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Tua Week: Das Porträt, 3/3

Heute ist es soweit. Tuas EP ‚Stevia‘ erscheint und mit ihr der letzte Teil unseres großen Porträts.

Fotos: © Jan Kapitän

Heute erscheint Tuas neue EP Stevia. Wer hier auf das große, alles auf den Punkt bringende, klanglich irgendwo in fernen Galaxien angesiedelte, neue Tua-Album hofft, der könnte etwas enttäuscht sein. Stevia bleibt immer noch eine EP, eine Momentaufnahme. Alleine die Hotelthematik darauf erlaubt wenig Interpretationsspielraum abseits der Erkenntnis, dass es sich hier um eine Zwischenstation in Tuas Karriere handelt.

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Hört man sich Stevia an, merkt man, dass das überhaupt nicht schlimm ist: Im Gegenteil, Tua hat genau das Richtige gemacht, einen weiteren Kurzspieler herauszubringen. Die EP ist für ihn eine Spielwiese, in der er sich zum ersten Mal an Popmusik mit weitestgehend loungigen Jazzelementen und wie immer zuckersüßen Melodien versucht. Dass daraus keine belanglose Fahrstuhlmusik geworden ist, müssen wir wohl nicht erwähnen. Hier gibt es den dritten und letzten Teil unseres Tua-Porträts.

Etwa nach drei Stunden unseres Interviews fragt mich Tua: „Was hältst du eigentlich von meiner Musik?“ Puh, normalerweise stelle ich ja die Fragen, aber wann bekommt man mal die Chance, einem Künstler von Angesicht zu Angesicht zu sagen, wie man seine Musik wirklich findet? „Mir gefällt die Vielschichtigkeit, dass du dich unerschrocken an allen Möglichkeiten bedienst, die dir gegeben sind und es dabei gut und nicht peinlich machst. Trotzdem ist deine Musik auch sehr schwer und erfordert viel Aufmerksamkeit. Wenn ich mir Tua anhören will, dann muss ich mir das auch vornehmen.“

Tua scheint zu verstehen, was ich meine. Seine Bühne sei der Kopfhörer oder eine Fahrt nachts mit dem Auto. Es ist reflektierte Musik für reflektierende Momente. „Diese Momente sind für Mitteleuropäer nicht immer nur angenehm. Wie oft ich in Interviews gesagt bekomme: ,Deine Musik ist so depressiv.' Wo ist die depressiv, Digger? Die ist nachdenklich oder vielleicht melancholisch, aber fahr mal 500 Kilometer in den Osten und diese Melancholie wird als Freude empfunden. Gestandene Männer heulen! Du weißt, wovon ich rede!“

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Klar weiß auch ich das, aber in der Popmusik und Raplandschaft gibt es eben genug Heulsusen, die unerbittlich auf die Tränendrüse drücken und damit Erfolg haben. Auch wenn Tua oft sein Innerstes nach außen kehrt und dabei gerne laut ist, achtet er strickt darauf, Pathos zu vermeiden. „Ich habe einen großen Ekel vor abgegriffenen Sprüchen. ,Mein Herz leidet im Sonnenuntergang des Blutes'… Da flippe ich aus! Du findest hoch und heilig niemals solche Floskeln bei mir.“ Der Drang nach Schwere beschränkt sich also eher auf das Tonale. Ob das mit Tuas slawischer Herkunft zu tun hat, weiß er selber nicht so genau.

Fest steht aber, dass er seinen Sound weitaus weniger divergent sieht, als es vielleicht seine Hörer tun, die mit den vielen Einflüssen manchmal auch überfordert werden. Man hat das Gefühl, dass Tua eigentlich so ziemlich jedes Instrument nutzt, wenn er gerade darauf Bock hat. Rap, Singsang, melodische Hooks, harte Drops, wobbelnde Bässe, Piano-Passagen. „Geht, ich finde das gar nicht so viel,“ kontert er, „Es gibt schon ganz klar Sachen, die ich nicht mache: Ich mache keine Gitarrenmusik, auch nichts mit E-Gitarren. Ich benutze auch sehr wenig eingespielte Drums.“

Sicherlich bemühen wir gerne das Wort „Genre“, um das uns Vorliegende einordnen zu können. Dabei vergessen wir, dass wir einen Künstler manchmal viel zu schnell in eine Kategorie verfrachten, aus der er dann selber nicht mehr raus kann oder möchte, weil die Assoziation mit einem Genre einfach leichter zu verstehen ist. Es verwundert nicht, dass sich Tua immer schon gegen die „Genre-isierung“ seiner Musik gewehrt hat. „Nur weil ich mich nicht eindeutig festlege auf Post-Nerdcore-Grinde-Hop oder so, kann man doch trotzdem sagen: Der Typ macht elektronische Musik mit Gesang- und Rap-Einschlag.“ Klingt natürlich wenig auf den Punkt gebracht, aber es würde Tua auch nicht gerecht werden.

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Trotzdem kann man den Tua-Sound eigentlich auf einige wenige Bausteine aufdröseln: Von Anfang an nutzte er Moll-Akkorde und arabeske oder östliche Tonleitern, die die Schwere in seiner Musik transportierten. Schon bei Nacht ließ er die Drums schneller laufen, sodass es fast schon Züge von Drum'n'Bass hatte. Die harten Drums und Drops befinden sich nicht erst seit Raus in seinem Klangbild. Woran man den Tua-Sound allerdings sofort erkennt, sind die wobbelnden und lang hallenden Synthie-Flächen, wie beim neuen Video zu „Keiner Sonst“.

Dieses Soundelement wird auf der neuen EP besonders häufig benutzt, weil es die wenige Wärme, die es in Tuas Sound gibt, am besten einfängt. Wenn ich mir Stevia so anhöre, dann packt mich das Fernweh. Die zuckersüßen Melodien, die entspannten Jazz-Cuts—ich sehe mich schon im Leinenhemd über einen Strand auf Korsika schlendern. Doch Vorsicht! Stevia, das ist ein Süßungsstoff, das süßer ist als Zucker, möglicherweise gesundheitsschädlich und bei zu hoher Dosierung bitter schmeckt. Tua zeichnet uns ein Bild von einem Hotel, einer Zwischenwelt, die glitzert und dir das Gefühl von Geborgenheit und Zuhause vorgaukeln soll.

Damit stellt Stevia genau das Gegenteil zu Raus dar „Bei Raus ging es um das Berlin-Ding, ich hatte eine achtspurige Straße vor meiner Haustür, überall war Action. Die Inspiration zu Stevia habe ich auf den Balearen bekommen. Dort ist es einfach schön, aber eigentlich gehört dir das nicht, und alles ist nur darauf konzipiert, dass du dich wohl fühlst.“ Wenn du aber in diesem Zimmer sitzt und nur dein Gepäck neben deinem Bett steht, fühlst du dich auf ein Mal wie im luftleeren Raum. Plötzlich bist du ganz nah bei dir selbst. Der Moment, in dem die Selbstzweifel aber auch die Einsamkeit einsetzt.

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Damit beschreibt er das, was der Maler Edward Hopper schon im Zuge des amerikanischen Realismus darstellte. Auf der EP befindet sich auch ein nach dem Künstler benannter Song, der geichzeitig mein Lieblingslied auf der Platte ist. Nicht nur weil Tua das einzige Mal darauf rappt, sondern, weil er eine unglaublich authentische Klangwelt aus dunklem Hotelzimmer, flackerndem Fernseher und quälenden Gedanken schafft.

Fotos: © Jan Kapitän

Wenn ich so genau darüber nachdenke, dann gefällt mir der Song aber doch am Besten, weil Tua darauf rappt. Nicht, dass ich finde, Tua könne oder solle nicht singen, auf keinen Fall, aber er ist eben auch ein begnadeter Rapper und ich glaube und hoffe, dass er mit sich und Rap immer mehr im Reinen ist.

Stevia ist genau das musikalische Stück, was ich mir von Tua gewünscht habe: Musikalisch wieder mal herausragend, leicht zugänglich, aber trotzdem sehr intelligent.

So muss Popmusik sein.

Heute erscheint Tuas EP Stevia bei Chimperator. Ihr bekommt sie digital bei Amazon oder iTunes und als limitierte CD exklusiv bei Chimperator.

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