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Pegida, Ausländerhass und die rechte Klagewelle gegen Musiker wie Antilopen Gang und Captain Gips

Was ist in diesem Land los, in dem eine Band verklagt wird, die einen vollkommen harmlosen Song gegen eine Nazidemo veröffentlicht, während in Nürnberg ein Flüchtlingsheim brennt?

Was ist in Deutschland los? Das ist keine rhetorische Frage, mit der ich einigermaßen gelenk in den Text einsteigen will—das ist eine Frage, die mich derzeit ernsthaft beschäftigt. Leider habe ich auf diese Frage keine Antwort. Alles, was diese Frage auslöst, ist Unbehagen. Und Angst.

Gründe gibt es auf vielen gesellschaftlichen Ebenen genug, aber Noisey ist eine Musikseite, also bleiben wir beim Thema Musik. Vor ein paar Wochen verklagte Ken Jebsen die Antilopen Gang wegen einer Textzeile in ihrem Lied „Beate Zschäpe hört U2“, in dem die Band Jebsen indirekt Antisemitismus vorwarf. Klar kann es sein, dass Jebsen einfach die Band hasst, also kein größerer Plan hinter der Klage steht. Aber es ist doch auffällig, dass eine Band, die offen gesellschaftskritisch ist und in einem Lied ausführlich darüber berichtet, wohin sich Deutschland aktuell entwickelt, postwendend mit einer Klage abgestraft wird. Auch vollkommen egal, ob sie letzten Endes vor Gericht Recht bekommt oder nicht, die Antilopen Gang hat einen Haufen Ärger an der Backe, weil sie einfach nur ein Lied darüber macht, dass in Deutschland seit einiger Zeit ein massiver Rechtsruck zu spüren ist.

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Der gesunde Menschenverstand sagt sich da: Wie gut, dass dieses Thema angesprochen wird. Und selbst wenn man nicht derselben Meinung ist wie die Band, ist es doch ein großartiger Anlass für so etwas wie eine gesellschaftliche Debatte—reden wir doch mal über den Rechtsruck der Mitte. Über „Anti-Islamistische“ Demos mit Zehntausenden Teilnehmern, die nichts anderes sind als schlecht getarnter Faschismus einer breiten Bürgerlichkeit. Und was das über unser Land aussagt. Stattdessen findet sich irgendein Dummer (oder wie er selbst sagen würde: Mutiger), der gegen das Lied klagt. Wenn man gegen jeden Scheiß klagen würde, den Ken Jebsen verzapft, hätte man viel zu tun.

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Beitrag von Captain Gips.

Gestern Abend veröffentlichte Captain Gips, seines Zeichens Rapper bei Audiolith Records und Mitglied der Band Neonschwarz, eine Vorladung des Landeskriminalamts Hamburg. Anlass ist sein Song „NaziFreieZone“, veröffentlicht am 14.05.2012. Laut der dieser Vorladung zugrunde liegenden Anzeige soll Captain Gips im Song zu Straftaten aufgefordert sowie sich der Volksverhetzung schuldig gemacht haben.

Die Vorgeschichte ist folgende: Am 2. Juni 2012 wollten Neonazis aus ganz Deutschland in Hamburg demonstrieren, die Stadt Hamburg rief offiziell zur Gegendemonstration auf und die Hamburger Rapper Captain Gips und Johnny Mauser schlossen sich diesem Aufruf in Liedform an. Natürlich unterscheiden sich der Text des Liedes und der Text der Stadt Hamburg, aber Volksverhetzung und Aufruf zu Straftaten sind trotzdem nicht so einfach zu finden. Wir haben hier die radikalsten Textstellen zusammengetragen:

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- „Eure Demo kommt hier nicht mal einen Meter breit—egal ob militant oder Sitzblockaden“

- „Du bist ein rassistisches Arschloch“

- „Wir jagen sie aus der Stadt, bis kein Nazi mehr da ist“

- „Und sie bringen was mit nach Hause, au yeah, Nasenbruch, und ein kleines Souvenir: Zahnverlust“

- „Der Widerstand wird friedlich oder militant“

Das soll ein Aufruf zu Straftaten sein? Oder gar Volksverhetzung?

Wenn das linksradikale, volksverhetzende Propaganda ist, braucht sich wirklich niemand zu fürchten. „Der Widerstand wird friedlich oder militant“, da scheint das Wörtchen „militant“ fast eher dem Reim geschuldet zu sein, als dass es eine ernsthafte Drohung wäre. Das würde mir noch nicht mal Angst machen, wenn ich als Nazi Teil der Demo gewesen wäre.

Was mir allerdings Angst macht, ist, wie schnell man offenbar gerichtliche Prozesse am Arsch hat, wenn man eine Meinung in die falsche Richtung kundtut. Wenn man mal eine laues Lüftchen gegen eine Nazidemo loslässt, klingelt die Polizei. Wenn man das Wort Antisemit im selben Satz fallen lässt, wie den Namen Ken Jebsen, hat man eine Anwaltskanzlei am Arsch. Solche Nichtigkeiten ziehen in Deutschland Gerichtsverfahren nach sich, während in Dresden Zehntausende gegen Ausländer demonstrieren und in Nürnberg drei geplante Flüchtlingsheime brennen.

Angst macht mir diese enorme Zusammenrottung von Idiotie. Angst macht mir ein Land, in dem der Normalo Verschwörungstheorien mehr Glauben schenkt als wissenschaftlichen Erkenntnissen, in denen Positionen wie „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ oder „Die Flüchtlinge kommen nur, damit sie ein besseres Leben haben“ plötzlich wieder als gesellschaftsfähig gelten. Erheblich mehr Angst als Flüchtlinge in meiner Stadt.

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Denn natürlich kommen die Leute auf der Suche nach einem besseren Leben. Weil das Leben, aus dem sie flüchten, die Hölle ist. Wenn der Kapitalismus darauf basiert, dass jedem überall und jederzeit sämtliche Waren verfügbar gemacht werden, dann muss auch jeder jederzeit und vollkommen frei entscheiden dürfen, wo er leben und, ja, arbeiten möchte. Wenn ihr Geld mit den Menschen in Afrika, Indien, China und Dhaka verdienen wollt, müsst ihr euch nicht wundern, wenn sie was vom schönen Leben abhaben wollen. Wir können diese Menschen an einem besseren Leben teilhaben lassen und auch noch davon profitieren. Aber statt zu teilen, werden Mauern und Zäune gebaut. Die EU kesselt sich ein und Menschen, die verzweifelt genug sind, alles aufzugeben, um eine klitzekleine Chance auf ein besseres Leben zu bekommen, sterben an der Grenze. Und ihr seid am Ende froh, weil sie uns „keine Arbeitsplätze wegnehmen“ konnten.

Ironischer Twist der Geschichte ist, dass die größten Pegida-Demonstrationen ausgerechnet in Dresden stattfinden. Einer Stadt, die einen lächerlich kleinen Ausländeranteil hat und aus der in der gesamten DDR-Zeit Menschen geflüchtet sind. In den Westen, in eine bessere Welt, sowohl aus politischen Gründen wie aus wirtschaftlichen.

Hoffen wir, dass das Verfahren gegen Captain Gips eingestellt wird und er und alle Künstler seines Labels Audiolith weiter gegen Faschismus kämpfen. Lasst euch nicht von Arschlöchern einschüchtern.

Ayke bei Twitter: @suethoff

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