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Beyoncé live zu sehen hat mich zum glücklichsten Menschen gemacht—vielleicht war es aber auch das MDMA

„Ich setze mich hin und atme durch. Die Wirkung der bitteren Krümel lässt nach, das Konzert ist fast vorbei. Ich beruhige mich etwas ... “

Es gibt Momente im Leben, die vergisst man nicht. Raum wird zu Zeit, der eigene Aufenthaltsort und das Geschehen verschmelzen zu einem untrennbaren Ereignis, brennen sich für immer in die Synapsen ein. Geschichte wird gemacht. Den Tod von Lady Di erfuhr ich, mittels meines nur wenige Minuten vorher erworbenen, hochmodernen TellMi-Pagers, im gelben, klapprigen Mercedes meiner Mutter. Während des 9/11-Anschlags lag ich breit wie zwölf Schotten mit einer Bong vor dem TV-Gerät und ärgerte mich, dass das Familienduell mit dem immer leicht angetrunkenen Werner Schulze-Erdel, für einen vermeintlichen Sportflugzeug-Unfall unterbrochen wurde. Als Michael Jackson starb, saß ich in einer Wohnung in Berlin-Wedding und verlor eine immens teure Poker-Hand gegen den Rapper Hiob.

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Der kommende Vergleich hinkt gewaltig, denn es handelte sich jeweils um Tragödien. Oder zumindest um globale Ereignisse der gesteuerten und kollektiven Trauer. Und dennoch erwarte ich von der Queen of Pop—who is Madonna?—namens Beyoncé, nicht mehr oder weniger als ein solch einschneidendes Erlebnis. Wir werden in wenigen Tagen ihr Konzert in FFM besuchen und ja, ich bin etwas aufgeregt. Ihr dürft jetzt den Kopf schütteln. Eins vorweg: Ich gehöre mit Sicherheit nicht zum dem Kreis des #BeyHive-Clubs, jener Gruppe von Yonce-Fanatikern, die ihr Erstgeborenes opfern würden, um eine Haarlocke der Sängerin zu ergattern. Aber ich mag guten Pop. Und seit Jacko tot ist, ist die Messlatte gehörig gesunken. Dementsprechend zahle ich zum ersten Mal seit drei Jahren wieder Geld für ein Konzert und erwarte Großes. Das letzte Mal geschah derartiges 2013 bei Nick Cave in New York und es hat sich gelohnt.

Einige Tage bevor es losgeht, droht bereits alles zu scheitern. Wir können uns nicht entscheiden, ob wir mit dem Zug oder mit dem Auto nach Frankfurt fahren, die Meinungen gehen stark auseinander. Als der potentielle (weil den alkoholischen Getränken nicht zugeneigte) Fahrer—nennen wir ihn Eugen—darauf besteht, mit der Deutschen Bahn zu fahren, schickt jemand ein sehr, sehr gemeines Meme in die WhatsApp-Gruppe. Man sieht den Dalai Lama vor einer Landkarte, offenbar zeigt er mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle in der Wüste. Darunter steht „As you can see, the sand has entered his vagina“. Nächste Nachricht: „Eugen hat die Gruppe verlassen“. Eugen heißt nicht wirklich Eugen, aber ich möchte verhindern, dass er auch die anderen Gruppen verlässt oder mir gar Schläge androht. Wir schicken ihm eine Menge Selfies, auf denen wir traurige Hundeblicke imitieren, aber er antwortet einfach nicht.

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Wir schaffen es schließlich doch nach Frankfurt. Mit dem Auto natürlich, BordBistro my ass. Der Stau und einige Raststätten-Stops sorgen dafür, dass wir erst zehn Minuten vor der offiziellen Stagetime vor dem Stadion aufschlagen. Es gibt keine Parkplätze mehr, aber wir erspähen einen dickbäuchigen alten Mann, der einen VIP-Golfclub bewacht. Er heißt Lutz und ist hochgradig angepisst von den reichen Schnöseln, die im Minutentakt in ihren Lamborghinis an ihm vorbeirasen. Nach einem kurzen Gespräch und einem besonders warmen Händedruck, erlaubt er uns auf dem Privatgelände zu parken. Ich räume die leeren Rotkäppchen-Flaschen aus dem Fußraum und lecke das erste Mal an den bernsteinfarbenen Krümeln, die ich in einer alten Zigarettenfolie aufbewahre. Eugen starrt die leeren Flaschen an. Er ist gleichzeitig schockiert und erstaunt darüber, wie man in so kurzer Zeit so viel Müll produzieren kann. Ich kann die Frage nicht beantworten. So etwas sollte er lieber mal Pitbull oder Flo Rida fragen.

Wir drängeln uns in die Commerzbank-Arena, da wo sonst die stolze SGE Fußball spielt. Auf jetzt Eintracht, ihr wisst schon. Viele sind heute ebenfalls in einheitlicher Kleidung erschienen, Frankfurt-Trikots sind allerdings Mangelware. Stattdessen unzählige Gruppen, die durch nichts von einem Junggesellinnen-Abschied auf der Reeperbahn zu unterscheiden sind. Auf ihren Oberteilen prangen Sprüche wie „Liberté, Egalité, Beyoncé“ oder „Dont Worry, Be Yonce“. Noch machen wir uns lustig, später werden wir die gedruckten Flachwitze für unsere Instagram-Hashtags missbrauchen. Der Rest der Besucherinnen, die mindestens 80% des Publikums stellen, trägt „normale“ Fanartikel oder ist einfach nur unnötig aufgebrezelt. Billig-Sekt und kleine Schmuck-Krönchen sind auch hoch im Kurs. Erstaunlich viele der angetrunkenen Mädels sind der festen Überzeugung, dass sie sehr gut tanzen können. Neben mir fragt jemand: „Wie nannte Jay Z seine Ehefrau vor der Hochzeit?“ Allgemeines Achselzucken. „Feyonce!“ Stille.

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Ich nötige 70% unserer Gruppe, ebenfalls von den bernsteinfarbenen Krümeln zu naschen und gehe Bier kaufen. Der Verkäufer stellt das Bier auf ein Gitter und das Glas beginnt sich von unten zu füllen. Ja genau, von UNTEN! Es handelt sich offenbar um ein ausgeklügeltes Magnet-System, welches ich nicht verstehe. In meinem Zustand ist das bereits ziemlich beeindruckend und ich werde im Verlauf des Abends noch mehrmals davon schwärmen. Wir stehen jetzt auf dem obersten Rang und begreifen, dass wir ziemlich beschissene Tickets haben. Noch während wir über eine Lösung grübeln, dreht sich der riesige TV-Würfel, der Beat von „Formation“ setzt ein und Beyonce ist da. Einfach so, zackbumm. Kein Vergleich zu den Shows von Jacko, wo man erst einmal einen 20-minütigen Countdown, samt Videosequenzen ohnmächtiger Fans vorgesetzt bekam, damit man auch ganz sicher kurz vor der Ekstase war, wenn der Messias die Bühne betrat.

A video posted by Beyslayy (@beyslayy) on Jul 17, 2016 at 2:01pm PDT

Bee, wie man sie unter Freunden nennt, singt einfach so los. Wir verlassen unsere Plätze und schmuggeln uns auf die Tribüne direkt gegenüber von der Bühne. Die ist laut Aussage einiger empörter Ticketinhaber für Rollstuhlfahrer reserviert, aber die sind nun mal nicht da. Kann ich ja nichts für. Ab jetzt geht alles ziemlich schnell. Ein Kostümwechsel jagt den nächsten. Medley um Medley werden die Hits rausgehauen, es wird geträllert und geklagt was die Stimme hergibt. Es macht keinen Sinn, ein Konzert wie dieses zu beschreiben, also versuche ich es erst gar nicht. So etwas sollen 45-jährige Redakteure von Lokalblättern übernehmen. Eventuell bin ich in 15 Jahren einer von ihnen. Nur soviel: Wir sind begeistert. Lisa bemängelt lediglich das rote Leder-Outfit als „etwas unvorteilhaft“, revidiert ihre Meinung aber, als Yonce ihr Hinterteil in die Kamera streckt. Lisa heißt natürlich nicht wirklich Lisa, aber ich habe Angst, dass sie mich von dem Grillfest ihres Vaters in der Uckermark auslädt, wenn ich ihren echten Namen hier veröffentliche.

Weiter geht's. I'm feeling myself. Konfetti-Regen, kreischende Mädchen, neben mir tanzt ein 11jähriger Junge seit zwei Stunden jede Choreographie perfekt mit. Raum ist längst zu Zeit geworden, Ort und Geschehen sind zu einem einzigen zähen Brei verschwommen, ganz so wie ich es mir erhofft hatte. Ich setze mich hin und atme durch. Die Wirkung der bitteren Krümel lässt nach, das Konzert ist fast vorbei. Ich beruhige mich etwas, zünde mir eine Genusszigarette an und stürze ein weiteres, kühles Bier hinunter. Die Temperatur beträgt gefühlte 50 Grad. Auf der überdimensionalen Leinwand erscheint ein „Urlaubsvideo“ der Knowles-Carter-Familie. Blue Ivy, die gemeinsame Tochter, hat einen eigenen Instagram-Account seit sie zwei Jahre alt ist. Ihre Mutter hat vor kurzem stolz mitgeteilt dass sie eine natürliche Geburt hatte. Ich schaue mir an, wie sie da über die Bühne wirbelt, jeder Schritt perfekt, jede Phrasierung exakt gesetzt und überlege, ob das lediglich bedeutet, dass im Kreissaal weder eine Windmaschine, noch dutzende Kostüme oder umherwirbelnde Backup-Tänzer zugegen waren.

Dann verwerfe ich das Bild wieder. Geradezu lächerlich, anzunehmen, dass diese Frau auch nur eine Sekunde ihres Lebens ohne derartige Utensilien verbringt. Da stimmt halt alles. Immer. Oder wie Nicki Minaj es einst formulierte: „The Queen of rap, slayin' with Queen B/ If you ain't on the team, you playin' for team D“.