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Rudis Brille

Rudis Brille: Was tust du, wenn der Hauptact absagt?

Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird.

Foto via Flickr | State Farm | CC BY 2.0

Es gibt sie also doch noch, die Hitzewellen. Drückende Schwüle liegt über der Stadt und lähmt den Aktionsradius. Erst wenn sich die Luft dunkel färbt kommt Leben in die Gassen. Da fällt es selbst auch mir schwer, die richtigen Themen zu finden. Politik? Ist im Sommer tabu, ich habe fast das Gefühl, da wollen alle nochmal ihr Leben genießen bevor es im Herbst richtig ernst wird mit den Wahlen, so ernst, dass selbst SPÖ-Eingeweihte bei den letzten Umfragen bleich werden.

Der Sommer ist aber traditionell eine Zeit, in der die Leute ausgehen und sich ausleben—egal ob in Clubs oder bei „Festivals“. Was diese betrifft hat Kollegin Seidler in einer ihrer letzten Falterkolumnen die Situation treffend auf den Punkt gebracht: In Österreich gibt es einfach kein Publikum für qualitativ bemühte Festivals. Alles wirkt irgendwie ländlich, provinziell, über allem liegt schwer der Duft der Gummibären. Auch wenn FM4 seit Jahren versucht, den Menschen aus den Energy- und Kronehit-Tümpeln zu helfen, es will nicht recht klappen. Man muss nehmen was man hat, man muss die popelige Szene Österreichs irgendwie schönreden. Mit massentauglichen Formaten ist dies leichter möglich, abseits davon bleiben kleine Nischenkonzepte, das wars.

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Am besten ist, man macht sich selber sein kleines Festival und stellt mit Freunden am nächstenbesten Gelsenwasser eine Anlage auf und raved, oder man flüchtet ins Ausland, in Deutschland oder Polen finden sich im Sommer einige nette Alternativen. Was aber passiert nun, wenn unsere Lieblings Djs und Acts nicht auftauchen, weil sie „krank“ sind oder aus sonstigen Gründen nicht auftreten konnten? Was tun in solchen Fällen? Wenn es ein großes Festival betrifft, bei dem es genügend Alternativen gibt, dann fällt dies nicht so sehr ins Gewicht, bei kleineren sehr wohl. Am schlimmsten freilich trifft es Clubnächte, die von einem oder zwei Headlinern leben; wenn die nicht kommen, hat man einfach ein Riesenproblem. Das Publikum ist sauer, weil es annimmt der Club wäre Schuld und hätte etwa die Gage nicht bezahlt oder den Flug falsch gebucht.

Der Laden ist frustriert, weil man nun 12.000 Aushänge machen darf, dass man „so sorry“ ist und die Show nachholen will und vor allem, weil man nun sein Geld quasi zinslos in eine Aktie angelegt hat, die erst irgendwann den Gewinn (oder Verlust) abwirft denn: Im Jahre 2015 gibt es quasi kein Vertrauen mehr. Man muss alles, wirklich alles im Voraus überweisen, und ist dann natürlich darauf angewiesen, dass der Act erscheint und nicht aufgrund von Husten oder Flatulenz plötzlich absagt.

Gut, für mehr als 90% der Künstler ist das eine Frage der Ehre, man will kommen und will auftreten, doch es gibt durchaus ein paar Spezialfälle bei denen genügend Baldrian im Vorfeld angebracht wäre, vor allem bei den amerikanischen HipHop Granden, die manchmal einfach keinen Bock haben dürften, oder etwa Mr Rusty, der auch hierzulande schon zwei Mal einfach kürzestfristig abgesagt und damit für Frust und Trauer gesorgt hat—vor allem bei den Veranstaltern (etwa Suburbia 2013), denn man sollte ja so fair gegenüber den Besuchern sein und es sofort kommunizieren und nicht erst in letzter Sekunde, was aber einem Selbstmord gleichkommt, denn man muss quasi im Vorfeld eingestehen, dass man „nichts hat“.

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Foto via Flickr | Chris Morgan | CC BY-SA 2.0

Zuletzt hat etwa Alan Fitzpatrick zwei Mal hintereinander beim Grazer Plem Plem gecancelled—aus gesundheitlichen Gründen, so wurde es kolportiert. Wurde ihm tatsächlich immer schlecht, wenn er die Wortkombination Plem Plem hörte? Für den Veranstalter ist das natürlich ein Supergau, Vor allem, weil am Ende immer die Promoter „schuldig“ sind. Sie haben ja den gebucht, dem jetzt übel ist, warum machen sie auch sowas? Anti-Shitstormstrategien müssen hier penibelst gelernt werden.

Zumeist ist alles im Vertragswerk geregelt, aber es gibt genügend Fälle, wo man als Promoter im Absagefall um Booking Fee und Flug umfällt, weil es „höhere Gewalt“ oder sonstige kleingedruckte Passi im Vertrag gab, die die Nebenkosten ins Nichts auflösten, ähnlich einer Hyperinflation. Es bleibt also in solchen Fällen stets ein wenig das Prinzip Hoffnung. Im einem konkreten Fall etwa verrechnete die Booking Agentur zwei Mal Booking Fee; fürs Nichterscheinen trägt sie am Ende keine Verantwortung, sie hat also das Recht, für einen gecancellten Termin trotzdem die volle Fee zu taxieren.

Nach Rückfrage bei einigen Agenturen habe ich herausgefunden, dass diese Fälle in der Praxis ganz unterschiedlich behandelt werden. Die einen—meist kleineren Agenturen zeigen sich großzügig und erstatten auch die Fee zurück, bzw. verrechnen sie nur einmal—sofern ein Ersatztermin zustande kommt. Die anderen—meist größeren—stehen auf dem Standpunkt, dass es ihnen zusteht. Büßen müssen das immer die Veranstalter, denn zum Schaden des Nichterscheinens und dem Spott der Leute kommt auch noch finanzieller Verlust. Ein bitterhartes Geschäft.

Die erste Jahreshälfte 2015 war aus meiner Sicht ohnehin von einem sich weiter steigernden Konkurrenzkampf in der Stadt geprägt. Allerdings nimmt das Publikum zahlenmäßig eher ab, welches sich in Clubs und zu Großevents begibt. Es mag eine gewisse Übersättigung eingetreten sein, aber die kleinen Gratisevents, die Open Airs und die headlinerfreien Bars und Events boomen. Während sich der Rest um den schon trocken gewordenen Kuchen streiten muss. Im wahrsten Sinne des Wortes. Da mag es für Veranstalter und Promoter, deren Beliebtheitswert ohnehin kurz nach jenem des Politikers aufscheint, wie Honig hinunter rinnen, wenn nun „von oben“ versucht wird, an der erstarrten Vergnügungssteuer-Schraube zu drehen und hier eine Erleichterung herbeizuführen—am Ende ja auch für das Publikum.

Mehr darüber bald hier, vielleicht eint das die etwas zerstrittene Szene etwas und lässt den nur allzu wahren Spruch von Karl Kraus vergessen: „Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird.“

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