeit, wenn man bedenkt, dass Cham noch nie irgendwelche krummen Dinger gedreht hat—er trinkt und raucht noch nicht mal.

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„Um ehrlich zu sein, handelte der Song gar nicht von mir. Ich habe mich dafür in andere Leute hineinversetzt. Ich dachte an die ganzen Sachen, die andere Leute schon gesagt haben, und fragte mich, warum noch niemand über das hier gesprochen hat“, erzählt er. „Selbst wenn du nichts machst—du kannst ein einfacher College-Student sein oder was auch immer—und dann schauen dich die Polizisten einfach an, als hättest du irgendwas Verbotenes getan. Und dann denkt man sich halt irgendwann, ‚Wo bleibt der Theme-Song dazu?’“

An der Musikfront ist es in den letzten Jahren um ihn leiser geworden. 2011 trennte er sich von Universal. Er war es einfach leid, bei den wichtigen Entscheidungen zu seiner Musik immer im Unklaren gelassen zu werden. Seitdem beschränkt sich sein Output auf kleinere EPs und Mixtapes—und auch mit der Veröffentlichung seines langerwarteten dritten Albums, Poison, scheint er es nicht besonders eilig zu haben. Das heißt aber nicht, dass er sich einfach auf die faule Haut gelegt hat. Er will ein Musikvideo zu jedem Song des Albums machen und ist 2011 dafür sogar nach Bagdad geflogen. Dort machte er dann Aufnahmen von goldenen Toiletten und künstlich angelegten Seen in Camp Victory, dem früheren Palast von Saddam, der dann in eine amerikanische Militär-Basis umgewandelt worden war und mittlerweile der irakischen Regierung überlassen wurde.

„Ich durfte einen Panzer fahren“, berichtet er. Er trägt auch nicht mehr den goldglitzernden Grill aus den frühen Jahren, stattdessen sieht man jetzt bei jedem Grinsen seine perlweißen Zähne. „Das war ziemlich krass.“

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Heutzutage macht er Musik vor allem für sich selbst—und um nicht aus der Übung zu kommen—während er einen Großteil seiner Zeit damit verbringt, sich über Technik und Risikokapital zu informieren. Das Interesse dafür entstand bei ihm in den späten 00er Jahren, als er begann, Technologie-Konferenzen zu besuchen. Nachdem er dann 2009 einen Partner bei Upfront Ventures kennengelernt hatte, ging er dazu über, Start-Ups zu beraten und selber Investitionen zu tätigen. Soweit scheint das für ihn auch ganz gut zu laufen. Letztes Jahr wurde das Online Video-Produktionsnetzwerk Maker Studios, eine der Firmen, denen er Geld gegeben hatte, für 500 Millionen US-Dollar von Disney übernommen—mit Aussicht auf weitere 450 Millionen US-Dollar, wenn die Firma ausreichend Gewinn abwirft. Er wollte nicht sagen, wie viel Geld er davon abbekommen hat, aber er geht auf jeden Fall davon aus, mit seiner neuen Tätigkeit viel mehr zu verdienen als mit seiner Musik.

Bei Upfront Ventures hat er jetzt besonders aufmerksam verfolgt, wie die Partner sich über die unterschiedlichen Pitches beraten und für welche sie sich am Ende entscheiden. Noch gibt es keine Deadline, bis wann seine Anstellung dort dauern soll, aber in der Regel dauern diese um die sechs Monate. Er hofft, am Ende die Firma mit einem eigenen Pitch für sich zu gewinnen und ein eigenes Start-Up finanziert zu bekommen.

„Ich will nicht der Typ sein, der einfach rumsitzt und sich die Träume andere Menschen anhört“, sagt er und erklärt, dass er mehr machen will, als bloß zu beraten und zu investieren. „Ich will im Stuhl des Gründers sitzen.“

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Noch hat er keinen wasserdichten Plan und natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass das, womit er auch immer ankommt, automatisch ein großer Erfolg wird. Eine Woche nach unserem Interview wurde zum Beispiel Jay Z’s Startup, Tidal, vernichtend aus den Top 700 der iPhone-App-Downloads verdrängt.

Cham bleibt aber optimistisch. Zusätzlich zu den Meetings, die er nur als Beobachter verfolgt, hält er auch eigene ab und redet viel mit seinen Freunden über Risikokapital und das Unternehmerdasein. Er will bekanntmachen, dass Künstler nicht länger vor Majorlabels in die Knie gehen müssen. Mit den richtigen Investitionen und Ideen können sie auch auf eigenen Beinen stehen.

„Als ich im Irak war, dachte ich mir so, ‚OK, Rap hat mich hier hin gebracht.’ Ich werde immer im Kopf behalten, dass es Rap war, der mich in diese Firma gebracht hat. Rap half mir dabei, aus der Hood zu kommen. Rap half mir dabei, aus Houston raus zu kommen und die Welt zu sehen“, sagt Chamillionaire während er im Konferenzraum von Upfront Ventures sitzt. „Da ich jetzt aber die Welt und so viele Dinge gesehen habe, bin ich nur noch auf der Mission, alle anderen wissen zu lassen—vor allem meine Kollegen in der Musikindustrie—was hier abgeht.“

Peter Holslin wäre auch ganz gerne ein Chabillionaire. Folgt ihm bei Twitter—@PeterHolslin

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