Bring your own Schlafsack—Robert Rich veranstaltet Konzerte zum Schlafen

Auf ein Konzert geht man aus den unterschiedlichsten Gründen. Die einen sehen es als soziales Event, kommen, um ein Bier mit dem lange nicht gesehen Freund zu trinken, andere wollen tanzen, die Musik genießen oder einfach abschalten. Zu einem Konzert von Robert Rich jedoch kommen alle aus einem Grund: um zu schlafen. Das Konzept klingt erstmal seltsam: Die Veranstaltung beginnt am späten Abend, erstreckt sich über zehn Stunden, die Anwesenden bringen Schlafsäcke und Decken mit, machen es sich im Raum gemütlich und schlummern zu den atmosphärischen Drone- und Ambient-Sounds des Produzenten ein. Dahinter steckt allerdings eine durchdachte Idee, ein Gegenentwurf zur schnelllebigen Feierkultur und ein für seine Zeit sehr fortschrittliches Konzept.

Dass du auf deinem Eventkalender trotzdem hauptsächlich Partyreihen oder Rap-Konzerte stehen hast und die „Sleep Concerts“ nicht jede Woche in deiner Stadt stattfinden, hat vor allem den Grund, dass sie von dem Kopf der Schlafmützen Robert Rich in den Achtzigern und Anfang der Neunziger veranstaltet wurden, auch wenn es inzwischen Nachahmer gibt. Letzte Woche hat er im Zuge der Red Bull Music Academy nach langer Zeit wieder ein Schlafkonzert in Tokio ins Leben gerufen.

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Beginnen sollte das Schlafkonzert um 12 Uhr nachts nach einem Noise-Konzert, auf dem Melt Banana und Keiji Haino lärmten. Das SuperDeluxe in Shibuya war mit Tatami-Matten ausgelegt, die Schuhe mussten vorne ausgezogen werden. Der Kontext—auf einem Konzert in Japan zu sein, auf dem eben noch die Fushitsusha-Legenden spielten—lag sowieso außerhalb der gewohnten Komfortzone, dass um 5 Uhr morgens mit Mundgeruch und Schlaf in den Augen Tee getrunken und Obst gegessen wurde, machte die ganze Veranstaltung nur absurder. Aber, wie bereits erwähnt, hatte Robert Rich eine Absicht, als er sich all das ausdachte.

Es war 1982 als Robert Rich aus Kalifornien die sogenannten Sleep Concerts ins Leben rief. Der damals 19-Jährige hatte sich das Vorhaben, Schlafkonzerte zu veranstalten, in den Kopf gesetzt, als er im Teenager-Alter mit selbstaufgenommenen Sounds und Drones in seinem Kinderzimmer experimentierte. Er ließ Geräusche aus seiner Umgebung stundenlang im Loop laufen—Regen, Frösche, Insekten—und beschäftigte sich damit, wie sich die Aufmerksamkeit gegenüber den Geräuschen über einen längeren Zeitraum hinweg veränderte und wie das Gehör die Geräusche nach einer Weile aufnimmt. Als er das, was er dadurch erlebte, mit anderen Menschen teilen wollte, stand er allerdings vor einer Herausforderung.

„Wir leben in einer Welt voller Ablenkung,
eine Welt mit konstanter Unterhaltung.“

„Die Leute wollen immer Entertainment, sie wollen aufgeregt sein. Die Frage ist also: Wie bekommst du die Leute dazu, sich hinzusetzen und aufmerksamer zuzuhören, als sie es normalerweise machen würden?“, fasst Robert Rich dieses Problem zusammen, vor dem er einst stand. Also musste ein Ansatz her, um die Leute in einen Zustand zu bringen, in dem sie kein Entertainment fordern, sondern sich auf ihr Inneres beruhen: der Schlaf.

Dabei geht es ihm auf den Konzerten nicht um den Schlafzustand an sich oder um die Träume, die man währenddessen haben kann, sondern um das Abbremsen der Aufmerksamkeitsspanne, darum, die ständigen äußeren Reize, die in Form von Informationen, Strobolicht oder schnellen Geräuschen auf einen einprasseln, eine Zeit lang zu unterbrechen. „Wir leben in einer Welt voller Ablenkung, eine Welt mit konstanter Unterhaltung“, erklärt er und hält an der Idee fest, dass es in unseren Köpfen viel mehr Fähigkeiten gibt, deren Nutzen wir aber vergessen haben. Er meint, die Informationsflut und Reizüberflutung lähmt unsere Gehirne und hindert uns daran, vieles richtig erleben zu können.

Damit spricht der inzwischen 51-Jährige ein Problem an, das in der heutigen Zeit der Digitalisierung aktueller denn je ist. Man spricht von den lähmenden, unendlichen Möglichkeiten der jungen Leute, eine durch das Internet bedingte Informationsflut, die überhaupt nicht bewältigt werden kann, und eine mediale Reizüberflutung in jeglicher Weise. Dabei stammen seine Überlegungen aus einer Zeit, in der die Kultur noch nicht annähernd an dem Punkt war, immer und überall von Smartphones umgeben zu sein. „Auf eine Art war es die Lösung für ein Problem, das wir noch gar nicht hatten“, scherzt er.

Das Schlafkonzert in Tokio ist eines der wenigen, die er heute noch veranstaltet, nachdem er aufhören musste, als er sich ein Virus einfing, der ihn ständig müde machte. Manchmal erlaubt sich das Leben eben absurde Späße. Vielleicht ist das Konzert deswegen auch nur halb so lang wie die ursprünglichen. Etwa 100 Leute liegen zusammen im Dunklen, als Robert Rich anfängt, seine Musik zu spielen. Nach wenigen Minuten schnarchen die ersten. Es sind wohl die Gleichen, die nicht aufwachen, als das Konzert gegen fünf Uhr morgens vorbei ist, die einfach weiterschlafen, als wären sie zuhause in ihrem Bett. Die Mehrheit scheint allerdings in einem Halbschlaf zu sein, dem sogenannte Leichtschlaf, dem Zustand zwischen dem Wachsein und dem Tiefschlaf.

„Auf eine Art war es die Lösung für ein
Problem, das wir noch gar nicht hatten.“

So auch ich. Aus irgendeinem Grund schlafe ich immer ein, wenn mir die Musik gerade gefällt, vielleicht für 20 bis 30 Minuten. Dagegen ist die Musik jedes Mal, wenn ich wieder wach werde, etwas lahm, leise und einschläfernd. Vielleicht hat mein Körper beschlossen, auf dem Schlafkonzert lieber im Schlaf entertaint zu werden. Vielleicht liegt es aber auch schlicht und einfach daran, dass man schneller einschläft, wenn man sich entspannt, also wenn die Musik gefällt. So erklärte es mir vorab ein Schlafforscher in einem langweiligen Gespräch, das vor allem darauf hinauslief, dass es keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, wie äußere Geräusche oder Musik den Schlaf beeinflussen. Robert Rich erklärt den leichten Schlaf und das ständige Erwachen noch einfacher: „Wenn du mit vielen Leuten in einem Raum schläfst, schläfst du nicht so tief. Das liegt nicht an einem komischen Grund. Neben dir bewegt sich eben jemand, jemand schnarcht, einer läuft herum, es gibt Störfaktoren.“ Und kommt zu dem entscheidenen Punkt: „Auch die Musik ist ein Störfaktor für den Schlaf.“ Sein Ziel ist eben nicht ein tiefer Schlaf: „Es geht darum, dich von der Musik an einen Ort des Unwissens bringen zu lassen, dich dazu zu bringen, nicht aufzupassen oder dich zu konzentrieren, du musst nicht aufpassen.“

Live-Aufnahme des Schlafkonzerts in Tokio


Wenn man ihn nach einer Wirkung fragt, die ein Sleep Concert auf ihr Publikum hat, erzählt Robert zwei Geschichten. Eine von einem Typen, der einen luziden Traum hatte—die Art Traum, in der dir bewusst ist, dass du gerade träumst—und die Musik mit einfließen ließ. Die zweite Geschichte ist von einer Frau, die nach dem Konzert verängstigt zurück in den Konzertsaal kam, um sich noch ein paar Minuten auszuruhen, weil sie die lauten Geräusche der Stadt nicht mehr ertragen konnte. „Diese Dinge würde ich Erfolg nennen“, sagt Robert glücklich. Manchmal haben Leute aber auch dunkle Erinnerungen, Albträume oder Angstzustände. „Ich kann auch nichts dagegen machen, in der Musik ist nichts Dunkles, es ist, was bei den Leuten im Kopf ist.“

„Ich muss nicht die Person sein, die spielt,
es geht nicht um meine Musik.“


Inzwischen gibt es ein paar Leute, die das Konzept kopieren. Robert weiß davon, weil einige ihn um Erlaubnis gebeten haben. Er freut sich darüber. Er möchte, dass die Idee weitergetragen wird, es gehe ja nicht um seine Musik, es geht darum, eine Erfahrung zu kreieren, die anders ist, darum, etwas Seltsames zu kreieren. „Es ist ein Format.“, sagt er. Er hat ja nicht die Rechte an den Schlafkonzerten: „Ich muss nicht die Person sein, die spielt, es geht nicht um meine Musik.“

Nach dem Konzert wünsche ich mir nichts sehnlicher, als sofort schlafen zu gehen. In einem Bett, alleine, in meinem Hotelzimmer, ohne die schnarchenden Leute direkt neben mir. Als ich ihn zuvor frage, ob die Leute Schlafkonzerte seiner Meinung nach heute nicht eher bräuchten, antwortet er: „Ich weiß nicht, ob sie es überhaupt jemals gebraucht haben… Das ist ja immer die Sache mit der Kunst.“

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