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Staiger vs das Elend der modernen Welt: Und alles, was ich denke, wird wahr!

Staiger steht seit einem Urlaub vor 20 Jahren hart auf Blasmusik. Nun wird seine Sehnsucht endlich gestillt—ausgerechnet von Rappern.

Als ich vor Jahren einmal in Tschechien Winterurlaub gemacht habe, damals als das Land noch Tschechoslowakei hieß und das Bier dort dreißig Pfennig gekostet hat, habe ich mir den Luxus eines Silvesterdinners geleistet. Meine Begleitung und ich, erschienen in Abendgarderobe in einem kleinen Gasthof im Siebengebirge, wo sich reiche Tschechen und russische Oligarchen mit Bruderkuss und kräftigem Händedruck zu illegalen Erdölgeschäften verabredeten. Der Service war erstklassig, bis auf die Tatsache, dass meiner Begleiterin Tuberkulosebakterien ins Essen geschmuggelt wurden, worauf sie eine heftige Lungenentzündung bekam, die sie auf der Rückfahrt im Speisewagen an andere Mitreisende verteilte. Die Züge waren zu dieser Zeit brechend voll mit Menschen, die in den goldenen Westen reisen wollten, aber das ist eine lange und andere Geschichte.

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Im Gebirgsgasthof, dessen Name mir leider entfallen ist, ebenso wie der Name des Ortes, in dem dieser sich befand, gab es anlässlich des bevorstehenden Jahreswechsels ein Menü, das in der Hauptsache aus Fleisch und Wurst bestand, garniert mit ein wenig Kraut und den pampigen Knedliki, tschechische Knödel, die ein wenig an sehr, sehr weiches Weißbrot erinnerten. Dazu, selbstverständlich jede Menge Bier, das damals in Tschechien als Mischgetränk getrunken wurde, halb hell, halb dunkel, was einen hervorragenden Kopfschmerz nach sich zog. Die anderen Gäste bevorzugten Kaviar und Champagner, wir aber waren wegen der originalen „Czech Culture“ im Land und deswegen war deftig gerade gut genug für uns. Deftig war auch die Musik, die an diesem Abend gespielt wurde. Eine wahnsinnig gute Blaskapelle spielte ungefähr acht Stunden lang ohne Pause Musik, währenddessen der dicke Tubaspieler und offensichtliche Chef der Band, im Minutentakt von dem gemischten Bier trank, bis sein Kopf rot glühte. Schon damals dachte ich mir: Geil! Alles im Viervierteltakt. Viel Bass. Wie gut wäre es, wenn da mal jemand drüber rappen würde.

Nun also gute 20 Jahre später werden diese Gedanken Realität. Rap und Blasmusik gehen hierzulande eine Verbindung ein, die eigentlich logischer nicht sein könnte, denn ist Rap nicht so etwas wie Volksmusik? Zudem gibt es im alten Liederschatz der Deutschen Volkslieder, die in Punkto Gewalt und Sexualität locker mit so manchem Raptext mithalten können. Ich denke da nur an den guten alten Bolle, der auf der Schönholzer Heide zum Spaß das Messer zieht „und Fünfe massakriert“ oder an Lieder, die eure Großeltern auf Familienfesten singen, dann, wenn ihr schon im Bett (oder im Club) seid: „Donna Blanca von Castilien hat 2 Schenkel, weiß wie Lilien / und dazwischen wie zum Trotze eine rabenschwarze F****.“
Den Anfang machten vor zwei Jahren Blumentopf mit „Fenster zum Berg“, mit ihrem Blasmusik Remix vom Stieber Twins Klassiker „Fenster zum Hof“. Zahm wie immer ging es darum, dass der Papa gerne gewandert ist und man die Ferien eben in den heimischen Alpen verbracht hat, statt am Mittelmeer. Textlich—geht es so, aber festzuhalten bleibt—es funktioniert.

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Das Münchner Projekt Moop Mama ist da schon ein bisschen fresher. Auch Blasmusik aber hier geht es eher in Richtung Brass Band und alles wirkt ein wenig konstruiert, so als hätte vor 20 Jahren ein älterer Werbedesigner über eine Fusion von Blasmusik mit Rap nachgedacht und es nun in die Tat umgesetzt. Heraus kommen aber durchaus nette Stücke mit Kapellenflavour.

Etwas mehr zur Sache geht es bei LaBrassBanda. Versteht man zwar nicht, weil wirklich auf Bayrisch gesingsangt wird, ist auch nicht unbedingt Rap, entspricht aber wohl einem anarchischen Lebensgefühl einer Jugend, die zwar Dialekt spricht, aber trotzdem punk ist. Kein Wunder also, dass die Band in diesem Sommer mit Die Ärzte auf Tournee geht. Die sind ja auch so etwas wie Volksmusik.

Neuester Zugang in diesem Genre ist die fränkische Kombo Kellerkommando, die sich mit dem Münchner Rapper Ali As zusammengetan hat. Was da passiert, ist dann tatsächlich das, was in diesem Bereich möglich ist. Das ist Balkanbeats trifft auf zotige Reime und richtiger, echter Rap auf hüpfendes Tubageblubber. Auch Kellerkommando sind in diesem Frühjahr auf ausgedehnter Tournee durch Orte, die Geretsried oder Lauda-Königshofen heißen, kommen aber auch nach Potsdam, Hamburg und Düsseldorf.

Wer also einen Abend so schön und legendär wie mein Silvester 1993 erleben möchte, sollte sich einen Auftritt der oben genannten Bands nicht entgehen lassen. Ich wiederum gehe jetzt in mein Kämmerchen zurück und schaue mal, was ich mir als nächsten Trend für die Zukunft ausdenken könnte. Denn schließlich wird alles, was ich denke irgendwann einmal wahr. Vielleicht sollte ich es mal mit sozialer Gerechtigkeit und Weltrevolution ausprobieren. Wir werden sehen.

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Marcus Staiger hat als Betreiber von Royal Bunker und Entdecker solcher Leute wie Kool Savas, Eko Fresh oder K.I.Z den Straßenrap in Deutschland etabliert. Sprich: Er hat Unmoral und Verrohung über Gesellschaft und Jugend gebracht. Um die Karmaleiter wieder ein Stück nach oben zu klettern, schreibt er ab sofort regelmäßig bei uns gegen die Unmoral und die Verrohung der Gesellschaft an.

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