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Roger Waters von Pink Floyd will noch immer Mauern einreißen

Die lebende Legende hat mich im Gespräch leider kein einziges Mal „Vollidiot“ genannt, dafür aber über die Karriere mit Pink Floyd und das unvermeidbare Ende gesprochen.

36 Jahre nachdem er mit seinen ehemaligen Bandkollegen von Pink Floyd The Wall veröffentlicht hat, hat Roger Waters nichts von seiner Bissigkeit verloren, die er mit 36 hatte, als das Album rauskam. The Wall, das als Gipfel der Grandiostiät und letzter Todesstoß für eine bereits zersplitterte Gruppe war, war und ist die ultimative Schimpftirade von Waters, die sowohl von seinen eigenen Ängsten und Verletzlichkeiten, als auch der Gesellschaft, in der sich diese Verwerfungen in Form von sprichwörtlichen und metaphorischen Traumata des Krieges, der Trauer und der Kindheit manifestiert. Es ist kein großes Geheimnis, dass sich das Gründungsmitglied einer der einflussreichsten Rockbands aller Zeiten einen Großteil seiner lyrischen Bemühungen, sowohl mit Pink Floyd als auch solo, damit verbracht hat, sich in tiefsten Abgründe persönlichen Verlustes und Desillusionierung zu stürzen.

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Mit dem gleichnamigen Film von 1982 und dem, was bis heute gemeinhin als aufwändigster Bühnenaufbau und Liveshow in der Geschichte des Rock gilt, ist The Wall tief in der Popkultur verankert—und das selbst viele Jahre nach seiner Veröffentlichung und mittlerweile auch fernab seines ursprünglichen thematische Rahmens. Im September dieses Jahres wurde dann eine Dokumentation mit dem verwirrenden oder zumindest absichtlich in die Irre führenden (und darin genialen) Titel Roger Waters the Wall veröffentlicht. Ja, in der Dokumentation gibt es beeindruckende Aufnahmen von Waters The Wall Live Tour, die zur erfolgreichsten Solokünstler-Tour aller Zeiten werden sollte.

Während sich Regisseur Sean Evans die offensichtlich sehr aufwändige und komplexe Produktion der Liveshow wunderbar zu Nutze macht, liegt die wahre Stärke seines Films, ganz ähnlich wie bei seinem Subjekt, in der ungeschönten Verletzlichkeit von Waters, während dieser mit einer weit zurückliegenden Vergangenheit und seinen eigenen Erinnerungen konfrontiert wird, die sich schon so lange durch fast alle seine Texte ziehen. Aber die Dokumentation und das Album selbst sind nicht mehr nur noch dieser zugegebenermaßen egozentrische Exkurs, der er früher einmal für Rogers war. Was damals ein beinahe schon episch anmutender voyeuristischer Einblick in jeden Winkel von Waters’ Psyche war, bewunderns- und beklagenswert gleichermaßen, hat sich nun die Narrative seines sozialen, kulturellen und politischen Kontexts angeeignet.

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Während der Interviews zu der Filmveröffentlichung war Waters berüchtigt schwieriges Verhältnis zu den Medien wieder mit voller Wucht zu spüren. Seine frühere Verachtung für die Medien im Allgemeinen hat er allerdings für ein eher zweckgebundenes Verhältnis eingetauscht. Da, wo Waters über so viele Jahre dazu geneigt war, seine eigenen persönlichen Dämonen auszuleuchten, was seinen ergreifenden Höhepunkt in The Wall fand, wird hier als schwer besorgt und alarmiert von der sich wiederholenden, aber gleichermaßen vermeidbaren Natur des Menschen in seiner schlimmsten Form präsentiert. Das soll nicht heißen, dass sich Waters über Nacht dazu entschieden hat, sich in soziopolitischen Gefilden zu engagieren. Er zeigt sich schon lange als Gegner von dem, was er als unterdrückende Machenschaften von Regierungen auf der ganzen Welt sieht. Gleichzeitig ist er mit sturer Hingabe ein Fürsprecher von Menschrechtsorganisationen und einer positiven Entwicklung der Gesellschaft als Ganzes.

Als Pink Floyd Fan auf Lebenszeit und begeisterter Zuhörer mit Hang zur Besessenheit habe ich Waters oder seine ehemalige Band nie mit irgendetwas auch nur ansatzweise Positivem assoziiert. Auch wenn es jetzt nicht unbedingt einen Wegführer in das ewige Tal der Tränen darstellt, ist Pink Floyds Werk auch nicht gerade ein Ausflug in die fröhlichsten Momente menschlichen Daseins. Nimm dazu noch Waters bekannte Intoleranz für Ignoranz oder die mutwillige Dummheit der Menschen im Allgemeinen aber auch des Mediensprachrohrs im Speziellen und die gute Stunde vor meinem Telefonat mit ihm war ein abwägendes Wechselbad aus Vorfreude und Angst vor der nicht ganz unwahrscheinlichen Möglichkeit, dass ich mich im Laufe unseres Gespräch in einen stotternden Vollidioten verwandeln und letztendlich mein Interview mit dem Freizeichen weiterführen würde.

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Obwohl ich felsenfest davon überzeugt war, dass das früher oder später passieren würde, nannte mich Waters im Laufe unseres etwas länger als 30 Minuten dauernden Gesprächs kein einziges Mal einen „Wichser“ oder „Vollidioten“. Auch wenn ein Teil von mir insgeheim gehofft hatte, dass er unerwartet aus dem Nichts sein charakteristisches Heulen oder Kreischen rausgelassen hätte, so wurde unsere Unterhaltung in vielerlei Hinsicht ein Blick hinter die Bühne—oder wie man in diesem Fall vielleicht sagen kann: ein willkommendes Abbauen von Barrikaden. Schon als er den Hörer mit einem einfachen „Hallo, Jonathan“ abnimmt, ist Waters Stimme entwaffnend ruhig und ausgeglichen. So bleibt sie auch das ganze Interview hindurch—selbst, wenn er auf die politischen und gesellschaftlichen Themen zu sprechen kommt, die ihm besonders am Herzen liegen.

Waters hat dieses unverfrorene, emotional um sich schlagende, dieses Stürmische seiner Jugend nicht verloren, aber die Erfahrung hat verschiedene Muster der Vernunft, Empathie aber vor allem Objektivität bei ihm hinterlassen. Ganz egal, ob er jetzt von Kritikern kategorisch als Egomane abgeschrieben wird oder von seinen Millionen Fans auf der ganzen Welt hingebungsvoll verehrt wird, Waters macht das, was er tut, unglaublich leidenschaftlich. Er ist dabei sehr einem Anliegen verpflichtet, das sich weit über die Sorgen eines geplagten Rockstars oder des Jungen hinausbewegt, dessen Vater nie aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Wie das mit dem Leben nun mal so ist, die Geschichte wurde von dem geformt, was ihr Erzähler erlebt hat—ein Erzähler dessen Worte „Gib nicht nach ohne einen Kampf“ nicht länger als Nachhall einer einzelnen verzweifelten verlorenen Seele zu hören ist, sondern als Aufruf zu Taten und eine Hoffnung auf Frieden.

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Noisey: Siehst du The Wall als eine Arbeit, in der die Storyline oder Narrative ein offenes Ende hat oder sich ständig weiterentwickelt?
Roger Waters: Puh. Das ist eine interessante Frage—eine gute Frage. Nein, ich würde sagen, dass die Narrative ein Ende hat. Ich finde, dass wir sie in dem Film, den wir gemacht haben, so weit entwickelt haben, wie ich das wollte. Trotzdem habe ich seit den letzten 20 Jahren diese Idee auf meiner Agenda, etwas im Bereich Musiktheater zu machen—in einem festen Ort, nichts Großes. Vielleicht machen wir das noch. Ich arbeite mit Lee Hall zusammen und wir haben ein paar Workshops gemacht, die sich als sehr bewegend erwiesen haben. Ich habe auch eine Produktionsfirma aufgebaut, um es zusammen mit dem Filmproduzenten Eric Fellner von Working Title zu machen. Ich glaube also, dass es wahrscheinlich schon bald auf losgehen wird, aber wir werden sehen. Was die Konzerte und so angeht, gibt es für mich keinen Grund dieses Narrative noch weiter auszubauen. Die einzige Sache, die ich zu sagen habe, ist die, dass wir vielleicht noch eine weitere große Live-Show machen werden. Wir haben einiges von der Hydrauliktechnik des The Wall-Aufbaus behalten, nur für den Fall, dass wir es schaffen sollten, die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel jemals dazu zu überreden, den Palästinensern etwas Freiheit zu geben und diese Sperranlagen in der West Bank niederzureißen. Ich habe versprochen, sollte das jemals passieren, dort eine letzte große Aufführung von The Wall für die Menschen aus Palästina und Israel zu machen, um dort das zu feiern, was ein riesiger Triumpf der Empathie über die Feindseligkeit wäre.

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Ich persönlich finde, dass das Album selbst sich von einer komplexen Manifestation deiner eigenen persönlichen Dämonen und Selbstreflektion zu etwas viel Größerem entwickelt hat und, wenn du mir erlaubst, das so zu sagen, viel mehr soziale Relevanz und Gewicht bekommen hat.
Absolut. Gut erkannt. (lacht) Das stimmt genau. Eine der Sachen ist die, dass ich mit der Idee zu The Wall großes Glück hatte. Dieses ganze Spektakel, dass ich in meinem Kopf erschaffen hatte, bei dem eine physische Mauer quer durch die Arena gebaut wird und damit die Band vom Publikum abgeschirmt wird, basierte auf meiner generellen Abneigung gegenüber Publikum, das ich als junger Mann in den späten 70ern verspürt hatte. Alles, was sich seitdem aus der Sache entwickelt hatte, basierte auf der Tatsache, dass dieses sehr simple theatralische Element unzählige Interpretationen zulässt. Und dann hier 42 oder 43 Jahre später sind die Interpretationen, auf die Sean [Evans] und ich im Zuge unserer Arbeit für den Film über die Tour und die Reise gekommen sind, weitläufige und umfangreiche politische Statements darüber, wie enttäuscht wir über die Tatsache sind, dass wir Eisenhowers Warnung nicht beachtet haben, die man während „Bring the Boys Back Home“ auf der Mauer sehen kann—und all seine Warnungen vor dem militärindustriellen Komplex und wie dieser unsere Freiheiten aushöhlen kann. Jetzt leben wir, du und ich und der Rest von uns, im Angesicht der sicheren Gewissheit, dass wir Eisenhowers Warnung missachtet haben und alle unsere Rechte, die ziemlich eloquent von den Gründungsvätern in der Verfassung dieser Republik niedergeschrieben worden waren, auf alarmierende Art ausgehöhlt werden. Daran schuld sind eine ganze Menge Faktoren, die hier aufzuzählen, mir die Zeit und dir wahrscheinlich jetzt die Geduld fehlt. Aber so sieht es jetzt aus und dementsprechend ist jede Form der Ermutigung, die wir von irgendwoher zusammentragen können—auch diesem Film, so hoffe ich—so dringend nötig. Wir brauchen so etwas wie eine Revolution. Keine blutige, aber wir brauchen eine, denn Tag für Tag, mit jeder Minute, näheren wir uns immer weiter einem Zustand der Tyrannei an.

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Du hast immer die gleichen Themenstränge gehabt, in denen du dich mit Kindheit, Verlust und Angst auseinandergesetzt hast. Gab es eine Art von Finalität für dich bei dieser Dokumentation, bei der du eine Form der Katharsis für diese Fragen gefunden hast, die du seit mehreren Jahrzehnten unbeantwortet mit dir rumträgst?
(lacht) Nun, ja. Es ist unglaublich kathartisch für mich, die Erfüllung dieses Projekts erlebt zu haben und es ist unglaublich bewegend für mich, bei manchen dieser Vorstellungen mit im Kinosaal gesessen zu haben und die Menschen schluchzen zu sehen—die Leute sind von manchen Teilen der Show ernsthaft berührt. Es gibt eine Stelle in der Mitte, bei der ein Konzertausschnitt von „Vera“ zu sehen ist, der im Film besonders kraftvoll rüberkommt. Beim Konzert komme durch einen schwarzen Vorhang auf die Bühne, während ich die zweite Strophe singe und stehe dann vorne auf der Bühne. Das Publikum schaut aber auf die Leinwand und damit die Aufnahme des kleinen Mädchens, das sich sichtlich darüber freut, seinen aus dem Krieg zurückkehrenden Vater zu sehen—ein wirklich außerordentlich großartiger Filmausschneit, den wir über ein paar Nachrichtensender gefunden haben. Ich schau dann aber auf das Publikum und kann viele Menschen in der ersten Reihe weinen sehen, während sie sich die Aufnahmen anschauen. Ich habe dann die enorme Ehre und große Freude, die Worte: „Does anybody else in here feel the way I do“ singen zu dürfen, was auch die letzte Zeile des Songs ist. Es ist immer einer dieser Klos-im-Hals-Momenten, aber es ist eine riesiges Privileg das singen zu können und die Menschen darauf reagieren zu sehen, denn 30 Jahre später fühlen sich so viele Menschen mehr wie ich. Wir sind beim Protest gegen unsere Situation durch einen kleinen Tiefpunkt gegangen, wo wir uns bei unserem Kampf gegen Vietnam und anderen Dingen, wie ökonomischen Problemen in den späten 60ern verschlissen haben und seitdem hatten wir so etwas wie eine Ruhepause. Wir haben jetzt 30 oder 40 Jahre mit Computerspielen und Fachsimpelei über Kim Kardashians Hintern verbracht.

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Nun, ich würde sagen, dass wir mittlerweile wieder ein bisschen da raus sind—vielleicht sogar etwas mehr als nur ein bisschen. Es fühlt sich gerade definitiv so an, als würde eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Luft liegen—vor allem hier in New York, wo ich lebe, aber die erstreckt sich auch über beide Küsten der USA und hoffentlich dann noch auf den Mittleren Westen und den Süden. Aber es herrscht definitiv dieser Geist, die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika wieder so zu verwenden, wie sie gedacht war und wie unsere Gründungsväter das vorhergesehen hatten. Die waren natürlich selber nicht ohne Fehler mit ihren Sklaven und ihren Sorgen darüber, dass Demokratie vielleicht doch nicht so gut ist, warum wir hier auch nur indirekte Wahlen haben. Sie waren ernsthaft besorgt darüber, dass das Volk, wenn man ihm tatsächlich die Macht geben würde, den Karren an die Wand fahren würde, aber ich finde, dass wir jetzt fast schon bereit dafür sind, dieses Unding von Regierungssystem zu überwinden, das wir momentan haben, und einen Schritt zurückzutreten und zu schauen, wie wir das Ding vernünftig zum Laufen bringen. Als reichstes Land und größte Militärmacht der Erde hat man die Verantwortung, eine echte Führungsrolle zu übernehmen, und nicht bloß vergewaltigend und plündernd um die Welt zu ziehen, andere über den Tisch zu ziehen, ihnen das Öl zu klauen, alles zu übernehmen und gefühlte 135 Millionen Militärbasen und den ganzen Scheiß zu haben, was alles nur imperialistischer Nonsens ist. Man hat also die riesige Gelegenheit in diesem Land, um wirklich mit gutem Beispiel voranzugehen. Das Letzte, was wir brauchen, ist Herr D. Trump und seinen ganzen Schwachsinn. Es ist einfach unbegreiflich, und ich weiß, dass ihr das alle wisst, aber es ist immer noch unglaublich, dass irgendjemand diesen Vollidioten ernst nimmt—und er ist ein Vollidiot. Für uns hier in New York City, Los Angeles oder Seattle ist das kein Thema, aber man muss sich vorstellen, dass im Süden vielleicht sogar jemand ist, der diese Scheiße glaubt.

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Ich weiß. Ich lebe selber im Süden.
Oh, das tut mir leid. Ich wollte jetzt nicht offene Türen einrennen (lacht).

Es ist jetzt nicht so, als würdest du falsch liegen. Es kann manchmal schon schwer sein, wenn man von einer überwältigend Zahl von Leuten in seinem Bekanntenkreis umringt ist, die einem vehement und manchmal auch gewalttätig widersprechen, wenn man mit ihnen nicht einer Meinung ist—egal, ob Politik oder dein bevorzugte Marke Kautabak.
(lacht) Nun, du wirst dich vermehren und weiter ausbreiten. Die Nachricht verbreitet sich nämlich momentan unaufhaltsam und ich bin sehr früh darüber, das zu sehen. Es wird ein sehr, sehr harter und schwerer Kampf werden, aber wir, die Mehrheit, sind voller Energie und ich hoffe, dass wir uns mehr und mehr Macht zurückerkämpfen und ein für alle Mal der Macht des militärindustriellen Komplexes, der Neocons und all derjenigen Einhalt gebieten, die dieses unmenschliche Regime unterstützen. Wir werden sehen.

Kommen wir noch mal auf deine Texte zurück—und nicht nur auf The Wall—hat dir das Alter eine bessere Perspektive auf deine eigenen Erlebnisse ermöglicht? Bist du in gewisser Weise noch immer dieser junge Mann, dessen Stimme sich durch einen Großteil deiner Musik zieht?
Nein, das bin ich nicht. (lacht) Nein. Bin ich nicht. Wenn ich das wäre, wäre ich ein infantiler alter Mann—und das bin ich nicht. Ich bin noch nicht einmal eine alter Mann. Ich bin doch erst 72, verdammt noch mal, und ich habe das Gefühl, dass ich vor Kraft und Elan fast platze. Jetzt, wo ich das gesagt habe, muss ich zugeben, dass man mit 72 merkt, dass die Uhr immer getickt hat. Darüber habe ich einen Text geschrieben, als ich 27 oder 28 war: „Ticking away the moments that make up a dull day.“ Ich merkte plötzlich, dass das hier keine Probe ist, und soweit wir wissen, bekommt man nur diese einzige Möglichkeit, also holt man am besten das Meiste raus, wenn man ein erfülltes Leben haben will und so weiter. Jetzt mit 72 sind mindestens dreiviertel davon vergangen und ich habe mir vorgenommen, aus meiner übrigen Zeit das Beste zu machen: mehr Freundschaften zu schließen, auf den kleinen Augenblicken der Liebe aufzubauen, die ich in meinem Leben gefunden habe und so viele Mauern wie möglich niederzureißen, die zwischen mir und anderen Menschen liegen. Ich will auch unsere Regierungen und unsere Religionsführer ermutigen—und unsere Nationalisten, unsere Neinsager, unsere Immigrantenhasser und unsere Donald Trumps notfalls schreiend und treten mit auf meinen Weg nehmen. Wenn wir das nämlich nicht tun, sind wir im Arsch.

Wenn man auf die Alben zurückblickt, die vor The Wall kamen, dann sind die Themen darauf ja nicht wirklich neu. Die Art wie du und die Band sie allerdings präsentiert haben, wurden zu einem gigantischen Spektakel. Siehst du im Rückblick The Wall als eine Art Zuspitzung all dieser Erfahrungen—dem Verlust von Syd, der zunehmend schlechter werdenden Stimmung innerhalb der Band? Ist The Wall quasi der absolute Gipfel der Frustration?
Ich würde sagen, dass es ein Punkt entlang des Weges war. Ich habe eine Album gemacht, Amused to Death, was vor vielen Jahren sehr wichtig war. Ich arbeite an einem neuen Album, aber um auf Syd zurückzukommen: Ich habe vor drei Wochen einen Auftritt zusammen mit ein paar verwundeten Veteranen-Freunden von mir vom Walter Reed Hospital in Washington D.C. gemacht und einer der Songs, die wir gespielt haben, war „Shine On You Crazy Diamond“. Wenn du auf meine Webseite oder meine Facebookseite gehst, kannst du dort eine Schwarz-Weiß-Video, das Sean zusammengeschnitten hat, in dem diese Freunde von mir und Tom Morello den Song spielen. Es gibt da einen Mann, der auf eine Mine getreten war und jetzt besser Gitarre als vor seiner Verwundung spielt, wie er in dem kleinen Interview sagt. Sein Name ist Greg Galeazzi und der Sänger heißt Tim Donnelly. Und auch wenn es ein Song ist, den ich über Syd und meine Liebe zu ihm geschrieben habe, so drückt er nichtsdestotrotz aus, wie wichtig es ist, dass wir aus unserer Zeit, die wir im Leben kompetent, aufmerksam und entscheidungsfähig sind, das Meiste machen, bevor wir durch das Alter, Krankheit oder was auch immer daran gehindert werden. Das wird früher oder später passieren und dementsprechend nehme ich die mir bleibende Zeit auf der Erde auch nicht auf die leichte Schulter.

Ist politischer Aktivismus etwas, das dir schon immer am Herzen lagst, oder bist du da eher hineingewachsen, je mehr du von der Welt um dich herum gesehen hast?
Nein, es gibt da nichts, worauf ich jetzt mit dem Finger zeigen könnte. Es hatte mich in dem Augenblick gepackt, als ich mir irgendeiner Sache bewusst wurde. Durch diese heroische Transformation meines Vaters vom christlichen Kriegsdienstverweigerer zum Kämpfer gegen die Nazipest—also eine Art toter Held, zu dem man zwar aufschauen, den man aber niemals erreichen und auch niemals vergessen kann—bin ich von etwas besessen, was so aussieht und sich so anfühlt wie die Verantwortung, so viel zu lieben, wie ich nur kann. Wenn man eine solche Selbstaufopferung sieht, vor allem wenn es der eigene Vater ist, lässt sich das einfach nicht vermeiden. Ich war immerhin ein Kind, als ich das zum ersten Mal erlebt habe, und diese Verantwortung auf den eigenen Schultern zu tragen, ist eine Rolle, in die ich in den letzten 70 Jahren wohl reingewachsen bin. Als ich in dem Film die Geschichte von dem Veteranen erzähle, der zu mir sagt: „Dein Vater wäre stolz auf dich …“ [lange Pause]

Wir können auch eine Pause machen, Roger, wenn du einen Moment brauchst.
Nein, nein. Ich kann das jetzt nur noch nicht mal zu dir sagen, ohne einen großen Klos in meinem Hals zu verspüren. Ich kann diese Worte nicht mal aussprechen und das werde ich auch nie, weil es mir zu viel bedeutet. Auch wenn der Tod eines Elternteils eine Belastung ist, so ist es auch ein Geschenk. Es ist ein Geschenk, in einem Elternteil ein derartig starkes Vorbild zu haben, schätze ich. Wenn die Leute mich fragen,, warum ich dieses oder jenes tue, dann antworte ich immer, obwohl ich das wirklich nur sehr ungern zugebe, dass ich keine andere Wahl habe. [lacht] Das soll nicht heißen, dass ich ein Roboter bin der blindlings den politischen und humanitären Fußstapfen seiner Mutter und seines Vaters folgt, aber ich bin unglaublich dankbar, dass sowohl meine Mutter wie auch mein Vater so großartige Vorbilder waren, die mir beigebracht haben, was wir alle unseren Kindern beibringen sollten: nämlich, dass unter der Sonne alle Menschen gleich sind und alle Rechte, sei es jetzt juristisch oder anderweitig, verdient haben, dass wir alle die Freiheit haben sollten, welcher Religion auch immer wir wollen zu folgen, das Recht auf Meinungsäußerung und wie unglaublich wichtig das alles ist. Wir müssen das unseren Kindern beibringen, Jonathan. Wir haben ihnen und der ganzen Welt gegenüber die Verantwortung, dass zu tun.

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