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Was für Menschen fahren eigentlich aufs splash! Festival? Eine Feldstudie

Wenn man wissen möchte, wie es um den deutschen Rap so bestellt ist, dann geht man logischerweise zur größten und wichtigsten Veranstaltung, die es in Deutschland in diesem Bereich gibt—dem splash!

Wenn man wissen möchte, wie es um den Deutschrap so bestellt ist, dann geht man logischerweise zur größten und wichtigsten Veranstaltung, die es in Deutschland in diesem Bereich gibt. Und damit meinen wir überraschenderweise kein K.I.Z-Konzert, sondern das splash! Festival. Diese unübersehbar kommerzialisierte und dennoch sympathische Veranstaltung, auf der zwar auch Künstler spielen, wo aber die eigentliche Gaudi das Klassentreffen hinter und vor den Bühnen ist.

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Apropos Klassentreffen. "Warum sind hier eigentlich nur minderjährige Mädchen unterwegs?", frage ich meinen besten Freund. Er hat eine ebenso einleuchtende wie niederschmetternde Antwort parat: "Die sind nicht minderjährig. Wir sind nur alt." Recht hat er. Aber eins können wir dennoch mit Fug und Recht behaupten: Obwohl wir alt sind, fiebern wir nicht unbedingt dem Beginner-Auftritt entgegen. Ganz im Gegensatz zu dem Mittvierziger, der in seinem "Füchse"-Shirt während des gesamten Asap Ferg-Gigs mit dem Rücken zur Bühne steht und die Arme verschränkt. Er repräsentiert den missmutigen "Früher war alles besser"-Typen in Galauniform. Dabei schaut er griesgrämig, aber auch ein bisschen angegeilt einer Gruppe (eventuell wirklich minderjähriger) Mädchen zu, die direkt vor ihm wilde Tänze aufführen. Ach, man hat es nicht leicht als alter, weißer Mann in dieser Gesellschaft. Außer man heißt Campino. Dann schwirren sämtliche Rapper um einen herum und wollen Selfies. Mit dem Beginner-Fan will leider niemand ein Foto schießen. Trauer.

Das mit den Selfies ist generell so eine Sache geworden. Viele Künstler liefen dieses Jahr relativ unbehelligt über das Festivalgelände, ohne ihr Gesicht andauernd in Handykameras halten zu müssen. Lag aber eventuell auch an den Künstlern. Haftbefehl etwa, der sich bei MC Bombers Auftritt einfach unter das normale Volk mischte, ist mit seinen gefühlten drei Metern Körpergröße natürlich nicht den gleichen besoffenen Sonnenbrand-Nasen mit Neonbrille und Strohhalmhut ausgeliefert wie etwa die Jungs von 257. Auch GZUZ konnte sich komplett ungestört den Auftritt von Frauenarzt aus dem Moshpit heraus anschauen. Die Jungen und Mädchen um ihn herum wagten gerade mal so den ein oder anderen verstohlenen Blick. Vielleicht sind Deutschrap-Fans auch einfach zu cool geworden für Selfies. Da war ich schon mutiger, beziehungsweise uncooler, ich hab wenigstens ein Fake-Selfie ergattert, als das 187-Mitglied in der Hängematte döste. Mein Lieblingsfan war jedoch der junge Mann, der sich in den Backstage schlich um dem großartigen Fruchtmax und seinem Partner Hugo Nameless zu erzählen, dass sie sein Leben verändert hätten. Unsere Eltern hatten Rudi Dutschke. Wir haben "WKM$NSHG".

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Wenn man dann selber über das Gelände läuft, bekommt man ein Gefühl dafür, wer eigentlich diese ganzen Deutschrap-Boxen mit Selfiestick oder Rubbeltattoos für 49€ kauft. Junge Menschen, oft überflüssigerweise in Muskelshirts, die kein Problem damit haben, sich für eine Dose Limo einen Markennamen auf den Rücken sprühen zu lassen. Hedonismus würde hier von den meisten wahrscheinlich als perverse Sexpraktik abgestempelt werden. Kurz wagen wir uns auf den Zeltplatz, dort wo Menschen mit Gaffa-Tape an Bäume gefesselt werden und ein ominöser Zigarettenverkäufer jedes Jahr Boxkämpfe veranstaltet. In Campingstühlen sitzen Menschen vor riesigen Zelten, die keine 4€ für ein Bier bezahlen wollen und knallen sich billigsten Wodka mit Hofer-Fanta rein. Acrylbongs kreisen. Eine Welt, zwei Parallelen. Das muss die Fraktion sein, die all diese Free-Tapes runterlädt und weiß, wer etwa Johnny Rakete oder Edgar Wasser sind. Beneidenswertes Völkchen.

Weiter hinten kommen dann die Wurfzelte und lustlos zusammengebastelten Notunterkünfte. Hier leben Menschen, die sämtliche Facebook-Entertainer kennen und die Tracklist von jedem Hustensaft-Medikamenten-Yung-Lil-Otto tätowiert haben. Viele leben von geklauten Bierdosen aus den Vorzelten der organisierten Camper. Die Musik kommt aus dem Handy, die Fingernägel sind verdreckt, die Augen oft vor Schrecken geweitet. Real recognizes real. Sie scheinen den meisten Spaß zu haben, müssen logischerweise aber auch die meiste Häme über sich ergehen lassen. Es sei euch gegönnt, ihr jungen Wiesel. Wir alle wissen schließlich: Ein Hotel mit Minibar ist 'ne ganz and're Welt als Party aufm Splash und dann pennen gehn im Zelt.

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Schließlich kommt mein großer Moment. Ich muss auf die Bühne, der Kollege Staiger hat mich gebeten, ein paar Seiten meines schnöden Schaffens vorzutragen. Ich bin nervös, trinke Sekt und verkünde, dass ich erst lese wenn ein Betrunkener vor die Bühne getorkelt kommt und sinnlos "Staaaiiigeeeer!" brüllt. Leider ist es wenige Minuten später tatsächlich so weit. Der Schreihals hat nicht mal etwas von meiner Ansage mitbekommen, er tut uns einfach so den Gefallen. Kurz darauf kotzt jemand während der Lesung in die erste Reihe, zum Glück bin ich da schon von der Bühne runter. Hier, vor der überdachten Lesebühne sitzen meist Menschen, die bereits einen Sonnenstich haben oder wirklich zwischen all dem Tosen ein paar Minuten der Ruhe und Einkehr brauchen. Eventuell auch Menschen, die Bücher lesen. Viele von ihnen tragen verdächtig bunte Haare und haben bestimmt Sympathien für Hausbesetzer und Graffiti-Schmierer. Wenn die Haare nicht wären, könnte man sie eigentlich lieb haben. Sie haben ja recht. Man fragt sich nur, woher sie das Geld für den Eintritt haben. Ab und zu kommt einer von der Muskelshirt-Gang herein, probiert zwei Minuten angestrengt, den Texten zu lauschen, brüllt "Staaaiiigeeer!" und geht wieder.

Ich habe genug Realität gesehen und sitze kurz darauf wieder im Backstage, wo man sich für 20€ eine Shisha leisten darf. Nice. Ein Rapper, dessen Namen ich leider nicht nennen darf, erscheint aufgeregt vor dem Toilettenhäuschen und verkündet lauthals und freudig erregt, dass er jetzt endlich mal scheißen würde. Nach einer halben Stunde verlässt er mit Tränen in den Augen das Klo, seinen Kulturbeutel wie ein liebgewonnenes Stofftier an sich geschmiegt. "Kein Shit-shaming, bitte" raunt meine Kollegin mir von der Seite zu und sie hat natürlich recht. Generell kein Shaming bitte. Weder Slut-shaming, noch Shit-shaming. Kein Boxen-shaming, kein Zelt-shaming, kein Muskelshirt-shaming, geschweige denn Splash-shaming. Ich möchte diese drei Tage im Jahr nicht mehr missen. Sie gehören zu Rap wie zum Mädchenklo O.B. Wir sehen uns im nächsten Jahr, du Festival!

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