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Robin Thicke ist im Arsch, aber so richtig

Jetzt fehlen eigentlich nur noch geleakte Nacktfotos, die beweisen, dass er seinem Namen nicht gerecht wird.
Emma Garland
London, GB

Stell dir vor, du würdest gerade in der Haut von Robin Thicke stecken. Die Familie eines der weltweit beliebtesten Songwriter verklagt dich auf geschlagene 7,3 Millionen US-Dollar weil du dich bei deinem Charts-stürmenden Vergewaltiger-Almanach etwas zu sehr bei dem 1977er Disco-Hit „Got to Give It Up“ bedient hast, ohne das kenntlich zu machen. Währenddessen steckst du nach neun Jahren Ehe gerade mitten in der Scheidung von deiner Frau, mit der du ein vier Jahre altes Kind hast, und passenderweise verkaufte sich das Album, das du liebevoll nach deiner gerade-noch-Gattin benannt hast, in der ersten Woche in Großbritannien geschlagene 530 Mal. Deine Karriere, die 2013 erst so wirklich begonnen hatte, ist quasi schon wieder vorbei, bevor du richtig losgelegt hast. Würde diese ganze Scheiße jemand anderem passieren, würden wir dieser Person wahrscheinlich eine Schulter zum Ausheulen anbieten und ihr ein Snickers kaufen. Da das hier aber Robin Thicke ist, dem das alles passiert, macht sich ein fieses Grinsen in unserem Gesicht breit. Aber warum eigentlich?

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Irgendwie ist der tiefe Fall des Mannes, der auf einem Foto dabei erwischt wurde, wie er seinem Fan dreist an den Hintern grapscht, tatsächlich ganz schön mitanzusehen. Karrieretechnisch gesehen fangen die ganzen Verbrechen, derer Robin Thicke schuldig gesprochen wurde, aber nicht mit Robin Thicke an und hören ganz bestimmt nicht mit ihm auf. Im größeren Kontext der aktuellen Musiklandschaft hat er noch nicht einmal etwas besonders Schlimmes gemacht. Seine Hauptvergehen—Urheberrechtsverletzungen und unverhohlene Frauenfeindlichkeit—sind die beiden Grundpfeiler, auf denen ein großer Teil der Popmusik fußt. Die Mehrheit der Songs in den Billboard 100 bedient sich schamlos beieinander oder hört sich einfach unglaublich ähnlich an—Sam Smiths „Stay With Me“ weißt auffällige Gemeinsamkeiten mit Tom Pettys „Don’t Back Down“ auf, „Uptown Funk“ wiederum schuldet einen Großteil seines Erfolgs dem Backkatalog von The Time und Kelly Clarksons „Heartbeat Song“ ist quasi „The Middle“ von Jimmy Eat World. Auf der anderen Seite können sich momentan Fetty Wap, Meghan Trainor und Chris Brown alle über angenehm hohe Platzierungen in den Singlecharts freuen—alles Künstler, die einem auf ihre jeweils ganz eigene Art genug Stoff liefern, um mindestens zehn Essays über Gender Inequality zu schreiben. Irgendwie hat es Robin Thicke dann aber geschafft, gleichzeitig zum Sündenbock für Urheberrechtsklagen und zum Aushängeschild für sexistische Scheiße in der Popmusik zu werden. Nein, es könnte gerade tatsächlich kaum schlechter um ihn stehen. So, wie es gerade aussieht, hat er seinen absoluten Tiefpunkt allerdings noch nicht erreicht.

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Thicke hatte nur eine große Single und diese große Single hat ihm eine Riesen-Klage eingebracht—eine der größten Schadensersatzforderungen in einem Urheberrechtsfall überhaupt. In Folge dessen wird er einen großen Teil seiner Einnahmen, die er bis zum heutigen Tag gemacht hat, verlieren. Celebrity Net Worth schätzt Robin Thickes Wert auf 15 Millionen US-Dollar. Auch wenn ihm dann immerhin noch bescheidene 7,7 Millionen US-Dollar bleiben (wohlgemerkt vor der Scheidung), muss man sich mal vor Augen halten, dass Gayes Familie hier fast 50 Prozent seiner kompletten Einnahmen verlangt. Darüber hinaus wollen sie jegliche Live-Aufführung von „Blurred Lines“ verbieten, alle digitalen Verkaufsangebote vom Markt nehmen und selbst die verbliebenen physischen Kopien beschlagnahmen. Sollte das alles durchgehen, kann man sich nur schwer vorstellen, wie und warum irgendein Majorlabel oder Bookingpromoter noch mit ihm zusammenarbeiten sollte. Sollten die Gayes mit ihren Forderungen durchkommen, dann wäre Robin Thickes Karriere im Arsch—aber so richtig—und würde sich wahrscheinlich nie wieder erholen. Gayes Nachlassverwalter könnte eigentlich das komplette R’n’B-Genre in Grund und Boden klagen—wenn sie es denn wollten. Was das nun für die Musikindustrie als Ganzes bedeutet, ist ein ganz anderes, durchaus besorgniserregendes Thema, aber Robin Thicke hat momentan in einer Angelegenheit, die durchaus zum Präzedenzfall im Rechtsstreit um musikalisches Flickwerk werden könnte, die Arschkarte gezogen.

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Was ich an der ganzen Geschichte aber eigentlich am witzigsten finde, ist die, dass angeblich Mr. Happy persönlich, Pharrell Williams, „fast alle Parts des Songs“ geschrieben hat. Ob das wirklich stimmt oder ob es sich dabei nur um einen verzweifelten Versuch von Thicke handelt, einen Teil seiner Schuld auf Pharrell abzuwälzen, ist fraglich. Letzterer hat es nämlich geschafft, das ganze Desaster zu überstehen, ohne dass sein Ruf in irgendeiner Weise darunter gelitten hätte—obwohl er in dem Video nicht weniger schmierig ist und vielleicht sogar für einen Großteil des Songs verantwortlich ist. Der Unterschied zwischen beiden ist jedoch, dass Pharrells musikalisches Ansehen zu dem Zeitpunkt schon über zwei Jahrzehnte etabliert war und sein Gesichtsausdruck in dem Video weniger „Machowichser auf der Pirsch“ und mehr „Teenager, der zum ersten Mal einen Blick auf einen Sideboob erhascht“ sagt. Pharrell glänzte außerdem mit Abwesenheit, als Thicke „Blurred Lines“ zusammen mit Miley Cyrus bei den MTV Awards 2013 aufführte—dem am meisten umtweeteten (Hashtag problematisch) Ereignis unserer Geschichte.

2014 veröffentlichte Pharrell im Alleingang „Happy“, das sich 12 Millionen Mal auf der ganzen Welt verkaufte und sich damit zu „Blurred Lines“ auf den Thron der bestverkauften Songs aller Zeiten gesellen konnte. Für Thicke war 2014 kein so gutes Jahr. Er veröffentlichte sein neues Album Paula über dessen miserablen Verkaufszahlen ich ja schon oben geschrieben habe. Diese Entwicklung spricht Bände über Vertrauen und Rechenschaft in der Musikindustrie, denn egal, was er tut, wir vertrauen Pharrell. Er ist aktiv im Geschäft, so lange wir denken können und hat sich über die Jahre bewiesen. Sein Image ist derartig minutiös ausgefeilt, dass er, egal was er macht, einfach nicht bedrohlich rüberkommt. Obwohl er vermutlich komplett verantwortlich für „Blurred Lines“ ist, haben wir kein Problem damit, dass er Kinderbücher schreibt oder mit N.E.R.D. den Soundtrack für den neuen Spongebob-Film macht. Kein Wunder, dass er so verdammt happy ist. Kannst du dir vorstellen, was bei Twitter losbrechen würde, wenn Robin Thicke das gleiche machen würde?

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Vielleicht wäre „Blurred Lines“ nicht so unter Beschuss gekommen, wenn es zu einer anderen Zeit erschienen wäre. 2009 war Pitbulls „I Know You Want Me (Calle Ocho)“ das meistgesehene Musikvideo auf YouTube und der Song verkaufte sich 3.2 Millionen Mal in den Vereinigten Staaten—ohne, dass sich irgendjemand darüber beschwerte. 2009 war auch das Jahr, in dem Jamie Foxx’ füll-ein-Mädchen-ab-so-gut-es-geht-Hymne „Blame It“ featuring T-Pain die Hot R’n’B/HipHop Charts über 14 Wochen am Stück anführte und damit den Rekord für die erfolgreichste Chartsplatzierung eines männlichen Künstlers aufstellte.

Springen wir wieder ins Jahr 2013. „Blurred Lines“ kann den gleichen kommerziellen Erfolg einfahren, allerdings auf Kosten der Karriere eines Mannes. Da T.I. und Pharrell von fast allen bequem aus dem Bild gedrängt wurden, blieb nur noch Robin Thicke als einziger Urheber sexistischer Kackscheiße über. Wenn man sich heute das Video zu „Blurred Lines“ noch einmal anschaut, dann lässt sich die Darstellung von unglaublicher Arroganz und Angeberei nur als schamlos bezeichnen—dieses ganze Stolzieren, dieses Antanzen, dieses Begutachten der Frauen. Das, was Thickes Karriere und seinem Privatleben daraufhin widerfahren ist, ist, wenn auch nicht die totale Genugtuung, dann doch wenigstens voll von bitterer Ironie. Es ist fast so, als würde man aus den „Robin Thicke Has A Big Dick”-Ballons langsam aber zufrieden die Luft raus lassen—Ballon für Ballon. Jetzt fehlen eigentlich nur noch geleakte Fotos, die beweisen, dass er eigentlich einen Mikropenis hat.

Es steht außer Frage, dass „Blurred Lines“ absoluter Müll ist. Gleichzeitig existieren aber unzählige andere Songs ganz ähnlicher Art, die nicht halb so viel Prügel einstecken mussten. Vielleicht ist das ganze Debakel auch ein Beweis göttlicher Fügung, aber am Ende hatte Robin Thicke wohl einfach nur unglaubliches Pech. Vielleicht wären Gayes Nachkommen etwas nachsichtiger gewesen, wenn er sein Gesicht nicht für die Hymne der Rape Culture hingegeben hätte. Vielleicht wäre er auch mt der Sache durchgekommen, wenn man Thicke vorgeworfen hätte, sich bei jemand anderem bedient zu haben. Tom Petty nahm die Sam Smith-Geschichte zum Beispiel auf seiner eigenen Webseite extrem gelassen hin: „These things happen.“ Im krassen Gegensatz dazu steht dieses Video von Nona Gaye nach dem Urteilsspruch im „Blurred Lines“-Fall. Wenn man hier sieht, wie sie komplett in schwarz gekleidet und schwer atmend darüber spricht, wie sie sich jetzt, „von Pharrell Williams’ und Robin Thickes Fesseln befreit fühlt“, und das auf eine Art, die selbst heimgekehrte Kriegsgefangene als melodramatisch bezeichnen würde, dann merkt man schnell, dass diese Familie solche Sachen nicht auf die leichte Schulter nimmt. Er hat sich schlicht und einfach den falschen Künstler zum Nachahmen ausgesucht—und die falsche Art. „Blurred Lines“ befindet sich genau an jenem kulturellen Brennpunkt, an dem Urheberrechtsklagen rücksichtslos und unvorhersehbar sind und feministische Diskurse ein heißumkämpftes Feld. Und das alles nur, weil er an einem Song beteiligt war, der zur denkbar schlechtesten Zeit unglaublich erfolgreich war.

Emma Garland ist bei Twitter—@emmaggarland

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