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Mein Lieblingssoundtrack: ‚Blade Runner‘

Die Musik ist untrennbar mit den Bildern und der Stimmung der Szenen des Filmes verbunden. Trotzdem hat es 12 Jahre gedauert, bis endlich die originale Filmmusik erschien.

Mein Großvater hatte einen sogenannten „Doppeldecker“—einen Videorecorder, in denen zwei Kasetten gleichzeitig passten. Praktisch, weil man dadurch mit einem Gerät eine Videokassette überspielen konnte, ohne eine mühsame Schaltung mit einem zweiten Gerät aufzubauen. Mein Onkel arbeitete damals irgendwo in Asien, vielleicht sogar Japan und brachte sich dieses JVC-Teil mit, da es so etwas auf dem europäischen Markt nicht gab. Mein Großvater war ein Opernfanatiker und ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er donnerstags über die Fernsehzeitschrift tele lehnt, um die neuesten Opernaufzeichnungen auf verschieden Sendern mit blauem Bic-Kulli zu markieren. Seine Söhne, mein Vater und meine Onkel (fünf Jungs, seriously) waren unterschiedlich stark technikaffin, aber um die eigenen Kassetten zu kopieren, wurde immer der „Doppeldecker“ herangezogen.

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Mein älterer Bruder durfte dieses Gerät bereits früh selbst nutzen und da man während des Kopiervorgangs das Bild auch am Fernseher sehen konnte, kam ich zum ersten Mal in den Genuss von Blade Runner. Als kleiner sechsjähriger Junge breitete sich eine Welt vor mir aus, die ich so nicht kannte. Von Star Wars hatte ich nur gehört, Star Trek gab es auch irgendwo, weit entfernt, aber dieser Ridley Scott-Film von 1982 war plötzlich vor mir und ich klebte in der muffigen, grauen Couch meiner Großeltern und sah diesen dystopischen Science Fiction-Film Noir und konnte meine Augen nicht mehr abwenden. Seither gibt es wohl keinen Film, den ich mit nahezu religiöser Disziplin immer wieder rauskrame, um in diese Welt einzutauchen. Ja, ich habe den Film wirklich schon sehr oft gesehen.

Die Geschichte des Soundtracks ist nicht minder interessant, denn es dauerte ganze zwölf Jahre, nämlich bis 1994, bis die orginale Filmmusik—nämlich Vangelis' Synthesizer-Soundtrack—endlich erschien. Bei der Erstaufführung des Filmes wurden Vangelis' Kompositionen von einem Orchester neu aufgenommen und so erschien die Musik zwar, aber sie konnte nicht annähernd wiedergeben, was seine Komposition ausmachte: die Spontaneität seines Arrangements und diese „otherworldliness“.

Das ist nur ein Beispiel für die vielen Probleme, die den Film beim Release begleiteten: Das Studio war sehr unzufrieden mit Scotts finalem Schnitt und so wurde die erste Kinofassung mit einer Erzählstimme ausgestattet, um dem Film Struktur zu geben. Genauer gesagt für den dummen Durchschnittsfilmkonsumenten, der nicht nachdenken will, zum faden Filmschauen kastriert. Angeblich war Harrison Ford darüber so sehr erbost, dass er ein absolut lebloses, gelangweiltes Voice-Over einsprach.

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Natürlich floppte der Film, aber es bildete sich ein Kult-Gefolge von Fans und Kritikern um diesen Film, und irgendwann kam der Director’s Cut endlich auf den Markt. Und damit auch endlich der Originalsoundtrack von Vangelis. Bootlegs von seinen Aufnahmen kursierten unter dem Ladentisch zwar bereits seit dem Original-Release, aber nach etlichen Tape-on-tape-Transfers war die Qualität dementsprechend schlecht. Vangelis' Kompositionen sind untrennbar mit den Bildern und der Stimmung der Szenen des Filmes verbunden, da er für den Großteil des Filmes über Rohschnitte in seinen Nemo-Studios in London frei improvisierte und nach und nach Layer für Layer overdubbte.

Seine Idee war es, eine ausformulierte Version von üblichen Orchesterinstrumenten mittels Synthesizern in die Zukunft zu transferieren. Deswegen funktioniert auch der original erschienene 1982er Orchestersoundtrack, aber ihm fehlen emotionale Tiefe und die, bis dahin zumindest, neuen, fremden Klänge, die diesen Score so einzigartig machen. Zugegeben, Blade Runner war natürlich nicht der erste Film, der auf synthetische Klangerzeugung setzte. War doch Fred Wilcox Forbidden Planet von 1956 der erste Film, der mit selbstgebauten, elektronischen Schaltungen von Louis und Bebe Barron komplett elektronisch unterlegt war.

Und als der analoge Synthesizer in den späten 60ern auf den Markt kam, konnte sich auch ein gewisser Stanley Kubrick nicht helfen, A Clockwork Orange komplett mit Synthesizer-Versionen klassischer Stücke zu unterlegen. Aber Vangelis schaffte es vielleicht als erster, eine fast ausschließlich elektronische Score nicht billig klingen zu lassen, was Kritiker elektronischen Filmscores ihm trotzdem vorwarfen. Seine Mischung aus Ambience, Abstraktion, Klassik, Lush-Pop und Jazz hat andere Filme und Komponisten auf diesem Feld maßgeblich beeinflusst. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass Badalamentis „Twin Peaks Theme“ jemals so geklungen hätte, wäre davor nicht der Blade Runner gewesen.

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Während Harrison Fords Deckard-Replikanten mit einer futuristischen Pistole in „den Ruhestand versetzt“, war Vangelis weapon of choice in erster Linie der Yamaha CS-80. Dieser Synthesizer ist heute unzertrennlich mit dem Schaffen von Vangelis verbunden, da er seiner Musik mittels Ribbon Controller und polyphonischem After-Touch (man muss wirklich nicht wissen was das bedeutet) mehr modulare Flexibilität bot. Kurz gesagt: Er hauchte künstlich generierten Sounds so mehr Leben ein.

Vangelis arbeitete aber nicht nur mit synthetischen Sounds, sondern bettete auch Blasinstrumente und Stimmen in seine Musik. Die Spontaneität ging dabei aber nie verloren, da er stets zuerst über die Bilder improvisierte und nach und nach, eben mittels Overdubs, ausformulierte.

Zwei Stücke brechen aus der futuristischen Welt etwas heraus: Zum einen die wunderbar anachronistische Slow Jazz-Ballade „One More Kiss, Dear“, die komplett auf elektronische Hilfsmittel verzichtet und nur mit einer kleinen Band um Sänger Don Percival und Backgroundsängerinnen im Stile der Ink Spots oder den Mills Brothers aufgenommen wurde, was ein endgültiges Indiz dafür ist, dass wir es eigentlich mehr mit einem Film Noir-Krimi zu tun haben, als mit einem Science Fiction-Epos. Zum zweiten ist es die Abspannsmusik, die „End Titles“ des Films.

Zum ersten Mal, abseits von der Jazz-Einlage, werden wir mit einem klaren Rhythmus versorgt, einem gesequencten Drumcomputer über den Vangelis nochmal alles ausbreitet und bombastisch mit Hall untermalt. Dramatisch und voller Energie fegt hier nochmal die ganze Gewalt seiner Kompositionen über den Zuhörer/Zuseher hinweg: Es hat was von Jean-Michel Jarres „Oxygene II“ und der Titelmelodie von Das Boot, was natürlich auch absolut in die Zeit passt.

Achtung, Spoiler:

Die Videokassette mit dem Film gibt übrigens noch. Die ist gut aufgehoben im Videoschrank meines Großvaters, in der kleinen Filmnische neben all den unzähligen Opernaufnahmen von 3SAT. Es war übrigens eine TDK, das Etikett grün, mit karierter Schreibfläche auf der Blade Runner stand.