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Nie wieder 'Me Against The World': Warum ich mir mein 2Pac-Tattoo entfernen lasse

„Durch Tupacs Texte erkannte ich, dass ich nicht der Einzige war, der sich jung und verloren fühlte.“

"Alter, geht’s dir gut?" Ich schaute zum Tätowierer, der selber von oben bis unten zutätowiert und ganz in Schwarz gekleidet war, grinste ihn an und antwortete knapp: "Ja, alles gut, warum?" Daraufhin sagte er meinem 18-jährigen Ich, dass Leute schon in seinem Stuhl ohnmächtig geworden sind und er einfach nur sichergehen wollte, dass ich nicht einer von ihnen werde. Nein, ich war zu "cool" und "hart", um überhaupt zuzugeben, dass es wehtat (Hey, irgendwie tat es das), also hielt ich meine selbstbewusste Fassade aufrecht und sah voller Stolz dabei zu, wie das Tattoo auf meinem Arm Gestalt annahm.

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Ich sah zu, wie er langsam und für immer meine Haut mit Tinte verzierte. "Only God Can Judge Me" sollte am Ende dort stehen. Es war eine Hommage an einen meiner Lieblingssongs von 2Pac, a.k,a. dem größten Künstler, der dem 18-jährigen Andrew zufolge jemals einen Fuß auf diese Erde gesetzt hatte. Ich war stolz, diese Verbindung mit meinem Helden zu haben. 2Pacs Musik hat mir alles beigebracht, was ich dachte, jemals über Schmerz, Herzschmerz, das urbane Leben, Alkohol, Drogen, usw. wissen zu können. Ich durchlebte mit ihm seine aggressiveren Phasen („Hit ’Em Up“ natürlich ganz vorne mit dabei) und seine aufrichtigsten (ein paar Tracks von seinem besten Album Me Against The World). Ich redete mir ein, dass es nie wieder eine Zeit geben würde, in der ich nicht so über 2Pac denken würde—den Künstler, der meine Kreativität beeinflusst hat, der all meine Lieblingssongs geschrieben hat, der viel zu früh gestorben ist (das stimmt immer noch!) und der mich vor mir selbst beschützt hat.

Es ist schwer zu sagen, wann genau diese Besessenheit eigentlich begann, aber ich muss 15 oder 16 gewesen sein. Es war zu jener Zeit, als mich einige seiner bekannteren Singles in den Bann zogen, die es in meine spät-abendlichen Gaming-Playlists geschafft hatten (Starcraft und Diablo II). Es waren die Hooks, die Beats und die Texte, die mich überzeugten. Wie jeder andere Mensch auf dieser Welt liebte ich "California Love", aber auch "Dear Mama", "To Live & Die In L.A." und "2 of Amerika’z Most Wanted"—neben vielen anderen.

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Dann geschah allerdings etwas und ich verwandelte mich in einen richtigen 2Pac-Besessenen, der sein letztes Geld zusammenkratzte, um alle CDs, Biographien und Gedichtsammlungen zu bekommen und am Ende auch noch einen seiner Songtitel (semi-)dauerhaft auf meinem Körper zu verewigen. Wie die meisten 18-Jährigen wusste ich nicht, wer zur Hölle ich eigentlich war oder was ich mit meinem Leben anstellen wollte, also wandte ich mich an 2Pacs reflektierte, aggressive, ängstliche, gefühlvolle und immer aufrichtige Musik.

Konnte ich mich in irgendetwas davon auch wirklich widerfinden? Nein. Dachte ich das damals aber? Natürlich. Wirklich unangenehme Ausmaße hatte meine Obsession jetzt zwar nie angenommen, aber ein dezent peinliches Geständnis muss ich dann wohl doch ablegen: In meinen College-Bewerbungen schrieb ich damals, dass der Typ „die einflussreichste Person“ in meinem Leben war. Nein, kein Elternteil, kein Lehrer und auch kein Trainer hatte mich so beeinflusst wie ein toter Künstler, den ich nie in meinem Leben getroffen hatte und von dem ich nur ein idealisiertes Bild kannte.

Für meine Bewerbung auf einen Studiengang für kreatives Schreiben kam in meinen Augen kein besserer Einfluss in Frage als 2Pac. Ich bewunderte seine Liebe zur Kunst und, dass er an der Baltimore School for the Arts Schauspiel studiert hatte. Es waren aber vor allem seine Texte, die bei mir einen Nerv trafen—diese Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, die seiner Stimme zugrunde lag.

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Ich fing also selbst zu schreiben an—größtenteils furchtbare Gedichte, die glücklicherweise heutzutage nicht mehr aufzufinden sind. Ich schrieb darüber, wie einsam und verloren ich bin, und bediente mich dabei schamlos bei seinem Song "Until The End of Time" und dem Großteil seiner Gedichtsammlung The Rose That Grew From Concrete. Gleichzeitig hatte ich mir diese Me Against The World-Einstellung so sehr angeeignet, dass ich mich wirklich fühlte, als hätten sich alle gegen mich verschworen (das hatten sie nicht, soviel kann ich sagen).

Wenn ich so darüber nachdenke, wundere ich mich dann doch, dass ich mir nie die Worte "Me Against The World" auf den linken Bizeps habe machen lassen. OK, hätte ich damals das nötige Geld gehabt, wäre es wahrscheinlich passiert. Aber für mich stand von Anfang an fest, dass "Only God Can Judge Me" das richtige Tattoo für mich war. Es war nicht nur einer meiner Lieblingssongs von 2Pac—dieses verzerrte Sample von "Only god can judge me nowwww" kann einfach alles—, aber es fühlte sich auch wie ein wütender Mittelfinger an, den man stolz der Welt entgegenstreckte. Einer Welt, die mich einfach überhaupt nicht zu "verstehen" schien.

Aber es gab auch andere Gründe. Ich suchte verzweifelt nach einer Beständigkeit in meinem Leben. Alles um mich herum befand sich in Bewegung. Ich wechselte aufs College und meine Eltern bereiteten sich auf ihren Umzug von Rhode Island nach Ohio vor. Selbst heute fällt es mir schwer, das zuzugeben, aber ich war damals unglaublich depressiv—das ging sogar bis an einen Punkt, an dem ich mir wünschte, es würde jemandem auffallen oder jemand würde eingreifen und mir sagen, dass alles wieder OK wird. Stattdessen kapselte ich mich einfach von allen ab. Ich hatte Freunde und ging unter Menschen, aber ich spielte auch einige Male mit dem Gedanken, mich umzubringen. Ich unternahm niemals einen Versuch oder verletzte mich in irgendeiner Art und Weise, aber ich hatte einen Plan dafür, wie es ablaufen würde, sollten die Dinge doch mal richtig schlecht stehen (mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Laternenmast rasen).

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Zum Glück hatte ich aber 2Pacs Musik. Sein Schmerz bot mir Zuflucht, da ich fest davon überzeugt war, diese Hölle zu kennen, durch die er gehen musste. Ich dachte, ich würde verstehen, was es bedeutet, jung, schwarz und reich in einer Welt zu sein, die dich zu zerstören droht. Eigentlich wusste ich nur, dass ich jung, verloren und nach einer Trennung einsam und mit gebrochenem Herzen war. Ich hoffte darauf, dass mir jemand helfen würde. Und diese Hilfe kam schließlich in der Form von 2Pacs Musik, seinen geschriebenen Worten und seiner Dokumentation Tupac: Resurrection, die ich abgöttisch liebte. Seine Worte erinnerten mich daran, dass ich nicht der einzige war, der sich jemals so gefühlt hatte.

Ich lernte ständig seine Texte auswendig und notierte einzelne Passagen seiner Lyrics in mein Tagebuch, das ich verwendete, um meine Gedanken und meine Arbeit beim Schreiben festzuhalten. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich Material aus Songs wie "Me Against The World" (With all this extra stressin'/ The question I wonder is after death, after my last breath/ When will I finally get to rest through this suppression?), "Until The End Of Time" (Perhaps I was addicted to the dark side/ Somewhere inside my childhood witnessed my heart die), "Unconditional Love" (Hoping for better days/ Maybe a peaceful night, baby don't cry/ Cause everything gonna be alright) und unzähligen anderen niedergeschrieben habe. Ich verwendete diese Lyrics und andere als meine "Away-Notification" beim AOL-Instant Messenger in der Hoffnung, dass sie jemand liest und mich zumindest fragt, ob es mir auch gut geht. Das geschah nie. Stattdessen hörte ich weiter seine Musik, schrieb und drehte mich weiter um mich selbst.

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Trotz meiner Depression brachte das Tattoo etwas Licht in mein Leben und gab meinem Selbstbewusstsein einen kleinen Anschub. Ich fühlte mich nicht nur ein bisschen cool, weil ich mir ein Tattoo hatte stechen lassen, sondern liebte es auch, seine Bedeutung zu erklären—selbst vor vermeintlichen Kritikern. Ich hatte damit gerechnet, dass mein Vater über die Tinte in meiner Haut alles andere als erfreut sein würde (er hat da eine relativ konservative Einstellung) und dementsprechend war mein Hemd nass vor Angstschweiß, als ich es ihm zeigte. Während ich aber zunehmend begeistert über Vergänglichkeit und 2Pacs Bedeutung für meine eigene Kreativität sprach, merkte ich, dass er einfach nur glücklich darüber war, dass ich glücklich war.

Mit den Jahren wurde ich allerdings müde, die Bedeutung meines Tattoos zu erklären. Was früher aufregend gewesen war, wurde mir immer peinlicher—vor allem, weil meine Verbindung zu 2Pac ziemlich schnell verblasste. Mit 24 bewegte ich mich von einer musikalischen Obsession zur nächsten: von schwedischem Indiepop zu Shoegaze und Noise Rock, von Spiritual Jazz und Bebop zu ziemlich jeder HipHop-Spielart. Aber 2Pac? Fehlanzeige. Meine Lieblingskünstler waren jetzt Foreign Exchange, The Roots, Kanye West, Queens oft he Stone Age, Boris, The Melvins, Neko Case.

Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich ihre Musik nicht auch dazu benutzt hätte, mit Gefühlen klarzukommen, selbst ernsthaften (ich habe meiner Frau bei einem Foreign Exchange-Konzert einen Antrag gemacht), aber diese Gefühle von Wut und Depression waren einfach nicht mehr da. Ich könnte dir noch nicht mal das letzte Mal sagen, dass ich aktiv einen Song meines ehemaligen Idols gehört habe (abgesehen von den paar Malen, als ich "California Love" bei der Karaoke gesungen habe). "Dear Mama" und "Changes" habe ich in den letzten Jahren dutzende Male im Radio gehört und ich kann immer noch jedes einzelne Wort mitrappen. Aber habe ich noch einmal Me Against The World aufgelegt und meine eigene Existenz bedauert? Nein. Und das wird wahrscheinlich auch nicht mehr passieren.

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Ich kann mir einfach nicht mehr vorstellen, an diesen Ort der Depression und Wut zurückzukehren, der mir dabei geholfen hat, eine solche Verbindung zu 2Pacs Musik aufzubauen. Ich sehe es gerne so, dass ich diesen ganzen Schmerz durchgemacht habe, damit ich ihn nicht noch einmal durchleben muss. Seit Jahren habe ich keine vernichtende Trauer gespürt und verloren fühle ich mich auch nicht mehr. Ich schätze mich dafür sehr glücklich, zumal ich eine großartige Frau und Familie habe, auf die ich immer zählen kann, wenn ich mich auch nur ansatzweise niedergeschlagen fühle. Ich weiß das mehr zu schätzen, als ich es jemals beschreiben könnte. Mein Tattoo und das, was 2Pacs Musik und Gedichte mir mal bedeutet haben, ist für mich gestorben als ich … etwa 22 war. Aber was tue ich als glücklicher, wohlsituierter und selbstbewusster 31-Jähriger, der einfach nur mit der Option am Strand fischen will, sein Shirt ausziehen zu können, ohne kompliziert sein Tattoo erklären zu müssen? Da nehme ich doch gerne die fast 600 US-Dollar-Kosten und mehrere Laserbehandlungen in Kauf.

Am 4. Juni 2016 fand ich mich in einem ganz ähnlichen Laden wie dem Tattoo Studio wieder, in dem ich mit 18 war. Es gab nur ein paar kleine aber feine Unterschiede. Hier roch es nach verbrannten Haaren und man gab sich wirklich keine Mühe, irgendwie hip zu sein. Angefangen bei dem Tisch, an dem ich mich niedersetzen sollte, bis hin zu den umstehenden Werkzeugen, ähnelte das hier alles viel mehr deinem medizinischen Behandlungszimmer.

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"Hat jemand mal geweint, als Sie das hier gemacht haben?", fragte ich Noushi Haeussler, die Lasertechnikerin, die gerade dabei war, dieses gottverdammt heiße Gerät auf meinen rechten Bizeps zu richten. Sie lachte und sagte mir, dass noch nie jemand während der Prozedur geweint hätte, fügte aber hinzu: "Mir sind schon ein paar Leute umgekippt."

Ich kann euch versichern, dass diese Laser definitiv wehtun. Noushi fragte nie nach der Bedeutung meines Tattoos oder warum es entfernt werden sollte. Stattdesseen lachte sie, während sie mir von einem Kunden erzählte, der so dringend den Namen seiner untreuen Ehefrau von seinem Körper entfernt haben wollte, dass er direkt zwei Sitzungen auf einmal machte. In meinem Fall hatte die Tattoo-Entfernung aber nichts mit einer Beziehung zu tun, einem Triumph oder irgendeiner schönen Erinnerung, die ein bitteres Ende genommen hatte. Es war das Gegenteil gewesen. Ich war depressiv und wollte mich mit meinem Helden verbunden fühlen. Aber jetzt? Die verblassende Tinte auf meinem Arm ist ein Relikt meiner Depression—einer Sache, auf die ich glücklicherweise heute als überschaubare Neurose zurückblicken kann.

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