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Interviews

Hello Kitty statt Thug Life—Samy Deluxe im Interview

Während die meisten Rapper vor allem Bitches ficken, Drogen ticken und AK-47er für männlich halten, zeigt Samy Deluxe auf seinem neuen Album eine ganz andere männliche Seite.

Der Wickeda MC Samy Deluxe ist jemand, dem man trotz Reggae-Ausflügen und Make-Up-Gesangseskapaden eine Sache nie absprechen konnte: Der Mann kann verdammtnochmal rappen. Mit Männlich erscheint morgen das Album, mit dem es nach Jahren der Experimente endgültig wieder zurück zu den Wurzeln gehen soll. Wir haben uns zu diesem Anlass mit dem hanseatischen Flow-Genie zusammengesetzt und uns erklären lassen, warum Samy selbst kein Fan seiner Deluxe Records-Phase war, weshalb Kool Savas den Titel des „King of Rap“ ruhig behalten darf und welche weiß-rosa Katze Samsemilia am liebsten an den Füßen trägt.

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Noisey: Du sagst auf deinem Album, dass es dir nicht gegönnt wird zu singen, obwohl du Spaß dran hast. Empfindest du das wirklich so, dass du so eine Beziehung insbesondere zu den rezensierenden und bewertenden Medien hast? Dass die ein Bild von dir haben, dem du entsprechen musst?
Samy Deluxe: (lacht) Schön gehört! Ich hab mich schon gefragt, ob das jemand wirklich wahrnimmt. Das sind viel weniger die Medien. Es gibt ja so etwas wie einen HipHop-Konsens, man fühlt da ja manchmal so eine Tendenz. Ich bin mit Jan Delay auf dem nächsten Juice Cover, wir wurden dafür auch beide interviewt und da wurde uns die Frage gestellt: „Kann es sein, dass es Samy mehr übel genommen wird, wenn er Sachen außerhalb von HipHop macht, zum Beispiel singt, als dir Jan?“ Und Jan hat als Antwort gegeben und das würde ich gerne rezitieren: „Samy rappt einfach besser als ich. Er ist einfach der beste Rapper von allen und deshalb wollen wir von ihm Rap hören.“

Ich kann mich aber nicht so sehen, weißt du? Ich mach das, worauf ich in dem Moment Bock habe. So manche Dogmatiker da draußen wollen immer, das alles so und so ist, können aber selber gar nicht bewerten, dass keiner von uns Rappern von damals in der Lage ist, irgendwas zu machen, was emotional genau so ist wie früher. Wir können einen geilen Song machen oder kommerziellen Erfolg haben—so wie Max (Herre, Anm. d. Red.) jetzt mit seinem Ding, das megaerfolgreich war, aber trotzdem hat er da kein „Wenn der Vorhang fällt“ drauf und ich habe auch kein „Weck Mich Auf“ auf dem neuen Album. Diese Zeiten waren ja auch das erste Mal, wo man mit Deutschrap in verschiedenen Instanzen in Berührung kam. Wir haben so ein bisschen dieses Pionier-Schicksal, dass wir letztendlich nie dem Vibe von damals gerecht werden können, weil du dieselbe Party eben nicht zweimal feiern kannst. Leute verbinden emotional so viele Sachen damit, weil es für die ja auch neu war, nicht nur für uns. Wenn irgendwas Neuland ist, wie eine neue Beziehung auch, ist es eine andere Liebe, als wenn man schon zehn Jahre zusammen ist. Man muss glaube ich versuchen, sich von seiner Vergangenheit nicht so unter Druck setzen zu lassen.

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Die Rapszene, wenn man sie sich heute anschaut, ist eine komplett andere als Ende der 90er.
Ich war damals, als ich rauskam, so richtig der Hardcore-Rapper, weißt du? Samy kifft die ganze Zeit im Interview und sagt, dass er sich selber am geilsten findet—dadurch war das ja schon so voll Rude-Boy. Die erfolgreichen Rapper vor mir waren Oli P. und der Wolf und so, und dann kamen die Beginner, dann kamen Freundeskreis und dann kamen Dynamite Deluxe und Eins Zwo und Afrob, die Zeit war das. Das waren echt noch andere Zeiten.

Aber du sagst auch auf deinem aktuellen Album noch, dass du der Geilste bist. Von daher hat sich zumindest diese Sache nicht geändert.
Eine Konstante (lacht)! Dieses Mal war es auch gefühlt wieder so. Ich habe ja nie Zeiten gehabt, wo ich mich gar nicht selber gelobt habe, aber schon Zeiten, wo ich das nicht so gefühlt habe. Da dachte ich mir: Klar muss ich jetzt sagen, dass ich der Geilste bin. Aber seit dem Herr Sorge-Ding bis hin zu dem Moment, wo ich das Album jetzt abgeben musste, habe ich bestimmt über 100 Songs gemacht und jeden Abend irgendetwas gerappt und hatte ein Mega-Output. Musik ist ja immer Geschmackssache und Sport eher etwas Messbares. Wer rappt am schnellsten, wer hat die besten Reime, Stimmkontrolle, Storytelling, Vielfalt, eingängige Refrains, diese ganzen Qualitätsmesslatten, die es im Rap gibt.

Da hatte ich das Gefühl, dass das keiner so gut kann wie ich und dass es keinem so viel Spaß macht wie mir oder zumindest keiner so viel macht. Die anderen schreiben immer und ich gehe einfach ans Mic und rappe es. Ich habe bei diesem Album fast gar nichts aufgeschrieben. Da war das Rappen eher so wie Drums einspielen, ein Musikschritt, da war keine theoretische Ebene drin. Das hat mir sehr viel Spaß gebracht und dadurch sind auch superviele coole Songs entstanden, die den Leuten glaube ich auch live viel Spaß machen werden.

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Es ist interessant dass du sagst, dass du bei dem Album gar nicht so viel aufgeschrieben hast. Weil einer der Hauptkritiken in den Reviews zu deinem „Perlen vor die Säue“-Mixtape war, dass das alles zu gefreestyled klingt.
Was für mich überhaupt keine Kritik ist, weißt du? Freestyle ist für mich eine großartige Kunstform und ich höre gern Rapper, wo ich merke, dass die Spaß beim Rappen hatten. Es gibt eben viel Rap, der Leute in Deutschland immer schon beeindruckt hat, dieser technische Nerdrap, aus dem ich mir persönlich gar nichts rausziehen kann. Wenn Leute nur schlaue Worte aneinanderreihen und da ist kein Konsens, ist es auch nicht besser als würde ich nur dumme Worte aneinanderreihen, die sich einfach nur witzig anhören.

Auf meinem Mixtape sind Sachen drauf, die—wenn du das einfach nur sportlich bewertest—unglaublich sind. Aber wenn die Leute mit dem Anspruch rangehen, dass sie ein neues Weltbild dargelegt kriegen, dann ist das einfach der falsche Anspruch. Manchmal ist der Fokus heutzutage aber auch so verrückt. Wenn jemand wie du über Recherche den Eindruck bekommt, dass das schlecht angekommen ist, weil es drei schlechte Kritiken gibt und ich habe gestern die Abrechnung vom Mixtape bekommen und ich habe mehr Mixtapes verkauft als zu Deluxe Records-Zeiten, dann ist das eigentlich ein krasser Erfolg. Ich habe nur mit einem Mixtape eine Tour gespielt, die komplett ausverkauft war. Das hat also anscheinend sehr vielen Leuten sehr gut gefallen. Es gibt Leute, die das neue Eminem-Album Scheiße finden und sagen, der redet nur Blödsinn und ich finde, dass das lyrisch mit das Genialste ist, was je irgendein Mensch gemacht hat. Was der macht ist eben auch, ganz viele Worte und Bilder nehmen, die eigentlich keinen roten Faden haben, die dann zusammenpacken und dann ist es einfach eine Collage, mit der du entweder was anfangen kannst oder nicht. Das ist alles Kunst. Manche Bilder sind für Leute unglaublich, wenn da auf einer weißen Fläche nur ein schwarzer Tropfen ist und ich denke: Ok, hätte der mal weiter gemalt. Jeder kann das ja nur für sich bewerten.

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Mich hat dein neues Album an den Samy von „früher“ erinnert, einfach weil es sehr losgelöst gewirkt hat und du dich selbst auch so ein bisschen demontiert hast. Du hast was gerappt, dann ist dir aufgefallen, dass du das nur wegen dem Reim gesagt hast, es grammatikalisch aber falsch war, und du schiebst nach „Ach nee, ist ja Schwachsinn was ich gerade sage“. Das erwartet man jetzt vielleicht nicht von jemandem Ende 30.
Genau, das ist schön erkannt. Beim Album ist im Gegensatz zum Mixtape schon zusätzlich der Faktor da, dass wenige Lieder nur mit dem Fakt Rap zu tun haben. Eigentlich nur das Intro, das Outro und der Song, aus dem du vorhin zitiert hast, „Klasse Klassiker“. Das sind die drei Texte, die gar keinen inhaltlichen roten Faden haben, außer dass ich rappen will. Sonst hat eigentlich jedes Ding seine Storyebene. „Offenes Herz“ die Metapher vom Leben in der Öffentlichkeit, „König von Schrottland“ mit den gesellschaftlichen Statements—das war mir dann wichtig.

Ein Album sehe ich schon immer als das große Medium, was die meisten Leute erreichen wird. Die, die Lust drauf haben, Samy spitten zu hören, sollen sich das Mixtape kaufen und die Leute, die wissen wollen, was ich so als gesamter Künstler mache, mit Produktion und mit dem Faktor, dass ich auch alles live spielen will, für die ist das Album. Ich habe jetzt für das nächste Ding aber auch wieder Bock zu schreiben und die Texte zu kennen, bevor ich sie rappe, weil da viele lustige Fehler auf dem Album drauf sind. Auch im Intro gleich: „Wollt ihr Pief oder Bies? Nein ich mein Pief oder Beef. Nein ich mein Beef oder Peace“ und das ist wirklich so rausgekommen. Ich habe mich wirklich versprochen und dann korrigiert und das sind für mich einfach so Sachen… Da denke ich mir, wenn jemand sagt, dass es klingt, als wäre es gefreestylet: Ja, ich bin eben gut genug, um in der Booth zu freestylen, was die meisten eben nicht sind.

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Ich glaube, man kann es einem Kritiker nicht vorwerfen, wenn er sehr viele ausgefeilte Alben zu hören bekommt, dass er sich denkt: Und dieser Samy stellt sich jetzt superarrogant hin, rotzt das jetzt runter und dem ist es total egal, ob er sich verspricht oder nicht und nimmt das trotzdem so aufs Album.
Ja, aber ich will dann trotzdem manchmal einfach nicht hören, was die Messlatte ist. Ich finde vielen deutschen Rap rein technisch und musikalisch einfach furchtbar und da will ich gar nicht wissen, mit wem er mich dann vergleicht. Was der dann besser findet oder was für ihn dann krass ausgefeilter Rap ist. Darüber würde ich dann vielleicht einfach nur lachen und Musik ist dann eben vielleicht doch einfach komplette Geschmackssache.

Du bist jemand, der von Anfang an in seinen Songs gesagt hat: „Ich bin der Krasseste und beweise es euch immer wieder.“ Dann kam aber Kool Savas, hat sich selbst als „King of Rap“ bezeichnet und seitdem war er dann offiziell der King of Rap. Hat dich das in deiner Selbstwahrnehmung geärgert?
(lacht) Gut, ne? Nee, er hat sich diesen Titel ja selber verliehen, bevor ihm den jemand anderes verliehen hat und ist dem in der Folge auch gerecht geworden. Er war über lange Zeit der Dude, der dieses Spit-Ding am Krassesten durchgezogen hat. Er hat ja dann auch nichts anderes, wie beispielsweise ich mit den Gesangs-Ausflügen, gemacht. Damit einem der Titel des besten Rappers gegönnt wird, darf man vielleicht auch kein Gesangs-Projekt machen. Savas und ich können im Gegensatz zu vielen anderen Doubletime-Rappern, die jetzt gerade auch irgendwas machen, das Ganze ja auch live rappen. Ich sehe so was wirklich extrem sportlich. Ich bin mir einfach schon zu lange dessen bewusst, dass man nicht allen gefallen kann.

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Du hast vorhin gesagt, dass es Zeiten gab, in denen du dir selbst nicht so richtig geglaubt hast, dass du noch der Allerbeste bist.
Genau. In diesen Deluxe Records Mixtape-Zeiten war auf jeden Fall so ein bisschen die Luft raus. Ich war sehr inspiriert von diesem ganzen Punchline-Trash-Talk und Bling-Bling-Rap. Ich hatte den Fokus auf Sachen, die als Mensch und Künstler eigentlich nicht so gut zu mir passen. Die haben zwar auch ein paar gute Tracks hervorgebracht—wie der „Cap Song“, was auf jeden Fall auch ein kleiner cooler Moment meiner HipHop-Story war, mit dem New Era-Video und nach New York eingeflogen werden und so und ich hatte einen eigenen Reebok-Sneaker… Das war auf jeden Fall eine coole Zeit, aber rein künstlerisch bin ich stolzer auf die Sachen davor: das Dynamite Deluxe-Album, Samy-Album und das ASD-Album. Schwarz-Weiss, das letzte Mixtape und das neue Album sind Sachen, auf die ich wieder richtig stolz bin.

Da war schon viel Drang, sich selbst zu beweisen und das nächste Mixtape wird eben sehr boom-bappig, als hätte Premo und Dilla das produziert. Bling-Bling hat mich eben nie so geflasht wie Vinyl. Eine Schallplatte von „A Tribe Called Quest“, die ich mir original in den 90ern gekauft habe, war mir eigentlich immer mehr wert als eine Kette. Aber irgendwie habe ich das eine Zeit lang selber nicht so gesehen. Wenn ich jetzt das Gefühl habe, dass ich Geld ausgeben muss, kaufe ich mir eben lieber Musikinstrumente. (Das Handy von Samy klingelt) Warum habe ich mir denn meinen Wecker auf 14.30 Uhr gestellt? Was soll denn jetzt passieren?

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Vielleicht bedeutet das, dass unsere Interviewzwei abläuft. Also, letzte Frage zum Thema „Männlich“ (Mit Blick auf Samys Kniestrümpfe): Kann man als Mann wirklich Hello Kitty-Socken tragen?
(lacht) Ja, das kann man machen! Aber nur, wenn man Samy Deluxe heißt und da gibt es nur einen von. Ich weiß auch nicht, wer das sonst noch bringen könnte. Mir ist vorhin auch aufgefallen, dass ich jetzt so auf dem Promotag eigentlich voll Werbung für die mache und das wäre auf jeden Fall mal ein super Endorsement-Deal.

Nach New Era.
Genau, nach New Era und Reebok jetzt Hello Kitty. Also ich würde auf so was flashen, weißt du? Ich würde eher das Endorsement mit denen machen, als mit Thug Life oder so einer Marke, die klischeemäßig mit HipHop zu tun hat, aber mich überhaupt nicht repräsentiert. Wenn man ein Thug ist, ist es ja cool, aber wenn man sich das unbedingt aufs T-Shirt schreiben muss, dann ist man wahrscheinlich kein richtiger Thug. Deswegen ist Hello Kitty doch irgendwie süß.

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