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Die Geschichte hinter dem Gesichtstattoo der Pentatones-Sängerin

Ihr könnt euch alle wieder beruhigen.

Letzte Woche haben wir ein Video der Berliner Band Pentatones veröffentlicht, in welchem die Sängerin Delhia in ein Tattoo-Studio spaziert, um sich einen fetten schwarzen Kreis mitten ins Gesicht zu tätowieren. Dem Anlass angemessen natürlich alles festgehalten in professionell verwackelten Bildern. Die Band hatte sicher darauf gehofft, aber niemals das riesige Echo voraussagen können, was kurze Zeit durch die Medien hallen würde. Dabei war der aufsehenerregende Tattoostudio-Besuch „nur“ eine gutgemachte Inszenierung. Gestern haben wir uns mit den Pentatones für ein Skype-Gespräch getroffen, um über die Idee hinter der Aktion, die Durchführung, ihre Reaktion auf die kritischen Kommentare und die Bedeutung von Permanenz zu reden.

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Noisey: Ihr habt am Montag ein Konzert gespielt, habt ihr das mit dem Kreis da durchgezogen?
Delhia: Ja, wir haben Kunstblut draufgeschmiert, das sah schon ziemlich echt aus. Aber das ist dann im Laufe des schweißigen Abends verlaufen.

Wie kamt ihr überhaupt ursprünglich auf die Artwork-Idee?
Julian: Zuerst stand der Albumtitel Ouroboros, diese Schlange, die sich selbst verzehrt. Das beschreibt einen Anfangs- und Endpunkt, an dem etwas immer wieder neu beginnt. Da wir alle keinen Schlangen mögen und das Motiv schon sehr belegt ist, haben wir uns für ein anderes Bild bemüht. Ich habe dann diesen schwarzen Kreis ins Spiel gebracht, als Punkt, wo sich eben Anfang und Ende treffen.
Hannes: Das hat auch mit einem Störungsgedanken zu tun, musikalisch, wie auch symbolisch. Eben den Cover-Shot zu bedienen, aber auch zu beschädigen. Der zentrale Punkt des Menschen, das Gesicht, als die zentrale Information wird weggenommen.
Delhia: Dieses Prinzip der Störung zieht sich ja durch das ganze Album. Es war uns wichtig, diese Ästhetik auch in dem Tattoo-Video weiterzuführen. Denn da wird die Störung nochmal mehr überzeichnet. Da ist es eine Störung der Realität. Wann kam dann die Idee, das alles als potenziell virales Video zu inszenieren?
Delhia: Wir wollten natürlich ein Video machen, das die Möglichkeit hat, mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Indem es nämlich einen Nerv trifft, der ein bisschen wehtut. In diesem Falle wirklich wehtut, nämlich dem Mädchen in dem Video und natürlich auch demjenigen, der zuschaut.
Julian: Das ist ja auch eine gewisse Notwendigkeit, aus der heraus wir arbeiten. Wir haben natürlich kein fettes Plattenfirmen-Budget zur Verfügung, werden zwar durch die Initiative Musik gefördert, sind aber, was Promo-Aktivitäten angeht, begrenzt. Daher haben wir uns nach anderen Strategien umgeschaut: „Lass uns eine Idee finden, dir durch Kanäle gefeuert werden kann, die wir nicht bezahlen müssen.“ Wir haben auf den viralen Gedanken gehofft, aber dass das so einschlagen wird, haben wir nicht für möglich gehalten.
Hannes: Wir haben nachgedacht, wie man Menschen mit solchen Kreisen in einem Bild inszenieren kann, das irgendwie merkwürdig, verstörend und kräftig wirkt. Dieses Tattoo-Video war eines dieser Bilder, wo allein schon der Gedanke „Mädchen geht zum Tätowierer und lässt sich tätowieren“ krass war. Der virale Gedanke stand dabei schon vorne an.

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Das Video ist ja auch echt aufwendig gemacht.
Delhia: Wir haben ein kleines Netzwerk an Freunden, die uns dabei unterstützen konnten.
Hannes: In dem Fall war tatsächlich ein Regisseur und eine Kamerafrau beteiligt, die beide im Bereich Dokumentation arbeiten. Sie wollen aber nicht namentlich genannt werden, weil sie eigentlich für Wahrheitsfindung und nicht Fake-Generierung stehen.

Habt ihr euch die Kommentare durchgelesen? Viele waren ja nicht gerade schmeichelhaft.
Delhia: Ich habe irgendwann aufgehört. Es ist sehr faszinierend, weil es sich ein bisschen im Kreis dreht: „Ist die dumm! Nee, du bist dumm! Ist das ein Fake? Nee, ist keiner, guck doch mal! Du bist dumm!“
Albrecht: Wir haben uns die sehr intensiv durchgelesen. Es wurde zum Teil immer extremer. Als Außenstehender kann ich sagen, dass es unsere Sängerin ziemlich mitgenommen hat.
Delhia: Ehrlich gesagt hat mich das weniger mitgenommen, weil das ja nicht ich bin. Mich trifft das nicht persönlich. Was mich eher mitgenommen hat, war die Frage „Was passiert jetzt gerade und wie integrieren wir das alles“. Ich war ein bisschen schmunzelnd erstaunt. Ich kann da war wirklich Abstand nehmen, aber so Kommentare wie „schäbige Albumpromo“ fand ich ein bisschen heftig. Es ist keine schäbige Album-Promo, es ist die Notwendigkeit, aus der heraus wir agiert haben und es ist eine coole Idee.
Albrecht: Es ist eine Kunstaktion, es geht um Aufmerksamkeit.
Delhia: Aber es ist kein PR-Gag, weil die Antwort auf die Frage ob fake oder echt lautet: Es ist ernst gemeint.

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Mir ist aufgefallen, dass viele auf der Schiene rumgeritten sind, dass die Tätowierte nie wieder einen Job finden wird.
Delhia: Das liegt aber an der Stärke der Bilder und der Emotionalität. Die Maske hat gut gearbeitet, ich habe das vielleicht ganz gut rübergebracht, der Tätowierer war saucool und auch die Art, wie es gefilmt wurde, dich eben mitzunehmen und dich selbst als Person emotional zu involvieren, das ist alles erschreckend gut geworden. Als wir gedreht haben, war es selbst für uns intensiv. Natürlich wirft es dann sehr viel mehr Fragen auf.
Julian: Als ich die Kommentare gelesen habe, habe ich mich gefragt, was die Leute da so durchdrehen lässt, was sie dazu verleitet, sich verbal derart gehen zu lassen. Klar sind da Spießer, die denken, dass du nie wieder einen Kredit bekommst. Aber was wird bei denen getriggert, wovor haben die eigentlich Angst? Hannes hat die Idee der Permanenz reingebracht, dass die Leute halt denken, es sei für immer, das sei irreversibel, das hätte sie echt gemacht.

Delhia: Das fordert ja auch ein bisschen die Empathie heraus. In einer Gesellschaft, in der alles möglich ist, etwas zu machen, das permanent bleibt und nicht umkehrbar ist, erzeugt eine gewisse Art von Schmerz. Es gibt da auch die Frage nach der Norm. Denn wir haben uns in der Gesellschaft auf einen gewissen Konsens geeinigt, wie wir aussehen und wie wir agieren. Dann bricht jemand aus diesem Konsens aus, bricht den Vertrag mit den anderen. Das ist erschreckend, weil man nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Mit dem Mann in der Currywurst-Bude zu diskutieren war da sehr spannend (Anm. d. Red.: Nach dem Videodreh ging Delhia in eine Currywurstbude). Er hat mir das, glaube ich, abgenommen und hat erzählt, dass sein Sohn auch tätowiert sei. Als ich meinte, dass ich ja damit leben müsse, weil es mein Körper sei, meinte er: „Nee, die anderen müssen auch damit klarkommen.“ Das fand ich ziemlich clever.
Julian: Die Diskussion geht in zwei Richtungen. Die eine beschäftigt sich mit dem Tattoo und ob das echt ist und die andere, spannendere, geht darum, was man als Künstler machen muss, um ein Publikum zu erreichen.
Delhia: Der große Punkt ist der Bezug zum Album. Es würde ja niemanden interessieren, wenn sich jemand einfach so einen Kreis ins Gesicht macht. Dass es jetzt die Sängerin einer Band ist, die das Cover im Gesicht trägt und sich selbst zum Produkt macht und überspitzt die totale Selbstausbeutung betreibt, das ist das eigentliche Statement dabei.

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Habt sich die Aktion auch quantitativ für eure Band gelohnt?
Delhia: Ja, natürlich. Wir haben auch Feedbacks bekommen, wo die Leute meinten, dass sie die Band gar nicht kannten und jetzt total pro sind.
Albrecht: Aber auch andersherum, dass sie sich das niemals anhören würden, weil wir die Aktion gemacht haben.
Delhia: So what.
Albrecht: Aber natürlich profitieren wir im Endeffekt davon.
Delhia: Das war ja auch das Ziel: „Hallo, wir sind hier und machen gute Musik.“

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Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

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