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Wegen Hitmill klingt Schweizer Popmusik nicht nur wie ein Supermarkt-Jingle, sondern ist tatsächlich einer.

Roman Camenzind und Co. Schreiben nicht nur Songs für Musiker, sondern auch für Migros, Coop, das Schweizer Fernsehen und Kinderzimmer. Und alles klingt irgendwie gleich.
Foto: Wikimedia | hitmill.ch | gemeinfrei

„So klingt die Schweiz!", titelte 20 Minuten vor einiger Zeit und liess damit eine mehrmonatige Kampagne gipfeln, welche die Gratis-Zeitung zusammen mit dem Detailhandelsriesen Coop Ende Sommer lanciert hatte. Das Ziel: Ein Song, der alle Landesteile, alle Bevölkerungsschichten vereinigt, eine neue, alternative Nationalhymne, der Soundtrack zum Leben in diesem Land.

„Momento" heisst das Ergebnis und dass der Track auf Platz 1 der iTunes-Charts einstieg und auch in den offiziellen Single-Charts auf Platz 13 kletterte sollte eigentlich keinen überraschen. Die Reichweite des grössten Druckerzeugnisses der Schweiz kombiniert mit der PR-Macht eines der grössten Konzerne des Landes sind ja auch nicht allzu schlechte Voraussetzungen dafür.

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Genauso wenig überraschend ist, wie der Song klingt. „Momento" ist eine gefällige Nummer, folkige Gitarren- und Geigenklänge treffen auf einen gemächlichen, tanzbaren Beat. Nacheinander wird zuerst auf Französisch (Alejandro Reyes, leider nicht La Gale), Schweizerdeutsch (Anna Kaenzig), Rätoromanisch (Rapper SNOOK) und Italienisch (die Band Make Plain) in einer gut gelaunten Melodie vom Geniessen des Augenblicks gesungen, was dann im ausgelassenen Chörli-Refrain gipfelt.

Gut gemachter, geschliffener Pop eben, der keinem wehtut. Und den man vor allem irgendwie schon zu kennen glaubt. Ich denke an den Volksmusik-Rap von Bligg, an den Chanson-Rap von Stress oder den Bio-Rap von Sons Of Nature, mit welchem Coop schon vor drei Jahren sein Naturaplan-Label beworben hat. Ich hör mir „Momento" an und denke an DRS3. Und weiss wieder einmal, warum ich kein Radio höre (diese Ausnahmen bestätigen die Regel).

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Der Grund für diese Assoziationskette kommt dabei nicht von irgendwo her, sondern hat einen Namen: Hitmill. Ob Baschis unzerstörbare Kicker-Hymne „Chum bring en hei", Bligg urchig-urbane „Legändä & Heldä" oder die plastikhafte Eurodance-Hymne „Skyline" von Pegasus—die Zürcher Produktionsfirma um Roman Camenzind— Kinder der 90er denken jetzt an Subzonic—steckt dahinter.

Wobei die Liste damit noch lange nicht fertig ist: Stress, Anna Rossinelli, Kunz, Nicole Bernegger, sogar Gimma, Florian Ast, Francine Jordi und praktisch sämtliche Sternchen aus den verschiedenen SRF-Casting Shows der letzten 15 Jahre, von Music Star bis The Voice of Switzerland, haben mit Hitmill zusammengearbeitet, ja verdanken ihnen zum Teil ihre komplette Karriere. Verkürzt, aber doch treffend könnte man die Gleichung aufstellen: Schweizer Popmusik im 21. Jahrhundert = Hitmill.

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Auch ein Blick in die Hitparaden dieses Landes untermauert diesen Eindruck: Neun #1-Hits, praktisch jedes produzierte Album in den Top Ten. Unter den Top 75 Singles des Jahres 2014 finden sich gerade einmal fünf Schweizer Songs, wovon vier von Hitmill produziert wurden—einzig Klangkarussells „Netzwerk (Falls like Rain)" hat es daneben noch geschafft.

Screenshot von Twitter

Zwangsweise frage zumindest ich mich: Woher kommt dieser Erfolg? Wie schaffen es drei Produzenten und Songwriter (neben Camenzind noch Georg Schlunegger und Fred Hermann), den musikalischen Mainstream eines Landes so sehr zu dominieren? Haben sie schlicht und einfach durchschaut, wie Popmusik funktioniert? Sind sie einfach besser, als alle anderen? Ich glaube nicht.

„Musik gewinnt zunehmend an Bedeutung in der Werbung", schrieb die Werbewoche im Juli in einem Artikel, der die verstärkte Zusammenarbeit von Coop und Hitmill thematisierte. Was sich in Bezug auf Hitmill aber ebenfalls sagen lässt: Die Werbung gewinnt zunehmend an Bedeutung in der (Pop-)Musik.

Schaut man sich die Erfolgssongs von Hitmill nämlich genauer an, so fällt auf: Ein wesentlicher Teil der jüngeren Hits von Roman Camenzind und Co. sind nicht einfach Songs von irgendwelchen Künstlern, sondern verbunden mit Werbe- und Promokampagnen. „Momento" ist dabei nur das jüngste Beispiel in einer ganzen Reihe, solcher Auftragsarbeiten.

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Den letztjährigen Weihnachtshit „Ensemble" verlangte die Migros, „I Love" bewirbt wie bereits geschrieben Coop Naturaplan, mit „You and Me" trat die Heilsarmee zum Eurovision Songcontest an und das entspannte „Garage" verwandelte die „Slow down, take it easy"-Kampagne der Beratungsstelle für Unfallverhütung zu einer Massenbewegung.

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Hitmill mögen massentaugliche Songs schreiben, doch reicht das noch lange nicht, um damit auch Erfolg zu haben. Dafür braucht es Promotion, Aufmerksamkeit, Reichweite und dafür braucht es Geld. Und davon haben Grosskonzerne und Institution beträchtlich mehr als darbende Plattenlabels. Und diese Grosskonzerne können deswegen alle möglichen Register ziehen, damit der Song und damit ihr Produkt auch wahrgenommen wird.

Die Liste an Firmenkunden, die bei Hitmill produzieren lassen, ist dabei so illuster wie jene der Musiker: Coop und Migros hab ich schon genannt, dazu kommen Lidl, Google, UPC Cablecom, Orange, Emmi, Swisslos, SBB, McDonalds, IKEA, Manor und Maggi. Und das Schweizer Radio und Fernsehen. Letzteres ist dabei der Schlüssel zum Phänomen Hitmill.

Foto: Wikipedia | Roland zh | CC BY 3.0

Seit der Ausstrahlung von Music Star arbeitet SRF mit Hitmill zusammen. Und seit dann dominiert Hitmill die Schweizer Popmusik (einziger ernstzunehmender Konkurrent momentan: Dodo. Aber der ist auch nicht besser). Baschi, Börni, Salome, Fabienne Louves, Daniel Kandlbauer allesamt Kandidaten der Casting Show, während Hitmill-Act Nicole Bernegger (gecoacht von Hitmill-Act Stress) 2013 die erste Staffel vom Nachfolgegefäss The Voice Of Switzerland gewann. Ob „Chum bring en hei" auch auf Platz 17 der Schweizer Alltime-Charts wäre, hätte ihn SRF nicht als Jingle für die Übertragungen gefühlt sämtlicher Welt- und Europameisterschaften verwendet? Ich glaube nicht.

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Hitmill besitzt dank ihrer Partnerschaft mit Medien und Firmen eine beinahe unschlagbare Marktmacht. Und hat diese in den letzten Jahren sogar noch ausgebaut und zwar auf den Sound im Kinderzimmer. Vier Alben sind unter dem Titel „Schwiizergoofe" bereits erschienen. Allesamt waren die Kinderlieder-Scheiben in den Charts. Wie sie klingen: nach Hitmill—einfach von Kindern gesungen.

Man muss das nicht gut finden. Man kann wie ich der Meinung sein, dass vielleicht genau das der Grund dafür ist, warum sich diese Woche genau ein einziger Song aus der Schweiz in den Top 50 befindet und zwar „Momento". Man kann darin den Grund sehen, warum Schweizer Popmusik in den letzten Jahren so gleichtönig, so austauschbar daherkommt und nur wirklich erfolgreich ist, wenn die Werbemaschinerie eines Grosskonzerns (oder einer Partei) dahintersteckt. So klingt (leider) die Schweiz.

Daniel zählt nicht nur Chartplatzierungen sondern auch Follower auf Twitter.

Noisey Alps horcht nach dem Klang der Schweiz auf Facebook und Twitter.

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