Foto von Matthias Hombauer
Zum zweiten Mal findet heuer das Rock in Vienna statt, ein Dreitage-Festival der härteren Gangart. Die Besonderheit: mitten auf der Donauinsel, also nicht irgendwo in der Pampa. Das hat bei der Premiere letztes Jahr schon einiges Stirnrunzeln verursacht—nicht wegen der logistischen Herausforderungen, die hat man nach über 30 Jahren Donauinselfest mit weitaus mehr Besuchern bestens im Griff. Sondern wegen der Rahmenbedingungen. Ist der durchschnittliche Konsument von etablierten Hardrock- und Metalbands bereit, für einen Festivalpass die durchaus als geschmalzen geltenden fast 200 Euronen für einen Dreitagespass abzudrücken? Gibt es überhaupt genug Publikum für das doch eher konservative Booking der Headliner, die in schöner Regelmäßigkeit ohnehin in Österreich auftauchen? Und kann man überhaupt das Flair von Vorbildern wie Rock am Ring oder auch Nova Rock mitten in der Stadt replizieren?
Die Antwort ist nach Lokalaugenschein am ersten Tag 2016 die gleiche wie schon bei der Premiere letztes Jahr: ein klares Jein.
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Donauinsefest-Vibes beim Rock in Vienna. Foto vom Autor
Um das Publikum muss man sich mal keine Sorgen machen. Inoffiziell kolportierte 45.000 Menschen waren beim Auftakt bei ausgezeichnetem Wetter vor Ort, diese Zahl dürfte angesichts der gebuchten Bands auch am zweiten und dritten Tag konstant bleiben. Trotz vieler fremder Zungen ist das Klientel durchaus mit jenem am Donauinselfest vergleichbar, also großteils Wiener, Österreicher aus den östlichen Bundesländern und zahlreiche Ungarn, Slowaken und Tschechen. Aber: im Gegensatz zum DIF tragen hier plötzlich 70% der Besucher schwarz, respektive entsprechende Bandshirts oder wunderschöne Metal-Kutten; sturzbetrunkene Halbstarke und energisch den Buggy vor sich herschiebende Jungeltern findet man gar nicht. Das hat natürlich einen Grund: Rock in Vienna ist das Donauinselfest für Erwerbstätige. Das Coachella für den Wiener Gemeindebau, spitz formuliert. Seht her, ich kann mir das Ticket leisten und auch was Schickes zum Anziehen—auch wenn ich privat wahrscheinlich nie solche Bands höre.
Die braven Wolken. Foto vom Autor
Wo sich beim großen Bruder DIF (mit wesentlich schlechteren Acts) im Prinzip jeder mit mitgebrachtem Dosenbier wegschießen und für lau verschiedenste Acts gönnen kann, um dann entweder schon am Nachmittag im Sanitäterzelt aufzuwachen oder nach einer Runde Tagada zu kotzen, bedarf es bei Rock in Vienna schon einer gut gefüllten Börse. Mitgebrachtes gilt nicht und beim Krügerl Bier um 5 Steine oder einer Pizzaschnitte um 3,50, geht es von den ersten Acts ab ca. 15:00 bis knapp vor Mitternacht schon ganz schön ins Gesparte. Merchandise noch gar nicht mitgerechnet. Trotzdem funktioniert es. Warum? Weil hier im Gegensatz zu Festivals in der Provinz praktisch jeder Besucher mit Wiener Öffis anreist und daheim übernachtet oder eben bei Freunden und Verwandten. Die oftmals kostspielige Anreise- und Camping-Logistik fällt also weg, das freie Budget fließt in den höheren Ticketpreis und die gehobenen Gastropreise.
Foto von Matthias Hombauer
A propos Camping. Auch wenn es ein paar ganz hartnäckige Besucher gibt, die den zur Verfügung gestellten Campingbereich nutzen, handelt es sich hier um eine Art Pendlerfestival. Die klassische Campingmagie (im Schlafsack frieren oder vor Hitze umkommen, über Zeltseile stolpern, besoffen “Helga” oder “Beauty” schreien) fällt natürlich weg und somit ein wesentlicher Teil der sogenannten Festivalkultur. Und eine der vielen Aftershowparties in Wiener Lokalen wie dem Chelsea oder Loft kann natürlich keinen Dosenfisch mit warmen Bier unterm halb kollabierten Baldachin ersetzen, klar. Am Festivalgelände ist aber alles wie gehabt, Jägermeister inklusive. Dennoch würde ich Rock in Vienna nicht als Festival, sondern eher einfach als dreitägiges Open Air bezeichnen.
Foto von Matthias Hombauer
Das Wichtigste sind aber natürlich die Bands. Der erste Tag war gleich mal von dem Motto “klotzen statt kleckern” geprägt. Mit Eisbrecher, dem idealen Hybrid für alle, denen Unheilig zu pathetisch-soft und Rammstein zu derb ist, ging es bei Sonnenschein los. Freilich aber eben sehr unspektakulär, eben weil sie entweder zu wenig pathetisch oder brachial sind. Auch der deutsche Humor bei den Ansagen perlte an der grantigen Wiener Seele ab wie verschüttetes Red Bull an der Goretex-Hose. Schade irgendwie. Die folgenden Pain gingen komplett unter, vielleicht auch weil für das aus dem Vorjahr übernommene alternierende Parallelbühnensystem in Summe noch zu wenig Menschen da waren. Bei Anthrax änderte sich das schlagartig. Die Thrashmetal-Ikonen lieferten, wie schon 2015 im Gasometer, eine solide Show ab, die im schon gut gefüllten Wavebreaker von grauhaarigen Kuttenträgern und blassen, in schwarz gekleideten Jünglingen gleichermaßen mit energischem Kopfnicken gefeiert wurden. Dann Babymetal. Perfekte Show, höchste Präzision und ein begeistertes Publikum, dass sogar einen beeindruckenden Circle Pit organisierte. Babymetal kauften zumindest beim Hurra-Faktor den vorangegangen Veteranen ein wenig die Schneid ab. Verstehen muss man dieses japanische Phänomen aus der Retorte trotzdem nicht.
Eigenes Bandshirt tragen? Slayer dürfen das. Foto von Matthias Hombauer
Dann folgten die Thrash-Legenden Slayer, die somit schon die Hälfte der berühmten “Big Four” des Thrashmetal komplettierten. Laut, hart, gut. Allerdings mit etwas Verspätung, denn die in der Zwischenzeit angesetzte Red Bull Skydive Show startete nicht pünktlich. Als dann gezählte vier(!) Paragleiter nach einem unspektakulären Absprung auf dem Gelände landeten, war in vielen Gesichtern Ratlosigkeit abzulesen. Kein Wunder, waren doch im Gegensatz zu den pünktlich startenden Bands die Fallschirmspringer die einzigen, die die Leute warten ließen. Und der Showfaktor? Sagen wir es so: in Zeiten von russischen Dashcam-Videos auf Youtube und Filmen wie “Hardcore Henry” sind gewöhnliche Fallschirmspringer ungefähr so prickelnd wie Omas Käsepappeltee. Die bis dahin gute Stimmung kühlte daher ein wenig ab, auch wegen der bedrohlich wirkenden Gewitterkulisse, die dann aber doch nur ein paar Tropfen auf die Insel fallen ließ—in Summe weit weniger, als Slayer-Gitarrist Kerry King an Schweißtropfen von seiner Vollglatze beutelte.
Mit dem finnischen Metal-Streicherquartett Apocalyptica ging es zwar weit weniger brutal, aber dafür optisch und akustisch schmeichelhafter zugange, was man an einem plötzlich höherem Frauenanteil in den vorderen Reihen bemerkte. Die Männer gingen Bier holen oder loswerden, die Partnerinnen schauten der skandinavischen Recken zu, wie sie an ihre Streichinstrumente geklammert das lange Haupthaar lüfteten. Schön. Das alles sollte aber nur Vorgeplänkel für den unumstrittenen Höhepunkt des Tages, wenn nicht sogar des gesamten Rock in Vienna sein—der in jeder Hinsicht spektakuläre Auftritt der Publikumslieblinge Rammstein. Mit einer etwas schrägen Setlist am Start hatten die Berliner vom ersten rollenden “RRR” an das Publikum fest im Griff. Die entsprechende Pyroshow unterstrich deutlich, warum die oft kontroversen Texte und Inszenierungen in Kombination mit dem gnadenlos bolzenden Stahlhammer-Metal auch international so erfolgreich sind—und das seit 20 Jahren. Zugabe, Aus, Ende, und der Tross an Zusehern verließ gesittet mit U-Bahn und S-Bahn das Gelände.
Foto von Matthias Hombauer
Die Bilanz: ein durch und durch gut organisiertes Event, maßgeschneidert für die Location in einer dicht besiedelten Großstadt. Vielleicht ein wenig zu gut organisiert und maßgeschneidert. Rock in Vienna ist ein Open-Air-Event der Bequemlichkeit und Angepasstheit, nicht nur wegen des konservativen Bookings. Der perfekte Ersatz für die dem Fernsehen abhanden gekommenen Gassenhauer wie Wetten Dass?. Denn nicht nur die schon eingangs erwähnte fehlende Festival-Stimmung, sondern auch die für meinen Geschmack viel zu zahme PA, lassen zum fröhlichen Irrsinn vergleichbarer Spektakel schon eine Lücke klaffen. Wahrscheinlich ein Zugeständnis an die Anrainer (lies: 95jährige Friedenszinsler auf der einen Seite, Schrebergärtner auf der anderen Seite der Donau), blies die Tonanlage in äußerst spitzem Winkel und fast ohne Bässe in moderater Lautstärke über die Zuschauer hinweg.
Foto von Matthias Hombauer
Wenn ich mich an das Ohrenpfeifen nach dem letzten Prince-Gig vor zwei Jahren in der Stadthalle oder sogar Paul McCartney im Stadion erinnere, war das gestern leider ziemlich schwachbrüstig. Aber gut gemixt, trotz der Parallelbühnen ohne Umbaupause oder Soundcheck, soviel Lob muss sein! Aber nur zur Veranschaulichung: Wenn ich im Wavebreaker direkt vor der Bühne während eines Anthrax-Sets trotzdem gut telefonieren kann, mir bei der Doublebass von Slayer ebendort nicht die Hose schlackert und ich das alles während Rammstein ohne Ins-Ohr-Schreien mit meinen Kumpels besprechen kann, dann fehlt hier einfach der Druck, der ein Livekonzert ausmacht. Wenn ich im Auto laut aufdrehe, ist es nicht viel anders. Das ist ein wenig schade. Spinal Tap würden hier nicht auftreten, denn bei Rock in Vienna gehen die Regler leider nicht bis 11.
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