2018 setzt sich in der österreichischen Clubszene fort, was sich im Jahr zuvor schon abzeichnete: House und Techno stagnieren, viele verschiedene Subgenres verwirren und das Clubsterben in Wien weitet sich immer weiter aus. Was sich sonst alles im Club-Jahr 2018 getan hat, zeichnet Rudi Wrany, der über die Grenzen der Wiener DJ-Szene als Crazy Sonic bekannt ist, durch seine Brille in Stichworten nach.
Anrainer
Immer noch der größte Feind und Verhinderer eines prosperierenden Clublebens – und in Wien ein echtes Problem, wenn zu vorgerückter Stunde jedes angeheiterte Lachen vor dem Innenstadt-Club zu einer Ruhestörung führt.
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Afterhours
Neben dem Klassiker im Sass wird in Wien wieder viel probiert. Neu ist das “Circa” im ehemaligen Lutzclub, altbekannt das Goodmans an der Wienzeile. Ansonsten gibt’s viele secret partys, auf die man nur kommt, wenn man wen kennt, der wen kennt.
Auslage
Gemunkelt wurde schon länger, am 22. Dezember ist es leider so weit: Die beliebte Gürtel-Location sperrt zu. Spektakuläre Gründe für das Ende gibt es keine: “Es ist einfach Zeit, nach 10 Jahren Adieu zu sagen” meint einer der Macher.
Bars
Die Bars haben 2018 die Rolle der kleinen Clubs übernommen. Egal ob kleine abgeranzte Mini-Locations oder gehypte Innenstadt-Beisln, die Leute ziehen gepflegtes Saufen in ungezwungenem Bar-Ambiente dem Club immer öfter vor.
Camera
Hat wieder aufgesperrt. Angeblich gibt es einfach niemanden, der die Bruchbude kauft. Vom alten Glanz ist heute nur noch wenig übrig.
Celeste
Der bei Studenten äußerst angesehene Club an der Wienzeile beherbergt viele Formate, die nicht den Makel des Mainstreams tragen. Die Anlage produziert zwar etwas, das ich nur gnadenhalber “Sound” nennen möchte, dennoch bleibt das Celeste ein wichtiger Club in Wien.
Cobenzl
Für viele die Partylocation des Sommers. Das Zwischennutzungsprojekt wurde – obwohl nicht einfach zu erreichen – vom Wiener Partyvolk gestürmt. Anfangs konnte man länger draußen feiern, doch bald hatten Anrainer, Kleingärtner und Kleinbürger etwas dagegen. Drinnen hatte es gefühlte 100 Grad, der Putz rieselte von der Decke und die dampfenden WCs gingen über. Trotzdem blieb die Location bis zum Ende beliebt, Formate wie “Ganz Genau” und “Merkwürdig” dominierten das Geschehen. Weil die Location nun aber endgültig geschlossen hat, konnten angeblich bereits fertig konzipierte Nachfolgeprojekte wie “Heast Oida”, “Voll Zach” oder “Bist Du gscheit” nicht mehr realisiert werden.
Creau
Formate wie “Tanz durch den Tag” und “Alles Banane” zogen viele Leute an. Nachdem die Behörden ständig kontrollierten und bemängelten, fiel für die Open-Air-Location im Herbst aber der allerletzte Vorhang. Jetzt verwandelt sich die einstige Beischlaf-Gegend rund um Prater in ein neues Wohngebiet.
Diversität
Eines jener Schlagworte, das 2018 oft im Clubkultur-Kontext vorkam. Für manche kann er nicht oft genug eingesetzt werden, um die männerdominierte Clubwelt etwas aufzurütteln. Denn freiwillig verzichtet ja niemand gerne, oder?
Downbeat (aka Slow-House)
Startete zunächst 2016 durch und entwickelte sich in Wien zu einem Hype, der zwar inzwischen abgeklungen, aber noch lange nicht durch ist. Bei “Heimlich“, “Journey to Tarab” oder “Alles Banane” tanzt man immer noch elfengleich über Wiesen und durch Wälder.
Drum’n’Bass
Österreich war bis 2017 eine Insel der Drum’n’Bass-Seligen. Mittlerweile hat das Interesse den Peak überschritten und befindet sich in einem faden Break. Zu viele Events auf zu engem Raum, irgendwann wollte niemand mehr auf den Drop warten. Die Superstars der heimischen Szene, Camo & Krooked oder Mefjus, spielen überhaupt nur noch selten in Österreich. Formate wie “Beat It” und “Future Beatz” sind ebenso Geschichte wie das Nu Forms Festival in Wiesen.
Vice-Video: ULFs – Wiens berüchtigste Graffiti-Crew
Festivals
Österreich bleibt ein Land für Rock- und Indie-Festivals. Marktführer Barracuda lädt jeden Sommer zu den Teenie-Magneten “Nova Rock” und “Frequency” – am Elektronik-Sektor tut sich derweil wenig, es sei denn irgendjemand kommt auf die Ideen, den Nightpark am “Frequency” mit elektronischer Musik in Verbindung zu bringen.
Mehr Klasse gibt es Wien, wenn sich das Popfest am Karlsplatz, das Electric Spring im Museumsquartier und das Donauinselfest um das Sommer-Publikum kümmern.
In Graz existieren derweil mit “Spring” und “Elevate” zwei renommierte, von Stadt und Land unterstützte Festivals, die regelmäßig internationale Acts in die Uhrturm-Metropole bringen.
Und in Salzburg kann man im Sommer das eher kommerziell gebürstete “Electric Love” mit ein bisschen Techno-Sahnehäubchen heimsuchen. Wer es gern rustikal mag, fährt im Dezember zum “Rave on Snow” nach Saalbach und tanzt sich inmitten des bayrischen Furchenadels die Füße warm.
Flex
Das Flex ist immer noch eine beliebte Konzertlocation, aber so richtig will es im alten Schlachtschiff am Kanal nicht mehr funktionieren. Ständig wird gebaut, umzäunt und verändert. Inhaltlich wirkt das Flex wie ein Relikt aus den 90ern: Programm, Webauftritt, Struktur – alles recht verstaubt. Immerhin: Ab 2019 will das Flex die Events selbst planen und engagierte dafür jüngere Booker, die die maroden Elektronik-Schienen wieder gerade biegen sollen.
Fluc
Das Fluc kennt keine Stürme der Zeit. Egal ob Wanne oder Bar, es verortete stets etwas abseits der Glitzerwelt des Mainstreams. Konzerte, Kabaretts, Raves, Balkan-Partys, Lesungen – die Szene repräsentiert sich vielfältig. Schick ist hier nichts, braucht es auch nicht zu sein.
Grelle Forelle
Hat ihre Pole Position halten können. Da passt einfach die Mischung. 2018 öffnete man sich auch ein wenig in Richtung anderer musikalischer Spielarten (Journey to Tarab, Gilles Peterson, House im allgemeinen). Das Booking bleibt erste Sahne, der Sound sowieso und mittlerweile hat sich die Forelle auch als Konzert-Location etabliert. Das Flex könnte sich hier einiges abschauen.
Gürtel
Der Wiener Gürtel und seine Bögen war in den Neunzigern ein großes Experimentierfeld. Mit dem Chelsea, B72 oder Rhiz entstanden Clubs im einstigen Rotlichtviertel der Stadt. Andere Locations wie das Venster 99 oder der Kramladen haben sich parallel entwickelt. Gegenüber der Gürtelbögen konnten mit Loft, dem schon etwas in die Jahre gekommenen Weberknecht und der schließenden Auslage ebenfalls noch einige Venues entdeckt werden.
Horst
Die zweite Saison nach dem erfolgreichen Einschlag in die Wiener Clublandschaft ging mit einem leichten Besucherrückgang am Freitag einher. Bekannte Acts füllen das ehemalige P1 aber noch immer. Schade, dass die heimische DJ-Szene wenig davon hat, wenn internationale Namen wie Solomun, Sven Väth, Adam Beyer oder Richie Hawtin das Budget plündern. Am Samstag wird auf kommerzielle Studentenmusik (2018 heißt das “Disco”) gesetzt. Etwas weniger “Jetzt aber wirklich”-Closings stünden der Location nicht schlecht, das Horst bleibt aber ein fetter Innenstadt-Club für alle Publikumsschichten. Bis Mai 2019 wird fix noch weiter getanzt, die weitere Zukunft ist momentan aber offen – ebenso wie die schon öfter angekündigte neue Location.
Hyperreality
Das motivierte Team um Marlene Engel hat im zweiten Jahr das Sub-Projekt der Wiener Festwochen in lichte Höhen gehoben. Anspruchsvolle Bookings, tolle Location (F23) und großes Interesse ließen Wien hoffen, endlich ein international anerkanntes Festival ausrichten zu dürfen. Doch dann kam das Aus für die Festwochen-Intendanz von Thomas Zierhofer Kin und somit auch das Aus für Hyperreality. Der neue Intendant Christophe Slagmuylder hält laut einem Profil-Interview nicht viel davon, den Wiener Clubs mittels eines “Clubkultur” Festivals Konkurrenz zu machen. 2019 wird es Hyperreality auf jeden Fall wieder geben, dann eben als eigenständiges, aus privaten Mitteln finanziertes Musikfestival.
Kärnten
Am Pyramidenkogel konnte vergangenen Juli bei einem von T-Mobile gesponserten Event gefeiert werden. Ansonsten tut man sich mangels Offenheit und Publikum in Kärnten schwer. Das Loco in Villach gibt sein bestes, ebenso wie Christoph Grandits und seine “Techno am See”-Reihe. Im Stereo in Klagenfurt setzt man derweil leider kaum noch auf die elektronische Karte. Schade.
Lighthouse Festival
Findet zwar in Kroatien statt – wird aber immer noch von den ehemaligen Betreibern der Pratersauna organisiert. Hennes Weiss hat sein Booking-Team mit Leo Küchler, der auch im Blitz in München mitmischt sowie Thome, den man as der Forelle kennt, verstärkt. Das Event ist jedes Jahr trotz anspruchsvollem Lineup ausverkauft. 2018 gab es auf jeden Fall denkwürdige Momente: Moodyman, Ryan Elliott, Sven Väth oder Honey Dijon lieferten tolle Sets ab. 2019 wird dieses Konzept weitergeführt und auch den Nightpark wird es in neuer Bespielungsform geben.
Nordbahnhalle
Die ehemalige Lagerhalle am neuen Rand des zweiten Bezirks etablierte sich auf der Veranstaltungs-Landkarte von Wien, muss sich aber mit Anrainer-Probleme herumkämpfen. Während “Bliss” im Juni den Rahmen sprengte, fiel das “Warehouse Weekender” Anfang November dem Amtsschimmel zum Opfer. Die Lautstärke musste gnadenlos zurückgeschraubt werden, bis sogar die Gespräche auf der Tanzfläche lauter waren als die Musik. Größere Rave-Veranstalter werden dort in Zukunft wohl eher nicht mehr die Subwoofer auspacken.
Oberösterreich
Linz war lange Zeit eine pulsierende Partymetropole. Das ist lange vorbei, auch wenn die Szene dieses Jahr 2018 langsam wieder aufwacht: OK (Offenes Kulturhaus), Unten, Solaris und Spielplatz bieten immer wieder ansprechendes Programm. Ab und an gibt es auch größere Events in der Stadtwerkstadt und der Tabakfabrik, auch die alten Haudegen Eric Fischer und Mike Vinyl (im Raum Steyr) mischen mit und gemeinsam mit den jüngeren Promotern wachsen wieder zarte Club-Pflänzchen.
Parallel
Die Kunstmesse brachte eine Woche lang die angesagten Crews und DJs der Stadt zusammen: Merkwürdig, Marflow und – dem Diversitätsgrundsatz treu bleibend – weibliche DJs durften nicht fehlen. Bloß: Muss man das immer noch so betonen: Ein Abend nur mit Frauen, dafür die anderen nur mit Salami-DJs? Und dann den Fauxpas des Jahres liefern und Therese Terror nach ein paar Tracks abdrehen, weil sie einigen WU-Burlis im Publikum zu hart aufgelegt hat. Der Shitstorm wirkt noch kräftig nach.
Passage, Alice und Schwarzenberg
Passend zum neokonservativen Stream geht die Flaschenpartie (also die, die sie sind und sie bestellen) eher dorthin, wo Musik eher zweitrangig ist: in die noblen Innenstadt-Diskotheken à la Passage und Alice. Im Schwarzenberg gibt’s sogar einen praktischen Spiegeltisch ….
Pratersauna
Fast 80 Prozent der Veranstaltungen werden hausintern gebucht und geplant, das ist ein hoher Schnitt. Der Sauna-Garten war auch die einzige Open-Air-Location, wo offiziell halbwegs laute Outdoor-Partys stattfinden konnten. Im Sommer gab es jeden Mittwoch die Formate “FM4 Swound Sound” und “Nachtschwimmer”. Und “Schlaflos” gilt immer noch als Vorreiter in Sachen Minimal Techno.
Queer
Selten war die Regenbogenparade so gut besucht wie in diesem Jahr. Und auch sonst gab es viele queere Veranstaltungen. Egal ob sie aus dem Gerald-Van-der-Hint-Umfeld stammen (Techno mit viel Liebe zum Vinyl), “Herrensauna” heißen oder eher kommerziell (“OMG”) veranlagt sind. Die Kernklientel bleibt treu. Harter analoger Berghain Techno dominiert die meisten Events wie “Meat Market”, “Fish Market”, “Ficken Plus” oder “Mutter”. Gerald gründete in diesem Jahr auch sein eigenes Label “Meat Recordings” und darf daneben noch einige Male pro Jahr das Berghain beschallen. Aller Ehren wert. Nur. Es kann aber nur einen geben, Kopien braucht es nicht.
Red Bull Music Festival
Ein großer Konzern mietete den Prater, um dort der heimischen Musik- und Produzenten-Szene eine Plattform zu bieten. Allerdings schwangen die Gondeln des Riesenrads zu viel hin und her als Yung Hurn mit seinem kreischenden Anhang abfeierte. Am Ende gab es einige unzufriedene Besucher, die nicht alles sehen konnten, was sie gerne gesehen hätten.
Salzburg
Das Electronic Motion hat auch schon bessere Zeiten erlebt, Innovatives finden wir dort schon lange nicht mehr. Spricht man die nicht gerade als Philanthropin und Wienliebhaberin bekannte Chefin darauf an, bekommt man meist als Antwort: “Was bei Euch in Wien funktioniert, klappt in Salzburg nicht.” Ob man allerdings DJ A.N.A.L. buchen muss, um auf das bayerische Einzugsgebiet zu linsen, wage ich zu bezweifeln. Da hat ja selbst ein abgelaufener Käse mehr Geschmack. Ausweichen kann man in den Sodaclub, der sich redlich Mühe gibt
Sass
Unser aller kleiner Lieblingsclub. Die feine (Pro Performance) Anlage liefert beständig ab. Donnerstag und Sonntagmorgen ist das Sass immer krachend voll und auch an den Wochenendtagen gibt es immer anständige Events, unter anderem mit Joyce Muniz und den vielen Vorarlberger Crews, die in Wien beheimatet sind.
Die Gerüchte, dass der Club schließen soll, gab und gibt es ständig. Aber: Sie stimmen nicht. “Irgendwann mal, in sieben oder acht Jahren vielleicht”, bekommt man von den Betreibern schmunzelnd zur Antwort.
Sommerevents
Das Techno-Café als Afterwork-Club oder auch Albert & Tina sind empfehlenswert. Allgemein haben die meisten Events aber eher den Charakter einer Aperol-Sprizz-getränkten Herumsteherei. Wo sind nur die Zeiten von “HAPPY”, “Heaven”, “Teezeit”, “Dub Club”, “Soft Egg Cafe” und “Crazy” geblieben?
Noisey-Video: Die unsterbliche Szene
Steiermark
Die Landeshauptstadt Graz gilt als zweite Eventstadt nach Wien: Ordentliche Events in Spielstätten wie etwa dem Orpheum, dem Dom oder am Schlossberg machen einiges her. Im Bunker tummeln sich manchmal allerdings seltsame DJ-Gestalten, deren politische Ansichten nicht ganz zu dem passen, wofür die elektronische Bewegung einmal stand.
Summer of Love
Es war nicht der Sommer der Liebe in Wien, auch wenn im Juli unter besagtem Namen ein Festival mit DJs wie Nina Kraviz, Maceo Plex und DJ Rush stattfand. Das Magistrat hatte seine Finger mit im Spiel, am Ende fehlten neben anständigem Sound und Publikum auch noch viel Geld.
Tirol & Vorarlberg
Im Winter gab es einige Events in den Bergen: Das “Fantastic Gondolas” in Lech, die “Ullr” Parties in Zürs, das “Pacha” in Ischgl sowie diverse andere Events im Ziller- und Ötztal. In Innsbruck gibt’s noch den Tante Emma Club, der aber konsequent auf teure Bookings verzichtet. Im Q-West in Kufstein dominieren Acts, die in Deutschland einen Namen haben, was aber nichts über die Qualität aussagen muss.
Warehouse
Das Warehouse Weekender Anfang November war leider zu überdimensioniert. Dazu kommt, dass die Gesprächsbasis mit dem Magistrat von Anfang an schlecht war. Allerdings sollten sich die Veranstalter dem Unmut der Leute stellen. Kritische Kommentare auf Facebook wurden einfach ignoriert – das fanden viele Besucher weniger leiwand.
Werk
Der kleine Zwilling der Forelle putzte sich im Sommer neu heraus und fettete seine Anlage auf. Nicht so gut betuchte Raver lieben das Werk, Formate wie “Hausgemacht”, “Donauwelle” und “Ficken Plus” sind in Wien ganz groß. Mit Johannes “Laminat” Piller holte man sich 2018 außerdem einen erfahrenen Booker an Bord.
Zum Schluss
Der Veranstalter des Jahres: “Kein Sonntag Ohne Techno”. Auch wenn der Name nervt, die Events waren allesamt ein Knaller. Nach einem kleinen Durchhänger 2017 hat Benny Fleischhacker einiges umgekrempelt. Egal, ob im Auer-Welsbach-Park, in der Pratersauna oder am Cobenzl: Hut ab vor dem, der so viele Leute mobilisiert.
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