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Interviews

Mit LSD gegen die Depressionen—Jesse Leach von Killwsitch Engage im Interview

Jesse Leach singt zwar wieder bei Killswitch Engage, kämpft aber nach wie vor mit Depressionen. Psilocybin, Whiskey und Cannabis helfen ihm dabei.

„Ich bin es müde, eine Fassade aufzusetzen, der Wahrnehmung anderer zuliebe“, schrieb Jesse Leach mitten im Songwriting zur neuen Killswitch Engage-Platte Incarnate. Auf Instagram sagt er es ganz offen, in unzähligen mit dem Hashtag „positive mental attitude“ versehenen Posts: Der Sympathieträger und Witzbold ist depressiv, muss sich viel zu oft den dunklen Mächten seines Selbstbewusstseins geschlagen geben. All der Rummel, die ständige Beobachtung und das Leben ohne Fixpunkt haben die losen Nerven vom Hardcore-Kid schon im Jahr 2002 zerrissen. Dort gab sich Jesse den Dämonen und ihrem widerlichen Spiel mit der Gedankenkraft geschlagen. Leach stieg bei Killswitch Engage aus— der junge Kerl, dem die ganze Welt offen stand. Seine Band steuerte nach den ersten beiden wegweisenden Alben Killswitch Engage und Alive Or Just Breathing mit dem von Howard Jones besungenen „The End Of Heartache“ auf die Spitze ihres Erfolgs zu, als Vorreiter eines Genres, das damals gerade erst „Metalcore“ getauft wurde.

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Für Jesse folgte ein Jahrzehnt Aufarbeitung abseits des Bühnenlichts, während sich seine Kollegen im Bühnenlicht sonnten. Im Nebel der Nacht versteckte sich sein Punkerherz in New Yorks bunt beleuchteten Bars, schenkte als Barkeeper wildeste Kreationen starker Spirituosen an Snobs und Saufgesellen aus. Überleben und lernen, dass selbst begnadetste Stimmen auf dem Boden der Tatsachen nach Sinn und Hilfe suchen müssen. Nur er selbst konnte sich aus seinem Gefängnis befreien. Nachdem sich Leach tagelang unter der Bettdecke der schrecklichen Faszination schlimmer Depressionen hingab, sah er vor seinem Fenster ein Blatt Herbstlaub zu Boden taumeln. Erleuchtung: Jesse war dieses müde Geschöpf, er fiel und sehnte den Aufprall herbei. Schock: Vor diesem Gedanken bekam das Häufchen Elend eine solche Angst, dass es aufsprang, sich das eingestaubte Fahrrad schnappte und so weit und schnell fuhr, wie es nur ging. Alles war wieder in Bewegung, Jesse atmete so tief ein und aus wie nie zuvor. Nicht die unzähligen Tritte in die Pedale waren das Wunder, sondern die Erkenntnis, selbst derjenige sein zu können, der dem Ganzen ein Ende setzt. Wir haben ihn schließlich in Berlin getroffen.

Noisey: Mega Respekt dafür, wie offen du in den Social-Media-Welten mit deinen Ängsten und Depressionen umgehst. Wie schaffst du es, mit solch schweren Gedanken zu leben?
Jesse Leach: Jegliches Training hilft, weil dein Körper Endorphine produziert und dich auf natürliche Weise besser fühlen lässt. Ich heize gern mit dem Fahrrad über Trampelpfade. Nummer zwei ist: raus in die Natur zu gehen und von allem wegzukommen. Unsere Kultur ist so vernetzt mit sozialen Medien, so verbunden mit der Vorstellung von dem, was genau in diesem Moment alles abgeht. Man bekommt Sorgen, ohne überhaupt an Angststörungen zu leiden. Wenn du allen Dingen zu jeder Sekunde Aufmerksamkeit spendest, hörst du auf, die kleinen Dinge wahrzunehmen, die dir Entspannung schenken. Der Rhythmus der Natur: vorüberziehende Wolken, die aufgehende Sonne, eine vorbeisummende Biene, Wind durch Bäume. Meditation, die dich von dem hektischen Chaos wegbringt, in dem wir leben.

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Was wir brauchen, ist also eine konstante Erinnerung daran, das Leben wertzuschätzen?
Ein stetiger Weckruf von Balance, ja. Wir brauchen Balance, sind gesellschaftlich gesehen völlig unausgeglichen.

Würdest du sagen, du hast die Schatten der Depression überwunden?
Nein. Ich habe Werkzeuge, die mir helfen, dagegen anzukämpfen. Aber die Schlachten wüten weiter. Ich muss mir eingestehen, dass ich mich damit wohl den Rest meines Lebens rumschlagen muss.

Gibt es für schwer Depressive überhaupt Heilung, damit sie ihr Leben relativ positiv bestreiten können?
Ich weiß es nicht, weil manche Depressionen extrem sind. Da kommt man ganz schwer wieder raus, egal ob mit Pillen oder Therapie. Ich habe wahrscheinlich eine milde Form, kann alltägliche Dinge erledigen, fühle aber eine Last auf meinen Schultern. Manche können nicht mal normale Sachen machen, hören auf zu essen, kommen nicht mehr aus dem Bett—das ist ernsthaft. Da war ich nur für eine kurze Zeit meines Lebens. Klar habe ich Tage, an denen ich nicht aus dem Bett komme und nicht funktioniere, aber andere sind da monatelang drin gefangen. Ich habe Freunde, die mussten wegen ihrer Ängste ins Krankenhaus. All das spielt sich nur im Kopf ab. Darum drehen sich meine Texte, sie sind Spiegel meiner Seele. Musik ist für mich Therapie.

Mit Selbsttherapie kennst du dich aus. Du hast öffentlich darauf hingewiesen, Psilocybin zu nutzen. Was und wie ist das?
Psilocybin steckt in Magic Mushrooms, Ayahuasca oder LSD—in solch psychedelischen Drogen. Jetzt kommen neue, kontroverse Studien raus, die Folgendes aussagen: Wenn du eine normale Tripdosis in ein Sechzehntel oder Vierundzwanzigstel teilst—in winzige Mengen, wo du nicht trippst, keine Halluzinationen hast, deine Sprache nicht beeinträchtigt wird, nichts davon—dann reagiert das mit deiner Körperchemie so, dass es bewiesenermaßen Menschen mit Alzheimer, Demenz, Ängsten und Depressionen hilft. Das ist neu, ich habe es herausgefunden, indem ich offen bin und mir Infos von anderen Leuten hole.

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Und das hilft dir richtig gut?
Es ist UNGLAUBLICH.

Ist das legal?
Oh nein, haha. Natürlich nicht. Am Ende werde ich noch wegen des Interviews am Flughafen aufgehalten. Ich reise nie damit. Aber es ist so traurig, dass ich vorsichtig sein muss, darüber überhaupt zu reden. Wegen der gewaltigen Unternehmen, die dir das Geld abluchsen für Pillen, die dich weiß ich wie viele hunderte Dollar im Monat kosten, damit du deine Medizin bekommst. Für Medizin, die auch aus der Erde kommt, aus dem Regenwald. Im Amazonas-Dschungel stehen verschiedene Pflanzen Seite an Seite. Eine kann dich vergiften, die direkt gegenüber heilt dich. Das finden Forscher oft im Dschungel, die Eingeborenen wissen das. Diejenigen, die Medizin seit Anbeginn der Menschheit studieren. Ich kann nur über die Vorstellung lachen, dass Menschen Pillen einschmeißen. Weil es alles, was du brauchst, ja in der Natur gibt. Auf dem Trip bin ich gerade (ja, Wortspiel): Was in der Natur kann helfen, mentale Krankheiten zu heilen und Menschen auszubalancieren?

Was passiert genau, wenn du kleine Dosen psychedelischer Drogen nimmst?
Es beruhigt. Und fühlt sich dabei nicht künstlich an, betäubt nicht, wie es bei vielen Tabletten der Fall ist. Ein Gefühl wie eine warme Decke. Oder ein gemütliches Glas Whiskey. Du riechst ihn, setzt an und sippst das erste Glas. Dieses „Aaah“-Gefühl danach, das ist es. Wenn du nicht weiter trinkst, du noch funktionierst und alles gut ist.

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Apropos psychedelisch: Du hast Vorahnungen in Träumen, stimmt das?
Das fühlt sich an wie ein Oprah-Interview, Alter. Ja, ich habe die seit meiner Kindheit. Ich bekomme Visionen, manchmal von Dingen, dir mir später wirklich passieren. Ich vergesse sie, bis sie eintreten. So ähnlich sind Déjà-vu-Gefühle. Das ist aber zu persönlich, um darüber zu reden. Es lässt mich nur wundern: Wir haben gar keine Ahnung, wie unsere Gehirne funktionieren. All die Wissenschaftler und ihr Verdienst können uns nur wenig darüber sagen. Ist es eine Gabe oder etwas, dass wir alle in uns tragen? Ich glaube zweifellos daran. Ich habe Menschen mit einem sechsten Sinn getroffen, die mich total verängstigt haben. Sie haben mir Dinge über mich erzählt, die keiner wissen konnte. Stell dir vor, jemand kommt auf dich zu und sagt: „Hey, ich erinnere mich noch daran, wie du sechs Jahre alt warst, du hast dies gesagt und deine Mutter das—weißt du noch?“ Whoa! „Schutzgeist“ benutzen sie als Begriff für so etwas.

Mittlerweile trinkst du weniger Alkohol und nutzt sogenannte „herbal supplements“. Was ist das?
Marihuana, THC. Es hilft gegen meine Ängste. Ich nehme kleine Dosen, nicht um high zu werden, sondern aus medizinischen Gründen. Es isst sich wie Gummitiere, Brownies oder Kekse. Ich bin sehr vorsichtig, wo ich die Zutaten dafür herbekomme, wenn ich sie selber herstelle. Sie sind sehr nützlich, schlagartig. Und es gibt nicht mal negative Nebeneffekte! Mit anderen Arzneimitteln kann man echten Schaden verursachen: Leber, Nierensteine, sie bringen dich mental durcheinander. Ich will nicht taub sein, will keine Pillen nehmen, keine Chemie.

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Wie oft greifst du zu den Glücklichmachern?
Wenn ich sie da habe, ein paar Mal die Woche. Es kommt darauf an: Manchmal brauche ich sie nicht, aber ich habe immer welche, für den Fall der Fälle. Wenn ich reise, wäre ich natürlich ein Idiot, Marihuana mitzuschleppen. Klar sollte es legalisiert werden, weil Marihuana Medizin ist. Die Branche verschreibungspflichtiger Arzneimittel und unsere Regierung verteufeln es. Dabei ist es eine Pflanze, die aus unserem Boden sprießt und seit vielen, vielen Generationen von unseren Vorfahren und Stämmen aus medizinischen wie spirituellen Gründen genommen wird. Es ist lächerlich, dass es illegal bleibt, während wir so viel Alkohol trinken und Zigaretten rauchen dürfen, wie wir wollen.

OK, dann probieren wir es doch auf die legale Weise: Du hast da von Whiskey als helfende Hand gesprochen, um Gedanken mal ruhen zu lassen…
Ich wohne im Hudson Valley, New York, einer Apfelregion. Weiter nördlich über New York City, The Bronx, gibt es nur Farmen, Berge und Flüsse. Jeden Herbst gibt es tonnenweise organischen, wirklich guten, fleischigen und ungefilterten Apfel-Cider. Ich erwärme den auf dem Kochfeld mit Zimt, schwarzem und Cayenne-Pfeffer, Nelken und flüssigem Anis. Dann nehme ich anständigen Whiskey für 18 US-Dollar die Flasche, bloß keinen beschissenen Bourbon. Einen Shot davon plus einen Doppelten vom Cider gemixt, Orangen gespickt mit Nelken rein und es schmeckt göttlich! Du hast alles, was du am Whiskey magst, mit einem Apfel-Cider-Finish, all die Gewürze und manchmal haue ich noch Tequila extra rein. So gut! Wenn es Winter wird, wirkt das wie ein Lagerfeuer und eine Kuscheldecke in deinem Mund. Sollen doch alle denken, ich sei cheesy, das ist mir nur recht, haha.

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